Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Ein Faustschlag mit verheerenden Folgen: Gericht entscheidet über Angriff in Asylunterkunft
- Was genau geschah an jenem Abend?
- Die verheerenden Folgen: Mehr als nur ein blaues Auge
- Zwei Versionen einer Geschichte: Wer sagt die Wahrheit?
- Die entscheidende Rolle der Experten und Zeugen
- Die juristische Bewertung des Angriffs
- Das Urteil: Freiheitsstrafe und die Pflicht zum Schadensersatz
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist eine schwere Körperverletzung und welche Merkmale zeichnen sie aus?
- Wann genau wird der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge als schwere Körperverletzung gewertet?
- Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen, wenn jemand eine schwere Körperverletzung begeht?
- Wie kann ich als Opfer einer schweren Körperverletzung Schmerzensgeld und Schadensersatz fordern?
- Welche Rolle spielen medizinische Gutachten und Zeugenaussagen in einem Gerichtsverfahren bei schwerer Körperverletzung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 4 Ns 420 Js 11423/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: LG Kempten
- Datum: 20.10.2023
- Aktenzeichen: 4 Ns 420 Js 11423/20
- Verfahrensart: Strafrechtliches Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Zivilrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Staatsanwaltschaft (die eine Erhöhung des Strafmaßes beantragte); Adhäsionskläger (das verletzte Opfer, dessen zivilrechtliche Schmerzensgeld– und Schadensersatzansprüche bestätigt wurden).
- Beklagte: Angeklagter (der Täter, dessen Berufung gegen das ursprüngliche Urteil abgewiesen und dessen Strafmaß erhöht wurde).
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Angeklagte griff das Opfer in einer Asylbewerberunterkunft unvermittelt mit einem spitzen, möglicherweise metallenen Gegenstand ins linke Auge und schlug ihm anschließend mehrfach ins Gesicht. Das Opfer erlitt schwere Gesichts- und Augenverletzungen, die zu einer massiven Sehbeeinträchtigung des linken Auges führten und die Gefahr der vollständigen Erblindung bergen.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die strafrechtliche Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer und gefährlicher Körperverletzung, die Überprüfung und Erhöhung des Strafmaßes sowie die Klärung zivilrechtlicher Ansprüche des Opfers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landgericht änderte das ursprüngliche Urteil ab und erhöhte die Freiheitsstrafe für den Angeklagten von zwei auf drei Jahre. Die Berufung des Angeklagten wurde abgewiesen. Dem Opfer (Adhäsionskläger) wurden dem Grunde nach Schmerzensgeld und die Pflicht zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden zugesprochen.
- Begründung: Das Gericht befand die Angaben des Angeklagten als unglaubwürdig und stützte sich auf die glaubhaften Aussagen des Opfers und der Zeugen sowie die überzeugenden Ausführungen eines medizinischen Sachverständigen. Die Straferhöhung erfolgte aufgrund der Schwere und Lebensgefährlichkeit der Tat, der anlasslosen Attacke und der dauerhaften, schwerwiegenden Folgen für das Opfer. Die zivilrechtlichen Ansprüche des Opfers wurden bestätigt, da die Verletzungen durch eine unerlaubte vorsätzliche Handlung des Angeklagten verursacht wurden.
- Folgen: Das Opfer muss dauerhaft mit erheblichen Sehbeeinträchtigungen rechnen und ist von der vollständigen Erblindung auf einem Auge bedroht, wofür der Angeklagte finanziell haftet. Der Angeklagte wurde zu einer höheren Freiheitsstrafe verurteilt und trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Fall vor Gericht
Ein Faustschlag mit verheerenden Folgen: Gericht entscheidet über Angriff in Asylunterkunft
Ein Streit auf dem Flur, eine hitzige Diskussion, die in einer Handgreiflichkeit endet – solche Situationen sind leider Teil des Alltags. Doch was passiert, wenn ein Angriff nicht nur impulsiv, sondern gezielt und mit einem Gegenstand erfolgt? Wenn die Folgen nicht nur ein blaues Auge, sondern eine lebenslange Beeinträchtigung sind? Ein Urteil des Landgerichts Kempten beleuchtet genau solch einen Fall und zeigt, wie die Justiz die Schwere einer Tat und die Glaubwürdigkeit der Beteiligten bewertet.
Was genau geschah an jenem Abend?

Am Abend des 2. Dezember 2019 kam es in einer Asylbewerberunterkunft zu einem folgenschweren Vorfall. Ein damals 19-jähriger Mann, der seine Tante und Cousins besuchte, verließ deren Zimmer. Auf dem Flur traf er auf den Angeklagten, einen 24-jährigen Bewohner der Unterkunft. Ohne Vorwarnung oder ersichtlichen Grund schlug der Angeklagte dem Besucher wuchtig mit der Faust ins Gesicht.
