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Fahren ohne Fahrerlaubnis – Anerkennung eines gefälschten umgeschriebenen EU-Führerscheins

OLG München – Az.: 4 St RR 95/12 – Urteil vom 04.07.2012

I. Der Schuldspruch des Urteils des Landgerichts Augsburg vom 21. Dezember 2011 wird wie folgt neu gefasst:

– der Angeklagte ist schuldig des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 245 tatmehrheitlichen Fällen und

– des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 39 tatmehrheitlichen Fällen.

II. Mit den verhängten Gesamtfreiheitsstrafen von 1 Jahr 2 Monaten (unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von 5 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 [Az.: 8 Ds 305 Js 121626/08]) und von 10 Monaten (unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von 3 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11.1.2010 [Az.: 8 Ds 304 Js 112750/09]) und im Übrigen hat es sein Bewenden.

III. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Dezember 2011 wird als unbegründet verworfen.

IV. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Schöffengericht – Augsburg hat den Angeklagten am 10.11.2010 wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 285 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 3 Monaten verurteilt, darüber hinaus angeordnet, dass die Verwaltungsbehörde dem Angeklagten für die Dauer von 2 Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf, und hat den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 4.5.2009, D-7090-0095-73-09/0 aufgehoben (§ 267 Abs. 1 3. Alternative StGB, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, § 53 StGB, § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB, §§ 86 Abs. 1, 102 Abs. 2 OWiG).

Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Augsburg durch Urteil vom 21.12.2011 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 245 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig ist und deswegen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von 5 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 (Az.: 8 Ds 305 Js 121626/08) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten verurteilt wird und der Angeklagte weiter des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 39 tatmehrheitlichen Fällen schuldig ist und deswegen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von 3 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11.1.2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wird. Daneben hat das Landgericht die Bußgeldbescheide der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 4.5.2009 (D-7090-0095-73-09/0) und vom 10.3.2008 (D-7090-009515-08/5) aufgehoben. Darüber hinaus hat es angeordnet, dass die Verwaltungsbehörde dem Angeklagten für die Dauer von 2 Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Das Landgericht hat zudem den Führerschein Nr. 00045/07/2411, ausgestellt am 9.3.2007 von der Republik Polen, eingezogen.

Dem Schuldspruch hat das Landgericht folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:

„Dem Angeklagten wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 05.01.2004 in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 23.03.2004, rechtskräftig seit 31.03.2004, Az.: 4 Cs 605 Js 139385/03, die Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr entzogen; die Sperrfrist wurde bis 22.03.2005 festgesetzt.

Fahren ohne Fahrerlaubnis – Anerkennung eines gefälschten umgeschriebenen EU-Führerscheins
Symbolfoto: Von Photographee.eu/Shutterstock.com

Um nicht die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland beantragen zu müssen, beschaffte sich der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 11.01.2007 einen gefälschten belgischen Führerschein mit der Nummer xxx, welcher ein Ausstellungsdatum 18.05.1998 und als ausstellende Behörde die Kommune Brüssel aufwies. Wie der Angeklagte wusste, handelte es sich bei diesem angeblichen belgischen Führerschein um eine Fälschung. Der Angeklagte legte dieses Falsifikat am 11.01.2007 der Führerscheinstelle beim Landratsamt in Ratibor/Polen vor und beantragte dort den Umtausch des angeblich echten belgischen Führerscheins und die Ausstellung eines polnischen Führerscheins. Im Vertrauen auf die Echtheit des vom Angeklagten vorgelegten angeblichen belgischen Führerscheins stellte das Landratsamt Ratibor/Polen dem Angeklagten am 12.01.2007 einen polnischen Führerschein aus. Nach einer Verlustmeldung und Diebstahlsanzeige in Großbritannien, Brislington/Bristol, beantragte der Angeklagte am 09.03.2007 beim Landratsamt Ratibor die Ausstellung eines Ersatzführerscheines für den verlustig gemeldeten Führerschein. In Fortwirkung der ursprünglichen Täuschung vom 11.07.2007 stellte das genannte Landratsamt am selben Tag dem Angeklagten einen Ersatzführerschein mit der Nummer 00045/07/2411 aus.

