Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Gerichtsurteil: Bewährungswiderruf wegen Therapieverstößen – die Gratwanderung zwischen Strafe und Resozialisierung
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Was passiert, wenn ich gegen die Bewährungsauflagen verstoße?
- Welche Faktoren berücksichtigt das Gericht bei der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf?
- Welche Rechte habe ich während eines Verfahrens zum Bewährungswiderruf?
- Kann meine Erkrankung als Grund für einen Verstoß gegen Bewährungsauflagen berücksichtigt werden?
- Was kann ich tun, um einen Bewährungswiderruf zu verhindern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Verurteilte wurde wegen mehrerer Betrugsdelikte verurteilt und befand sich in Haft.
- Die Vollstreckung der Strafen wurde nach zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt.
- Der Verurteilte sollte regelmäßig Kontakt zur Bewährungshilfe halten und an einer Therapie sowie Selbsthilfegruppen teilnehmen.
- Er versäumte es, nach seiner Entlassung, den Kontakt zur Bewährungshelferin aufrechtzuerhalten und die Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen nachzuweisen.
- Aufgrund eines neuen Betrugsvorwurfs und fehlender Nachweise über Therapien wurde ein Bewährungswiderruf in Betracht gezogen.
- Das Gericht hat die Entscheidung über den Widerruf der Bewährung aufgehoben, weil der Verurteilte nicht ordnungsgemäß angehört wurde.
- Die Strafvollstreckungskammer hatte nach der Anhörung ohne erneute Befragung des Verurteilten weitere Informationen eingeholt, was verfahrensrechtlich nicht zulässig war.
- Bei der erneuten Entscheidung muss die Strafvollstreckungskammer die Depressionserkrankung des Verurteilten berücksichtigen.
- Es muss geprüft werden, ob die Therapieweisungen ausreichend bestimmt waren und ob der Verurteilte in der Lage war, diese zu erfüllen.
- Der Beschluss wurde zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gerichtsurteil: Bewährungswiderruf wegen Therapieverstößen – die Gratwanderung zwischen Strafe und Resozialisierung
Bewährung bedeutet, dass eine Straftat zwar verurteilt, aber die Strafe zunächst ausgesetzt wird. Die verurteilte Person bekommt die Chance, durch ihr Verhalten zu zeigen, dass sie sich vom kriminellen Weg abgewandt hat. Eine wichtige Bedingung für die Bewährung ist die Bewährungshilfe, die in der Regel therapeutische Unterstützung beinhaltet.
Doch was passiert, wenn die verurteilte Person die Anweisungen des Therapeuten nicht befolgt? Kann die Bewährung widerrufen werden? Hier kommt es auf den Einzelfall an. In der Rechtsprechung ist umstritten, inwieweit der Verstoß gegen die Therapieweisung einen Bewährungswiderruf rechtfertigt. Denn es soll nicht nur die Strafe für die verübte Straftat vollzogen, sondern gleichzeitig die Resozialisierung der Person gefördert werden.
Wie das Gericht in einem aktuellen Fall entschied, welche Faktoren bei einem Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen die Therapieweisung eine Rolle spielen und welche Auswirkungen die Entscheidung auf die betroffene Person hat, lesen Sie im Folgenden.
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Der Fall vor Gericht
Bewährungswiderruf wegen Therapieversäumnis aufgehoben
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade aufgehoben, mit dem die Strafaussetzung zur Bewährung eines Verurteilten widerrufen wurde. Der Fall dreht sich um einen Mann, der wegen mehrerer Betrugsdelikte zu Freiheitsstrafen verurteilt worden war. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde ihm im April 2022 Bewährung gewährt. Dabei wurden ihm mehrere Auflagen und Weisungen erteilt, darunter die Teilnahme an einer Therapie wegen Alkoholsucht und regelmäßiger Kontakt zur Bewährungshilfe.
