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Notwehr gegen Polizei: Ablehnung Strafverfahren bei unklarem Einsatz

Die Frage nach der Ablehnung eines Strafverfahrens wegen unklarem Polizeieinsatz stand im Raum, als ein Mann in Dortmund wegen Widerstands und Beleidigung angeklagt wurde. Dies stellte die Frage nach einer möglichen Notwehr des Mannes gegen einen potenziell rechtswidrigen Polizeieinsatz in den Mittelpunkt.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 729Ds 147/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Amtsgericht Dortmund
  • Datum: 23.12.2024
  • Aktenzeichen: 729 Ds 147/24 (111 Js 727/24)
  • Verfahren: Eröffnung eines Hauptverfahrens
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Notwehrrecht, Polizeirecht

  • Das Problem: Eine Person wehrte sich körperlich gegen Polizisten und beleidigte sie. Die Staatsanwaltschaft wollte deshalb einen Strafprozess. Die Person sagte, sie habe sich nur gegen einen rechtswidrigen Polizeieinsatz gewehrt.
  • Die Rechtsfrage: Reicht der Verdacht gegen die Person für einen Strafprozess aus, oder durfte sie sich gegen einen möglicherweise rechtswidrigen Polizeieinsatz wehren?
  • Die Antwort: Nein, es wird kein Strafprozess eröffnet. Das Gericht sah keinen ausreichenden Verdacht, da der konkrete Grund für den Polizeieinsatz nicht geklärt werden konnte.
  • Die Bedeutung: Ohne einen klaren Grund für einen Polizeieinsatz kann die Abwehr durch eine Person als Notwehr gelten. Bürger müssen sich nicht grundlos polizeilichen Zwangsmaßnahmen fügen.

Der Fall vor Gericht


Womit musste das Gericht sich befassen?

Ein Mann verlässt eine Sparkasse. Sekunden später liegen mehrere Polizisten auf ihm, drücken ihn zu Boden und wollen ihm Handschellen anlegen.

Polizei hält Bürger am Boden fest: Die Grenze zwischen Widerstand und Notwehr bei einem angeblich rechtswidrigen Einsatz.
Amtsgericht lehnte Verfahrenseröffnung ab wegen ungeklärter Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes; Widerstand als mögliche Notwehr. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Mann wehrt sich, er schreit Beleidigungen. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall klar: tätlicher Angriff, Widerstand, Beleidigung – Anklage. Doch das Amtsgericht Dortmund sah die Szene mit anderen Augen. Es stellte eine Frage, deren Antwort alles veränderte: Warum eigentlich?

Warum sah die Staatsanwaltschaft einen klaren Fall?

Die Anklagebehörde baute auf eine simple Logik. Die Berichte der Polizeibeamten schienen eindeutig. Ein Bürger wurde aufgefordert, stehen zu bleiben. Er tat es nicht. Die Beamten versuchten, ihn zu fixieren. Er sperrte sich und wehrte sich körperlich. Währenddessen fielen Beleidigungen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft erfüllte dieses Verhalten gleich drei Straftatbestände auf einen Schlag.

Sie beantragte die Eröffnung des Hauptverfahrens, den Startschuss für einen öffentlichen Prozess. Die Sache schien so offensichtlich, dass die Staatsanwaltschaft selbst eine Nachfrage des Gerichts für überflüssig hielt. Der Richter wollte wissen, was der konkrete Auslöser des Einsatzes war. Die Anklage lehnte weitere Ermittlungen ab. Ihre Begründung war bemerkenswert: Die Beamten könnten sich in solchen Fällen ohnehin nicht mehr an Details erinnern. Die Anklage sollte stehen – auch ohne geklärten Anfang.

Welchen entscheidenden Punkt prüfte das Gericht?

