AG Bremen, Az.: 23 C 182/10, Urteil vom 17.03.2011
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Feststellung wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge.
Die Beklagte war nach der entsprechenden Gewerbeanmeldung Inhaberin der – im Handelsregister nicht eingetragenen – Firma „C…“, Handel mit sowie Verarbeitung von Papier, Haushaltsartikeln, Telefonmarketing etc. in 28327 Bremen. Der Betrieb wurde zum 27.02.2009 abgemeldet. Bei der Firma C… waren die bei der Klägerin versicherten Arbeitnehmerinnen B… und M… beschäftigt. Diese bezogen im Zeitraum 1.12.2008 bis zum 27.02.2009 Gehalt. Für den genannten Zeitraum wurden die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 1.911,10 € von der Arbeitgeberin an die Klägerin nicht abgeführt.
Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte die Arbeitgeberin der Zeuginnen B… und M… gewesen sei. Die Beklagte habe die Arbeitnehmerinnen eingestellt bzw. zumindest von deren Einstellung gewusst; ihr sei als Geschäftsführerin bekannt gewesen, dass die Anteile zur Sozialversicherung für den streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich nicht abgeführt wurden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte als formelle Firmeninhaberin jedenfalls wegen Verletzung von Überwachungspflichten Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB schulde. Hinsichtlich der faktischen Geschäftsführung der Beklagten in allen Bereichen sei ein Anscheinsbeweis anzunehmen, zumal die Firma C…. mit dem Zusatz „F…“ im Rechtsverkehr aufgetreten sei; die Beklagte müsse sich die Folgen des erweckten Rechtsscheins zurechnen lassen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 1.911,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen, dass die von der Klägerin geltend gemachte Forderung gemäß Ziffer 1 des Klageantrags aus nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 1.12.2008 bis 27.2.2009 für bei der Klägerin versicherte Arbeitnehmer auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung basiert.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise, den Klageantrag zu 2. zurückzuweisen.
Sie behauptet, dass die Geschäfte der Firma faktisch von ihrem Ehemann, Herrn F…, geführt worden seien und sie lediglich als „Strohgeschäftführerin/inhaberin“ fungiert und in der Firma nur untergeordnete Hilfstätigkeiten ausgeführt habe; alle wesentlichen Geschäftsführungsaufgaben, insbesondere Einstellungen und Kündigungen, seien von Herrn Franke erledigt worden. Nach ihrer Trennung von Herrn F… Anfang 2007 habe sie ihre Geschäftsraumschlüssel abgegeben und sich nicht mehr in der Firma aufgehalten. Ihr sei von der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen nichts bekannt gewesen. Von den finanziellen Schwierigkeiten der Firma habe sie erst im März 2009 erfahren, als ihr Ehemann sie um Veranlassung der Löschung der Gewerbeanmeldung gebeten habe. Der erforderliche Vorsatz im Sinne des § 266a StGB liege nicht vor.
Herrn … ist mit Schriftsatz vom 13.01.2011 der Streit verkündet worden; ein Beitritt ist nicht erfolgt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …, …, …, …; auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 17.02.2011 (Bl. 91 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Es besteht kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Herr F… Arbeitgeber der Zeuginnen B… und M… gewesen ist und die Nichtabführung der streitgegenständlichen Versicherungsbeiträge verschuldete. Es verbleiben vernünftige Zweifel, dass die Beklagte insofern vorsätzlich im Sinne der §§ 266a, 27 StGB gehandelt hat.
1. § 266a StGB ist als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anerkannt (vgl. BGHZ 134, 304). Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB setzt jedenfalls voraus, dass das einschlägige Schutzgesetz hinsichtlich seiner objektiven und subjektiven Merkmale vollumfänglich verwirklicht ist; diesbezüglich trifft den Geschädigten die Beweislast (BGH MDR 2002, 515); eine Beweislastumkehr kommt allenfalls hinsichtlich des Merkmals des Verschuldens, ein Anscheinsbeweis hinsichtlich der Ursächlichkeit in Betracht (Palandt, 69. A., § 823, Rn. 81 m.w.N.).
Die Beklagte wäre zivilrechtlich also nur haftbar zu machen, wenn sie erwiesenermaßen eine Straftat nach den §§ 266a; 25; 15 StGB begangen oder zu einer solchen vorsätzlichen Tat vorsätzlich Beihilfe (§ 27 StGB) oder Anstiftung (§ 26 StGB) geleistet hätte. Zur Beurteilung dieser Frage ist materiellrechtlich die höchstrichterliche strafrechtliche Rechtsprechung heranzuziehen.