Das war jedoch kein gewöhnlicher Faustschlag. Wie das Gericht später feststellte, hielt der Angreifer dabei einen spitzen, länglichen Gegenstand in der Hand, den er dem Opfer gezielt ins linke Auge stach. Der junge Mann ging schreiend und blutend zu Boden. Doch der Angriff war noch nicht vorbei. Der Angeklagte schlug mindestens zwei weitere Male wuchtig auf das Gesicht des am Boden liegenden Mannes ein. Erst als andere Bewohner durch die Schreie alarmiert wurden und dazwischengingen, ließ der Täter von seinem Opfer ab und zog sich in sein Zimmer zurück, wo er später von der Polizei festgenommen wurde.
Die verheerenden Folgen: Mehr als nur ein blaues Auge
Die Verletzungen des Opfers waren dramatisch und gingen weit über das hinaus, was man bei einer Schlägerei erwarten würde. Die Ärzte stellten eine sogenannte zentrale Mittelgesichtsfraktur fest. Um das zu verstehen, kann man sich vorstellen, dass mehrere Knochen im Gesicht – um das Auge, in der Augenhöhle und an der Nase – gleichzeitig gebrochen waren. Das Auge selbst war schwer in Mitleidenschaft gezogen: Es gab Einblutungen, Schnitt- und Stichverletzungen an den Augenlidern, und die Linse im Inneren des Auges wurde verschoben.
Der junge Mann musste mehrfach operiert werden. Unter anderem wurde sein Augenlid rekonstruiert und eine künstliche Linse eingesetzt. Später mussten ihm Metallplatten zur Stabilisierung der gebrochenen Gesichtsknochen eingesetzt und nach sechs Monaten wieder entfernt werden. Trotz aller medizinischen Bemühungen sind die Folgen dauerhaft. Das Sehvermögen auf seinem linken Auge ist auf einen Bruchteil reduziert. Er kann nur noch grobe Umrisse und Schwarz-Weiß-Kontraste erkennen. Eine Besserung ist laut den Ärzten nicht zu erwarten; im Gegenteil, es besteht die Gefahr, dass er auf diesem Auge vollständig erblinden wird.
Zwei Versionen einer Geschichte: Wer sagt die Wahrheit?
Vor Gericht standen sich zwei völlig gegensätzliche Darstellungen des Geschehens gegenüber. Wie konnte das Gericht herausfinden, was wirklich passiert ist? Es musste die Glaubwürdigkeit der Aussagen und die Beweise sorgfältig prüfen.
Die Aussage des Angeklagten unter der Lupe
Der Angeklagte behauptete, er sei das eigentliche Opfer gewesen. Der andere Mann habe ihn zuerst angegriffen, er habe sich nur verteidigt. Später habe der Geschädigte einen metallenen Gegenstand aus der Küche geholt, woraufhin er, der Angeklagte, sein Smartphone nach ihm geworfen habe. Er spekulierte sogar, das Opfer habe sich die Verletzungen selbst zugefügt, um seine eigene Abschiebung zu verhindern.
Das Gericht fand diese Geschichte jedoch nicht überzeugend. Sie war in sich widersprüchlich und passte nicht zu den Beweisen. Warum sollten bei einem angeblichen Kampf beide Kontrahenten danebenschlagen? Wie konnte ein Wurf mit einem Smartphone solch massive Knochenbrüche und präzise Stichverletzungen am Auge verursachen? Eine Untersuchung des Handys zeigte zudem keinerlei Beschädigungen, die ein solcher Aufprall hätte hinterlassen müssen. Die Erklärung des Angeklagten war für das Gericht schlichtweg unglaubwürdig.
Die glaubhafte Schilderung des Opfers
Die Aussage des verletzten Mannes, der in diesem Verfahren auch als sogenannter Adhäsionskläger auftrat (das bedeutet, er machte seine zivilrechtlichen Ansprüche wie Schmerzensgeld direkt im Strafprozess geltend), zeichnete ein ganz anderes Bild. Er schilderte den plötzlichen, unprovozierten Angriff und das Gefühl, wie etwas Metallisches sein Auge traf. Seine Beschreibung der Schmerzen und Verletzungen deckte sich exakt mit den medizinischen Gutachten. Das Gericht stellte fest, dass er trotz seiner schweren, lebensverändernden Verletzungen keinen übertriebenen Belastungseifer zeigte, also nicht versuchte, den Angeklagten grundlos schlechtzumachen. Seine Aussage war konstant und nachvollziehbar.
Die entscheidende Rolle der Experten und Zeugen
Um die Wahrheit zu finden, verließ sich das Gericht nicht nur auf die Aussagen der direkt Beteiligten. Die Aussagen von Zeugen und vor allem das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen waren entscheidend. Die Cousins des Opfers bestätigten, dass sie ihren Verwandten kurz nach dem Vorfall schreiend und stark blutend auf dem Boden fanden, während der Angeklagte danebenstand.
Der medizinische Experte erklärte dem Gericht unmissverständlich, dass die Verletzungen – insbesondere die Kombination aus Stichwunden am Lid und den massiven Knochenbrüchen – unmöglich von einem geworfenen Handy stammen konnten. Sie deuteten klar auf den Einsatz eines spitzen Gegenstandes und mindestens zwei weitere, extrem wuchtige Schläge hin. Der Sachverständige betonte auch, dass die Schläge gegen den Kopf des Opfers potenziell tödlich waren, da sie Hirnblutungen hätten auslösen können. Das Überleben und der Erhalt des Augapfels waren reiner Zufall.