Verstoß gegen Bewährungsauflagen führt zu Widerruf
Im Laufe des Jahres 2023 kam der Verurteilte seinen Bewährungsauflagen offenbar nicht mehr nach. Er brach den Kontakt zur Bewährungshilfe ab und legte keine Nachweise über die Teilnahme an einer Therapie vor. Daraufhin leitete die Strafvollstreckungskammer ein Verfahren zum Widerruf der Bewährung ein. Der Verurteilte wurde angehört, erschien aber nicht zum Anhörungstermin. Die Strafvollstreckungskammer widerrief daraufhin die Bewährung mit der Begründung, der Verurteilte habe sich der Bewährungshilfe entzogen und gegen Weisungen verstoßen.
OLG Celle: Anhörungsrecht des Verurteilten verletzt
Das Oberlandesgericht Celle hob diesen Beschluss nun auf. Es sah wesentliche Verfahrensfehler bei der Anhörung des Verurteilten. Die Strafvollstreckungskammer hatte nach dem Anhörungstermin noch telefonisch Informationen bei der Bewährungshelferin eingeholt, ohne dem Verurteilten dazu eine weitere Äußerungsmöglichkeit zu geben. Zudem war der Verurteilte im Anhörungsschreiben nicht ausreichend über alle Gründe für einen möglichen Widerruf informiert worden. Das OLG stellte klar, dass ein Bewährungswiderruf nur auf Tatsachen gestützt werden darf, zu denen der Verurteilte angehört wurde.
Berücksichtigung der persönlichen Umstände gefordert
Das OLG verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurück. Dabei gab es wichtige Hinweise für die neue Prüfung. So müsse berücksichtigt werden, dass der Verurteilte mittlerweile wegen einer depressiven Erkrankung in psychiatrischer Behandlung ist. Dies könne der Annahme eines vorwerfbaren Weisungsverstoßes entgegenstehen. Auch müsse geprüft werden, ob die Therapieweisung im Bewährungsbeschluss überhaupt ausreichend bestimmt formuliert war. Für einen Widerruf wegen Alkoholkonsums müsse zudem berücksichtigt werden, ob der Verurteilte angesichts seiner persönlichen Verhältnisse überhaupt zu dauerhafter Abstinenz in der Lage war.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Entscheidung des OLG Celle unterstreicht die zentrale Bedeutung des Anhörungsrechts im Bewährungswiderrufsverfahren. Sie verdeutlicht, dass ein Widerruf nur auf Tatsachen gestützt werden darf, zu denen der Verurteilte angehört wurde. Zugleich wird die Notwendigkeit betont, die persönlichen Umstände des Verurteilten, wie etwa psychische Erkrankungen, bei der Beurteilung von Weisungsverstößen zu berücksichtigen. Dies stärkt die Rechte des Verurteilten und fordert eine sorgfältige, einzelfallbezogene Prüfung bei Bewährungswiderrufen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie sich auf Bewährung befinden und Schwierigkeiten haben, die Auflagen zu erfüllen, gibt Ihnen dieses Urteil mehr Schutz. Es unterstreicht, dass das Gericht Ihre persönliche Situation, wie etwa gesundheitliche Probleme, berücksichtigen muss, bevor es die Bewährung widerruft. Wichtig ist, dass Sie bei Problemen mit den Auflagen aktiv kommunizieren – mit Ihrem Bewährungshelfer und dem Gericht. Sollte ein Widerruf drohen, haben Sie das Recht, zu allen Vorwürfen angehört zu werden. Achten Sie darauf, dass die Therapieauflagen in Ihrem Bewährungsbeschluss klar formuliert sind. Bei Suchtproblemen wird beachtet, ob Sie überhaupt in der Lage sind, komplett abstinent zu leben. Insgesamt stärkt das Urteil Ihre Rechte und fordert eine gründliche, individuelle Prüfung Ihrer Situation.
FAQ – Häufige Fragen
Sie haben ein Bewährungsverfahren durchlaufen und nun Fragen zur Bewährungswiderrufung wegen Therapieversäumnis? Die folgenden FAQ bieten präzise und verständliche Informationen zu diesem komplexen Thema. Hier finden Sie Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen, verständlich aufbereitet und auf den Punkt gebracht.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Was passiert, wenn ich gegen die Bewährungsauflagen verstoße?
- Welche Faktoren berücksichtigt das Gericht bei der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf?
- Welche Rechte habe ich während eines Verfahrens zum Bewährungswiderruf?