Dieser polnische Führerschein, der vom Angeklagten durch Täuschung erschlichen worden war und der seinerseits auf einer in Belgien niemals erteilten Fahrerlaubnis beruhte, berechtigte den Angeklagten, wie dieser weiß, nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet. Dennoch fuhr der Angeklagte im Zeitraum vom 28.12.2006 bis 14.03.2008 als selbständiger Transportunternehmer mit der Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen xxx nebst Sattelzugflieger, amtliches Kennzeichen xxx, sowie mit dem Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xxx in 135 Fällen auf öffentlichen Straßen im Bundesgebiet. Ab dem 25.04.2008 war der Angeklagte als angestellter Fahrer der Firma xxx in K. tätig. Im Zeitraum vom 25.04.2008 bis 04.10.2008 führte der Angeklagte für die Firma xxx insgesamt 110 Fahrten im Bundesgebiet mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xxx durch. Vom 01.12.2008 bis 04.05.2009 führte der Angeklagte in 39 Fällen als selbständiger Transportunternehmer bzw. als Subunternehmer für die Firma xxx in N. mit dem Lkw, amtliches Kennzeichen xxx bzw. mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xxx Fahrten ohne Fahrerlaubnis im Bundesgebiet durch.

Bei all diesen Fahrten war der Angeklagte, wie er wusste, nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis.

Durch die Taten hat sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fahrten:“

Im Anschluss an diesen festgestellten Sachverhalt folgt eine Auflistung der einzelnen festgestellten Fahrten (BU S. 15 /23).

Die Strafzumessung hat das Landgericht unter VI. der Urteilsgründe (BU S. 31 f.) wie folgt begründet:

„1.

Die gegen den Angeklagten zu verhängenden Strafen sind dem Strafrahmen ……… des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, der Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe vorsieht, zu entnehmen.

Bei der konkreten Strafzumessung sprach zu Gunsten des Angeklagten, dass er die einzelnen Fahrten über seinen Verteidiger einräumen ließ und der Angeklagte in stabilen sozialen Beziehungen lebt, ferner, dass der Tatbeginn am 28.12.2006 und auch das Ende des Tatzeitraums am 04.05.2009 längere Zeit zurückliegen.

Zu Lasten des Angeklagten musste sich auswirken, dass er zu Beginn der Taten ab 28.12.2006 bereits 11 Voreintragungen, darunter auch einschlägige (Ziffer 8, 6 des BZR) hatte. Der Angeklagte hat sich durch die zahlreichen Verurteilungen zu Geldstrafen (Ziffer 7-11 des BZR) nicht beeindrucken lassen. Zudem ist seine Rückfallgeschwindigkeit hoch. Er wurde zuletzt am 13.10.2011 wegen vorsätzlicher Körperverletzung rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung und Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25,00 € verurteilt und beging die neuen Taten am 28.12.2006. Dies unterscheidet ihn vom durchschnittlichen Täter. Es kann auf ihn nur durch die Verhängung der schwersten Straftat eingewirkt werden. Es liegen somit in der Persönlichkeit des Angeklagten besondere Umstände vor, die die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf ihn unerlässlich machen (§ 47 Abs. 1 StGB).

Zu Lasten des Angeklagten sprach ferner, dass der illegale Erwerb des Führerscheins zum professionellen Betrieb eines Transportgewerbes diente und sich die Fahrten über einen langen Zeitraum erstreckten.

……………für die 245 Fahrten ohne Fahrerlaubnis bis zum Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 Einzelstrafen von jeweils 1 Monat und

für die 39 Fahrten danach Einzelstrafen von jeweils 2 Monaten für tat- und schuldangemessen. Bei den 39 Fahrten hat die Kammer fiel strafschärfend ins Gewicht, dass der Angeklagte ab der Verurteilung des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung in zwei Fällen unter offener Bewährung stand.

