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Tätige Reue nach § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB

Revision im Explosionsverbrechen-Fall – Hohe Hürden für tätige Reue

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen bezüglich der Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens wurden abgelehnt, und es wurde entschieden, dass die Angeklagten keinen Anspruch auf tätige Reue gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB haben, da ihre Entscheidung, die Tat abzubrechen, aufgrund von Müdigkeit und der damit verbundenen erhöhten Unfallgefahr während der Flucht nicht als freiwillig angesehen wurde.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen wurden verworfen.
  • Die Angeklagten wurden der Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens für schuldig befunden.
  • Eine Reduzierung der Strafe aufgrund von tätiger Reue wurde nicht anerkannt, da die Entscheidung, die Tat abzubrechen, aufgrund unvorhersehbarer Müdigkeit und der daraus resultierenden Gefahr nicht als freiwillig betrachtet wurde.
  • Die Strafen der Angeklagten wurden leicht angepasst, wobei bestimmte Maßregeln und Einziehungsentscheidungen unberührt blieben.
  • Die Kosten des Rechtsmittels müssen von den Angeklagten getragen werden.
  • Das Urteil wurde auf Basis der Sachrüge überprüft, wobei kein Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten festgestellt wurde.
  • Der unfreiwillige Abbruch der Tatausführung wurde nicht als Strafmilderungsgrund angesehen.

Freiwilligkeit als Schlüsselkriterium

Die tätige Reue ist ein wichtiges Rechtsinstitut im Strafrecht. Sie ermöglicht eine Strafmilderung oder sogar Straflosigkeit, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Entscheidend ist dabei das Kriterium der Freiwilligkeit. Liegt diese nicht vor, greift der Strafaufhebungsgrund nicht.

Ein Täter handelt unfreiwillig, wenn er die Tat nur aufgrund einer erheblichen, von ihm nicht vorhergesehenen Risikoerhöhung abbricht. Solch eine Risikoerhöhung kann beispielsweise die Gefahr der Entdeckung, Bestrafung oder der eigenen Verletzung darstellen. Die Grenzen der Freiwilligkeit sind in der Rechtsprechung komplex und wurden über Jahre ausdifferenziert.

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➜ Der Fall im Detail


Die Ablehnung der Revision im Fall der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens

Im Zentrum des rechtlichen Geschehens standen drei Angeklagte, denen vorgeworfen wurde, die Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB begangen zu haben. Das Amtsgericht Friedberg verurteilte die Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten. Zusätzliche Sanktionen umfassten den Entzug der Fahrerlaubnis und die Einziehung von Tatmitteln. Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Fall durch die nachfolgenden Berufungen und Revisionen, die eine tiefere rechtliche Prüfung der tätigen Reue und der Voraussetzungen für eine Strafmilderung nach sich zogen.

Gründe für die Verurteilung und der Weg durch die Instanzen

Das Landgericht Gießen nahm auf die Berufung der Angeklagten hin geringfügige Anpassungen an den Strafmaßen vor, hielt jedoch die grundsätzliche Verurteilung aufrecht. Die Kernfrage bezog sich auf die Anwendung des Strafaufhebungsgrunds der tätigen Reue. Hierbei stand im Mittelpunkt, ob die Angeklagten aufgrund von unvorhergesehenen Umständen, wie der eigenen großen Müdigkeit, welche die Flucht nach dem geplanten Verbrechen riskanter gemacht hätte, von ihrem Vorhaben abließen. Die Entscheidung des Gerichts, die tätige Reue nicht anzuerkennen, fußte auf der Auffassung, dass die Entscheidung zur Tatbeendigung nicht aus einem freiwilligen Sinneswandel, sondern aus der Sorge um die eigene Sicherheit erfolgte.

Die juristische Bewertung der tätigen Reue und ihre Grenzen

Die Auslegung der tätigen Reue erfordert eine sorgfältige Abwägung der Umstände, unter denen der Täter von seinem Vorhaben Abstand nimmt. Das OLG Frankfurt bestätigte, dass die angeführte Müdigkeit und die daraus resultierende erhöhte Gefahr während der geplanten Flucht nicht den Kriterien für eine freiwillige Aufgabe der Tat entsprechen. Diese Entscheidung unterstreicht die strenge Handhabung der Normen rund um die tätige Reue im deutschen Strafrecht, insbesondere im Kontext von Vorbereitungen zu schweren Straftaten wie Explosions- oder Strahlungsverbrechen.

Entscheidung des OLG Frankfurt und ihre Bedeutung für die Rechtsprechung

Das OLG Frankfurt wies die Revision der Angeklagten zurück und bestätigte damit die Urteile der Vorinstanzen. Diese Entscheidung verdeutlicht die rechtlichen Hürden für die Anerkennung der tätigen Reue und stellt klar, dass allein das Vorliegen von risikoerhöhenden Umständen nicht ausreicht, um einen freiwilligen Rücktritt von der Tat zu begründen. Die Kostenentscheidung gegen die Angeklagten folgt der üblichen Praxis, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsmittels zu tragen hat.

Rechtliche Einordnung und Perspektiven

Das Urteil des OLG Frankfurt zeigt die Grenzen der tätigen Reue im Rahmen schwerwiegender Straftaten auf und bekräftigt die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung der Freiwilligkeit im Kontext des Rücktritts vom Versuch. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer individuellen und umfassenden Prüfung der jeweiligen Umstände, die zu einer Tatbeendigung führen, und liefert somit wertvolle Erkenntnisse für die rechtliche Praxis und zukünftige Fälle.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter tätiger Reue im Strafrecht?

Unter tätiger Reue versteht man im Strafrecht, dass der Täter nach Beginn der Tatausführung freiwillig die weitere Tatbegehung aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Dadurch kann er eine Strafmilderung oder sogar Straffreiheit erreichen.

Die wesentlichen Merkmale der tätigen Reue sind:

  • Der Täter hat bereits mit der Ausführung einer Straftat begonnen, diese aber noch nicht vollendet. Es liegt also mindestens ein strafbarer Versuch vor.
  • Er gibt dann aus eigenem Antrieb die weitere Tatausführung auf (unbeendeter Versuch) oder verhindert aktiv den Taterfolg (beendeter Versuch). Dies muss „freiwillig“ geschehen, also ohne Zwang von außen.
  • Durch die tätige Reue wird der vom Täter angerichtete oder drohende Schaden beseitigt oder gemindert. Täter und Opfer stellen gemeinsam den rechtmäßigen Zustand wieder her.
  • Als Rechtsfolge sieht das Gesetz dann eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe vor. Bei manchen Delikten führt die tätige Reue sogar zur völligen Straffreiheit.

Tätige Reue ist von einem bloßen Rücktritt vom Versuch abzugrenzen. Sie setzt eine bereits begangene Straftat voraus, während der Rücktritt im Versuchsstadium erfolgt. Auch die Rechtsfolgen unterscheiden sich.

Das Rechtsinstitut der tätigen Reue dient dem Opferschutz und der Schadenswiedergutmachung. Es soll dem Täter einen Anreiz bieten, die Folgen seiner Tat zu beseitigen. Damit liegt es sowohl im Interesse des Opfers als auch des Täters selbst.

Unter welchen Voraussetzungen kann tätige Reue zu einer Strafmilderung führen?

Damit tätige Reue zu einer Strafmilderung führen kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Die Tat muss bereits begonnen, aber noch nicht vollendet sein. Es muss also mindestens ein strafbarer Versuch vorliegen.
  2. Der Täter muss dann freiwillig, also ohne äußeren Zwang, die weitere Tatausführung aufgeben (unbeendeter Versuch) oder aktiv den Taterfolg verhindern (beendeter Versuch). Die Freiwilligkeit ist entscheidend.
  3. Durch die Handlungen des Täters muss der drohende Schaden beseitigt oder zumindest gemindert werden. Täter und Opfer stellen gemeinsam den rechtmäßigen Zustand wieder her.
  4. Die tätige Reue muss rechtzeitig erfolgen, also solange die Tat noch abgewendet werden kann. Sobald der Schaden eingetreten ist, ist es für eine strafbefreiende tätige Reue zu spät.
  5. Tätige Reue ist nur bei bestimmten im Gesetz genannten Delikten möglich, etwa bei Brandstiftung, Geldfälschung oder Kreditbetrug. Eine allgemeine Regelung gibt es nicht.
  6. Je nach Delikt führt die tätige Reue dann zur Strafmilderung oder sogar zum völligen Absehen von Strafe. Die Rechtsfolge hängt von der konkreten Vorschrift ab.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, honoriert das Gesetz das Umkehrverhalten des Täters mit Strafmilderung oder Straffreiheit. Damit soll dem Täter ein Anreiz gegeben werden, die Folgen seiner Tat zu beseitigen, was sowohl dem Opferschutz dient als auch dem Täter selbst zugutekommt.

