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Verurteilung wegen Urkundenfälschung durch Vorlage gefälschter COVID-19 – Impfzertifikate

Verurteilung aufgrund gefälschter COVID-19 Impfzertifikate: Revision und Neubewertung

In einem bemerkenswerten Fall, der vor dem BayObLG München verhandelt wurde, ging es um die Vorlage gefälschter COVID-19-Impfzertifikate. Die Angeklagte wurde beschuldigt, in einer Apotheke in Aschaffenburg einen gefälschten Impfausweis vorgelegt zu haben, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az. 202 StRR 29/23 >>>

Vorinstanzen und ihre Entscheidungen

Das Amtsgericht Aschaffenburg hatte die Angeklagte wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe verurteilt. Trotz ihrer Berufung gegen dieses Urteil bestätigte das Landgericht Aschaffenburg die Entscheidung. Die Angeklagte legte daraufhin Revision ein und behauptete eine Verletzung materiellen Rechts.

Hauptargumente und Beweisführung

Das Landgericht stützte seine Entscheidung auf die Feststellung, dass die Angeklagte einen gefälschten Impfausweis vorgelegt hatte, der zwei Schutzimpfungen gegen COVID-19 dokumentierte. Die Eintragungen im Impfausweis waren jedoch inhaltlich unrichtig. Es wurde festgestellt, dass die Impfungen zu Daten erfolgt sein sollten, an denen die betreffenden Impfstoffe bereits abgelaufen waren und die Arztpraxis, die die Impfungen angeblich durchgeführt hatte, geschlossen war.

Kritik an der Beweiswürdigung

Die Beweiswürdigung des Landgerichts wurde jedoch in Frage gestellt. Es wurde argumentiert, dass die Beweiswürdigung widersprüchlich und lückenhaft sei. Insbesondere wurde kritisiert, dass die Beweise hauptsächlich auf einem polizeilichen Ermittlungsbericht basierten, ohne dass das Gericht die Richtigkeit dieser Informationen überprüft hatte. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, dass der Arzt die nicht erfolgten Impfungen tatsächlich bescheinigt haben könnte, nicht in Betracht gezogen wurde.

Schlussentscheidung des BayObLG München

Aufgrund der vorgebrachten Argumente und der identifizierten Mängel in der Beweisführung hob das BayObLG München das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg zurück. Es wurde jedoch festgestellt, dass die objektiven Feststellungen zur Vorlage des gefälschten Impfausweises durch die Angeklagte bestehen bleiben könnten.


Das vorliegende Urteil

BayObLG München – Az. 202 StRR 29/23 – Urteil vom 30.05.2023

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. September 2022 mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die objektiven Feststellungen zur Vorlage eines auf den Namen der Angeklagten lautenden Impfausweises und seines Inhalts durch die Angeklagte am 29.11.2021 in der A-Apotheke in Aschaffenburg, die aufrechterhalten bleiben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg zurückverwiesen.

III. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Entscheidungsgründe

I.

Das Amtsgericht Aschaffenburg hat die Angeklagte am 04.05.2022 wegen Urkundenfälschung (Tatzeit: 29.11.2021) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 40 Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Aschaffenburg mit Urteil vom 01.09.2022 als unbegründet verworfen. Mit ihrer gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 05.04.2023 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft München, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision ist weitgehend begründet und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang. Die Überzeugung der Berufungskammer hinsichtlich der den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung tragenden Feststellungen werden von den im Urteil mitgeteilten Beweistatsachen und der aus diesen gezogenen Folgerungen und dem Beweisergebnis nicht getragen.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Verurteilung wegen Urkundenfälschung durch Vorlage gefälschter COVID-19 – Impfzertifikate
Gefälschte COVID-19 Impfzertifikate auf dem Prüfstand: Das BayObLG München sendet Fall für Neubewertung an die Aschaffenburger Strafkammer zurück. (Symbolfoto: Schlikis /Shutterstock.com)

Am Montag, den 29.11.2021 legte die Angeklagte in der A-Apotheke in Aschaffenburg einem/r dortigen Mitarbeiter/in einen auf ihren Namen lautenden angeblichen Impfausweis vor, in welchem sich eine gefälschte Dokumentation über zwei Schutzimpfungen gegen Covid-19 befand. Als angebliches Datum der Impfungen war der 11.10.2021 und der 15.11.2021 eingetragen. In der Rubrik ‚Handelsname und Chargennummer des Impfstoffes (Vignette)‘ befand sich jeweils ein Aufkleber mit dem angegebenen Impfstoff ‚Comirnaty®‘ und die Chargennummer ‚EX3599‘ (11.10.2021) bzw. ‚1D014A‘ (15.11.2021). In der Spalte ‚Art des Impfstoffs (z.B. mRNA, Vektor etc.)‘ war jeweils ‚mRNA‘ eingetragen. In der Rubrik ‚Unterschrift und Stempel des Arztes‘ befand sich jeweils der vorgebliche Arztstempel Dr. med. S. T., B.-Straße 22, Frankfurt a. Main‘ und die angebliche jeweilige Unterschrift des genannten Arztes. Bei dem von ihr in der Apotheke vorgelegten Impfpass handelte es sich – wie die Angeklagte wusste – um eine Totalfälschung. Der angebliche Aussteller der Impfbescheinigung, der Arzt Dr. med. S. T., hatte diese in Wahrheit nicht ausgestellt. Die Angeklagte war in dessen Arztpraxis nicht gegen Covid -19 geimpft worden. Durch die Vorlage des gefälschten Impfnachweises wollte die Angeklagte den/die Apothekenmitarbeiter/in über die angeblich durch den genannten Arzt dokumentierten, tatsächlich jedoch nicht durchgeführten und nicht von dem genannten Arzt bescheinigten Schutzimpfungen gegen Covid-19 täuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erlangen. Der/die Apothekenmitarbeiter/in schöpfte jedoch Verdacht, dass es sich bei dem von der Angeklagten vorgelegten angeblichen Impfausweis – der wie ein echter Impfausweis aussah – um eine Fälschung handelte und stellte kein digitales lmpfzertifikat aus.

2. Die Beweiswürdigung ist in entscheidenden Punkten rechtsfehlerhaft.

a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st.Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urt. v. 23.03.2023 – 3 StR 277/22; 16.03.2023 – 4 StR 252/22; Beschluss vom 02.03.2023 – 2 StR 119/22, jew. bei juris; BayObLG, Urt. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22 bei juris; 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 = OLGSt StGB § 306 Nr 2; Beschluss vom 07.06.2022 – 202 ObOWi 678/22 = VerkMitt 2022, Nr 46 = NStZ-RR 2022, 318; 03.02.2022 – 202 StRR 11/22 = NStZ-RR 2022, 119, jew. m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zur inhaltlichen Unrichtigkeit des Impfausweises und zur Ausstellereigenschaft jedoch nicht gerecht. Die diesbezüglichen Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.

aa) Die Berufungskammer stützt ihre Überzeugung zur Unrichtigkeit des Impfausweises im Wesentlichen darauf, dass nach den polizeilichen Ermittlungen das Verfallsdatum der Impfstoffe im ausgewiesenen Zeitpunkt der (angeblichen) Impfung jeweils bereits abgelaufen war, die Angeklagte bei dem Arzt, der nach dem Inhalt des Impfausweises die Impfung durchgeführt haben soll, nicht Patientin war und die Arztpraxis zu dem (angeblichen) Datum der zweiten Impfung geschlossen gewesen sei, was für sich genommen aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden wäre, weil die gezogenen Schlüsse nur möglich, nicht aber zwingend sein müssen (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 07.06.2022 – 202 ObOWi 678/22 a.a.O.). Allerdings leitet die Berufungskammer die entsprechenden Indizien ausschließlich aus der Verlesung eines polizeilichen Ermittlungsberichts her, ohne dass die Berufungskammer sich von deren Richtigkeit überzeugt hat. Es wird aufgrund der Urteilsgründe bereits nicht ersichtlich, wie die Ermittlungsbeamten zu diesen Ergebnissen gelangt sind, ob sie etwa auf der Befragung von Zeugen oder auf sonstigen Ermittlungshandlungen beruhen, sodass dem Revisionsgericht insgesamt die Nachprüfung verwehrt bleibt, ob die Beweiswürdigung, die nicht etwa der Ermittlungsbehörde, sondern dem Tatgericht obliegt, auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht (vgl. hierzu zuletzt BGH, Beschluss vom 20.12.2022 – 2 StR 232/21 bei juris = BeckRS 2022, 46863).