- Kann meine Erkrankung als Grund für einen Verstoß gegen Bewährungsauflagen berücksichtigt werden?
- Was kann ich tun, um einen Bewährungswiderruf zu verhindern?
Was passiert, wenn ich gegen die Bewährungsauflagen verstoße?
Ein Verstoß gegen Bewährungsauflagen kann schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das Gericht hat in solchen Fällen verschiedene Möglichkeiten, auf das Fehlverhalten zu reagieren.
Bei leichteren Verstößen kann das Gericht zunächst eine Verwarnung aussprechen oder die bestehenden Auflagen verschärfen. Es besteht auch die Option, die Bewährungszeit zu verlängern, um dem Verurteilten mehr Zeit zur Erfüllung der Auflagen zu geben. In gravierenderen Fällen droht jedoch der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.
Der Widerruf der Bewährung stellt die härteste Konsequenz dar. Er bedeutet, dass die ursprünglich verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt wird und der Verurteilte diese im Gefängnis verbüßen muss. Ein solcher Schritt erfolgt jedoch nicht automatisch bei jedem Verstoß. Das Gericht prüft im Einzelfall, ob der Verstoß so schwerwiegend ist, dass die günstige Sozialprognose, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Besonders kritisch werden Verstöße gegen Therapieweisungen betrachtet. Solche Weisungen dienen oft dazu, die Ursachen für die Straffälligkeit zu behandeln und künftige Straftaten zu verhindern. Verweigert ein Verurteilter die Teilnahme an einer angeordneten Therapie oder bricht diese eigenmächtig ab, kann dies als Indiz dafür gewertet werden, dass er nicht gewillt ist, an sich zu arbeiten und straffrei zu leben.
Das Gericht muss bei der Entscheidung über einen möglichen Widerruf stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Es wird abgewogen, ob mildere Mittel ausreichen, um den Verurteilten zur Einhaltung der Auflagen zu bewegen. Hierbei spielen Faktoren wie die Art und Schwere des Verstoßes, das bisherige Verhalten während der Bewährungszeit und die Gründe für den Verstoß eine wichtige Rolle.
Vor einem Widerruf der Bewährung muss das Gericht den Verurteilten anhören. Dies gibt ihm die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern und eventuelle Gründe für den Verstoß darzulegen. In dieser Situation ist es dringend ratsam, anwaltliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein erfahrener Strafverteidiger kann dabei helfen, die Gründe für den Verstoß nachvollziehbar darzulegen und Alternativen zum Bewährungswiderruf aufzuzeigen.
Bei der Beurteilung von Verstößen gegen Bewährungsauflagen legen die Gerichte zunehmend Wert auf die Bestimmtheit der erteilten Weisungen. Eine Therapieweisung muss beispielsweise konkrete Angaben zur Art, Dauer und Häufigkeit der Behandlung enthalten. Nur so kann der Verurteilte genau wissen, was von ihm erwartet wird, und nur dann kann ein Verstoß eindeutig festgestellt werden.
Um Verstöße gegen Bewährungsauflagen zu vermeiden, ist es wichtig, dass der Verurteilte die Auflagen genau versteht und bei Unklarheiten nachfragt. Eine offene Kommunikation mit dem Bewährungshelfer kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und frühzeitig auf Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Auflagen hinzuweisen. Proaktives Handeln und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit können im Zweifel positiv berücksichtigt werden, sollte es dennoch zu Problemen kommen.
Welche Faktoren berücksichtigt das Gericht bei der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf?
Bei der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf berücksichtigen Gerichte eine Vielzahl von Faktoren. Ein zentraler Aspekt ist die Art und Schwere des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen oder -weisungen. Gröbliche oder beharrliche Verstöße wiegen dabei besonders schwer. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Verurteilter wiederholt gegen Auflagen verstößt oder sich der Aufsicht des Bewährungshelfers entzieht.
Die persönlichen Lebensumstände des Verurteilten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Gerichte prüfen, ob sich die Lebenssituation seit der Verurteilung positiv entwickelt hat oder ob Risikofaktoren für erneute Straffälligkeit bestehen. Dabei werden auch Aspekte wie eine stabile Wohnsituation, berufliche Integration oder familiäre Bindungen berücksichtigt.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, ob der Verurteilte während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist. Die Begehung neuer Straftaten ist ein gewichtiger Grund für einen möglichen Widerruf, da dies die ursprüngliche positive Sozialprognose in Frage stellt.