Wie wird Freiwilligkeit bei der tätigen Reue bewertet?

Die Freiwilligkeit ist eine zentrale Voraussetzung für die Anwendung der tätigen Reue. Sie wird wie folgt bewertet:

Der Täter muss aus eigenem, autonomen Antrieb heraus handeln, also „aus freien Stücken“. Äußere Umstände dürfen nicht entscheidend für seinen Sinneswandel sein. Es kommt auf die innere Einstellung des Täters an.

Unerheblich sind die konkreten Motive und Beweggründe des Täters, solange er selbstbestimmt handelt. Auch Angst, Mitleid, Reue oder Scham schließen Freiwilligkeit nicht aus. Entscheidend ist, dass der Täter die Wahl hatte, die Tat fortzusetzen, sich aber dagegen entschieden hat.

Kein freiwilliges Handeln liegt vor, wenn der Täter nur wegen äußeren Zwangs von der weiteren Tatausführung Abstand nimmt, etwa weil er von Dritten daran gehindert wird. Auch die sichere Erwartung, gefasst zu werden, kann die Freiwilligkeit ausschließen.

Andererseits stehen bloße äußere Schwierigkeiten der Tatbegehung der Freiwilligkeit nicht entgegen, solange der Täter noch die Vorstellung hat, die Tat vollenden zu können. Auch die Entdeckung der Tat schließt Freiwilligkeit nicht zwingend aus.

Die Freiwilligkeit muss sich auf die konkrete Rücktrittshandlung beziehen, also das Aufgeben der weiteren Tatausführung oder das aktive Verhindern des Taterfolgs. Reue oder Schuldgefühle allein reichen nicht.

Insgesamt sind die Anforderungen an die Freiwilligkeit bei der tätigen Reue etwas geringer als beim bloßen Rücktritt vom Versuch. Dennoch muss der Täter stets aus eigenem Willensentschluss und nicht nur wegen unüberwindbarer Hindernisse gehandelt haben.

Gibt es Unterschiede bei der tätigen Reue zwischen Versuch und vollendeter Tat?

Es gibt einige wichtige Unterschiede bei der Anwendung der tätigen Reue zwischen Versuch und vollendeter Tat:

  1. Anwendungsbereich: Tätige Reue ist grundsätzlich nur bei bestimmten, im Gesetz ausdrücklich genannten vollendeten Delikten möglich, etwa Brandstiftung, Geldfälschung oder Kreditbetrug. Beim Versuch ist ein Rücktritt dagegen allgemein nach § 24 StGB möglich.
  2. Zeitpunkt: Tätige Reue setzt voraus, dass die Tat bereits vollendet ist, also alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Ein Rücktritt vom Versuch ist dagegen nur möglich, solange die Tat noch nicht vollendet ist.
  3. Rechtsfolgen: Tätige Reue führt je nach Delikt entweder zur Strafmilderung oder zum Absehen von Strafe. Ein Rücktritt vom Versuch hat dagegen stets Straffreiheit zur Folge.
  4. Voraussetzungen: Die Anforderungen an die Freiwilligkeit sind bei der tätigen Reue etwas geringer als beim Rücktritt. Auch muss der Täter den Schaden nur mindern, nicht unbedingt ganz abwenden.
  5. Rechtsnatur: Tätige Reue ist ein persönlicher Strafaufhebungs- oder milderungsgrund und wirkt nur für den Täter selbst. Der Rücktritt vom Versuch lässt dagegen die Strafbarkeit insgesamt entfallen.

Gemeinsam ist beiden Rechtsinstituten aber der Grundgedanke, dem Täter einen Anreiz zu geben, die Folgen seiner Tat zu beseitigen oder zu mindern. Auch müssen die Rücktrittshandlungen jeweils freiwillig erfolgen. Insofern bestehen durchaus Parallelen.

