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Sicherungshaftbefehl wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung

LG Freiburg (Breisgau) –  Az.: 2 Qs 145/13 –  Beschluss vom 20.11.2013

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 15.08.2013 (…) aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit Antrag vom 25.11.2011 beantragte die Staatsanwaltschaft … beim Amtsgericht … gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis einen Strafbefehl (Freiheitsstrafe von 5 Monaten zur Bewährung, Fahrerlaubnissperre von 8 Monaten) zu erlassen und dem Angeklagten gem. § 408b StPO einen Verteidiger zu bestellen. Mit Beschluss vom 12.03.2012 bestimmte das Amtsgericht Termin gem. § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO. Nachdem der Angeklagte zu zwei Hauptverhandlungsterminen am 03.05.2012 und 27.11.2012 nicht erschienen war, bestimmte das Amtsgericht mit Verfügung vom 24.05.2013 neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 02.07.2013. Die Ladung des Angeklagten enthielt folgenden Hinweis: „Im Falle eines Nichterscheinens zum Hauptverhandlungstermin müssen Sie mit dem Erlass eines Haftbefehls und dessen Vollstreckung im Falle erneuten Betretens des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland rechnen.“ Der Hauptverhandlungstermin wurde mit Verfügung vom 31.05.2013 wegen Verhinderung des Verteidigers auf den 16.07.2013 verlegt, wobei die Umladung des Angeklagten nochmals denselben Hinweis enthielt. Die Umladung wurde den Angeklagten ausweislich des Rückscheins am 13.06.2013 unter seiner Heimatadresse in … zugestellt. Der Angeklagte ist zum Hauptverhandlungstermin am 16.07.2013 ohne Angabe von Gründen nicht erschienen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht am 15.08.2013 Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO. Hiergegen richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 25.10.2013 erhobene Beschwerde des Angeklagten, mit der geltend gemacht wird, dass es an einer ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 216 StPO als Voraussetzung eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO fehle, da die Ladung eines dauernd im Ausland lebenden Angeklagten keine Androhung von Zwangsmitteln enthalten dürfe.

Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO setzt voraus, dass der Angeklagte ordnungsgemäß – d.h. unter der Warnung des § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO – geladen wurde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Rdn. 18 zu § 230).

In Rechtsprechung und Literatur wurde teilweise die Auffassung vertreten, (bereits) die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens gegenüber einem dauernd im Ausland lebenden Angeklagten verstoße als Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates gegen die gemäß Art. 25 GG zu beachtenden allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts und sei daher unzulässig (z.B. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1999, 18; OLG Köln, NStZ-RR 2006, 22; OLG Brandenburg, B. v. 21.05.2007 – 1 Ws 92/07, juris; KK-Gmel, StPO, 6. Aufl., Rdn. 5 zu § 216; LR-Jäger, StPO, 26. Aufl., Rdn. 7 zu § 216).

Dieser Auffassung kann jedoch – jedenfalls seit der zum 08.12.2008 erfolgten Änderung von Nr. 116 Abs. 1 RiVASt durch Einfügung von Satz 2, wonach Zwangsmaßnahmen beschuldigten Personen nur angedroht werden dürfen, wenn in dem zuzustellenden Schriftstück darauf hingewiesen wird, dass diese im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates nicht vollstreckt werden können – nicht (mehr) gefolgt werden (OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2010, 49; KG Berlin, NStZ 2011, 653; BeckOK-Ritscher, StPO, Stand: 28.01.2013, Rdn. 6 zu § 216; zur Zulässigkeit der Androhung von Zwangsmaßnahmen auch bereits vor der RiVASt-Änderung siehe OLG Rostock, NStZ 2010, 412). Zwar kommt den Regelungen der RiVASt, bei denen es sich um Verwaltungsrichtlinien handelt, keine Gesetzeskraft zu. Sie schreiben jedoch fest, welche internationalen Rechtsbräuche bestehen und zu beachten sind (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass schon Art. 52 Abs. 3 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19.06.1990 (SDÜ) lediglich in Bezug auf Zeugen oder Sachverständige – aber gerade nicht auf Beschuldigte bzw. Angeklagte – ein ausdrückliches Verbot von Zwangsandrohungen in Ladungen enthielt (vgl. KG Berlin, StraFo 2013, 425). Das Übereinkommen vom 29.05.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk), das gemäß Art. 2 Abs. 2 in seinem Anwendungsbereich – das EU-RhÜbk ist im Verhältnis zu Rumänien anwendbar – Art. 52 SDÜ ersetzt, enthält in Art. 5, der die Übersendung und Zustellung von Verfahrensurkunden zum Gegenstand hat, insoweit keine Einschränkungen mehr. Nach Art. 5 Abs. 5 EU-RhÜbk bleibt allerdings die Anwendung von Art. 8 des Europäischen Übereinkommens vom 20.04.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk) unberührt. Art. 8 EuRhÜbk bestimmt lediglich, dass ein Zeuge oder Sachverständiger, der einer Vorladung, um deren Zustellung ersucht worden ist, nicht Folge leistet, selbst dann, wenn die Vorladung Zwangsandrohungen enthält, nicht bestraft oder einer Zwangsmaßnahme unterworfen werden darf, sofern er sich nicht später freiwillig in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begibt und dort erneut ordnungsgemäß vorgeladen wird. Eine entsprechende Regelung für Beschuldigte oder Angeklagte enthält das EuRhÜbk nicht.

Somit ist festzuhalten, dass einem im Ausland lebenden Angeklagten in der Ladung Zwangsmittel angedroht werden dürfen, sofern gemäß Nr. 116 Abs. 1 Satz 2 RiVASt darauf hingewiesen wird, dass diese im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates – das ist bei einer unmittelbaren Ladung des Angeklagten sein Aufenthaltsstaat – nicht vollstreckt werden können. Insoweit genügt der Hinweis, dass ein Haftbefehl nur im Inland vollstreckt werden kann.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die vom Amtsgericht veranlasste Ladung des Angeklagten unter dem Hinweis, dass ein Haftbefehl nur im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden kann, zunächst keinen Bedenken.

Der Beschwerde kann gleichwohl ein Erfolg nicht versagt bleiben. Denn der Hinweis in der Ladung wurde ausweislich der Akten nicht übersetzt, obwohl der Angeklagte ganz offenkundig – ausweislich des Blutentnahmeprotokolls vom 18.03.2011 sprach er kein Deutsch, die Beschuldigtenbelehrung erfolgte mittels eines Vordrucks in rumänischer Sprache, zum Hauptverhandlungstermin wurde ein Dolmetscher für Rumänisch geladen – über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügt. Eine ordnungsgemäße Ladung setzt jedoch voraus, dass die Warnung des § 216 Abs. 1 StPO in eine für den Angeklagten verständliche Sprache übersetzt wird (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.; KK-Gmel, StPO, 6. Aufl., Rdn. 5 zu § 216; LR-Jäger, StPO, 26. Aufl., Rdn. 7 zu § 216). Hieran fehlt es.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von 467 Abs. 1 StPO.

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