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Festkleben auf der Fahrbahn Klimaaktivist – Nötigung – Rechtfertigung, Widerstand

Beschwerde erfolgreich: Hauptverfahren gegen Straßenblockade-Aktivistin wird eröffnet

Eine Straßenblockade-Aktivistin aus Berlin wird verdächtigt, wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 und 2 StGB verurteilt zu werden. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragt, während das Amtsgericht Tiergarten diese ablehnte. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft war nun erfolgreich.

Hinreichender Tatverdacht einer Nötigung

Die Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ am 05.10.2022 auf der Kreuzung pp. in Berlin pp. hat den Verkehr zeitweise stillgelegt. Die Aktivistin wird verdächtigt, sich auf die Fahrbahn gesetzt und ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn geklebt zu haben, um die Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte zu erschweren. Das Amtsgericht Tiergarten sah den hinreichenden Tatverdacht einer Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB nicht als gegeben an, doch die Staatsanwaltschaft Berlin argumentierte, dass eine Straßenblockade Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB darstellt und das Vorliegen von Gewalt mindestens physisch ausgeübten und psychisch wirkenden Zwang voraussetzt.

Verwerflichkeit der Blockadeaktion

Das Amtsgericht Tiergarten hatte auch keine rechtswidrige Anwendung der Gewalt festgestellt. Doch die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass das Festkleben auf der Fahrbahn eine durch den Sekundenkleber bewirkte Kraftäußerung der Aktivistin darstellt, die das Wegtragen durch die eingesetzten Polizeibeamten erschwerte. Eine umfassende Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Grundrechte der betroffenen Dritten zeigt, dass die vorliegende Blockadeaktion als verwerflich anzusehen ist. Das Recht der Versammlungsfreiheit der Protestierenden tritt hierbei zurück.

Kein rechtfertigender Notstand

Die Ausführungen der Aktivistin hinsichtlich ihrer Motivation zu den ihr vorgeworfenen Taten vermögen den hinreichenden Tatverdacht nicht zu beseitigen und insbesondere keinen rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB zu begründen. Die Kammer ist nicht befugt, einen Strafbefehl zu erlassen, deshalb wurde der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 534 Qs 80/22 – Beschluss vom 21.11.2022

Der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 05.10.2022 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Tiergarten ist die Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig, sodass nach § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens anzuordnen ist. Nach Aktenlage besteht die erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass die Angeschuldigte wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 und 2 StGB verurteilt werden wird.

Der Angeschuldigten wird vorgeworfen, sich am pp. in der Zeit von ca. 8:00 Uhr bis 09:16 Uhr im Rahmen der Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf die Fahrbahn der Kreuzung pp. in pp. Berlin pp. gesetzt zu haben, um die auf der betreffenden Straße befindlichen Fahrzeugführenden bis zur Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Zudem soll die Angeschuldigte ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn geklebt und dadurch die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade erschwert haben.

Der hinreichende Tatverdacht einer Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB liegt vor.

Festkleben auf der Fahrbahn Klimaaktivist – Nötigung - Rechtfertigung, Widerstand
(Symbolfoto: Gabor Tinz/Shutterstock.com)

Eine Straßenblockade stellt Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar. Das Nötigungsmittel der Gewalt setzt eine körperliche Tätigkeit voraus, durch die körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Dem Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 Abs. 2 GG folgend setzt das Vorliegen von Gewalt mindestens physisch ausgeübten und psychisch wirkenden Zwang voraus. Nach der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 20.07.1995 – 1 StR 126/95) errichten Demonstranten bei einer Straßenblockade für die in der ersten Reihe haltenden Fahrzeugführer zwar nur ein psychisch wirkendes Hindernis, das nicht als Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu werten ist. Alle nachfolgenden ebenfalls an der Weiterfahrt gehinderten Fahrer werden jedoch durch unüberwindbare physische Hindernisse, nämlich die Fahrzeuge vor und hinter ihnen, an der Weiterfahrt gehindert.

Der von der Angeschuldigten angestrebte Nötigungserfolg, der temporären Stilllegung des Verkehrs, ist durch die Blockade eingetreten. Auch lag ein entsprechender Vorsatz der Angeschuldigten vor.