Das Gericht ließ die Perspektive der Anklage nicht gelten und konzentrierte sich auf den blinden Fleck des Geschehens. Bevor man über Widerstand oder Beleidigung urteilen kann, muss eine grundlegende Frage beantwortet sein: War das Handeln der Polizei überhaupt rechtmäßig? Ein Bürger hat nicht die Pflicht, jede polizeiliche Maßnahme widerstandslos zu erdulden. Er muss sich insbesondere keinen rechtswidrigen Angriff gefallen lassen.

Die gesamte Anklage hing an diesem seidenen Faden. War der Versuch, den Mann zu fesseln, gerechtfertigt? Die Akte gab dazu nur eine vage Information preis: „Verdacht auf häusliche Gewalt“. Dieser Vermerk war für das Gericht nichts wert. Er beschrieb keine konkrete Tat, keine Gefahr, keine Beobachtung. Er war eine leere Hülse. Die Ermittlungsakten offenbarten sogar ein Detail, das gegen einen dringenden Anlass sprach: Das mutmaßliche Opfer des Mannes wartete offenbar unversehrt und ruhig vor der Bankfiliale.

Wieso scheiterte die Anklage an der Aufklärungspflicht?

Der Knackpunkt des Falles war die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Licht ins Dunkel zu bringen. Ein Strafprozess lebt von Fakten, nicht von Vermutungen. Das Gericht muss wissen, was passiert ist, um Recht sprechen zu können. Die Eröffnung eines Hauptverfahrens setzt voraus, dass eine Verurteilung am Ende wahrscheinlich ist. Diese Wahrscheinlichkeit konnte das Gericht hier nicht erkennen.

Die Haltung der Staatsanwaltschaft – man könne oder wolle nicht weiter ermitteln – drehte den Spieß um. Ohne Beweise für einen rechtmäßigen Einsatzanlass blieb eine entscheidende Lücke. Das Gericht konnte nicht einfach unterstellen, die Polizei habe schon ihre Gründe gehabt. Die Weigerung aufzuklären, schuf ein Szenario des Zweifels. Dieser Zweifel kam dem Angeschuldigten zugute. Das Gericht formulierte es unmissverständlich: Niemand muss sich von der Polizei ohne nachvollziehbaren Grund zu Boden bringen und fesseln lassen.

Konnte das Verhalten des Mannes als Notwehr gelten?

Genau dieser Zweifel öffnete die Tür für den Gedanken an Notwehr. Das Gesetz erlaubt jedem, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren. Ein solcher Angriff kann theoretisch auch von Staatsdienern ausgehen. Wenn Polizeibeamte ohne rechtliche Grundlage körperlichen Zwang anwenden, ist das ein rechtswidriger Angriff.

Das Gericht musste den Fall aus der wahrscheinlichsten Perspektive bewerten. Ohne geklärten Einsatzgrund war die Annahme, der Polizeieinsatz sei rechtswidrig gewesen, nicht von der Hand zu weisen. Das Fesseln und zu Boden bringen war ein massiver Eingriff. War dieser Eingriff rechtswidrig, verwandelte sich das Verhalten des Mannes. Sein Widerstand war dann kein Angriff auf den Staat, sondern eine mögliche Verteidigung seines Körpers. Seine Beleidigungen waren keine isolierten Straftaten, sondern womöglich Äußerungen im Eifer eines Abwehrkampfes. Diese Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Notwehr war so stark, dass eine spätere Verurteilung unwahrscheinlich erschien. Der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens wurde abgelehnt. Der Prozess fand niemals statt.

Wer trägt am Ende die Kosten des Verfahrens?

Die Ablehnung des Verfahrens hatte eine klare finanzielle Konsequenz. Die Kosten des gesamten Verfahrens, inklusive der notwendigen Auslagen für den Anwalt des Mannes, fielen der Staatskasse zur Last. Die Strafprozessordnung sieht dies vor, wenn ein Angeschuldigter nicht verurteilt wird oder – wie hier – das Verfahren gar nicht erst eröffnet wird.

