LG Görlitz, Az.: 11e Qs 289/14, Beschluss vom 13.01.2016
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bautzen vom 18. November 2014 wird aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Görlitz vom 9. Oktober 2014, Az.: 600 Js 8781/14, wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Bautzen, Strafrichter, eröffnet.
Gründe
I.
Durch einen anonymen Anrufer wurde dem Polizeirevier mitgeteilt, der Angeklagte besitze kinderpornografische Aufzeichnungen auf seinem Laptop. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Bautzen mit Beschluss vom 17. April 2014 für die Wohnung des Angeklagten einen Durchsuchungsbefehl. Der Beschluss enthalt weder Angaben worauf der Verdacht gegen den damaligen Beschuldigten beruhte, noch enthält er, abgesehen von einer formelhaften Floskel, eine Begründung, die auf eine Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs, der Schwere der zur Debatte stehenden Tat und dem Grad des Verdachts schließen lässt.
Tatsächlich wurde dann bei der am 7. Mai 2014 vorgenommenen Durchsuchung beim Angeklagten strafrechtlich relevantes Material entdeckt und beschlagnahmt.
Der Angeklagte legte gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde ein. Diese wurde durch Beschluss des Landgerichts Görlitz, Außenkammer Bautzen, vom 24. Juni 2014 (13 Qs 133/14) als unbegründet verworfen. Dieser Beschluss nennt nunmehr die Verdachtsmomente: neben dem anonymen Anruf die Tatsache, dass der damalige Beschuldigte bereits mehrfach wegen einschlägiger Taten polizeilich in Erscheinung getreten sei. Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer eine Abwägung zwischen dem Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung, der Intensität des Verdachts und der Schwere der Straftat vorgenommen habe, sind jedoch auch diesem Beschluss nicht zu entnehmen.
Am 9. Oktober 2014 erhob die Staatsanwaltschaft Görlitz Anklage wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften. Mit dem mit der sofortigen Beschwerde angegriffenen Beschluss vom 18. November 2014 lehnte das Amtsgericht Bautzen die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die beim Beschuldigten aufgefundenen Bilder seien nicht verwertbar. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts sei schwerwiegend fehlerhaft. Der in seinem genauen Inhalt nicht gesicherte anonyme Anruf habe keine Tatsachen enthalten, sondern nur eine Bewertung, die sich nicht überprüfen ließ. Ein solch vager Anhaltspunkt gegenüber einem einschlägig Vorbestraften reiche angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs für eine Wohnungsdurchsuchung nicht aus.
II.
1.
Die Kammer teilt im Ergebnis die Auffassung des Amtsgerichts, dass die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten rechtsfehlerhaft war. Zwar kann es nicht von vornherein ausgeschlossen sein, einen im Rahmen von § 102 StPO relevanten Verdacht auch auf eine Bewertung eines rechtlichen Laien – hier des anonymen Anrufers – zu stützen. Angesichts des im konkreten Fall dennoch eher niedrigen Verdachtsgrades schließt sich die Kammer aber der ansonsten überzeugenden Darlegung im Beschluss vom 18. November 2014 an, auf dessen Gründe zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit verwiesen wird.
2.
Jedoch enthält die Strafprozessordnung keine ausdrückliche Regelung, die die Verwertung von unter Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften erlangten Beweisen generell ausschließt. Auch ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr ist diese Frage nach obergerichtlicher Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt 44, 243 ff., zitiert nach Juris, dort Rz. 10, m.w.N.).
Vorliegend griff die rechtsfehlerhafte Durchsuchung in die Unverletzlichkeit der Wohnung und damit in ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut ein, so dass entsprechend strengere Anforderungen zu stellen sind. Deshalb ist von Verfassungswegen eine Unterlassung der Beweisverwertung zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010, 2 BvR 2101/09, zitiert nach Juris, dort Rz. 45).
Gemessen an diesen obergerichtlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen vermag die Kammer vorliegend einen die Verwertung der aufgefundenen kinderpornografischen Bilder verbietenden Grund noch nicht festzustellen. Die Durchsuchung war zunächst formal rechtmäßig, da ihr ein richterlicher Beschluss zugrunde lag. Dieser ist – auch in Gestalt des landgerichtlichen Beschlusses vom 24. Juni 2014 im Beschwerdeverfahren – zwar nach Auffassung der erkennenden Kammer materiell rechtsfehlerhaft, jedoch nicht in einem Maße, welches die Verwertung der so erhobenen Beweise als rechtsstaatlich schlicht unvertretbar erscheinen ließe. Insbesondere ist der Beschluss inhaltlich nicht willkürlich. Willkür liegt vor, wenn die Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt rechtlich oder logisch nachvollziehbar wäre. Vorliegend handelt es sich aber nur um die fehlerhafte Bewertung eines Verdachtsgrades. So liegt die Annahme einer bewussten oder planmäßigen Falschbewertung mangels jeglicher Anhaltspunkte fern. Die fehlende rechtliche Abwägung in der Beschlussbegründung indiziert eine solche Annahme für sich allein noch nicht. Auch liegt darüber hinaus ein sonst schwerwiegender Verstoß im Sinne der ober- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht vor. Ein solcher könnte etwa anzunehmen sein, wenn ersichtlich weniger einschneidende Ermittlungsansätze vorhanden oder Hinweise auf die Unzuverlässigkeit der anonymen Quelle bekannt gewesen wären. Auch verbietet, wie oben bereits ausgeführt, die Tatsache, dass die Einstufung der Bilder als kinderpornografisch zunächst nur auf der Bewertung einer juristischen Laien beruhte, nicht von vornherein eine solche Durchsuchungsmaßnahme.
3.
Im Ergebnis geht die Kammer deshalb nicht vom Vorliegen eines Beweisverbotes für die bei der Durchsuchung beschlagnahmten Bilder aus. Da auch im übrigen die Voraussetzungen des § 203 StPO vorliegen – auch das Amtsgericht geht von der strafrechtlichen Relevanz der aufgefundenen Bilder aus – war das Verfahren vor dem Strafrichter zu eröffnen und die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen.