OLG Celle, Az.: 32 Ss 176/14, Urteil vom 26.11.2014
Die Revision wird verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Angeklagten am 10.02.2014 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner Berufung und dem Ziel eines Freispruchs. Die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover hob darauf das amtsgerichtliche Urteil auf und sprach den Angeklagten insgesamt frei.
II.
2. Die Strafkammer hat wie zuvor das Amtsgericht die vorgeworfene Beteiligung des Angeklagten an dem Diebstahl der Fernseher als nicht erwiesen erachtet.
Sie hat den Freispruch im Übrigen damit begründet, das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten sei durch Notwehr gerechtfertigt. Hieran ändere auch nichts, dass die Geschädigte irrtümlich davon ausging, der Angeklagte habe sich an dem vorangegangenen Diebstahl beteiligt und sie sei zu seiner Festnahme berechtigt. Ein solcher Erlaubnistatbestandsirrtum der Geschädigten lasse die Rechtswidrigkeit ihres Tuns und damit das Notwehrrecht des Angeklagten nicht entfallen.
III.
1. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechtes rügt.
a) Sie macht geltend, ein Festnahmerecht nach § 127 Abs. 1 StPO bestünde schon dann, wenn die erkennbaren äußeren Umstände einen Tatverdacht nahe legten. Dafür spreche insbesondere, dass der Bürger in Wahrnehmung des Festnahmerechts öffentliche Strafverfolgungsinteressen wahrnehme und sein Handeln daher der Allgemeinheit zu Gute komme. Es sei daher unbillig, ihm das Risiko eines schuldlosen Irrtums aufzubürden. Auch kenne die Strafprozessordnung ihrer Systematik nach lediglich den Beschuldigten und nicht den Täter. Zudem gebiete das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung ein Festnahmerecht bereits bei Vorliegen eines sich aus den äußeren Umständen ergebenden Tatverdachts.
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b) Daneben sei das Schlagen der Geschädigten ohnehin nicht gerechtfertigt, da nicht erkennbar sei, dass es sich um das mildeste und effektivste Mittel gegen den Angriff der Zeugin B. gehandelt habe und nicht vielmehr ein einfaches Losreißen und Davonlaufen genügt hätte.
c) Ferner hält sie die Urteilsfeststellungen zur Festhaltesituation für unzureichend bzw. für nicht nachvollziehbar.
2. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen und in der Hauptverhandlung beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückzuverweisen.
IV.
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der allein erhobenen Sachrüge keinen Erfolg.
1.a) Es ist umstritten, ob das Festnahmerecht nach § 127 Abs. 1 StPO eine tatsächlich vom Festgehaltenen begangene Tat voraussetzt (so KG Berlin, VRS 45, 35; OLG Hamm NJW 1972, 1826; NJW 1977, 590, 591; Meyer-Goßner / Schmitt § 127 Rn. 4) oder ob es bereits ausreicht, dass die erkennbaren äußeren Umstände nach der Lebenserfahrung ohne vernünftigen Zweifel den Schluss auf eine rechtswidrige Tat zulassen (so BGH, 6. Zivilsenat, NJW 1981, 745 ff.; BayObLG MDR 1986, 956 f.; OLG Stuttgart Justiz 1990, 372; OLG Koblenz VR 2009, 32; OLG Zweibrücken NJW 1981, 2016; OLG Hamm, NStZ 1998, 370; KK-Schultheis, § 127 Rn. 9). Für die erstgenannte Auffassung sprechen der Wortlaut der Vorschrift und die rechtspolitische Überlegung, dass einem Unschuldigen das Notwehrrecht gegen freiheitsbeschränkende Angriffe von Privatpersonen zustehen muss.
Danach hätte der Angeklagte hier sein Notwehrrecht behalten und wäre deshalb wegen der Verletzungen der Zeugin B. gerechtfertigt.
b) Selbst wenn man jedoch mit der in der Rechtsprechung mittlerweile vorherrschenden zweiten Auffassung meint, schon ein dringender Tatverdacht reiche aus, um eine andere Person festhalten zu dürfen, wäre das Notwehrrecht des Angeklagten nicht entfallen, denn ein dringender Tatverdacht der Beihilfe zum Diebstahl lag gegen ihn nicht vor. Der Verdacht gegen ihn war allein durch einen Ausruf der Zeugin K. an der Kasse des Ladengeschäftes entstanden, die lediglich auf Grund des auffälligen Aufenthalts des Angeklagten im Eingangsbereich auf seine Beteiligung geschlossen hatte, ohne dass die Zeugin B. selbst Beobachtungen gemacht hatte, die den Angeklagten belasteten.
c) Damit kommt es im Ergebnis nicht darauf an, welcher Auslegung des Merkmals der „Tat“ i.S.d. § 127 Abs. 1 StPO man beipflichtet. Nach beiden Auffassungen bestand keine Berechtigung der Zeugin B., den Angeklagten festzuhalten.
d) Es kommt auch nicht darauf an, welche Vorstellungen sich die Zeugin B. über ein Festnahmerecht machte, sondern ob nach den objektiven Umständen bei einer Betrachtung ex ante ein dringender Tatverdacht vorlag. Den Vorstellungen der Zeugin B. wäre nur dann nachzugehen gewesen, wenn ihr Verhalten strafrechtlich zu überprüfen gewesen wäre.
2. Soweit die Revision noch rügt, der Angeklagte hätte andere, mildere Mittel zu seiner Verteidigung wählen müssen, bleibt sie die Begründung schuldig, was dies noch hätte sein sollen. Nach den Feststellungen des Urteils versuchte der Angeklagte sich zunächst durch Worte und Anschreien zu befreien, dann versuchte er die Zeugin wegzudrücken, sich loszureißen und schlug sie erst, nachdem dies keinen Erfolg hatte. Es ist nicht erkennbar, welches mildere Mittel er sonst noch hätte wählen können, um sich zu befreien.
Nach allem war er durch Notwehr gerechtfertigt, § 32 StGB.
Da er sich dabei abgestuft und äußerst moderat gegen das objektiv rechtswidrige Verhalten der Geschädigten zur Wehr setzte, besteht insbesondere auch kein unerträgliches Missverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der Verteidigungshandlung, welches die Gebotenheit der Notwehr ausnahmsweise entfallen und dem Angeklagten die Duldung seiner Festnahme zumutbar erscheinen lassen könnte (vgl. dazu Fischer, StGB mit Nebengesetzen, 61. Auf., § 32 Rn. 39; BayObLG a.a.O.).
V.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs.1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO.
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