Die juristische Bewertung des Angriffs
Auf Grundlage dieser Beweise kam das Gericht zu einer klaren rechtlichen Einordnung der Tat. Der Angeklagte wurde wegen zweier schwerer Delikte verurteilt, die er durch eine einzige Handlung begangen hat. Dies nennt man juristisch Tateinheit (wenn eine Handlung mehrere Straftatbestände erfüllt).
Zum einen handelte es sich um eine gefährliche Körperverletzung. Dies ist mehr als eine einfache Körperverletzung. Sie liegt vor, wenn die Tat zum Beispiel mit einem gefährlichen Werkzeug (hier der spitze Gegenstand in der Hand) begangen wird oder durch eine das Leben gefährdende Behandlung (hier die wuchtigen Schläge gegen den Kopf).
Zum anderen verurteilte das Gericht den Täter wegen einer versuchten schweren Körperverletzung. Eine schwere Körperverletzung liegt laut Gesetz vor, wenn das Opfer durch die Tat zum Beispiel das Sehvermögen auf einem Auge verliert. Warum aber nur „versucht“? Das Gericht war überzeugt, dass der Angeklagte den Verlust des Sehvermögens zumindest billigend in Kauf nahm. Das bedeutet, er wollte es vielleicht nicht zwingend, aber er wusste um die hohe Wahrscheinlichkeit und akzeptierte diese Folge seines Handelns. Da das Opfer noch ein minimales Sehvermögen behalten hat und die vollständige Erblindung zwar droht, aber noch nicht eingetreten ist, wertete das Gericht die Tat rechtlich als Versuch.
Das Urteil: Freiheitsstrafe und die Pflicht zum Schadensersatz
Ein erstes Urteil des Amtsgerichts hatte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren festgelegt. Dagegen legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein (ein Rechtsmittel, um ein Urteil von der nächsthöheren Instanz überprüfen zu lassen). Das Landgericht wies die Berufung des Angeklagten als unbegründet zurück. Der Berufung der Staatsanwaltschaft, die eine höhere Strafe forderte, gab das Gericht jedoch statt.
Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Gericht begründete die Erhöhung mit der extremen Brutalität, der Anlasslosigkeit des Angriffs und den verheerenden, lebenslangen Folgen für das Opfer.
Zusätzlich traf das Gericht zwei wichtige zivilrechtliche Entscheidungen. Erstens wurde der Angeklagte verurteilt, dem Opfer ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Dies ist eine finanzielle Entschädigung für die erlittenen Schmerzen, das Trauma und die dauerhaft eingeschränkte Lebensqualität. Zweitens stellte das Gericht fest, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Opfer sämtlichen Schadensersatz zu leisten. Das umfasst alle gegenwärtigen und zukünftigen materiellen Schäden, die aus der Tat entstehen – also zum Beispiel Kosten für Behandlungen, Therapien oder Verdienstausfälle.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass bereits ein einziger impulsiver Angriff mit einem Gegenstand schwerwiegende strafrechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann – hier drei Jahre Gefängnis plus lebenslange Schadensersatzpflicht für einen 24-Jährigen. Gerichte bewerten die Glaubwürdigkeit von Aussagen sehr sorgfältig anhand medizinischer Gutachten und Zeugenaussagen, wobei widersprüchliche Schutzbehauptungen das Strafmaß oft verschärfen. Die Justiz unterscheidet klar zwischen einfacher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung mit Waffen, was drastisch höhere Strafen zur Folge hat. Besonders bedeutsam ist, dass Opfer von Gewalttaten ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz direkt im Strafprozess durchsetzen können, was ihnen den zusätzlichen Zivilprozess erspart.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist eine schwere Körperverletzung und welche Merkmale zeichnen sie aus?
Eine schwere Körperverletzung ist im deutschen Strafrecht eine besonders schwerwiegende Form der Körperverletzung. Sie unterscheidet sich von der „einfachen“ Körperverletzung nicht nur durch die Art der Verletzung selbst, sondern vor allem durch die dauerhaften und erheblichen Folgen, die sie für die betroffene Person hat. Das Gesetz stuft solche Taten als besonders ernst ein und sieht dafür deutlich höhere Strafen vor, da die Lebensqualität und Gesundheit des Opfers massiv und langfristig beeinträchtigt werden können.
Was macht eine Körperverletzung „schwer“ im juristischen Sinne?
Das Gesetz definiert sehr genau, wann eine Körperverletzung als „schwer“ gilt. Es geht dabei um spezifische, bleibende Schäden oder schwerwiegende gesundheitliche Folgen, die durch die Tat verursacht werden. Für Sie bedeutet das: Nicht jede schwere Verletzung, wie ein komplizierter Bruch, der vollständig heilt, ist automatisch eine „schwere Körperverletzung“ im juristischen Sinne. Es kommt darauf an, ob eine der im Gesetz genannten dauerhaften Beeinträchtigungen eingetreten ist.