Die Erfüllung von gerichtlich angeordneten Therapieweisungen ist ein weiterer bedeutsamer Faktor. Gerichte prüfen, ob der Verurteilte ernsthaft an einer Behandlung teilgenommen und Fortschritte erzielt hat. Ein Abbruch oder eine nur oberflächliche Teilnahme an einer Therapie kann die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs erhöhen.
Die Mitwirkungsbereitschaft des Verurteilten wird ebenfalls berücksichtigt. Eine aktive Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer und die Bemühung, Auflagen zu erfüllen, können sich positiv auf die Entscheidung auswirken. Umgekehrt kann eine mangelnde Kooperationsbereitschaft die Prognose verschlechtern.
Gerichte beziehen auch die Wirksamkeit alternativer Maßnahmen in ihre Überlegungen ein. So kann beispielsweise die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung oder die Verlängerung der Bewährungszeit als mildere Alternative zum Widerruf in Betracht gezogen werden.
Die Gesamtprognose für die zukünftige Legalbewährung ist letztlich ausschlaggebend. Hierbei fließen alle genannten Faktoren zusammen. Das Gericht muss zu der Überzeugung gelangen, dass ohne einen Widerruf die Gefahr weiterer Straftaten besteht.
Wichtig ist zu betonen, dass ein Bewährungswiderruf keine automatische Folge von Verstößen ist. Das Gericht hat einen Ermessensspielraum und muss jeden Fall individuell bewerten. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein Widerruf kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel nicht ausreichen, um die Ziele der Bewährung zu erreichen.
Welche Rechte habe ich während eines Verfahrens zum Bewährungswiderruf?
Bei einem Verfahren zum Bewährungswiderruf stehen dem Betroffenen wichtige Rechte zu. Das Gericht muss den Verurteilten vor der Entscheidung über den Widerruf anhören. Diese Anhörung erfolgt in der Regel mündlich, kann aber in Ausnahmefällen auch schriftlich durchgeführt werden. Der Betroffene hat dabei die Möglichkeit, sich zu den Gründen für den beabsichtigten Widerruf zu äußern und seine Sicht der Dinge darzulegen.
Ein zentrales Recht ist die Möglichkeit, einen Verteidiger hinzuzuziehen. Bei drohenden Bewährungswiderrufen von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe liegt sogar ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. In solchen Fällen muss das Gericht dem Betroffenen einen Pflichtverteidiger beiordnen, wenn er nicht selbst einen Wahlverteidiger beauftragt. Der Verteidiger kann Akteneinsicht nehmen und den Betroffenen umfassend beraten.
Gegen einen Beschluss zum Widerruf der Bewährung steht dem Verurteilten das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Diese muss innerhalb einer Woche nach Zustellung des Widerrufsbeschlusses eingelegt werden. Für die Begründung der Beschwerde setzt das Gericht eine weitere Frist.
Der Verteidiger prüft im Rahmen der Beschwerde sowohl den Widerrufsbeschluss als auch den ursprünglichen Bewährungsbeschluss auf formale und inhaltliche Fehler. Dabei kann beispielsweise die Zuständigkeit des Gerichts oder die Rechtmäßigkeit von Bewährungsauflagen hinterfragt werden. Auch die Verhältnismäßigkeit des Widerrufs kann Gegenstand der Überprüfung sein.
Betroffene haben das Recht, Beweise für ihr positives Verhalten während der Bewährungszeit vorzulegen. Dies können etwa Nachweise über die Erfüllung von Auflagen, Bescheinigungen über eine Therapieteilnahme oder Arbeitszeugnisse sein. Solche Belege können dazu beitragen, dass das Gericht trotz eines Verstoßes von einem Widerruf absieht.
Das Gericht muss bei der Entscheidung über den Widerruf eine umfassende Gesamtwürdigung vornehmen. Dabei sind nicht nur etwaige Verstöße zu berücksichtigen, sondern auch das sonstige Verhalten des Verurteilten während der Bewährungszeit. Ein einmaliger oder geringfügiger Verstoß rechtfertigt nicht automatisch einen Widerruf.
