OLG Stuttgart – Az.: 1 Ss 190/12 – Beschluss vom 18.04.2012
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 30. Dezember 2011 mit den Feststellungen a u f g e h o b e n .
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ravensburg z u r ü c k v e r w i e s e n .
Gründe
I.
In erster Instanz war gegen den Angeklagten zunächst am 29. Juni 2009 ein Strafbefehl wegen versuchten Betruges ergangen, welcher die Verhängung einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 40 Euro vorsah. Auf seinen Einspruch wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Tettnang mit Urteil vom 26. April 2010 sodann wegen versuchten Betruges zu der Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Das Landgericht hat in der ersten Berufungsverhandlung die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagessatzhöhe auf 10 Euro reduziert wurde. Mit Beschluss vom 15. November 2011 hat der Senat dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten in der zweiten Berufungsverhandlung mit Urteil vom 30. Dezember 2011 wiederum mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagessatzhöhe auf 10 Euro festgesetzt wurde und hat Zahlung von monatlichen Raten in Höhe von je 50 Euro nachgelassen. Im Kostenausspruch hat es dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens auferlegt, hat jedoch die Gerichtsgebühr der Berufungsinstanz um ein Viertel ermäßigt.
Mit seiner zulässigen Revision beantragt der Angeklagte, das Urteil des Landgerichts Ravensburg aufzuheben. Er rügt neben der allgemeinen Verletzung materiellen Rechts insbesondere, dass das Gericht eine behauptete rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht berücksichtigt habe. Der Generalstaatsanwalt beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
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II.
Auch das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 30. Dezember 2011 hält revisionsrechtlicher Prüfung neuerlich nicht stand, es unterliegt der Aufhebung nach § 349 Abs. 4 StPO.
Die Strafzumessung unterliegt dabei nur in eingeschränktem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Es ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Person des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Strafzumessung ist dabei nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen.
Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts leiden an einem Begründungsmangel.
Dabei ist die strafschärfende Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte zu der Tatbegehung “sogar die Polizei einbezogen hat, um den Versicherungsbetrug vorzubereiten”, in einer Gesamtschau noch revisionsrechtlich unbedenklich. Die Ausführung des Landgerichts, dass es sich des Umstandes bewusst ist, dass solches von der Versicherung geforderte Bedingung für die Geltendmachung eines Schadensfalles sein kann (UA S. 5), lässt zunächst befürchten, dass es einen strafbegründenden Umstand unter Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot im Sinne des § 46 Abs. 3 StGB strafschärfend berücksichtigt hat. Indes ergibt sich aus der Gesamtschau des Urteils, namentlich aus den Ausführungen dazu, weshalb von einer Verwarnung mit Strafvorbehalt abgesehen wurde, dass das Landgericht dem Umstand der Geltendmachung des Schadens gegenüber einer Polizeidienststelle in persönlicher Vorsprache eine gesteigerte kriminelle Energie des Angeklagten beimisst, da er eine höhere Hemmschwelle überschreiten muss als derjenige, der einen Betrug “vom Schreibtisch aus” begeht. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt indes darin, dass das Landgericht strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte “in Weiterverfolgung seiner Tat seine Lügen zudem gegenüber dem von der Versicherung beauftragten Sachverständigen vorgebracht” (UA S. 5) habe. Damit berücksichtigt das Landgericht strafschärfend den Umstand, dass der Angeklagte nicht strafbefreiend von dem versuchten Betrug zurückgetreten ist. Denn eine andere Alternative als das Festhalten an seinem Tatplan oder das vollständige Abrücken von diesem bestand nicht. Ein strafbefreiender Rücktritt war auch noch möglich, da der Versuch des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt noch nicht fehlgeschlagen war. Aus den Ausführungen des insoweit in Rechtskraft erwachsenen Urteils des Landgerichts Ravensburg vom 7. April 2011, hier ergänzend den Ausführungen zur Beweiswürdigung, ergibt sich, dass der Sachverständige mit der Schadensregulierung beauftragt war und er erst vor Ort bei Besichtigung des Fahrzeugs Zweifel an dem behaupteten Wildunfall bekam (UA S. 3). Ein Verdacht der Versicherung oder Regulierungsunwilligkeit lag somit zunächst nicht vor. Der wiederholten Betätigung des Tatentschlusses kommt bei dieser Konstellation auch keine Bedeutung in dem Sinne zu, dass etwa eine Vertiefung des Schadens erreicht worden wäre, da ein Schaden oder auch nur eine schadensgleiche Vermögensgefährdung zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten war, die Versicherung sich vielmehr noch in der Prüfungsphase der Regulierung befand. Das Fehlen eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes kann aber nicht strafschärfend wirken (vgl. LK-Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 RN 271; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 RN 76a; Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 46 RN 45; Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 46 RN 181; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., RN 394 m.w.N.).
Da die Kammer diesem Umstand trotz vorgenommener Strafrahmenverschiebung nach den §§ 23, 49 Abs. 1 StGB und trotz Berücksichtigung der langen Verfahrensdauer eine solch gravierende Bedeutung beigemessen hat, dass es die schon zuvor ohne Berücksichtigung dieser Milderungsgründe verhängte Tagessatzanzahl aufrecht erhalten hat, hat sich der Rechtsfehler auch zu Ungunsten des Angeklagten ausgewirkt.
Für eine angemessene Herabsetzung der Rechtsfolgen im Sinne des § 354 Abs. 1a S. 2 StPO durch den Senat fehlt es an einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
Aufgrund der Aufhebung des Urteils braucht der Senat über die zugleich eingelegte Kostenbeschwerde nicht zu entscheiden. Für das weitere Verfahren weist der Senat indes darauf hin, dass nach herrschender Meinung der alleine auf Zeitablauf beruhende oder auch nur dadurch mit bedingte Rechtsmittelerfolg, insbesondere die Ermäßigung des Tagessatzes infolge nachträglicher Verschlechterung wirtschaftlicher Verhältnisse, nicht als Teilerfolg im Sinne des § 473 Abs. 4 StPO zu behandeln ist, der aus Gründen der Billigkeit kostenentlastend wirken müsste (OLG Zweibrücken, NStZ 1991, 602; OLG Jena, Beschluss vom 09.04.1997, 1 Ws 62/97, zitiert nach Jurion RS 1997, 12181; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 473 RN 31). Einer nachteiligen Änderung des Kostenausspruchs steht das Verschlechterungsverbot dabei nicht entgegen (BGHSt 5, 52; BGH, Beschluss vom 23.01.1981, 3 StR 512/80, zitiert nach Jurion RS 1981, 14395; Meyer-Goßner, § 464 RN 26 m.w.N.).
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