Eine Tat wird als schwere Körperverletzung eingestuft, wenn sie eine der folgenden langfristigen oder dauerhaften Folgen für die betroffene Person hat:
- Verlust eines wichtigen Körperteils oder Sinnesorgans oder die dauerhafte Unbrauchbarkeit: Dazu gehören zum Beispiel der Verlust eines Auges oder Ohres. Auch wenn ein wichtiges Körperteil wie ein Arm oder Bein durch die Verletzung dauerhaft nicht mehr normal oder überhaupt nicht genutzt werden kann, erfüllt dies dieses Merkmal.
- Erhebliche und dauernde Entstellung: Hierunter fallen Verletzungen, die das äußere Erscheinungsbild einer Person dauerhaft und stark negativ verändern, wie zum Beispiel sehr auffällige, nicht mehr korrigierbare Narben im Gesicht.
- Lähmung: Eine vollständige oder teilweise Lähmung, die dauerhaft bestehen bleibt.
- Geisteskrankheit oder eine dauerhafte und erhebliche Schädigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit: Dies umfasst schwere, bleibende psychische Erkrankungen, aber auch andere massive und dauerhafte Beeinträchtigungen von Körperfunktionen oder des allgemeinen Gesundheitszustandes.
- Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit: Wenn die Verletzung dazu führt, dass die Person dauerhaft keine Kinder mehr zeugen oder gebären kann.
Die Bedeutung dieser Einordnung
Die Einordnung einer Tat als schwere Körperverletzung hat weitreichende Auswirkungen auf das Strafmaß für den Täter. Während eine „einfache“ Körperverletzung mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden kann, beginnt der Strafrahmen für eine schwere Körperverletzung in der Regel bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Diese deutliche höhere Strafandrohung unterstreicht, wie ernst das Gesetz diese Delikte nimmt, da sie das Leben der Betroffenen oft nachhaltig und unwiderruflich verändern können.
Wann genau wird der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge als schwere Körperverletzung gewertet?
Im deutschen Strafrecht wird der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge als Merkmal einer schweren Körperverletzung nach § 226 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches (StGB) bewertet. Dies ist eine der schwerwiegendsten Folgen einer Körperverletzung und wird entsprechend hoch bestraft.
Was bedeutet „Verlust des Sehvermögens“ rechtlich?
Ein „Verlust des Sehvermögens“ im Sinne des Gesetzes liegt nicht nur dann vor, wenn jemand auf einem Auge völlig blind ist und absolut nichts mehr sieht. Die Rechtsprechung, also die Auslegung des Gesetzes durch die Gerichte, hat hierfür eine präzisere Definition entwickelt:
Es genügt bereits ein nahezu vollständiger Verlust der Sehfähigkeit. Dies bedeutet, dass die praktische Sehkraft auf dem betroffenen Auge so stark beeinträchtigt ist, dass sie für das tägliche Leben im Wesentlichen nicht mehr nutzbar ist. Stellen Sie sich vor, man kann auf diesem Auge zwar noch Hell und Dunkel unterscheiden oder schemenhafte Eindrücke wahrnehmen, aber keine Objekte, Gesichter oder Schrift mehr erkennen. Eine Orientierung im Raum allein mit diesem Auge wäre nicht mehr möglich.
Entscheidend ist hierbei die funktionslose Einschränkung der Sehkraft. Wenn das Auge seine eigentliche Funktion, nämlich das Sehen und die Orientierung, nicht mehr erfüllen kann, gilt das Sehvermögen als verloren.
Die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung
Für die Einordnung als schwere Körperverletzung muss der Verlust des Sehvermögens auf dem Auge dauerhaft sein oder zumindest auf sehr lange Zeit bestehen und irreversibel (nicht mehr rückgängig zu machen) sein. Eine vorübergehende Sehstörung, die sich vollständig zurückbildet, fällt nicht unter dieses Merkmal. Das Gesetz zielt auf jene Verletzungen ab, die das Leben des Betroffenen auf lange Sicht erheblich beeinträchtigen.
Für Sie bedeutet das: Der rechtliche Begriff des „Verlusts des Sehvermögens“ ist weit auszulegen und umfasst neben der totalen Blindheit auch Zustände, in denen das Auge zwar nicht völlig „dunkel“ ist, aber seine praktische Funktion für das tägliche Leben eingebüßt hat.
Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen, wenn jemand eine schwere Körperverletzung begeht?
Wenn jemand in Deutschland eine schwere Körperverletzung begeht, drohen ihm erhebliche strafrechtliche Konsequenzen. Das Gesetz sieht für solche Taten Freiheitsstrafen vor, deren Dauer von verschiedenen Faktoren abhängt.
Was ist eine schwere Körperverletzung?
Der Begriff der schweren Körperverletzung ist im § 226 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Es handelt sich dabei nicht um jede Art von Verletzung, sondern um eine, die besonders gravierende und dauerhafte Folgen für das Opfer hat. Eine Körperverletzung gilt als schwer, wenn sie beispielsweise dazu führt, dass das Opfer:
- auf einem Auge dauerhaft das Sehvermögen verliert
- auf einem Ohr dauerhaft das Gehör verliert
- die Sprechfähigkeit oder die Fähigkeit zur Fortpflanzung verliert
- dauerhaft entstellt wird
- in seinen Gliedern dauerhaft gelähmt wird
- in erheblichem Umfang an einer dauerhaften Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit leidet
Der Kern ist also stets eine Verletzung, die das Leben des Opfers in einer erheblichen und bleibenden Weise beeinträchtigt.