bb) Ungeachtet dessen konnten der oder die Beamten, die den in der Hauptverhandlung verlesenen Ermittlungsbericht gefertigt haben, ohnehin nur Zeugen vom Hörensagen sein, weil auszuschließen ist, dass sie die von der Berufungskammer zugrunde gelegten Indizien aufgrund eigener Wahrnehmung festgestellt haben, es vielmehr naheliegt, dass die Erkenntnisse aufgrund der Befragung von Beweispersonen erlangt wurden. Zwar verbietet die Strafprozessordnung nicht von vornherein die Verwertung derartiger Angaben. Allerdings kann nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Feststellung nur dann auf solche Angaben gestützt werden, wenn sie durch andere gewichtige Gesichtspunkte bestätigt werden (st.Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 06.12.2022 – 4 StR 412/22 bei juris = BeckRS 2022, 45562; 24.02.2021 – 1 StR 489/20 bei juris = BeckRS 2021, 8266; 16.12.2020 – 4 StR 297/20 bei juris = NStZ-RR 2021, 78 = BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr 1 Beihilfe 1 = BeckRS 2020, 38057). Hierzu verhält sich das Berufungsurteil indes nicht. Es ist schon nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls auf wessen Angaben die Ermittlungsergebnisse beruhen und warum die Auskunftsperson glaubhaft über die festgestellten Umstände berichten konnte. Indizien, die die Angaben stützen können, werden ebenfalls nicht mitgeteilt.

cc) Überdies wird die vom Landgericht zugrunde gelegte Feststellung, dass es sich bei den Eintragungen in dem Impfausweis über die Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus um eine Totalfälschung handelt, nicht beweiswürdigend belegt. Das Landgericht hat offensichtlich aus der inhaltlichen Unrichtigkeit der Eintragungen im Impfausweis ohne weiteres darauf geschlossen, dass sie nicht vom angeblichen Aussteller, also dem Arzt, stammen. Es hat damit der Überzeugungsbildung aber einen Erfahrungssatz zugrunde gelegt, den es nicht gibt (vgl. hierzu zuletzt BayObLG, Beschluss vom 03.02.2022 – 202 StRR 11/22 = NStZ-RR 2022, 119 = BeckRS 2022, 3282). Die Berufungskammer hat von vornherein ausgeblendet, dass gegebenenfalls der Arzt die nicht erfolgten Impfungen tatsächlich bescheinigt haben könnte. Diese Möglichkeit, die nach den Erfahrungen mit Blick auf zu Unrecht von Ärzten ausgestellte Atteste im Zusammenhang mit Befreiungen von der Verpflichtung zur Tragung eines Mund-Nasen-Schutzes keineswegs von vornherein fern liegt, zieht die Berufungskammer gar nicht in Erwägung.

III.

Wegen des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Revision der Angeklagten das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg zurückzuverweisen.

Von der Aufhebung ausgenommen sind die objektiven Feststellungen zur Vorlage eines auf den Namen der Angeklagten lautenden (angeblichen) Impfausweises und seines Inhalts durch die Angeklagte am 29.11.2021 in der A-Apotheke in Aschaffenburg. Diese können bestehen bleiben, weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind. Die neue Strafkammer kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

IV.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.

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