2.

Bei der Bildung der Gesamtstrafe hat die Kammer einen Härteausgleich vorgenommen, da der Angeklagte die Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 20,00 € aus der nachträglich durch Beschluss gebildeten Gesamtstrafe vom 29.04.2008 (Ziffer 14 des BZR) vollständig bezahlt hat.

Die Freiheitsstrafe von 5 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 war einzubeziehen. Bei der Bildung der Gesamtstrafe ist die Kammer von der Einsatzstrafe von 6 Monaten für die Urkundenfälschung ausgegangen. Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte, die bereits bei der konkreten Strafzumessung geschildert worden sind und auf die verwiesen wird, hat die Strafkammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten für tat- und schuldangemessen gehalten. Der Strafkammer war hierbei bewusst, dass es sich bei den Fahrten ohne Fahrerlaubnis um Serientaten handelt und die Strafobergrenze des § 21 Abs. 1 StVG 1 Jahr ist. Abzustellen war auf das Gesamtgewicht der Taten. Hierbei hat die Kammer den engen, zeitlichen, sachlichen und situativen Zusammenhang der einzelnen Fahrten gesehen. Zu Lasten des Angeklagten sprach jedoch die Tatbegehung als Berufskraftfahrer und die sich daraus ergebende hartnäckige Tatwiederholung in schneller Folge, so dass die Einsatzstrafe von 6 Monaten stark erhöht worden ist.

Bei der Bildung der Gesamtstrafe für die 39 nach der Verurteilung des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 liegenden Taten hat die Kammer einen Härteausgleich aufgrund der Zahlung der 120 Tagessätze zu je 10,00 € Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 23.09.2010 vorgenommen. Einzubeziehen war die Freiheitsstrafe von 3 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11.01.2010.

Die Strafkammer hat unter starker Erhöhung der Einsatzstrafe von 2 Monaten eine Gesamtstrafe von 10 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet, wobei bei der Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte auf die im Rahmen der konkreten Strafzumessung bereits geschilderten Umstände, die auch hier maßgeblich sind, verwiesen wird. Abzustellen war auf das Gesamtgewicht der Taten. Hierbei hat die Kammer den engen, zeitlichen, sachlichen und situativen Zusammenhang der einzelnen Fahrten und auch den zahlenmäßig geringeren Umfang der Fahrten (39) gesehen. Zu Lasten des Angeklagten sprach jedoch die Tatbegehung in offener Bewährung als Berufskraftfahrer und die sich fortsetzende hartnäckige Tatwiederholung in schneller Folge, so dass die Einsatzstrafe von 2 Monaten stark erhöht worden ist.

3.

Das umfassende Bild, das die Strafkammer von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat, steht einer Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung entgegen (§ 56 Abs. 1 StGB).

Dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, kann nicht erwartet werden. Diese prognostische Zukunftsbeurteilung ist auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtbewertung von den Taten und der Täterpersönlichkeit vorgenommen worden, und zwar unter Berücksichtigung aller im Rahmen der konkreten Strafzumessung bereits geschilderten Umstände, auf die verwiesen wird und die auch für die Sozialprognose erheblich sind. Das Vorleben des Angeklagten und die hohe Rückfallgeschwindigkeit sprechen gegen eine günstige Sozialprognose. Der Angeklagte ist in Bezug auf das Delikt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis weiterhin sehr labil. Das Transportgewerbe ruht lediglich. Ein grundlegender Einstellungswandel ist nicht erkennbar.

Die Strafkammer ist nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass der Angeklagte nur durch die Einwirkung des Strafvollzugs von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden kann.“

Gegen dieses Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21.12.2011 wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision vom 22.12.2011, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt wird. Die Feststellungen ließen die Überzeugung nicht zu, dass dem Angeklagten wenigstens mit bedingtem Vorsatz bekannt gewesen sein, dass es sich um ein Falsifikat gehandelt hatte. Der durch die Vorlage des Falsifikats erworbene polnische Führerschein habe anerkannt werden müssen. Für den Fall, dass er nicht freigesprochen oder die Sache aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen werde, beantragt der Angeklagte, das Verfahren auszusetzen und es dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung des Verteidigers vom 23.3.2012 Bezug genommen.

Der Senat hat im Rahmen der Revisionshauptverhandlung mit Beschluss vom heutigen Tag auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit dem Angeklagten ein Vergehen der Urkundenfälschung zur Last lag, weil die Strafe zu der die Verfolgung führen kann neben den Strafen, die wegen der Vielzahl der vorsätzlich begangenen Vergehen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängt wurden, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.

II.

A)

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund des Revisionsvorbringens hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in ihrer Antragsschrift vom 22.5.2012, die auch durch die Erwiderung der Verteidigung vom 6.6.2012 nicht entkräftet wird, Bezug genommen.

B)

Ergänzend sieht sich der Senat zu folgenden Bemerkungen veranlasst:

1. Soweit der Verteidiger vorträgt, dem Angeklagte sei möglicherweise nicht bekannt gewesen, dass es sich bei dem belgischen Führerschein um ein Falsifikat gehandelt habe, wird dies durch die Feststellungen widerlegt, wonach ausgeführt wird „beschaffte sich der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 11.01.2007 einen gefälschten belgischen Führerschein mit der Nummer… . Wie der Angeklagte wusste, handelte es sich bei diesem angeblichen belgischen Führerschein um eine Fälschung.“ (BU s. 13).

Diese Feststellungen hätte der Angeklagte nur mit formellen Rügen angreifen können. Dies hat er unterlassen. Mit den von ihm ausschließlich erhobenen materiellen Rügen lassen sich die getroffenen tatrichterlichen Feststellungen nicht mehr beseitigen. Sie sind für den Revisionssenat bindend.

2. Soweit in diesem Zusammenhang „es sei keineswegs lebensfremd zu unterstellen, dass der belgische Führerschein von einem Angestellten der belgischen Straßenverkehrsbehörde formell ordnungsgemäß ausgestellt und lediglich nicht ordnungsgemäß registriert worden war, so dass man in Belgien darauf, also aus der materiellen Unrichtigkeit die Schlussfolgerung einer Fälschung abgeleitet hatte“ vorgetragen worden ist, steht dieser Vortrag wiederum in Widerspruch zu den tatrichterlichen Feststellungen, die solches dem Senat nicht mitteilen. Urteilsfremder Tatsachenvortrag ist für das Revisionsgericht unbeachtlich. Zudem erscheinen die vorgebrachten Tatsachen „ins Blaue hinein“ formuliert.

3. Gemäß § 28 Abs.1 Satz 1 FeV in der bis 18. Januar 2009 gültigen Fassung vom 7.8.2002 i.V.m. der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439-EG des Rates vom 29.7.1991) muss der polnische Führerschein im Inland nicht anerkannt werden, da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen nicht im Besitz einer gültigen EU-Fahrerlaubnis war.

Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439-EG des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein werden von den Mitgliedstaaten ausgestellte Führerscheine gegenseitig anerkannt. War dem Inhaber eines, von einem Mitgliedstaat erteilten Führerscheins vor dessen Ausstellung die Fahrerlaubnis entzogen worden, besteht eine Anerkennungspflicht nur dann, wenn der Ausstellerstaat zuvor mit der Prüfung befasst war, ob die sich aus dem Recht der Europäischen Union ergebenden Mindestvoraussetzungen für die Erteilung eines entsprechenden Dokuments erfüllt sind (vgl. BVerwG Urteil vom 29.1.2009 – Gz.: 3 C 31/07 zitiert nach juris, dort Rdn. 20 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6.2.2012 – Gz.: 6 Ss 605/11 zitiert nach juris dort Rdn. 19 m.w.N.; Urteil der Dritten Kammer des Europäischen Gerichtshofes vom 19.09.2009 in der Rechtssache C-321/07 in dem Strafverfahren gegen Schwarz Rdn. 76, 91, 92 m.w.N.).

Ein EU-Führerschein besitzt nach dieser Rechtsprechung nur dann Gültigkeit, wenn er nach Durchführung eines der Regelung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein entsprechenden Verfahren erteilt worden ist. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie hängt die Ausstellung des Führerscheins außerdem ab

a) vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;

b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.

Es kommt deshalb entgegen der Meinung der Revision durchaus darauf an, unter welchen Umständen ein EU-Führerschein erworben wurde.

Wird ein Führerschein in einem Mitgliedstaat lediglich im Wege des Umtauschs erteilt, ist eine entsprechende (Über-) Prüfung nicht vorgeschrieben; der Ausstellerstaat des neuen Führerscheins hat sich in diesem Fall nur darüber zu vergewissern, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist (OLG Stuttgart aaO). Schon dies wäre nicht der Fall gewesen, weil dem Angeklagten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 5.1.2004 in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 23.3.2004, rechtskräftig seit dem 31.3.2004, die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis zum 22.3.2005 festgesetzt worden war.

Nach den Urteilsfeststellungen wurde nur ein gefälschter belgischer Führerschein mit dem Ausstellungsdatum 18.5.1998 umgeschrieben und nicht ein neuer polnischer Führerschein erteilt. Die oben benannten Vorschriften der FeV sind anwendbar, weil die Umschreibung vor dem 19. Januar 2009 erfolgte. Diese Vorschriften sind nicht nur bei einer Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, sondern auch bei dem Umtausch einer zuvor in einem Drittland erworbenen Fahrerlaubnis anwendbar (Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, FeV § 28 Rdn. 4).

Nach den Feststellungen ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Führerscheinstelle in Ratibor/Polen am 12.1.2007 den Führerschein ausgestellt hat, ohne im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie zuvor eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Angeklagten“ vorgenommen zu haben, noch dass die Ausstellung des Führerscheins vom „Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse“ und von der „Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen“ abhängig gemacht worden war. Dem Angeklagten wurde lediglich ein neues Führerscheindokument ausgehend von den im vorgelegten gefälschten belgischen Führerschein mit dem Ausstellungsdatum 18.05.1998 enthaltenen Daten ausgestellt, nicht eine neue Fahrerlaubnis erteilt. Ebenso verhält es sich mit dem am 11.7.2007 ausgestellten Ersatzdokument für den am 9.3.2007 als verlustig gemeldeten Führerschein mit dem Ausstellungsdatum 12.1.2007.

Der polnische Führerschein konnte deshalb im Bundesgebiet nur die Wirkung entfalten, wie sie die Totalfälschung des belgischen Führerscheins entfaltet hätte. Dieser berechtigte den Angeklagten nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet, der polnische Führerschein konnte diese Berechtigung auch nicht bewirken (vgl. OLG Stuttgart aaO Rdn. 20 m.w.N.). Eine nicht bestehende Fahrerlaubnis konnte nicht durch die Verwendung des gefälschten belgischen Führerscheins und dessen Umschreibung in polnische Führerscheindokumente generiert werden.

Dass ein im Wege eines Umtauschs oder einer Umschreibung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 erworbener EU-Führerschein nicht ohne Weiteres dieselbe Wirkung entfalten kann, wie ein nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie erworbener Führerschein ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie. Hiernach kann der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins, der seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist dann Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist. Der dem Angeklagten in Ratibor ausgestellte Führerschein konnte nicht die Wirkung eines nach Art. 7 Abs 1 der Richtlinie erteilten Führerscheins entfalten, weil er nicht auf einem gültigen Führerschein eines Mitgliedstaates basierte und die Umschreibung durch die Täuschung der zuständigen polnischen Behörden erreicht wurde.