Welche Rolle spielt tätige Reue bei der Vorbereitung schwerer Straftaten?

Bei der Vorbereitung schwerer Straftaten wie Explosions- oder Strahlungsverbrechen spielt die tätige Reue eine wichtige Rolle:

Anwendbarkeit der tätigen Reue

Tätige Reue ist bei Vorbereitungshandlungen zu schweren staatsgefährdenden Gewalttaten nach § 89a StGB möglich. Dazu zählen etwa die Vorbereitung von Explosions- und Strahlungsverbrechen gemäß §§ 307-310 StGB.

Durch § 89a Abs. 7 StGB kann das Gericht von Strafe absehen oder diese mildern, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung aufgibt und eine von ihm verursachte Gefahr abwendet oder wesentlich mindert.

Bedeutung der tätigen Reue

Die Möglichkeit der tätigen Reue soll dem Täter einen Anreiz geben, von der geplanten Tat Abstand zu nehmen und bereits verursachte Gefahren zu beseitigen. Dadurch können schwerwiegende Schäden für Staat und Gesellschaft verhindert werden.

Die Anforderungen an die Freiwilligkeit sind bei der tätigen Reue etwas geringer als beim Rücktritt vom Versuch. Es kommt aber wesentlich auf die innere Einstellung des Täters an, der aus eigenem Antrieb handeln muss.

Durch die tätige Reue kann der Täter Straffreiheit erlangen oder zumindest eine mildere Strafe. Dies liegt im Interesse des Opferschutzes und der Schadenswiedergutmachung.

Abgrenzung zum Rücktritt

Im Gegensatz zum Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) ist die tätige Reue erst nach Vollendung der Tat möglich. Sie führt nicht zwingend zur Straffreiheit, sondern je nach Delikt „nur“ zur Strafmilderung.

Insgesamt dient die tätige Reue dazu, dem Täter einen Ausweg aus der kriminellen Handlung zu eröffnen und ihn zur Gefahrenabwehr zu motivieren. Gerade bei schweren Straftaten wie Explosionsverbrechen ist dies von hoher Bedeutung für den Rechtsgüterschutz.

Wie wird der Begriff der „unvorhergesehenen Umstände“ in Bezug auf tätige Reue interpretiert?

Der Begriff der „unvorhergesehenen Umstände“ spielt bei der Bewertung der Freiwilligkeit der tätigen Reue eine wichtige Rolle. Er wird wie folgt interpretiert:

Definition

Unvorhergesehene Umstände sind Ereignisse oder Gegebenheiten, mit denen der Täter bei Beginn der Tat nicht gerechnet hat und auf die er sich nicht einstellen konnte. Sie treten überraschend auf und durchkreuzen den ursprünglichen Tatplan.

Auswirkungen auf die Freiwilligkeit

Unvorhergesehene Umstände können die Freiwilligkeit der tätigen Reue beeinträchtigen oder sogar ausschließen. Entscheidend ist, ob der Täter noch die Möglichkeit hatte, sein Vorhaben trotz der Hindernisse umzusetzen.

Gibt der Täter die Tat nur deshalb auf, weil unüberwindbare Schwierigkeiten auftreten, fehlt es an der Freiwilligkeit. Der Sinneswandel muss auf einer autonomen Entscheidung beruhen, nicht auf äußerem Zwang.

Beispiele

Unvorhergesehene Umstände können vielfältig sein, etwa:

  • Unerwartet starke Sicherheitsvorkehrungen, die eine Tatausführung unmöglich machen
  • Plötzliches Auftauchen von Zeugen oder Polizei am Tatort
  • Unvorhergesehene technische Probleme oder Defekte bei der Tatausführung
  • Unerwartete Gegenwehr oder Flucht des Opfers

Ob solche Umstände die Freiwilligkeit ausschließen, hängt aber stets von einer Gesamtbewertung im Einzelfall ab.

Abgrenzung

Nicht jede Veränderung der Tatsituation ist ein unvorhergesehener Umstand. Bloße Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten genügen nicht. Auch die Entdeckung der Tat schließt Freiwilligkeit nicht zwingend aus.

Letztlich kommt es darauf an, ob der Täter trotz der Hindernisse noch in der Lage war, seinen Tatentschluss umzusetzen, sich aber autonom dagegen entschieden hat. Nur dann liegt freiwillige tätige Reue vor.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Regelt spezifische Vorbereitungshandlungen zu schweren staatsgefährdenden Gewaltakten. Im Textbezug zeigt dies die rechtliche Grundlage für die Verurteilung der Angeklagten wegen Vorbereitung eines Explosionsverbrechens.
  • § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB: Ergänzt § 310 StGB um die Möglichkeit der tätigen Reue. Diese Regelung ist zentral, da die Gerichte prüfen, ob ein Angeklagter nach versuchter oder vorbereiteter Tat durch freiwillige Aufgabe oder Verhinderung der Tat eine Strafmilderung erreichen kann.
  • § 154 Abs. 2 StPO: Ermöglicht die vorläufige Einstellung eines Verfahrens unter bestimmten Voraussetzungen. Im Kontext wird erläutert, warum bestimmte Anklagepunkte nicht weiterverfolgt wurden.
  • § 154a Abs. 2 StPO: Bezieht sich auf die Beschränkung der Strafverfolgung auf bestimmte Tatbestände. Im Fall wurde die Strafverfolgung auf bestimmte Paragraphen beschränkt, was zeigt, wie die Justiz Prioritäten setzen kann.
  • § 24 StGB: Regelt den Rücktritt vom Versuch einer Straftat. Wichtig für das Verständnis, warum der freiwillige Rücktritt von einer Tat unter bestimmten Umständen zu einer Strafmilderung oder zum Strafausschluss führen kann.
  • § 473 Abs. 1 S. 1 StPO: Regelt die Kostenentscheidung bei einer Entscheidung über Rechtsmittel. Im Text wird darauf verwiesen, um die Kostenpflicht der Angeklagten bei der Zurückweisung ihrer Revision zu begründen.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 3 ORs 29/23 – Beschluss vom 16.10.2023

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen – 8. kleine Strafkammer – vom 19.09.2022 werden als unbegründet verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Schöffengericht – Friedberg (Hessen) hat die Angeklagten mit Urteil vom 19.9.2022 wegen Vorbereitung zu einem Explosions- oder Strahlungsverbrechen schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten V deswegen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten, den Angeklagten W zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten X zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten V die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von einem Jahr keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Schließlich hat das Amtsgericht „die sichergestellten Tatmittel“ eingezogen. Den Tatvorwurf wegen versuchten „Freirammens“ eines Polizeifahrzeugs gegen die Angeklagten und weitere Btm-Delikte (vgl. Bl. 518 Bd. IV) hat das Amtsgericht im Hauptverhandlungstermin vom 19.09.2022 gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt (Bl. 913R Bd. V). Zudem wurde die Strafverfolgung gem. § 154a Abs. 2 StPO auf § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Ausschluss einer Tat nach § 30 Abs. 2 i.V.m. § 308 Abs. 1 StGB beschränkt. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Friedberg (Hessen) vom 19.9.2022 haben alle drei Angeklagten form- und fristgerecht Berufung bzw. unbezeichnete Rechtsmittel eingelegt.

Das Landgericht Gießen – 8. kleine Strafkammer – hat mit Urteil vom 3.5.2023 auf die Berufung der Angeklagten das angefochtene Urteil des Amtsgerichts vom 19.9.2022 im Strafausspruch sowie hinsichtlich der Einziehung von Tatmitteln (wegen Verzichts) aufgehoben. Es hat den Angeklagten V zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, den Angeklagten W zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat und den Angeklagten X zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten verurteilt. Es hat weiter entschieden, dass „die Maßregelanordnungen und die weitere Einziehungsentscheidung“ betreffend den Angeklagten V „unberührt bleiben“. Die weitergehende Berufung der Angeklagten hat das Landgericht verworfen.

Hiergegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten und gleichermaßen begründeten Revisionen aller drei Angeklagten. Die Angeklagten rügen die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die auf die Sachrüge der Angeklagten erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

1. a) Insbesondere ist es frei von Rechtsfehlern, dass das Landgericht – auf Grundlage seiner beanstandungsfreien Beweiswürdigung – nicht den persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. nur Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 314a Rn. 1) der tätigen Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB angenommen hat.