Die Urteilslogik

Gerichte prüfen die Rechtmäßigkeit polizeilicher Zwangsmaßnahmen genau, bevor sie Anklagen zulassen.

  • Rechtsgrundlage für Polizeihandeln: Polizisten dürfen Zwang nur anwenden, wenn eine eindeutige und nachweisbare Rechtsgrundlage vorliegt; eine vage Vermutung rechtfertigt keine Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit.
  • Bürgerrecht auf Notwehr: Bürger dürfen sich gegen einen rechtswidrigen, körperlichen Angriff auch durch Polizeibeamte mit angemessener Gegenwehr verteidigen, was ihre Handlungen rechtfertigt.
  • Anforderungen an den hinreichenden Tatverdacht: Die Staatsanwaltschaft muss für die Eröffnung eines Strafverfahrens den ursprünglichen Anlass eines Polizeieinsatzes vollständig aufklären; unterbleibt dies, fehlt der hinreichende Tatverdacht.

Die Rechtsprechung unterstreicht die fundamentale Bedeutung einer transparenten Rechtfertigung staatlichen Zwangs.


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Experten Kommentar

Wenn die Polizei eingreift, denken viele, das ist rechtens – Punkt. Dieses Urteil zieht aber eine klare rote Linie und zeigt: Auch der Staat muss einen handfesten Grund für Zwang haben, sonst wird die Maßnahme rechtswidrig. Im Klartext bedeutet das: Gegen einen unbegründeten Polizeieinsatz darf sich ein Bürger sogar wehren.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Welche konkreten Gründe berechtigen die Polizei zu einem körperlichen Eingriff?

Die Polizei darf nur bei konkreten, nachvollziehbaren Gründen körperlich eingreifen. Vage Verdachtsmomente reichen nicht aus; sie benötigen eine klare Rechtsgrundlage und eine tatsächliche Notwendigkeit, etwa zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung. Bürger müssen sich gegen rechtswidrige Angriffe wehren dürfen, was Gerichte sorgfältig prüfen.

Die Polizei kann nicht einfach aufgrund eines Gefühls handeln. Für jede körperliche Maßnahme, wie das Fesseln oder zu Boden bringen, müssen die Beamten eine spezifische, gesetzliche Eingriffsbefugnis vorweisen können. Ein bloßer „Verdacht auf häusliche Gewalt“ ohne Details zu einer konkreten Tat, Gefahr oder Beobachtung ist nicht ausreichend, um einen solchen massiven physischen Eingriff zu rechtfertigen. Gerichte lehnen solche pauschalen Behauptungen als Begründung für Eingriffe ausdrücklich ab.

Die rechtliche Logik ist unmissverständlich: Alle polizeilichen Handlungen müssen auf einer nachvollziehbaren Grundlage beruhen. Ist der polizeiliche Einsatz nicht rechtlich begründet, entfällt Ihre Duldungspflicht als Bürger. Fehlen der Staatsanwaltschaft überzeugende Beweise für einen rechtmäßigen Einsatzanlass, kann dies sogar zur Ablehnung einer Anklage führen. Niemand muss sich ohne stichhaltigen Grund fixieren lassen.

Ein passender Vergleich ist der Türsteher: Wenn dieser Sie ohne ersichtlichen Grund aus der Schlange zieht, würden Sie sich fragen, warum. Auch hier geht es nicht um vage Annahmen. Ein Türsteher braucht einen konkreten Anlass, etwa aggressives Verhalten. Genauso benötigt die Polizei für einen körperlichen Eingriff eine klare Begründung, die über allgemeine Mutmaßungen hinausgeht.

Mein Rat ist eindeutig: Werden Sie körperlich durch die Polizei fixiert oder am Fortkommen gehindert, fordern Sie sofort konkret den Anlass und die genaue Rechtsgrundlage der Maßnahme. Bleiben Sie dabei ruhig, aber bestimmt. Notieren Sie sich umgehend, welche Antwort Sie erhalten (oder falls keine gegeben wird), sowie alle relevanten Details und Zeugen.