Nach den Grundsätzen der zuvor zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kann deshalb ein nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie ordnungsgemäß umgeschriebener Führerschein nur dann eine Bindungswirkung entfalten, wenn schon der ursprünglich vorgelegte, von einem Mitgliedstaat ausgestellte Führerschein aufgrund eines nach Art. 7 Abs 1 der Richtlinie durchgeführten Verfahrens ausgestellt worden war. Dies war, wie vom Landgericht festgestellt, bei dem belgischen gefälschten Führerschein nicht der Fall. Hinzukommt, dass dem Angeklagten im Jahr 2004 die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis zum 22.3.2005 festgesetzt worden war. Überdies ist anzumerken, dass unabhängig von allen Regelungen des Europarechts der Rechtsgedanke durchgreift, wonach niemand, der durch strafbare Handlungen eine Rechtsposition erlangt, aus dieser Rechtsvorteile ziehen kann.

4. Die gegen den Angeklagten vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten kann trotz der Schuldspruchänderung bestehen bleiben. Die Kammer hat wie das Amtsgericht für die Urkundenfälschung als Einsatzstrafe eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten für tat- und schuldangemessen angesehen. Der Senat kann im Hinblick auf die Ausführungen der Berufungskammer zu der Vorstrafensituation des Angeklagten sowie im Hinblick auf die Vielzahl und den Schuldgehalt der abgeurteilten Straftaten ausschließen, dass die Kammer bei zutreffender rechtlicher Bewertung bzw. ohne den eingestellten Fall auf ein geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal in diese eine bereits rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe von 5 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 10.11.2008 einzubeziehen war.

III.

Der Senat ist nicht zur Vorlage nach Artikel 267 AEUV verpflichtet, denn eine Vorlagepflicht bestünde nur bei Zweifeln des Senats hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439-EG des Rates vom 29. Juli 1991 es gebietet, einen umgeschrieben EU-Führerschein, der durch die Vorlage einer ungültigen Totalfälschung des Führerscheins eines anderen Mitgliedstaates erschlichen wurde, als gültig anzuerkennen.

Solche Zweifel bestehen nicht. Der Senat darf von einer Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung absehen, weil bislang eine der Meinung des Senates entgegenstehende Entscheidung des EuGH nicht ergangen ist (BVerfG Nichtabnahmebeschluss vom 14.9.2007 – Gz.: 2 BvR 2109/06 – zitiert nach juris dort Rn. 16). Vielmehr hat der EuGH wiederholt entschieden, dass ein EU-Führerschein, der nach einem in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 dargestellten vorangegangenen Verfahren erworben wurde, anzuerkennen ist. Daraus folgt, dass ein nach Art. 8 Abs 1 der Richtlinie umgeschriebener Führerschein, der auf einem Führerschein basiert, der ausgestellt worden war, ohne dass jemals eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Angeklagten“ vorgenommen worden war, noch die Ausstellung des Führerscheins vom „Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse“ und von der „Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen“ abhängig gemacht worden war, nicht anerkannt werden muss. Zudem ist nicht ernstlich zu bezweifeln, dass die Anerkennungspflicht der Mitgliedstaaten sich nur auf eine nach Ablauf der Sperrfrist erworbene Fahrerlaubnis bezieht und nicht auf einen Fahrausweis nach der Art eines Ersatzführerscheins, der durch Täuschung der Ausstellerbehörde mittels Vorlage eines Falsifikats erschlichen wurde und der nur die Daten des vorgelegten Falsifikats wiedergibt. Die innerstaatlichen Gerichte dürfen in eigener Kompetenz entscheiden, ob eine innerstaatliche Maßnahme letztlich zur Erreichung eines gemeinschaftlich legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist (BGH Beschluss vom 19.1.2010 – Gz.: 2 StB 27/09 – zitiert nach juris dort Rn. 157 m. w. N.; EuGH Urteil vom 17.10.1995 – Gz.: C-83/94 zitiert nach juris dort Rdn. 40 m.w.N.).

Die Revision war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 Satz 1 StPO.

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