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Notwehr durch Einsatz eines lebensgefährlichen Abwehrmittels

OLG Koblenz – Az.: 2 Ss 234/10 – Beschluss vom 17.01.2011

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 31. März 2010 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

1.

Durch Urteil vom 17. Juli 2008 verurteilte das Amtsgericht Montabaur den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2.

Mit dem angegriffenen Urteil vom 31. März 2010, zugestellt am 20. April 2010, hat die 13. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe auf 6 Monate herabgesetzt wird.

Notwehr durch Einsatz eines lebensgefährlichen Abwehrmittels
(Symbolfoto: Von guruXOX/Shutterstock.com)

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Nebenkläger den Angeklagten bereits im Jahre 2006 aus nichtigem Anlass geohrfeigt; seit diesem Vorfall war es immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen beiden gekommen. Am frühen Abend des 22. Februar 2007 trafen beide vor dem A.-Supermarkt in M. aufeinander, wo es wieder zu einer verbalen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beleidigungen kam. Daraufhin entfernten sich der Angeklagte und seine Begleiterin, die Zeugin G., um der weiteren Auseinandersetzung aus dem Weg und nach Hause zu gehen. Der Nebenkläger folgte ihnen jedoch mit seinem Pkw, um den Angeklagten zur Rede zu stellen und gegebenenfalls tätlich anzugreifen. Als er ihn im Bereich der F-Straße erreichte, stieg er aus seinem Fahrzeug aus, ging auf den Angeklagten von hinten zu und rief diesen an. Daraufhin wappnete sich der Angeklagte, weil er einen ähnlichen tätlichen Übergriff des Nebenklägers wie 2006 befürchtete, indem er die Einkaufstaschen abstellte, ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 6,5 cm öffnete und sich zu dem Nebenkläger umdrehte. Als der Nebenkläger den Angeklagten erreichte, schlug er diesem sofort mit der linken Hand ins Gesicht, wodurch der Angeklagte eine klaffende und blutende Wunde erlitt. Ob der Nebenkläger hierbei etwas in der Hand hielt, konnte nicht näher ermittelt werden. Unmittelbar nachdem er den schmerzhaften Schlag ins Gesicht erhalten hatte, stach der Angeklagte dem Nebenkläger durch dessen Kleidung hindurch mit dem Messer in den linken Unterbauch. Der Nebenkläger erlitt hierdurch eine ca. 1 cm große, blutende Stichwunde, wobei sich um die Einstichstelle herum ein Hämatom bildete; wegen dieser Verletzung musste er stationär behandelt werden. Nach dem Messerstich endete die Auseinandersetzung.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verurteilt und hierbei einen minder schweren Fall angenommen. Das Vorliegen von Notwehr hat das Landgericht verneint; es hat schon den Verteidigungswillen des Angeklagten in Abrede gestellt, darüber hinaus aber auch seine Verteidigungshandlung als unverhältnismäßig und nicht mehr erforderlich angesehen. Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB hat das Landgericht nicht als gegeben angesehen.

3.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte unter dem 1. April 2010 Revision eingelegt und dieses Rechtsmittel unter dem 5. Mai 2010 näher begründet. Er ist der Auffassung, er habe sich in Notwehr rechtmäßig verteidigt und rügt insoweit die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Revision hat in der Sache Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten kann keinen Bestand haben. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer war sein Handeln durch Notwehr gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt; von einer Einschränkung des Notwehrrechts, wie sie die Strafkammer angenommen hat, kann bei dem festgestellten Sachverhalt nicht ausgegangen werden.

1.

Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen sind im Ergebnis frei von Rechtsfehlern und daher für den Senat bindend.

a)

Über das Ergebnis der Beweiswürdigung hat der Tatrichter nach seiner freien, aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden (§ 261 StPO). Es ist die für die Schuldfrage entscheidende, allein dem Tatrichter übertragene Aufgabe, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen und damit dem Tatrichter die Verantwortung für diesen Bereich abzunehmen. Es hat auf die Sachrüge nur zu prüfen, ob die Beweiswürdigung rechtlich einwandfrei, d.h. frei von Widersprüchen, Unklarheiten und Verstößen gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ist; im übrigen muss es die tatrichterlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen hinnehmen (vgl. BGHSt 10, 208 <210>; OLG Koblenz, Urt. v. 01.07.2009 – 2 Ss 74/09).