Welcher Strafrahmen ist vorgesehen?
Für die Begehung einer schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor. Das bedeutet, dass eine Geldstrafe hier nicht als Hauptstrafe in Betracht kommt.
In bestimmten Fällen kann die Strafe sogar noch höher ausfallen:
- Handelt der Täter vorsätzlich oder wissentlich und verursacht er dabei eine der oben genannten schweren Folgen, beträgt die Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren (§ 226 Abs. 2 StGB). Dies liegt vor, wenn der Täter die schweren Folgen der Tat gezielt herbeiführen wollte oder wusste, dass sie eintreten werden.
- Führt die schwere Körperverletzung sogar zum Tod des Opfers, beträgt die Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (§ 226 Abs. 3 StGB). Hierbei muss der Tod zwar eine Folge der Körperverletzung sein, aber nicht zwingend vom Täter beabsichtigt worden sein.
Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der Strafe?
Die Gerichte berücksichtigen bei der Festlegung der genauen Strafhöhe innerhalb des gesetzlichen Rahmens zahlreiche Aspekte. Für Sie als juristischer Laie ist es wichtig zu wissen, dass viele Einzelfaktoren eine Rolle spielen können:
- Die Schwere und Brutalität der Tat: Wie wurde die Tat ausgeführt? War sie besonders grausam oder heimtückisch?
- Die konkreten Folgen für das Opfer: Wie schwer sind die Verletzungen und wie stark ist das Leben des Opfers durch die Tat beeinträchtigt? Sind die Folgen tatsächlich dauerhaft und irreversibel?
- Die Beweggründe des Täters: Was war das Motiv für die Tat? Gab es eine Vorgeschichte, Provokation oder besondere Umstände?
- Vorstrafen des Täters: Hat der Täter bereits ähnliche oder andere Straftaten begangen? Dies kann sich strafverschärfend auswirken.
- Das Verhalten des Täters nach der Tat: Zeigt der Täter Reue, versucht er, den Schaden wiedergutzumachen (z.B. durch Schmerzensgeldzahlung oder einen Täter-Opfer-Ausgleich), oder kooperiert er mit den Behörden? Ein Geständnis kann sich ebenfalls mildernd auswirken.
- Die persönliche und wirtschaftliche Situation des Täters: Dies kann in Ausnahmefällen ebenfalls berücksichtigt werden, meist jedoch nur in geringem Umfang.
Jeder Fall wird individuell betrachtet, und die Gerichte wägen all diese Faktoren sorgfältig ab, um eine gerechte Strafe zu finden.
Wie kann ich als Opfer einer schweren Körperverletzung Schmerzensgeld und Schadensersatz fordern?
Als Opfer einer schweren Körperverletzung können Sie unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Entschädigung für erlittenes Leid und entstandene Schäden fordern. Hierbei wird zwischen zwei Hauptarten von Ansprüchen unterschieden: dem Schmerzensgeld und dem Schadensersatz.
Unterschied zwischen Schmerzensgeld und Schadensersatz
Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für sogenannte immaterielle Schäden. Das sind Schäden, die nicht direkt in Geld messbar sind, sondern das persönliche Wohlbefinden betreffen. Dazu gehören körperliche Schmerzen, seelisches Leid, eine Minderung der Lebensqualität oder Entstellungen. Der Zweck des Schmerzensgeldes ist es, das erlittene Leid des Opfers finanziell zu kompensieren und gleichzeitig eine Genugtuung für das erlittene Unrecht zu bieten. Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von vielen Faktoren ab, wie der Schwere und Dauer der Verletzungen, der Intensität der Schmerzen, möglichen bleibenden Schäden oder psychischen Folgen.
Schadensersatz hingegen deckt materielle Schäden ab. Das sind konkret in Geld messbare Verluste, die durch die Körperverletzung entstanden sind. Dazu zählen beispielsweise:
- Behandlungskosten: Kosten für Arztbesuche, Medikamente, Therapien oder Hilfsmittel, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden.
- Verdienstausfall: Wenn Sie aufgrund der Verletzung nicht arbeiten konnten und dadurch Einkommen verloren haben.
- Haushaltsführungsschaden: Wenn Sie aufgrund der Verletzung Ihren Haushalt nicht mehr selbst führen können und Hilfe benötigen (z.B. für Reinigung, Kochen).
- Fahrtkosten: Aufwendungen für Fahrten zu Ärzten oder Therapien.
- Sachschäden: Kosten für beschädigte Kleidung, Brillen oder andere persönliche Gegenstände während der Tat.
- Zukünftige Schäden: Auch Schäden, die voraussichtlich erst in der Zukunft entstehen werden, können berücksichtigt werden.