Betroffene haben zudem das Recht, Alternativen zum Bewährungswiderruf vorzuschlagen. Das Gericht kann statt eines Widerrufs auch die Bewährungszeit verlängern oder zusätzliche Auflagen erteilen. Ein Verteidiger kann hier gezielt auf mildere Maßnahmen hinwirken.
Bei Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit ist zu beachten, dass grundsätzlich eine rechtskräftige Verurteilung erforderlich ist. Solange das neue Strafverfahren noch läuft, kann der Betroffene auf sein Recht auf Unschuldsvermutung pochen. Eine Einstellung des neuen Verfahrens, etwa gegen Auflagen, verhindert in der Regel einen Bewährungswiderruf.
Wird die Bewährung widerrufen, haben Betroffene das Recht auf Anrechnung bereits erbrachter Leistungen. Geldauflagen oder abgeleistete Arbeitsstunden können vom Gericht auf die zu verbüßende Strafe angerechnet werden.
Im gesamten Verfahren gilt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Erwägungen zu äußern. Dies umfasst auch das Recht auf Akteneinsicht, um sich effektiv verteidigen zu können.
Kann meine Erkrankung als Grund für einen Verstoß gegen Bewährungsauflagen berücksichtigt werden?
Bei der Beurteilung von Verstößen gegen Bewährungsauflagen können Erkrankungen des Verurteilten durchaus eine wichtige Rolle spielen. Gerichte sind verpflichtet, die individuellen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dies schließt auch gesundheitliche Probleme ein, die möglicherweise die Fähigkeit des Verurteilten beeinträchtigen, bestimmte Auflagen zu erfüllen.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen können als mildernde Umstände angesehen werden, wenn sie nachweislich die Einhaltung von Bewährungsauflagen erschweren. Entscheidend ist dabei, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Verstoß gegen die Auflagen glaubhaft dargelegt werden kann.
Um eine Erkrankung als Grund für einen Verstoß geltend zu machen, sind in der Regel ärztliche Atteste oder fachärztliche Gutachten erforderlich. Diese sollten detailliert darlegen, wie sich die Erkrankung konkret auf die Fähigkeit des Verurteilten auswirkt, die auferlegten Bewährungsauflagen zu erfüllen. Je spezifischer und aussagekräftiger die medizinischen Nachweise sind, desto eher werden sie vom Gericht berücksichtigt.
Gerichte prüfen in solchen Fällen, ob der Verurteilte trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen zumutbare Anstrengungen unternommen hat, um die Auflagen zu erfüllen. Eine völlige Passivität oder Verweigerungshaltung wird in der Regel nicht akzeptiert, selbst wenn eine Erkrankung vorliegt.
Bei Suchterkrankungen ist besondere Vorsicht geboten. Zwar können diese als Krankheit anerkannt werden, jedoch wird von Gerichten oft erwartet, dass der Verurteilte aktiv an der Überwindung seiner Sucht arbeitet. Ein Rückfall in den Suchtmittelkonsum wird nicht automatisch als entschuldbarer Verstoß gegen Bewährungsauflagen gewertet.
Für Betroffene ist es ratsam, bei gesundheitlichen Problemen frühzeitig das Gespräch mit dem Bewährungshelfer zu suchen. Dieser kann unterstützend wirken und gegebenenfalls eine Anpassung der Auflagen anregen. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, eine Änderung der Bewährungsauflagen zu beantragen, um sie an die gesundheitliche Situation anzupassen.
Gerichte legen bei der Beurteilung von Verstößen gegen Bewährungsauflagen großen Wert auf die Verhältnismäßigkeit. Eine Erkrankung allein führt nicht automatisch zur Entschuldigung eines Verstoßes. Vielmehr wird geprüft, ob der Verurteilte im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten alles Zumutbare unternommen hat, um die Auflagen zu erfüllen.
Es ist wichtig zu betonen, dass jeder Fall individuell betrachtet wird. Die Schwere der Erkrankung, die Art der verletzten Auflage und das Gesamtverhalten des Verurteilten während der Bewährungszeit fließen in die richterliche Entscheidung ein. Eine offene und kooperative Haltung des Verurteilten kann sich positiv auswirken.
