Skip to content

Urteilsfeststellungen bei Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz

Unzureichende Beweisführung führt zur Aufhebung eines Urteils wegen Pflichtversicherungsverstoß

Der Fall beginnt mit einer Verurteilung, die zunächst klar und eindeutig erscheint: Ein Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz wurde von dem Amtsgericht Tiergarten festgestellt und mit einer Geldstrafe belegt. Doch der verurteilte Angeklagte gibt sich nicht kampflos geschlagen und legt gegen das Urteil Revision ein. Dies öffnet die Tür zu einer tiefergehenden Untersuchung der Beweise und der tatsächlichen Vorgänge. Was auf den ersten Blick als einfacher Verstoß erscheint, wirft bei genauerem Hinsehen ernste Fragen zur Beweisführung und juristischen Beurteilung auf.

Direkt zum Urteil Az: (3) 161 Ss 74/21 (30/21) springen.

Mangelnde Beweisführung erfordert Neubetrachtung des Falls

Der Kern des Problems liegt in den Beweisen und deren Beurteilung. Wurde der Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz ausreichend und rechtlich korrekt bewiesen? Das Kammergericht Berlin bezweifelt dies und hebt das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten aufgrund dieser Bedenken auf. Die Urteilsfeststellungen waren unzureichend und konnten die Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz nicht tragen.

Frage nach der Wirksamkeit des Haftpflichtversicherungsvertrags

Die Kritikpunkte zielen vor allem auf die Tatsache ab, dass die Feststellung, dass „kein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag bestand“, lediglich als Ergebnis einer rechtlichen Würdigung angegeben wurde. Die tatsächlichen Voraussetzungen, die zu dieser Schlussfolgerung führten, wurden jedoch nicht ausreichend in den Urteilsfeststellungen dargelegt.

Zweifel an der Korrektheit der Beweiswürdigung

Darüber hinaus kritisiert das Kammergericht Berlin die mangelhafte Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen und darf nicht lediglich auf Vermutungen basieren. Es fehlten detaillierte Darstellungen der Umstände, aus denen das Amtsgericht schloss, dass für das vom Angeklagten genutzte Kraftfahrzeug kein Versicherungsvertrag mehr bestand.

Diskussion um das Zustellen eines Kündigungsschreibens

Die Auseinandersetzung um das Vorhandensein eines gültigen Versicherungsvertrags mündet schließlich in der Frage nach einem Kündigungsschreiben. Das Amtsgericht unterstellte, dass dem Angeklagten ein Kündigungsschreiben zugegangen sei. Diese Annahme wurde jedoch nur auf Vermutungen gestützt und ist damit in den Augen des Kammergerichts Berlin nicht ausreichend.

Daher wird der Fall nun erneut zur Verhandlung und Entscheidung, einschließlich der Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen. Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass Beweise und deren Würdigung in rechtlichen Verfahren ausreichend und korrekt dargelegt werden.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.:  (3) 161 Ss 74/21 (30/21) – Beschluss vom 22.06.2021

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. März 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 1, 6 PflVG zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete, nach § 335 StPO statthafte und auch im Weiteren zulässige (Sprung-) Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Es ist bereits zweifelhaft, ob die aus knapp vier Zeilen bestehenden Urteilsfeststellungen die Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz tragen. Denn die Mitteilung, dass „kein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag bestand“ (UA S. 3), ist Ergebnis einer rechtlichen Würdigung, deren tatsächliche Voraussetzungen sich gegebenenfalls in den Urteilsfeststellungen wiederfinden müssen.

2. Jedenfalls ist die Beweiswürdigung in sachlich-rechtlicher Hinsicht unzureichend. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen, und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen dürfen nicht nur eine Vermutung darstellen (vgl. nur BGH NStZ-RR 2018, 89). Diese Anforderungen erfüllt die Beweiswürdigung hier nicht.

Es fehlt insbesondere an einer Darstellung der Umstände, aus denen das Tatgericht schließt, für das vom Angeklagten genutzte Kraftfahrzeug habe kein Versicherungsvertrag mehr bestanden. Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung hiervon ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten, die allerdings über eine Kündigung nichts enthält. Vielmehr unterstellt das Amtsgericht zu dessen Nachteil den Zugang eines Kündigungsschreibens vom 8. April 2019.

Auch wenn der Tatrichter die Beweise frei würdigt, stellt die Annahme, das Schreiben sei bei der Versicherung sicher abgesandt worden und dem Angeklagten ebenso gewiss rechtswirksam zugegangen, im Letzten eine bloße Vermutung dar. Ob auch ohne förmliche Zustellung bei einem den Zugang des Kündigungsschreibens bestreitenden oder sich hierzu nicht erklärenden Angeklagten etwas anderes gelten kann, wenn das Tatgericht seine Überzeugung vom Zugang dezidiert begründet, muss hier offen bleiben (verneinend OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 – (1) 53 Ss 35/20 (24/20) –, juris; ebenso Senat VRS 102, 128 [2001] m.w.N.). Denn im angefochtenen Urteil fehlt es schon an der Mitteilung, dass das Schreiben zugegangen sei, erst recht aber an einer Begründung, warum der Tatrichter diese Überzeugung gewonnen hat. Vielmehr wird die rechtswirksame Beendigung des Versicherungsvertrags stillschweigend vorausgesetzt.

Der Senat teilt die Einschätzung des Strafrichters, der Angeklagte habe angesichts seines eigenen Vorverhaltens und insbesondere der zögerlichen und säumigen Prämienzahlungen jeden Grund dafür gehabt, mit einer Kündigung des Versicherungsvertrags zu rechnen (UA S. 4). Der Prämienrückstand führt aber nicht ipse iure zur Beendigung des Versicherungsvertrags. Hierzu bedarf es grundsätzlich der Kündigung und – im Regelfall – ihres Zugangs (§ 38 Abs. 3 VVG). Daher entband die Feststellung des Zahlungsverzugs das Amtsgericht nicht von der Feststellung, dass die Kündigung den Angeklagten auch tatsächlich erreicht hat (vgl. Senat ZfSch 2018, 474). Auch dass der Angeklagte in seiner Einlassung diesbezüglich „auffällig vage“ geblieben und wegen Betrugs vorbestraft sei (UA S. 4), ersetzt die Feststellung einer zivilrechtlich wirksamen Kündigung des Versicherungsvertrags nicht.

Das Urteil beruht auf der beanstandeten Beweiswürdigung und war daher auf die Sachrüge aufzuheben. Die Strafsache war zugleich an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Strafrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Strafrecht und Verkehrsstrafrecht. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Strafrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!