Wege zur Geltendmachung von Ansprüchen
Grundsätzlich gibt es zwei Wege, um Schmerzensgeld und Schadensersatz als Opfer einer Körperverletzung zu fordern:
- Im Rahmen des Strafverfahrens (Adhäsionsverfahren)
Wenn gegen den Täter ein Strafverfahren wegen der Körperverletzung läuft, können Sie Ihre zivilrechtlichen Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz direkt in diesem Verfahren geltend machen. Dies wird als Adhäsionsverfahren bezeichnet. Der große Vorteil dabei ist, dass nicht zwei getrennte Verfahren (einmal strafrechtlich, einmal zivilrechtlich) geführt werden müssen. Das Strafgericht entscheidet dann über die Schuld des Täters und gleichzeitig über Ihre Forderungen. Dieses Verfahren kann oft schneller und unkomplizierter sein, da die Beweismittel, die im Strafprozess gesammelt werden (z.B. ärztliche Gutachten, Zeugenaussagen), auch für die zivilrechtlichen Ansprüche genutzt werden. Das Gericht kann jedoch in komplexen Fällen entscheiden, dass Ihre Ansprüche in einem separaten Zivilverfahren geklärt werden sollen. - In einem separaten Zivilverfahren (Zivilklage)
Wenn kein Strafverfahren gegen den Täter stattfindet, das Strafverfahren bereits abgeschlossen ist oder Ihre Ansprüche im Adhäsionsverfahren nicht geklärt wurden, können Sie Ihre Forderungen in einem eigenständigen Zivilverfahren geltend machen. Hierbei reichen Sie eine Klage vor dem zuständigen Zivilgericht ein. In diesem Verfahren müssen Sie selbst die Beweise für Ihre Verletzungen, das Verhalten des Täters und die daraus entstandenen Schäden vorlegen. Dazu gehören beispielsweise medizinische Unterlagen, Belege für entstandene Kosten, Gutachten oder Zeugenaussagen.
Für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Schmerzensgeld und Schadensersatz ist es wichtig, die erlittenen Verletzungen und Schäden umfassend zu dokumentieren. Dazu zählen unter anderem ärztliche Atteste, Krankenhausberichte, Belege über entstandene Kosten und gegebenenfalls Fotos oder weitere Beweismittel. Auch die Einhaltung von Fristen, wie Verjährungsfristen, ist bei der Geltendmachung von Bedeutung.
Welche Rolle spielen medizinische Gutachten und Zeugenaussagen in einem Gerichtsverfahren bei schwerer Körperverletzung?
In einem Gerichtsverfahren, insbesondere bei Delikten wie der schweren Körperverletzung, sind medizinische Gutachten und Zeugenaussagen von zentraler Bedeutung, um die Wahrheit zu ermitteln und eine gerechte Entscheidung zu treffen. Sie dienen dem Gericht als wichtige Beweismittel, die dabei helfen, den genauen Tathergang, die Schwere der Verletzungen und den Zusammenhang zwischen der Tat und den entstandenen Schäden nachzuvollziehen.
Die Bedeutung medizinischer Gutachten und Sachverständiger
Medizinische Gutachten stammen meist von neutralen Sachverständigen, also Ärzten, die vom Gericht beauftragt werden. Sie untersuchen die Verletzungen des Opfers objektiv und erstellen einen Bericht. Für Sie als juristischen Laien bedeutet das: Diese Gutachten liefern dem Gericht wissenschaftlich fundierte und unparteiische Informationen über:
- Die Art und Schwere der Verletzungen: Ob es sich um Brüche, innere Verletzungen oder bleibende Schäden handelt.
- Die mögliche Entstehung der Verletzungen: Ob die Verletzungen mit dem geschilderten Tathergang übereinstimmen. Ein Mediziner kann beurteilen, ob eine bestimmte Wunde beispielsweise durch einen Schlag oder einen Sturz verursacht worden sein könnte.
- Die Kausalität: Das Gutachten stellt fest, ob die festgestellten Verletzungen tatsächlich eine direkte Folge der angeklagten Handlung sind. Dies ist entscheidend, um den Täter für die konkreten Schäden verantwortlich machen zu können.
- Die Dauer der Heilung und mögliche Spätfolgen: Dies ist wichtig für die Bemessung des Strafmaßes und eventuelle zivilrechtliche Ansprüche (z.B. Schmerzensgeld).
Medizinische Sachverständige helfen dem Gericht dabei, medizinische Fachfragen zu verstehen, die für die juristische Bewertung des Falls unerlässlich sind.
Die Rolle von Zeugenaussagen
Zeugenaussagen sind Berichte von Personen, die den Vorfall beobachtet haben oder andere relevante Informationen dazu besitzen. Sie sind unverzichtbar, um ein Bild des Geschehens aus menschlicher Perspektive zu zeichnen. Zeugen können sein:
- Augenzeugen: Personen, die die Tat direkt gesehen haben. Ihre Aussage ist oft entscheidend, um den genauen Ablauf, die beteiligten Personen und die Handlungen des Täters zu rekonstruieren.
- Ohrenzeugen: Personen, die Geräusche gehört haben, die mit dem Vorfall in Verbindung stehen.
- Indizienzeugen: Personen, die zwar die Tat nicht direkt gesehen haben, aber Umstände oder Äußerungen vor oder nach der Tat wahrgenommen haben, die für die Aufklärung wichtig sind.