Betroffene sollten sich bewusst sein, dass die Berücksichtigung einer Erkrankung als mildernder Umstand keineswegs garantiert ist. Es liegt im Ermessen des Gerichts, wie es die vorgebrachten gesundheitlichen Gründe bewertet. Eine sorgfältige Dokumentation der Erkrankung und ihrer Auswirkungen auf die Lebensführung ist daher unerlässlich.
In komplexen Fällen, insbesondere bei schwerwiegenden psychischen Erkrankungen, kann das Gericht zusätzliche Sachverständigengutachten anfordern. Diese dienen dazu, die Auswirkungen der Erkrankung auf die Fähigkeit zur Einhaltung der Bewährungsauflagen fachkundig einzuschätzen.
Für Betroffene ist es ratsam, sich bei gesundheitlichen Problemen, die die Einhaltung von Bewährungsauflagen beeinträchtigen könnten, frühzeitig rechtlichen Beistand zu suchen. Ein erfahrener Anwalt kann dabei helfen, die medizinischen Fakten rechtlich relevant aufzubereiten und gegenüber dem Gericht überzeugend darzulegen.
Was kann ich tun, um einen Bewährungswiderruf zu verhindern?
Um einen Bewährungswiderruf zu verhindern, ist es essenziell, sich strikt an alle auferlegten Bewährungsauflagen und -weisungen zu halten. Dies umfasst insbesondere die konsequente Einhaltung von Therapieweisungen. Bewährungsauflagen dienen dazu, die Resozialisierung des Verurteilten zu fördern und erneute Straftaten zu verhindern.
Ein zentraler Aspekt ist der regelmäßige und zuverlässige Kontakt zum Bewährungshelfer. Dieser unterstützt den Verurteilten während der Bewährungszeit und überwacht die Einhaltung der Auflagen. Termine mit dem Bewährungshelfer sollten unbedingt wahrgenommen und bei Verhinderung rechtzeitig abgesagt und neu vereinbart werden.
Die genaue Befolgung aller gerichtlich angeordneten Therapiemaßnahmen ist von großer Bedeutung. Dazu gehört die Teilnahme an Therapiesitzungen, sei es eine ambulante Heilbehandlung, eine Entziehungskur oder eine psycho- oder sozialtherapeutische Betreuung. Die regelmäßige Anwesenheit bei diesen Terminen sollte sorgfältig dokumentiert werden, um im Zweifelsfall die Einhaltung der Auflagen nachweisen zu können.
Neben therapeutischen Maßnahmen können auch andere Auflagen bestehen, wie die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder einem Verkehrsunterricht. Auch diese Verpflichtungen müssen gewissenhaft erfüllt werden. Es empfiehlt sich, Bescheinigungen über die Teilnahme an solchen Kursen aufzubewahren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vermeidung neuer Straftaten während der Bewährungszeit. Jegliches strafbare Verhalten kann zu einem Widerruf der Bewährung führen. Daher ist es ratsam, sich von Situationen und Personen fernzuhalten, die möglicherweise zu erneutem Fehlverhalten verleiten könnten.
Finanzielle Auflagen, wie die Zahlung von Geldbußen oder Wiedergutmachungsleistungen, sollten pünktlich und vollständig erfüllt werden. Bei Zahlungsschwierigkeiten ist es wichtig, frühzeitig das Gespräch mit dem Bewährungshelfer zu suchen, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Die Dokumentation aller Bemühungen zur Einhaltung der Bewährungsauflagen ist von großer Bedeutung. Dazu gehören Belege über Therapiesitzungen, Zahlungsnachweise und schriftliche Aufzeichnungen über Gespräche mit dem Bewährungshelfer. Diese Unterlagen können im Falle von Unstimmigkeiten oder Missverständnissen als Nachweis dienen.
Bei Veränderungen der persönlichen Lebensumstände, wie einem Umzug oder Arbeitsplatzwechsel, sollte umgehend der Bewährungshelfer informiert werden. Offene Kommunikation und Transparenz sind entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und mögliche Probleme frühzeitig zu adressieren.