„Arbeitgeber“ i.S.d. § 266 Abs. 1-3 StGB ist derjenige, dem der Arbeitnehmer Dienste leistet und zu dem er im Verhältnis persönlicher Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit steht (Fischer, 57. A., § 266, Rn. 4 m.w.N.). Für die Bestimmung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an (BGH, NStZ 2001, 599). Die Arbeitgebereigenschaft verliert nicht, wer einen Strohmann vorschiebt (Fischer, a.a.O.). Auch der faktische Geschäftsführer, nicht aber der Scheingeschäftsführer, der im Innenverhältnis über keine Kompetenzen verfügt, um auf die rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, ist Arbeitgeber (OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 173: Strohfrau). Eine entsprechende interne Geschäftsverteilung wandelt die Handlungs- in eine Überwachungspflicht um; jedoch wird in diesem Fall häufig der Vorsatz entfallen (BGH NStZ 1997, 125; Fischer, a.a.O., Rn. 5). In der finanziellen Krise gehört es zu den Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers, die Einhaltung von ihm erteilter Anweisungen zur pünktlichen Zahlung fälliger Arbeitnehmeranteile zu überprüfen (BGH, MDR 2001, 520).
Der (bedingte) Vorsatz muss insbesondere auch die Stellung der Beteiligten als Arbeitgeber und -nehmer umfassen; die Unkenntnis vom Arbeitsverhältnis bzw. dem Fälligkeitszeitpunkt der abzuführenden Anteile schließt vorsätzliches Handeln aus (Fischer, a.a.O., Rn. 23).
2. Die Beweisaufnahme hat nicht den Nachweis ergeben, dass die Beklagte Arbeitgeberin der Arbeitnehmerinnen B… und M… gewesen ist und Kenntnis von der Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge hatte.
2.1 Der Zeuge G… sagte aus, dass die Beklagte ihrem Ehemann „den Namen für die Firma gegeben“ habe, weil dieser nach dem Firmenbrand im Jahre 2001 „pleite“ gewesen sei. Herr F… habe dem Zeugen berichtet, dass er die Beklagte „deshalb“ in seiner Firma als Geschäftsführerin eingesetzt habe. Als Wareneinkäufer für die Firma des Herrn D… habe der Zeuge bis 2007 mit Herrn F… Kontakt gehabt; Ansprechpartner sei „immer“ Herr F… gewesen. Der Vertrag über die Vermietung von Geschäftsraum durch die Firma C… an den Callcenterbetrieb der Ehefrau des Zeugen sei 2005 ebenfalls durch Herrn F… geführt worden. In den Räumen der Firma C… habe der Zeuge die Beklagte selten angetroffen und in diesem Fall nicht bei Ausübung geschäftlichen Tätigkeiten beobachten können. Im Zeitraum von Ende 2008 bis Anfang 2009 habe sich der Zeuge in den Geschäftsräumen der Firma C… jedoch nicht mehr aufgehalten und zur Firma keinen geschäftlichen Kontakt mehr besessen.
Die Zeugin B… bekundete, dass die Beklagte „Geschäftsführerin, also Inhaberin der Firma C… gewesen sei. Das Einstellungsgespräch 2005 sei von Herrn und Frau F… geführt worden; den unterzeichneten Arbeitsvertrag habe Herr F… ausgehändigt. Anweisungen habe die Zeugin von beiden Eheleuten erhalten. Frau F… habe sich „seit Dezember 2007 nicht mehr“ in den Räumen der Firma C… „blicken lassen“. Herr F… sei bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses der Zeugin am 28.02.2009 in der Firma anwesend gewesen. In diesem Zeitraum habe Herr F… Anweisungen erteilt und sich „um die Geschäfte gekümmert“. Die Zeugin vermute, dass die Beklagte von den geschäftlichen Vorgängen in der Firma gewusst habe.
Die Zeugin M… sagte aus, dass Herr F… während ihres Einstellungsgesprächs, bei dem auch die Beklagte anwesend gewesen sei, die Fragen gestellt habe. Bei dem Gespräch, in dem es um die Vertragskonditionen gegangen sei, sei die Beklagte nicht anwesend gewesen; das Gespräch sei im Bürozimmer des Herrn F… mit diesem geführt worden, einen schriftlichen Arbeitsvertrag habe die Zeugin nicht erhalten. Die Zeugin sei vom 01.08.2002 bis zum Februar 2008“ in der Firma beschäftigt gewesen. Herr und Frau F… seien beide „immer da“ gewesen, Anweisungen habe die Zeugin als Näherin von keinem der beiden erhalten. Herr F… habe der Zeugin schriftlich gekündigt.
Die Zeugin B… erklärte, dass sie die Beklagte nicht kenne und nur einmal „draußen vor der Firma“ gesehen habe. Gearbeitet habe die Zeugin im Betrieb vom 12.03.2008 bis zum 01.03.2009. Beim Einstellungsgespräch sei die Beklagte nicht anwesend gewesen, das Gespräch sei mit Herrn F… geführt worden. Den Arbeitsvertrag habe „Herr F… in meinem Beisein“ unterschrieben. Herr F… habe der Zeugin später auch gekündigt; die schriftliche Erklärung sei ihr von Herrn F… ausgehändigt worden.