Das Gericht hört sich die Aussagen der Zeugen genau an und prüft deren Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit. Hierbei werden Faktoren wie die Erinnerungsfähigkeit des Zeugen, seine Beobachtungsgabe, mögliche Motive und die Übereinstimmung seiner Aussage mit anderen Beweismitteln berücksichtigt. Zeugenaussagen können den Tathergang klären, die Beteiligten identifizieren und wichtige Hintergründe oder Motive aufzeigen, die für die Bewertung des Falles von Bedeutung sind.
Wie Beweismittel zur Urteilsfindung beitragen
Das Gericht sammelt alle verfügbaren Beweismittel – also sowohl die objektiven Erkenntnisse aus medizinischen Gutachten als auch die oft subjektiveren Eindrücke aus Zeugenaussagen. Es wägt diese Beweise sorgfältig ab, ein Prinzip, das man als „freie Beweiswürdigung“ bezeichnet. Der Richter oder die Richterin bildet sich aus der Gesamtheit der Beweismittel eine Überzeugung darüber, was tatsächlich geschehen ist.
Das Ziel ist es, ein möglichst vollständiges und wahrheitsgetreues Bild des Vorfalls zu erhalten. Nur wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Tat wie angeklagt stattgefunden hat, die Verletzungen tatsächlich die Folge der Tat sind und der Angeklagte der Täter ist, kann es zu einer Verurteilung kommen. Medizinische Gutachten und Zeugenaussagen sind somit grundlegende Säulen der Wahrheitsfindung und ermöglichen es dem Gericht, eine fundierte und gerechte Entscheidung zu treffen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Adhäsionskläger
Ein Adhäsionskläger ist eine Person, die im Strafverfahren neben der Feststellung der strafrechtlichen Schuld des Täters gleichzeitig ihre zivilrechtlichen Ansprüche geltend macht, etwa auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz. Dadurch müssen Opfer nicht in einem separaten Zivilprozess ihre Ansprüche durchsetzen, sondern können beide Anliegen gemeinsam im Strafprozess verfolgen (§ 403 der Strafprozessordnung). Dieses Verfahren erleichtert und beschleunigt die Durchsetzung von Ansprüchen, da die im Strafprozess erhobenen Beweise auch für die zivilrechtliche Entscheidung genutzt werden können.
Beispiel: Ein Opfer einer Körperverletzung fordert während des Strafverfahrens gegen den Täter Schmerzensgeld und ersetzt damit zusätzlich den eigenen finanziellen Schaden.
Tateinheit
Tateinheit bedeutet, dass eine einzelne Handlung mehrere Straftatbestände gleichzeitig erfüllt. Das heißt, durch eine einzige Tat begeht der Täter mehrere unterschiedliche Delikte, die gerichtlich gemeinsam beurteilt werden. Nach § 52 StGB wirkt die Strafe in solchen Fällen zusammen, wird also nicht für jede Tat einzeln verhängt, sondern es erfolgt eine Gesamtstrafe. Tateinheit dient der Vermeidung übermäßiger Strafzumessung und stellt sicher, dass der Täter für die zusammenhängenden Vergehen angemessen bestraft wird.
Beispiel: Wenn jemand mit einem spitzen Gegenstand auf eine Person einschlägt und sie dabei schwer verletzt und zugleich mit Faustschlägen attackiert, sind beide Handlungen Teil einer einzigen Tat und werden als Tateinheit gewertet.
Gefährliches Werkzeug
Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und Art der Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Es ist dabei entscheidend, dass das Objekt zum Angriff benutzt wird und durch seine Gefährlichkeit hervorsticht, etwa Messer, spitze oder scharfe Gegenstände. Die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs bei einer Körperverletzung erhöht den Strafrahmen, da diese Form als besonders gravierend eingestuft wird.
Beispiel: Ein spitzer Gegenstand, mit dem jemand gezielt ins Auge gestochen wird, gilt als gefährliches Werkzeug, weil er schwere Verletzungen verursachen kann.
Billigendes Inkaufnehmen (dolus eventualis)
Billigendes Inkaufnehmen bedeutet, dass der Täter den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolges zwar nicht direkt wünscht, aber seinen Eintritt für möglich hält und dennoch darauf vertraut oder es bewusst in Kauf nimmt (§ 16 Abs. 2 StGB). Es ist eine Form des gesetzlichen Vorsatzes (Absicht oder Wissen) und reicht aus, um eine Tat als vorsätzlich zu werten, obwohl der Täter das Ergebnis nicht ausdrücklich beabsichtigt. Im Strafrecht führt dies dazu, dass auch Versuche strafbar sind, wenn schlimme Folgen billigend in Kauf genommen werden.
Beispiel: Der Täter schlägt mehrfach mit einem spitzen Gegenstand auf das Gesicht und nimmt es in Kauf, dass der Verletzte sein Augenlicht verlieren könnte, obwohl er dies nicht ausdrücklich will.