Darüber hinaus handelte die Angeschuldigte rechtswidrig. § 240 Abs. 2 StGB legt fest, dass die Tat rechtswidrig ist, wenn die Anwendung der Gewalt zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Hier ist eine umfassende Gesamtwürdigung vorzunehmen, wobei grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen von besonderer Bedeutung sind. Vorliegend kommt zwar der in Artikel 8 Abs. 1 GG verankerten Versammlungsfreiheit der Angeschuldigten sowie der weiteren Aktionsteilnehmer besondere Bedeutung zu. Hierbei haben aber Fernziele der Aktivisten außer Betracht zu bleiben. Ebenso findet keine Bewertung ihres Anliegens statt. Bewertungsmaßstab sind hingegen Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte, Dauer und Intensität der jeweiligen Aktion sowie insbesondere auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90). Angesichts der Vielzahl der an der Weiterfahrt gehinderten Personen, der fehlenden konkreten Ankündigung der Aktion unter Nennung von genauer Zeit und Ort und des Umstandes des Fehlens eines konkreten Sachbezuges zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Autofahrern und dem Protestgegenstand stellt sich die vorliegende Blockadeaktion als verwerflich dar. Die Versammlungsfreiheit der Protestierenden tritt demgegenüber zurück. Ein Recht, im Rahmen von Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden und Instrumentalisierung Dritter öffentliche Aufmerksamkeit zu erzwingen, besteht nicht (BGH, NStZ 1988, 362 f.).

Zudem besteht auch der hinreichende Tatverdacht eines Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB.

Die tatbestandsmäßige Widerstandshandlung kann in jedem gegen die Vollstreckungsbeamten gerichteten Verhalten bestehen, das zumindest subjektiv geeignet erscheint, die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme zu vereiteln oder mindestens zu erschweren, wobei Gewalt im Sinne dieser Vorschrift eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung erfordert, die gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet ist. Das Festkleben auf der Fahrbahn stellt gegenüber den Polizeibeamten eine durch den Sekundenkleber bewirkte Kraftäußerung der Angeschuldigten dar, die das Wegtragen der Angeschuldigten durch die eingesetzten Polizeibeamten erschwerte, da die Beschaffung eines Lösungsmittels sowie dessen vorsichtige Anwendung durch die Beamten zur Vermeidung einer Verletzung der zu lösenden Hand erforderlich war, wenngleich der Lösungsvorgang nur ca. zehn Minuten andauerte. An der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der vor Ort tätig gewordenen Polizeibeamten besteht keinerlei Zweifel.

Die Ausführungen der Angeschuldigten hinsichtlich ihrer Motivation zu den ihr vorgeworfenen Taten vermögen den hinreichenden Tatverdacht nicht zu beseitigen und insbesondere keinen rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB zu begründen.

Da die Kammer selbst nicht befugt ist, einen Strafbefehl zu erlassen, war der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. BeckOK StPO/Temming, 42. Edition Stand 01.01.2022, § 408 Rn. 8). Vorliegend ist eine unvoreingenommene Verhandlung nur vor einem anderen Spruchkörper zu erwarten, da aufgrund der umfangreichen Ausführungen in dem Beschluss vom 05.10.2022 zu besorgen ist, dass das Ausgangsgericht die dem Nichteröffnungsbeschluss zu Grunde liegende Bewertung so verinnerlicht hat, dass es selbst von der anderslautenden Beschwerdeentscheidung nicht mehr zu überzeugen ist (vgl. BeckOK StPO/Ritscher, ebd., § 210 Rn. 10).

Aufgrund dessen, dass die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin zur Aufhebung des Beschlusses mitsamt der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung zu einer neuen Entscheidung führt, ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Die Kosten des zuungunsten der Angeschuldigten eingelegten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft gehören zu den Verfahrenskosten, die die Angeschuldigte im Falle ihrer Verurteilung durch Strafbefehl oder durch Urteil nach einer Hauptverhandlung nach § 465 StPO zu tragen hat. Eine Entlastung von ihren notwendigen Auslagen kommt insoweit nicht in Betracht (vgl. LG Ingolstadt, Beschluss vom 07.04.2022 – 2 Qs 40/22 m.w.N.).

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