b) Vorliegend erscheint zweifelhaft, ob die Feststellung der Strafkammer, die klaffende Wunde im Gesicht des Klägers sei „wahrscheinlich“ durch die langen Fingernägel des Nebenklägers hervorgerufen worden, so zutreffend sein kann. Dies widerspricht jeder praktischen Lebenserfahrung. Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Denn selbst dann, wenn der angreifende Nebenkläger unbewaffnet war, war die Tathandlung des Angeklagten, wie noch auszuführen ist (s. unten Ziffer 2.), von Notwehr gedeckt.

c)

Die Beweiswürdigung ist ansonsten frei von revisionsgerichtlich relevanten Fehlern. Insbesondere hat die Strafkammer die besonderen Anforderungen an die Beweiswürdigung in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ berücksichtigt. In einer solchen Beweissituation – sie war vorliegend aufgrund der berechtigten Zeugnisverweigerung der Zeugin G. zu bejahen – müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH NStZ 2000, 496 mwN; OLG Koblenz NStZ-RR 2005, 79). Dies ist vorliegend geschehen; die Strafkammer hat alle ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel, namentlich das Einlassungsverhalten des Angeklagten, die Aussage des Nebenklägers, das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung sowie die näheren Tatumstände, hinreichend erschöpft und bei der Würdigung herangezogen.

2.

Auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte jedoch freizusprechen. Die von ihm begangene gefährliche Körperverletzung, deren tatbestandliche Voraussetzungen die Strafkammer zutreffend bejaht hat, war durch Notwehr gemäß § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigt.

Notwehr ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren. Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen der Strafkammer vor.

a)

Der Nebenkläger hat den Angeklagten mit einem Faustschlag ins Gesicht angegriffen und damit dessen körperliche Unversehrtheit verletzt. Dass es sich hierbei um einen rechtswidrigen, also im Widerspruch zur Rechtsordnung stehenden (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 32 Rdnr. 20 mwN) Angriff handelte, kann keinem Zweifel unterliegen und bedarf keiner weiteren Ausführung.

b)

Dieser Angriff war zum Zeitpunkt der Verteidigungshandlung des Angeklagten, dem Stich mit dem Messer, auch noch gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Gegenwärtigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn eine Rechtsgutverletzung unmittelbar bevorsteht, das Verhalten des Angreifenden also jederzeit in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann (vgl. Fischer, aaO, § 32 Rdnr. 17). Zwar war der erste Faustschlag des Nebenklägers und damit die tatbestandlich gegebene Körperverletzung zum Nachteil des Angeklagten bereits vollendet; dies lässt die Gegenwärtigkeit des Angriffs jedoch nicht entfallen. Ein Angriff bleibt gegenwärtig, solange die Gefahr einer Rechtsgutverletzung oder deren Vertiefung andauert und noch abgewendet werden kann; er dauert auch dann fort, wenn eine Wiederholung einer Verletzungs- oder Angriffshandlung unmittelbar zu befürchten ist (BGH NStZ 2006, 152 <153>; Fischer, aaO). Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestandes abzuwenden; sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist (vgl. BGHSt 48, 207, zit. n. Juris Rdnr. 8).

So liegt der Fall hier: Der Angeklagte musste aufgrund des Verhaltens des Nebenklägers, der ihn auch früher schon grundlos tätlich angegriffen hatte, nach dessen erstem Faustschlag damit rechnen, dass dieser weiter zuschlagen werde. Davon, dass sich der Nebenkläger nur auf einen einzigen Schlag beschränken werde, konnte der Angeklagte nach den konkreten Tatumständen – entgegen der Auffassung der Strafkammer – nicht ausgehen. Der Nebenkläger war ihm gefolgt, um die verbale Auseinandersetzung vor dem Einkaufsmarkt tätlich fortzusetzen. Er begann seinen Angriff unmittelbar mit einer ernstzunehmenden Tätlichkeit, einem Schlag ins Gesicht, der eine blutende Gesichtswunde beim Angeklagten verursachte. Aus dieser Situation ergibt sich kein objektiver Anhalt für die Annahme, der aggressive Nebenkläger habe sich auf einen einzigen Schlag beschränken wollen. Sein Angriff dauerte daher mit der für § 32 Abs. 2 StGB erforderlichen Gegenwärtigkeit fort.