Schmerzensgeld
Schmerzensgeld ist eine finanzielle Entschädigung für immaterielle Schäden, also für erlittene Schmerzen, seelisches Leid oder dauerhafte Beeinträchtigungen der Lebensqualität nach einer rechtswidrigen Tat. Es dient dem Ausgleich des persönlichen Leids und der Genugtuung des Opfers, ohne dass materielle Schäden ersetzt werden (§ 253 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB). Die Höhe des Schmerzensgeldes wird individuell nach den Umständen der Verletzung und deren Folgen bestimmt und ist kein Ersatz für materielle Kosten.
Beispiel: Nach einem Angriff, der zu einem dauerhaften Sehschaden führt, zahlt der Täter an den Geschädigten Schmerzensgeld für die erlittene körperliche und seelische Beeinträchtigung.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Strafgesetzbuch (StGB), § 224 StGB (Gefährliche Körperverletzung): Diese Strafnorm beschreibt eine qualifizierte Form der Körperverletzung, die schwerer wiegt als die einfache Körperverletzung. Sie liegt vor, wenn die Tat auf bestimmte, im Gesetz genannte Weisen begangen wird, die das Opfer besonders gefährden. Dazu gehören beispielsweise der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs, ein Überfall oder eine lebensgefährdende Behandlung. Das Gesetz berücksichtigt hierbei die erhöhte Gefährlichkeit der Tathandlung und schützt die körperliche Unversehrtheit des Menschen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, da er einen sp Gegenstand verwendete und wuchtig auf den Kopf des Opfers einschlug, was als lebensgefährdende Behandlung qualifiziert wurde.
- Strafgesetzbuch (StGB), § 226 StGB (Schwere Körperverletzung) und § 22 StGB (Versuch): § 226 StGB regelt eine besonders schwere Form der Körperverletzung, bei der es zu erheblichen und dauerhaften Schäden beim Opfer kommt, wie dem Verlust des Sehvermögens, wichtiger Gliedmaßen oder dauerhaften Entstellungen. Ein „Versuch“ gemäß § 22 StGB liegt vor, wenn der Täter mit dem Vorsatz zur Tat ansetzt, das Opfer aber den beabsichtigten Erfolg (z.B. den vollständigen Sehverlust) nicht vollständig erleidet. Hierbei muss der Täter den Eintritt der schweren Folge zumindest billigend in Kauf genommen haben. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen versuchter schwerer Körperverletzung, da die Schläge auf das Auge des Opfers zu einem massiven Sehverlust führten und die vollständige Erblindung beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen wurde, aber noch nicht vollständig eingetreten ist.
- Strafgesetzbuch (StGB), § 52 StGB (Tateinheit): Tateinheit bedeutet im Strafrecht, dass durch eine einzige Handlung mehrere Straftatbestände gleichzeitig erfüllt werden. Der Täter hat also mit einem einzigen Willensakt verschiedene gesetzliche Verbote verletzt. In solchen Fällen wird nur eine Strafe verhängt, die sich aber an der schwersten der verwirklichten Taten orientiert und bei der die anderen Taten strafschärfend berücksichtigt werden. Dies verhindert eine mehrfache Bestrafung für denselben Lebensvorgang. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Im konkreten Fall wurde der Angriff als eine Handlung bewertet, die gleichzeitig sowohl den Tatbestand der gefährlichen als auch den der versuchten schweren Körperverletzung erfüllte, was zur Annahme von Tateinheit führte.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 823 BGB (Schadensersatzpflicht) und § 253 BGB (Schmerzensgeld): § 823 BGB ist die zentrale Norm für die zivilrechtliche Haftung aus unerlaubten Handlungen und verpflichtet denjenigen zum Schadensersatz, der vorsätzlich oder fahrlässig Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum eines anderen widerrechtlich verletzt. § 253 BGB ergänzt dies speziell für immaterielle Schäden: Absatz 2 ermöglicht die Zahlung eines Schmerzensgeldes als Ausgleich für erlittene Schmerzen, Leiden und Beeinträchtigungen der Lebensqualität, wenn dies gesetzlich bestimmt ist, etwa bei Körperverletzungen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Landgericht verurteilte den Angeklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und zum Ersatz aller gegenwärtigen und zukünftigen materiellen Schäden, da seine Körperverletzungshandlung die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllte.
- Strafprozessordnung (StPO), §§ 403 ff. StPO (Adhäsionsverfahren): Das Adhäsionsverfahren ermöglicht es dem Verletzten einer Straftat, seine zivilrechtlichen Ansprüche, wie Schmerzensgeld oder Schadensersatz, direkt im Strafverfahren geltend zu machen. Anstatt zwei getrennte Verfahren – ein Strafverfahren und ein Zivilverfahren – führen zu müssen, können die Ansprüche gemeinsam mit der strafrechtlichen Verurteilung entschieden werden. Dies dient der Prozessökonomie und der Entlastung des Opfers, da nur einmal Beweise erhoben werden müssen und eine Urteilsfindung durch dasselbe Gericht erfolgt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Opfer trat im Verfahren als Adhäsionskläger auf und nutzte somit die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens, um seine Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche direkt im Strafprozess geltend zu machen und vom Gericht zugesprochen zu bekommen.
Das vorliegende Urteil
LG Kempten – Az.: 4 Ns 420 Js 11423/20 – Urteil vom 20.10.2023
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