Es ist ratsam, sich bei Unsicherheiten bezüglich der Bewährungsauflagen oder bei auftretenden Schwierigkeiten unverzüglich an den Bewährungshelfer oder einen Rechtsanwalt zu wenden. Proaktives Handeln und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit können dazu beitragen, einen drohenden Bewährungswiderruf abzuwenden.
Die strikte Einhaltung aller Auflagen und Weisungen, verbunden mit einer kooperativen Haltung gegenüber den zuständigen Stellen, bildet die Grundlage für einen erfolgreichen Verlauf der Bewährungszeit. Durch verantwortungsvolles Verhalten und die Nutzung der angebotenen Unterstützungsmaßnahmen können Betroffene aktiv dazu beitragen, einen Bewährungswiderruf zu verhindern und die Chance auf eine erfolgreiche Resozialisierung zu erhöhen.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Bewährungswiderruf: Ein Bewährungswiderruf bedeutet, dass die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wieder in Vollzug gesetzt wird. Dies geschieht, wenn der Verurteilte gegen die ihm auferlegten Weisungen verstößt oder neue Straftaten begeht. In diesem Fall wurde die Bewährung widerrufen, weil der Verurteilte den Kontakt zur Bewährungshilfe abbrach und keine Therapie nachwies.
- Strafvollstreckungskammer: Diese Kammer ist ein spezielles Gericht, das über die Vollstreckung von Strafen entscheidet, einschließlich der Überwachung der Bewährungsauflagen. Sie prüft, ob der Verurteilte die Auflagen einhält und entscheidet über den Widerruf der Bewährung. In diesem Fall entschied die Strafvollstreckungskammer zunächst den Widerruf, der später vom Oberlandesgericht aufgehoben wurde.
- Anhörungsrecht: Das Anhörungsrecht garantiert, dass der Verurteilte vor einer Entscheidung über den Bewährungswiderruf seine Sichtweise darlegen kann. Das Gericht muss den Verurteilten über alle relevanten Gründe für den Widerruf informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Im beschriebenen Fall wurde dieses Recht verletzt, was zur Aufhebung des Widerrufs führte.
- Weisungen: Weisungen sind spezielle Anordnungen, die der Verurteilte während der Bewährungszeit befolgen muss. Sie können z.B. regelmäßige Treffen mit einem Bewährungshelfer oder die Teilnahme an einer Therapie umfassen. Der Verurteilte in diesem Fall missachtete diese Weisungen, was den Bewährungswiderruf zur Folge hatte.
- Resozialisierung: Resozialisierung bezeichnet den Prozess, durch den ein Straftäter in die Gesellschaft integriert wird, um zukünftige Straftaten zu verhindern. Bei der Bewährung sind Maßnahmen wie Therapie und Bewährungshilfe Teil dieses Prozesses. Das Ziel ist, den Verurteilten zu unterstützen, ein straffreies Leben zu führen.
- Verfahrensfehler: Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Dies kann zur Aufhebung der Entscheidung führen. Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht einen Verfahrensfehler festgestellt, da der Verurteilte nicht vollständig angehört wurde, was zur Aufhebung des Bewährungswiderrufs führte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 56f StGB (Widerruf der Strafaussetzung): Regelt die Voraussetzungen, unter denen eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe widerrufen werden kann. Im vorliegenden Fall wurde die Bewährung widerrufen, da der Verurteilte gegen Weisungen verstoßen hat, indem er den Kontakt zur Bewährungshilfe abbrach und keine Therapietermine wahrnahm.
- § 453 Abs. 2 StPO (Anhörung des Verurteilten): Garantiert dem Verurteilten das Recht, vor einem Bewährungswiderruf angehört zu werden. Im vorliegenden Fall wurde das Anhörungsrecht verletzt, da die Kammer nach dem Anhörungstermin noch Informationen eingeholt hat, ohne dem Verurteilten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
- § 463 Abs. 3 StPO (Prüfungsumfang): Beschränkt den Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren gegen einen Bewährungswiderruf auf Rechtsfehler. Das Oberlandesgericht prüfte daher nur, ob die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung Rechtsfehler begangen hat, nicht jedoch, ob die Entscheidung in der Sache richtig war.