c)

Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen ist auch das subjektive Rechtfertigungselement in Gestalt eines Verteidigungswillens zu bejahen. Dies erfordert, dass der Täter den Angriff als solchen und seine Rechtswidrigkeit erkennt und durch seine Tat der Rechtsverletzung entgegentreten will (vgl. Fischer, aaO, Rdnr 25 mwN). Soweit die Strafkammer in ihrer rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, der Verteidigungswille fehle, weil der Angeklagte, aufgestachelt von seiner Lebensgefährtin, den Angriff des Nebenklägers genutzt habe, um diesen zu verletzen, setzt sie sich mit ihren eigenen Feststellungen zur inneren Tatseite in Widerspruch. Denn auf Seite 5 des Urteils stellt sie fest, dass der Angeklagte, nachdem er von dem Nebenkläger von hinten angerufen worden war, einen ähnlichen Hergang wie bei ihrer ersten Begegnung, also einen grundlosen tätlichen Angriff des Nebenklägers, für möglich hielt und sich deswegen dadurch wappnete, dass er seine Einkaufstaschen abstellte, sein Messer hervorzog und dieses öffnete. Diese Feststellung belegt aber gerade, dass sich der Angeklagte verteidigen wollte. Auch aus den weiteren Feststellungen ergibt sich nichts anderes. Der Angeklagte hatte eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger nicht gesucht, sondern wollte ihr aus dem Weg gehen. Die Initiative für die Tätlichkeiten ging allein vom Nebenkläger aus. Selbst wenn der Angeklagte über dessen Verhalten wütend und erregt gewesen wäre und dem Nebenkläger einen Denkzettel verpassen wollte, entfiele sein Verteidigungswille dadurch nicht. Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht aus; eine Rechtfertigung kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt werden, solange diese den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. BGHSt 48, 207, zit. n. Juris Rdnr. 24 mwN); dies gilt auch, wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt (vgl. BGH NStZ 1996, 29, zit. n. Juris Rdnr. 12 mwN). Für die Annahme, der Angeklagte habe den Messerstich gegen den Nebenkläger in erster Linie in Vergeltungs- und Verletzungsabsicht geführt, bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt.

d)

Die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung war – entgegen der Auffassung der Strafkammer und der Generalstaatsanwaltschaft – im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB auch erforderlich.

aa) In einer mehrphasigen Auseinandersetzung hängt das Vorliegen von Notwehr entscheidend davon ab, wie sich die Kampflage im Zeitpunkt des Einsatzes des Verteidigungsmittels objektiv und vor allem in der Vorstellung des Täters darstellt. Der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird insbesondere durch Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers sowie die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (vgl. BGH NJW 1989, 3027, zit. n. Juris Rdnr. 7 mwN). Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, welches er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt grundsätzlich auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel, wie etwa den Gebrauch eines Messers, ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Mittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist (vgl. BGH NStZ 2002, 140, zit. n. Juris Rdnr. 8 mwN). Das Gesetz verlangt von keinem, der rechtswidrig angegriffen wird, ohne dass er den Angriff schuldhaft verursacht hat, dass er unter Preisgabe seiner Ehre oder anderer berechtigter Belange die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, welche das Notwehrrecht einschränken (vgl. BGH NJW 1980, 2263, zit. n. Juris Rdnr. 8). Ein nicht bloß geringes Risiko, dass ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels bleibt, braucht der Angegriffene zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen; auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss er sich nicht einlassen (vgl. BGHSt 48, 207, zit. n. Juris Rdnr. 20; BGH NStZ 2001, 591 mwN.). Auch findet eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (vgl. BGHSt 48, 207, zit. n. Juris Rdnr. 23 mwN), so dass es zulässig ist, die bloße körperliche Unversehrtheit durch den Einsatz eines lebensgefährlichen Mittels zu verteidigen.