Materiell-rechtlich ist, wie beim Rücktritt gem. § 24 StGB, die Freiwilligkeit dann ausgeschlossen, wenn sich durch vom Täter unvorhergesehene Umstände das mit der Tatbegehung verbundene Risiko beträchtlich erhöht (BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 2 StR 22/11, juris Tz. 9; gegen die Unvorhersehbarkeit als notwendige Bedingung NK-StGB/Engländer, 6. Aufl. 2023, § 24 Rn. 60). Risikoerhöhend bedeutet indes noch nicht, dass die Tatausführung dem Täter durch den Auftritt des unvorhergesehenen Umstands unmöglich gemacht werden muss; insoweit läge bereits ein im Ganzen nicht mehr rücktritts- oder reuefähiger Fehlschlag vor. Das Risiko kann darin liegen, dass der Täter glaubt, durch die weitere Tatausführung Gefahr zu laufen, „geschnappt zu werden“ (BGH, Urt. v. 01.09.1992 – 1 StR 484/92, NStZ 1993, 76) bzw. seine Flucht zu vereiteln (BGH, Beschl. v. 20.11.2013 – 3 StR 325/13, NStZ 2014, 202). Neben dem Risiko, angezeigt und bestraft zu werden, sind auch Fälle umfasst, in denen sich das durch die Tatausführung eingegangene Risiko auf andere Rechtsgüter des Täters wie sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit bezieht, er die Tat also nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen ohne erhebliche Eigengefährdung ausführen kann (vgl. BGH, Urt. v. 15.09.2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 49; NK-StGB/Engländer aaO., § 24 Rn. 60).

b) Der risikoerhöhende Umstand lag nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Vorderrichters in der die Angeklagten überkommenden großen Müdigkeit. Dadurch bestand aus der maßgeblichen Sicht der Angeklagten bei der nach der Sprengung vorgesehenen Flucht mit dem PKW eine von ihnen nachvollziehbar befürchtete, signifikant erhöhte Gefahr, zu verunglücken. Es genügt, dass die Angeklagten die Tat nach § 308 Abs. 1 StGB ihrer Vorstellung nach nicht mehr ohne erhebliche Selbstgefährdung durchführen konnten (so auch BGH, Urt. v. 15.9.2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169). Ihr Entschluss zur Tataufgabe erfolgte daher nicht freiwillig i.S.d. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB.

Dass die Selbstgefährdung nicht durch die Tatausführung selbst, sondern die sich anschließende Flucht begründet worden wäre, steht der Unfreiwilligkeit nicht entgegen, weil dieses Risiko unmittelbar durch die Tatausführung gesetzt wurde. Nicht anders ist es in Fällen des durch unvorhergesehene Umstände erhöhten Entdeckungs- bzw. Bestrafungsrisiko, da die dem Täter unerwünschten Folgen, Festnahme, (Freiheits-)Strafe etc., ihn naturgemäß erst nach der Tatausführung treffen (vgl. nochmals BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 2 StR 22/11, juris Tz. 10).

c) Es kann deshalb auch offenbleiben, ob tätige Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB auch vorausgesetzt hätte, dass es die Angeklagten auch aufgegeben hätten, ihren Hinterleuten den Sprengstoff für künftige ähnliche Taten zu überlassen.

2. Das Landgericht war auch nicht gehalten, den unfreiwilligen Abbruch der Tatausführungen in seinen – auch im Übrigen rechtsfehlerfreien – Strafzumessungserwägungen darzulegen (§ 267 Abs. 3 S.1 StPO). Ob es bei einem Vorbereitungsdelikt denknotwendig ausgeschlossen ist, das Ausbleiben der vorbereiteten Tat als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ausführt, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen Strafmilderungsgrund, der sich dem Landgericht bei der nach § 46 StGB gebotenen Abwägung nach Lage des Falles hätte aufdrängen müssen. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 02.08.2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).

III.

Die Kostenentscheidung beruht jeweils (vgl. BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 6 StR 417/22, juris; OLG Hamm, Urt. v. 10.10.2013 – 1 RVs 40/13, juris) auf § 473 Abs. 1 S. 1 stopp.

 

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