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Wie kann ich mich verhalten, wenn ich eine polizeiliche Maßnahme für rechtswidrig halte?

Sie dürfen sich einem rechtswidrigen polizeilichen Angriff grundsätzlich widersetzen. Dieses Recht ist im Rahmen der Notwehr verankert. Allerdings birgt ein solcher Schritt hohe Risiken und erfordert, dass Sie die Unrechtmäßigkeit der Maßnahme im Nachhinein lückenlos beweisen können. Ohne diesen Beweis kann Ihr Widerstand schnell als Straftat gewertet werden.

Jeder Bürger darf sich gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff wehren. Diesen Rechtsgrundsatz nennt man Notwehr. Selbst Handlungen von Staatsdienern, wie Polizeibeamten, können als rechtswidriger Angriff einzustufen sein. Wenn Polizisten ohne eine klare rechtliche Grundlage körperlichen Zwang anwenden – etwa durch Fesseln oder das Zu-Boden-Bringen –, dann handelt es sich um einen solchen rechtswidrigen Angriff.

Ihr Widerstand, der ansonsten schnell als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gilt, kann sich in eine gerechtfertigte Notwehrhandlung umwandeln. Dies geschieht jedoch nur, wenn die ursprüngliche polizeiliche Maßnahme nachweislich rechtswidrig war. Der Nachweis der Unrechtmäßigkeit ist dabei entscheidend.

Denken Sie an die Situation, als würde Ihnen jemand Unrecht tun: Sie dürfen sich wehren. Die Uniform allein macht eine Handlung nicht automatisch rechtmäßig. Ist der Angriff unrechtmäßig, wird Ihre Gegenwehr zu einer erlaubten Verteidigung Ihres Körpers und Ihrer Freiheit.

Geraten Sie in eine solche Situation, handeln Sie besonnen. Äußern Sie klar und deutlich, aber ohne aggressive Provokation, dass Sie die polizeiliche Maßnahme für rechtswidrig halten. Fordern Sie gleichzeitig eine konkrete Begründung. Wiederholen Sie Ihre Forderung ruhig und bestimmt. Versuchen Sie zudem, Zeugen anzusprechen oder die Situation diskret zu dokumentieren, falls dies ohne weitere Eskalation möglich ist. Vermeiden Sie jegliche unkontrollierte verbale oder körperliche Gegenwehr, die später nicht präzise als Notwehr gegen die ursprüngliche rechtswidrige Maßnahme bewiesen werden kann – dies ist der teuerste Fehler.


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Wann sollte ich einen Anwalt einschalten, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle?

Wenn Sie von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind und sich ungerecht behandelt fühlen, sollten Sie sofort einen Anwalt einschalten. Dies ist entscheidend, um Ihre Verteidigung frühzeitig aufzubauen und die Beweislage zu sichern. Warten verzögert die Klärung und kann spätere Erfolgsaussichten erheblich mindern, besonders wenn die Staatsanwaltschaft bereits eine feste Linie verfolgt.

Viele Menschen zögern aus Kostengründen oder aus Unsicherheit, doch der frühe Kontakt zu einem Rechtsexperten ist oft goldwert. Die Staatsanwaltschaft weigert sich mitunter, den eigentlichen Anlass und die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes umfassend zu klären. Ein versierter Anwalt kann jedoch sofort und effektiv auf diese Aufklärungspflicht drängen.

Zudem ist es die Aufgabe Ihres Anwalts, die polizeilichen Maßnahmen kritisch zu hinterfragen und fehlende Beweise für den Einsatzanlass aufzudecken. Nur so lässt sich eine fundierte Notwehrstrategie entwickeln, die sonst möglicherweise unberücksichtigt bliebe. Im Falle einer erfolgreichen Abwehr der Anklage, etwa durch die Ablehnung der Verfahrenseröffnung, werden die gesamten Kosten des Verfahrens, einschließlich Ihrer notwendigen Anwaltsauslagen, von der Staatskasse getragen.