Allerdings hat der Verteidigende grundsätzlich, wenn ihm mehrere Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen und er Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit hat, dasjenige Mittel zu wählen, das für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Ist der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, dass er den Einsatz der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt (BGHSt 48, 207, zit. n. Juris Rdnr. 20 mwN, BGH NStZ 2001, 591 <592>). Ob es dem Angegriffenen möglich war, etwa für einen Messerstich eine minder gefährdete Körperstelle zu wählen, richtet sich nach der konkreten Kampflage, also insbesondere nach den Kräfteverhältnissen der Kontrahenten, der dem Angegriffenen von dem Angreifer drohenden Gefahr und seinen eigenen Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. BGH NStZ 1998, 508, zit. n. Juris Rdnr. 14 m.w.N.).

bb) Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabes war der zur Verteidigung seiner körperlichen Unversehrtheit geführte Messerstich des Angeklagten in den Bauch des Nebenklägers ein geeignetes und im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB auch erforderliches Mittel. Der Angeklagte sah sich, obwohl er der Auseinandersetzung aus dem Weg hatte gehen wollen, einem ihn verfolgenden Angreifer gegenüber, der sich nicht scheute, körperliche Gewalt einzusetzen und bereits einmal zugeschlagen hatte. Bei einer solchen Ausgangslage gilt der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. Der Angeklagte durfte sich wie geschehen verteidigen, insbesondere den Nebenkläger zwingen, mit den Tätlichkeiten aufzuhören und ihn gehen zu lassen. Dass dies am ehesten durch den Einsatz des Messers zu erreichen war, liegt auf der Hand. Der Angeklagte hatte die Auseinandersetzung weder gesucht noch sich ihr gewollt und leichtfertig ausgesetzt; er war ihr vielmehr aus dem Weg gegangen. Er war schon einmal von dem Nebenkläger grundlos geohrfeigt worden und musste nicht hinnehmen, einen weiteren Faustschlag ins Gesicht zu erleiden. Der Angeklagte hatte das Messer auch nicht versteckt gehalten, um den Nebenkläger zu täuschen und eine fehlende Bewaffnung vorzuspiegeln; nur weil die Lichtverhältnisse es nicht zuließen, konnte der Nebenkläger das Messer in der Hand des Angeklagten nicht wahrnehmen. Umgekehrt konnte er selbst angesichts der Lichtverhältnisse und der ihm bereits zugefügten Gesichtswunde nicht sicher sein, dass der Nebenkläger unbewaffnet war. So wie ihm die Auseinandersetzung aufgezwungen wurde, durfte der Angeklagte mit einem Messer gewappnet sein. Das durch den Einsatz dieser nicht ungefährlichen Waffe für den Nebenkläger gegebene hohe Verletzungsrisiko musste der Angeklagte nicht meiden (vgl. BGH NJW 1980, 2263, zit. n. Juris Rdnr. 13).

In der gegebenen Kampfsituation, in der er bereits einen Faustschlag erhalten hatte und weitere Schläge zu befürchten waren, bestand für ihn auch keine Gelegenheit, den Einsatz des Messers anzudrohen oder darüber nachzudenken, ob eine Abwehr ohne Einsatz des Messers den Angriff genauso gut hätte abwehren können. In dieser Lage, die eine schnelle und endgültige Beseitigung der Gefahr erforderte, brauchte sich der Angeklagte nicht auf Mittel und Möglichkeiten verweisen lassen, deren Abwehrerfolg ungewiss war. Insbesondere war er nicht gehalten, dem rechtswidrigen Angreifer gegenüber mit gleichen Mitteln, also mit den Fäusten, zurückzuschlagen oder gar zurückzuweichen und zu flüchten.

Ein Fall des Missbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts (sog. Bagatellfälle) liegt ebenso wenig vor wie der einer Notwehrprovokation.

Nach alledem war seine Tat durch Notwehr gerechtfertigt.

III.

Der Senat erachtet die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so dass das angefochtene Urteil gemäß §§ 353 Abs. 1, 349 Abs. 4 StPO im Beschlusswege aufzuheben war.

Da auszuschließen ist, dass weitergehende Feststellungen zur Sache getroffen werden können, entscheidet der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst und spricht den Angeklagten aus Rechtsgründen frei.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.

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