2.2 Es ergibt sich nach Auffassung des Gerichts somit das überzeugende Bild, dass die Beklagte als Strohfrau fungierte und jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum auf die Geschäftsführung der Firma keinen Einfluss ausübte und von der Nichtabführung der streitgegenständlichen Arbeitnehmeranteile durch Herrn F… als Arbeitgeber keine Kenntnis hatte. Die Beklagte handelte – auch als Beihelferin – nicht mit bedingtem Vorsatz:
Die neutrale Zeugin B… schloss nach ihrer uneingeschränkt glaubhaften Aussage ihren Arbeitsvertrag mit Herrn F… ab. Dieser erklärte der Zeugin gegenüber auch die Kündigung. Mit der Beklagten hatte die Zeugin keinerlei Kontakt.
Die neutrale Zeugin M… sagte aus, dass sie bis Februar 2008 in der Firma beschäftigt gewesen sei. Auf wenn davon ausgegangen wird, dass sich die Zeugin insofern im Jahr geirrt haben mag (Februar 200 9 ), kann ihre Aussage die Arbeitgebereigenschaft der Beklagten nicht indizieren: Denn die Vertragskonditionen sollen seinerzeit mit Herrn F…, der ihr auch später gekündigt habe, in dessen Büro ausgehandelt worden sein. Zwar meinte die langjährig beschäftigte Zeugin, dass auch die Beklagte „immer da“ gewesen sei. Sie vermochte jedoch nicht zu präzisieren, ob dies auch noch Ende 2008 bis Anfang 2009 der Fall gewesen ist.
Die Zeugin B… hat indessen bestätigt, dass sich die Beklagte seit Dezember 2007 in der Räumlichkeiten der Firma nicht mehr aufgehalten habe und jedenfalls seitdem Herr F… die Geschäfte geführt habe. Die Aussage wird durch die Aussage des Zeugen G… gestützt, der sich dahingehend einließ, dass die zeitlich vorangehende Geschäftstätigkeit in der Firma tatsächlich von Herrn F… ausgeübt worden sei, der wegen eigener Überschuldung das Gewerbe lediglich formal auf den Namen seiner Frau habe anmelden lassen.
Es ist daher nicht erwiesen, dass die Beklagte von der Einstellung der Zeugin B… überhaupt Kenntnis hatte.
Selbst wenn man davon ausginge, dass auch die Beklagte 2002 die Zeugin M… eingestellt und sich dieser gegenüber in der Folgezeit als Arbeitgeberin geriert hätte, scheidet eine Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher Verletzung ihrer Überwachungspflichten aus. Denn es ist nicht erwiesen, dass die Beklagte wegen der ihr bei Rückzug aus der Firma bekannten finanziellen Schwierigkeiten der Firma damit rechnen musste, dass Herr Franke die Arbeitnehmeranteile der Zeugin M…. während ihrer Abwesenheit nicht abführen werde. Ohnehin dürfte ein derartiges Verhalten lediglich den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen. Denn die Beklagte zog sich 2007 aus privaten Trennungsgründe aus der Firma zurück; dass sie ein zukünftiges strafrechtliches Handeln des Herrn F… dabei billigend in Kauf genommen hätte, kann der Beklagten nicht ohne weiteres unterstellt werden. Schließlich wurden die Arbeitnehmeranteile in den folgenden Monaten offenbar ordnungsgemäß abgeführt und die Zahlungen erst Ende 2008 eingestellt. Im Übrigen ist nicht erwiesen, dass die Beklagte nach ihrem Rückzug die tatsächliche Möglichkeit hatte, die geschuldeten Zahlungen zu bewirken und also das Normgebot des § 266a StGB zu erfüllen (vgl. hierzu: BGH NJW 1997, 133); insbesondere bleibt offen, ob die Beklagten ab Dezember 2008 noch Kontovollmacht über das Firmenkonto und Zugriffsmöglichkeit auf die Firmenunterlagen hatte.
3. Eine Zurechnung der Arbeitgebereigenschaft gemäß den §§ 28, 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB scheidet vorliegend aus, weil die Firma C… keine (rechtsfähige) juristische Person ist. Die klägerseits zitierte Entscheidung OLG Rostock, NJW-RR 1998, 688 (Haftung der Geschäftsführerin einer eingetragenen GmbH) ist insofern nicht einschlägig. Gleiches gilt hinsichtlich der Entscheidung des KG Berlin, GmbHR 2003, 591, in der u.a. auf die §§ 35, 13 GmbHG abgestellt wird.
Die gewerberechtlichen Anmeldung des Betriebs auf den Namen der Beklagten führt zu keiner Rechtsscheinhaftung. Rechtsscheinsgesichtspunkte sind dem hier maßgeblichen Strafrecht wesenfremd. Die Anmeldung einer bestimmten Person als Betriebsinhaber in einem Gewerbe- oder Handelsregister begründet keinen Haftungstatbestand, da es nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB allein darauf ankommt, wer im jeweiligen Einzelfall tatsächlich als „Arbeitgeber“ gehandelt und Arbeitnehmeranteile veruntreut hat.
4. Weitergehende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
5. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.