Stellen Sie sich eine Notoperation vor: Je früher der Spezialist eingreift, desto besser sind die Heilungschancen. So ähnlich ist es auch im Recht: Ein frühzeitiges Eingreifen sichert Spuren und verhindert, dass sich eine einseitige Sichtweise verfestigt.

Handeln Sie proaktiv: Nehmen Sie bei der ersten Vorladung, einer schriftlichen Mitteilung über eine Ermittlung oder dem initialen Kontakt nach einem Vorfall direkt und ohne Verzögerung Kontakt zu einem Fachanwalt für Strafrecht auf. Schildern Sie ihm detailliert den Hergang, noch bevor Sie selbst weitere Aussagen gegenüber den Behörden machen. Das schützt Ihre Rechte von Anfang an.


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Was passiert, wenn meine Notwehr als zu weitgehend eingestuft wird?

Wird Ihre Notwehr als zu weitgehend eingestuft, verliert sie ihre rechtfertigende Wirkung komplett. Ihr Widerstand oder auch aggressive Äußerungen können dann als eigenständige Straftaten wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Beleidigung verfolgt werden. Entscheidend ist stets, ob die Abwehr objektiv notwendig und verhältnismäßig war, um einen rechtswidrigen Angriff abzuwehren.

Die Regel lautet: Notwehr ist nur erlaubt, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff abzuwehren. Dies bedeutet, Sie müssen nachweisen, dass die polizeiliche Maßnahme – etwa eine Fesselung oder das Zu-Boden-Bringen – tatsächlich nicht rechtmäßig war. Kann diese Unrechtmäßigkeit des ursprünglichen Polizeieinsatzes nicht bewiesen werden, entfällt Ihr Notwehrgrund gänzlich. Ihre Abwehrhandlung hat dann keine Basis.

Des Weiteren prüft das Gericht genau, ob Ihre Reaktion angemessen und erforderlich war, um den Angriff zu beenden. Es geht nicht darum, den Angreifer zu bestrafen, sondern den Angriff abzuwehren. War der Polizeieinsatz am Ende doch rechtmäßig, ist jeder Widerstand oder jede aggressive Äußerung von Ihrer Seite unzulässig. Dann droht Ihnen die Anklage wegen Straftaten, da die Rechtfertigung entfällt.

Ein passender Vergleich ist der eines Defibrillators: Er ist nur bei Herzstillstand erlaubt. Wenden Sie ihn bei einem bloßen Schnupfen an, mag die Absicht gut sein, die Handlung ist aber objektiv falsch und potenziell schädlich. Genauso muss Ihre Notwehrhandlung präzise zur Abwehr des tatsächlich rechtswidrigen Angriffs passen und aufhören, sobald die Gefahr gebannt ist.

Dokumentieren Sie sofort und präzise nach dem Vorfall, welche polizeilichen Maßnahmen Sie als rechtswidrig empfanden. Halten Sie fest, welche konkreten Handlungen Sie unternommen haben, um sich zu wehren. Fokusieren Sie sich dabei auf die Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit Ihrer Reaktion. Sprechen Sie auch Zeugen an.


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Welche Schritte kann ich unternehmen, um meine eigene Beweissituation zu verbessern?

Um Ihre Beweissituation nach einer polizeilichen Maßnahme zu verbessern, müssen Sie proaktiv und präzise Details zum Anlass und Verlauf des Geschehens sammeln. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass die Behörden von sich aus ‚alles Nötige‘ ermitteln, da die Staatsanwaltschaft sich unter Umständen weigert, diese entscheidenden Punkte zu klären. Ein strukturiertes Vorgehen ist unerlässlich, um Ihre Darstellung zu untermauern und Ungerechtigkeiten effektiv zu widerlegen.

Oft verlässt sich die Staatsanwaltschaft darauf, dass beteiligte Beamte sich in bestimmten Situationen ‚ohnehin nicht mehr an Details erinnern‘ können. Aus diesem Grund werden weitere Ermittlungen zu den eigentlichen Auslösern eines Einsatzes bisweilen abgelehnt. Für ein Gericht sind vage Vermerke wie ‚Verdacht auf häusliche Gewalt‚ oder allgemeine Beschreibungen schlichtweg wertlos.

Sie benötigen daher konkrete Fakten und Beweise, die Ihre Version stützen. Das Gericht wird nicht automatisch unterstellen, die Polizei habe ’schon ihre Gründe gehabt‘. Fehlende Beweise für einen rechtmäßigen Einsatzanlass schaffen stattdessen einen entscheidenden Zweifel. Diesen können Sie mit eigenen, fundierten Nachweisen zu Ihren Gunsten verstärken.

Denken Sie an ein kompliziertes Puzzle: Fehlt ein entscheidendes Anfangsteil – nämlich der genaue Grund für das polizeiliche Einschreiten – kann das gesamte Bild nicht korrekt zusammengesetzt werden. Ohne Ihre eigenen, klar definierten Puzzleteile bleibt Ihr Fall unvollständig.

Deshalb mein dringender Rat: Notieren Sie sich sofort nach dem Vorfall minutiös alle wichtigen Details. Das umfasst die genaue Uhrzeit und den Ort, Namen oder Dienstnummern der beteiligten Beamten, konkrete Äußerungen und Befehle. Achten Sie auf anwesende Zeugen und dokumentieren Sie eventuelle sichtbare Verletzungen oder Schäden umgehend mit Fotos oder Videos. Diese Präzision kann Ihren Fall entscheidend voranbringen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Angeschuldigter

Einen Beschuldigten, gegen den die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat und dessen Fall zur gerichtlichen Entscheidung ansteht, nennen Juristen einen Angeschuldigten. Dieser Status verdeutlicht, dass das Verfahren nun vor Gericht liegt und der Richter über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet. Das Gesetz schafft damit Klarheit über den aktuellen Stand im Strafprozess.

Beispiel: Im vorliegenden Fall wurde der Mann zum Angeschuldigten, als die Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragte, um ihn wegen Widerstands und Beleidigung zu belangen.

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Aufklärungspflicht

Die Aufklärungspflicht zwingt die Staatsanwaltschaft und das Gericht, alle Fakten eines Falles umfassend zu ermitteln, sowohl die entlastenden als auch die belastenden. Sie soll sicherstellen, dass Urteile auf einer vollständigen und objektiven Tatsachengrundlage beruhen. Eine Verurteilung darf nur erfolgen, wenn keinerlei begründete Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen.

Beispiel: Die Anklage scheiterte an der Aufklärungspflicht, weil die Staatsanwaltschaft sich weigerte, den konkreten Auslöser des Polizeieinsatzes zu ermitteln, was entscheidende Zweifel an der Rechtmäßigkeit hinterließ.

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Eingriffsbefugnis

Eine Eingriffsbefugnis ist die gesetzliche Erlaubnis, die Polizeibeamte benötigen, um in die Rechte von Bürgern einzugreifen, etwa durch Festnahmen oder das Anlegen von Handschellen. Dieses Prinzip schützt Bürger vor willkürlichem Handeln staatlicher Organe und stellt sicher, dass jede hoheitliche Maßnahme auf einer klaren rechtlichen Grundlage fußt. Ohne eine solche Befugnis sind polizeiliche Maßnahmen unzulässig und rechtswidrig.

Beispiel: Das Gericht zweifelte die Eingriffsbefugnis der Polizisten an, da der vage Vermerk über „Verdacht auf häusliche Gewalt“ keine konkrete Gefahr oder Tat beschrieb.

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Eröffnung des Hauptverfahrens

Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist der formelle Beschluss des Gerichts, der den Beginn eines öffentlichen Strafprozesses signalisiert, nachdem es die Anklage der Staatsanwaltschaft geprüft hat. Durch diesen Schritt entscheidet das Gericht, ob eine Verurteilung nach Aktenlage wahrscheinlich ist und ein Prozess deshalb notwendig ist. Es schützt den Bürger vor aussichtslosen oder unbegründeten Gerichtsverfahren.

Beispiel: Das Amtsgericht Dortmund lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, weil es aufgrund der fehlenden Aufklärungspflicht eine spätere Verurteilung des Angeschuldigten für unwahrscheinlich hielt.

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Notwehr

Die Notwehr erlaubt jedem Bürger, sich mit angemessener Gewalt gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff zu verteidigen, um diesen abzuwehren. Dieses Recht sichert die Freiheit und körperliche Unversehrtheit des Einzelnen und erlaubt ihm, im Falle einer unmittelbaren Gefahr eigenverantwortlich zu handeln. Das Gesetz erkennt damit das ursprüngliche Recht zur Selbstverteidigung an.

Beispiel: Das Gericht erwog, dass der Widerstand des Mannes Notwehr gewesen sein könnte, da der Polizeieinsatz ohne klare Eingriffsbefugnis als rechtswidriger Angriff gewertet werden musste.

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Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme

Die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme bedeutet, dass jede Handlung der Polizei, die in Bürgerrechte eingreift, strikt an gesetzliche Vorgaben und formelle Anforderungen gebunden sein muss. Dieses Prinzip ist ein Eckpfeiler des Rechtsstaats und soll die Bürger vor willkürlichem staatlichem Handeln schützen. Es sichert, dass staatliche Gewalt nur auf Basis klar definierter Gesetze und unter Einhaltung bestimmter Prozeduren ausgeübt wird.

Beispiel: Ohne eine klare Begründung für das Fesseln des Mannes konnte die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme nicht festgestellt werden, was die gesamte Anklage entwertete.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit)

Staatliche Maßnahmen, insbesondere solche, die Grundrechte einschränken, müssen stets auf einer klaren gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismäßig sein.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Gerichtsentscheidung hing maßgeblich davon ab, ob der massive körperliche Eingriff der Polizisten rechtlich zulässig war, da ein rechtswidriger Eingriff nicht widerspruchslos hingenommen werden muss.

Notwehr (§ 32 StGB)

Jeder darf einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abwehren, auch wenn der Angriff von Staatsorganen ausgeht.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Wenn der Polizeieinsatz ohne rechtliche Grundlage erfolgte, stellte der körperliche Zwang einen rechtswidrigen Angriff dar, gegen den sich der Mann verteidigen durfte, wodurch sein Widerstand gerechtfertigt sein könnte.

Amtsermittlungsgrundsatz (§ 160 Abs. 2 StPO)

Staatsanwaltschaft und Gericht sind verpflichtet, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und alle entlastenden wie belastenden Umstände von Amts wegen zu ermitteln.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Weigerung der Staatsanwaltschaft, den konkreten Anlass des Polizeieinsatzes zu ermitteln, verstieß gegen diese Pflicht und verhinderte die notwendige Klärung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens.

Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ (In dubio pro reo)

Wenn nach der Beweisaufnahme erhebliche Zweifel an der Schuld eines Angeklagten bleiben, muss das Gericht zugunsten des Angeklagten entscheiden.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Da das Gericht die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes mangels Aufklärung nicht feststellen konnte und somit Zweifel am rechtswidrigen Verhalten des Mannes bestanden, musste es eine Verurteilung als unwahrscheinlich ansehen und die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen.


Das vorliegende Urteil


AG Dortmund – Az.: 729 Ds 147/24 (111 Js 727/24) – Beschluss vom 23.12.2024


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