- § 56c Abs. 1 StGB (Bestimmtheit der Weisungen): Fordert, dass Weisungen im Bewährungsbeschluss so bestimmt formuliert sein müssen, dass der Verurteilte erkennen kann, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Im vorliegenden Fall ist fraglich, ob die Therapieweisung ausreichend bestimmt war.
- § 57 StGB (Verlängerung der Bewährungszeit): Ermöglicht die Verlängerung der Bewährungszeit, wenn der Verurteilte erneut straffällig wird. Im vorliegenden Fall wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen den Verurteilten eingeleitet, was ein Grund für eine Verlängerung der Bewährungszeit sein könnte.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Celle – Az.: 1 Ws 69/24 – Beschluss vom 26.02.2024
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In der Bewährungssache hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 26. Februar 2024 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde vom 3. Januar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde am 14. Oktober 2015 vom Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, am 29. Mai 2017 vom Landgericht Stade wegen Betruges in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten und am 11. März 2021 vom Landgericht Stade wegen Betruges – unter Einbeziehung einer Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bremervörde vom 7. November 2019 – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Vollzug der Strafen erfolgte seit dem 10. Dezember 2020 in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde.
Mit Beschluss vom 29. April 2022 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde die Vollstreckung des Restes dieser Strafen nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung aus und setzte die Bewährungszeit auf drei Jahre fest. Zugleich wurde der Verurteilte „der Leitung und Führung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt“. Er wurde angewiesen, „nach näherer Maßgabe der Bewährungshilfe regelmäßigen persönlichen Kontakt zur Bewährungshilfe zu halten und Termine wahrzunehmen; während der ersten sechs Monate nach der Haftentlassung mindestens einmal monatlich“. Ferner wurde er angewiesen, keinen Alkohol zu trinken und „sich innerhalb von zwei Monaten nach seiner Entlassung in psychotherapeutische Behandlung im Hinblick auf seine Alkoholsucht zu begeben und diese nicht abzubrechen, solange dies von Seiten des Psychologen für erforderlich gehalten wird“. Zusätzlich wurde dem Verurteilten „die Auflage erteilt, sich einer Selbsthilfegruppe für Alkoholgefährdete anzuschließen und an deren Gruppensitzungen regelmäßig teilzunehmen“. Es wurde bestimmt, dass der Verurteilte die Teilnahme an der Therapie und den Sitzungen der Selbsthilfegruppe der Bewährungshilfe auf deren Verlangen nachzuweisen hat.
Der Verurteilte wurde daraufhin am 13. Mai 2022 aus der Strafhaft entlassen. Er stand danach zunächst im Kontakt mit dem Ambulanten Justizsozialdienst in S. Nachdem er im November 2022 zu seiner Partnerin nach S.-H. gezogen war, unterstellte die Strafvollstreckungskammer ihn mit Beschluss vom 20. Februar 2023 der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin G. in L. Zu dieser hielt der Verurteilte zunächst bis Juli 2023 Kontakt, war danach für sie aber nicht mehr erreichbar und meldete sich nicht mehr bei ihr. Nachweise über die Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen hat er weder ihr noch dem Ambulanten Justizsozialdienst in S. vorgelegt. Am 26. September 2023 teilte die Polizeidirektion L. der Strafvollstreckungskammer mit, dass gegen den Verurteilten ein Verfahren wegen Betruges geführt werde.
Mit Schreiben vom 20. November 2023 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten schriftlich zu einem Bewährungswiderruf an, weil er sich der Aufsicht und Leitung seiner Bewährungshelferin beharrlich entzogen habe, zugleich wurde ihm Gelegenheit zur mündlichen Anhörung am 18. Dezember 2023 gegeben. Der Verurteilte meldete sich daraufhin bei der Bewährungshelferin und begründete ihr gegenüber die Versäumung der Gesprächstermine mit einem Alkoholrückfall. Er berichtete, dass er eine Therapiemaßnahme in der A.-Klinik in N. i. H. durchgeführt und sich anschließend um eine Anbindung an die Suchtberatungsstelle bemüht habe. Die Bewährungshelferin forderte ihn daraufhin zur Vorlage entsprechender Nachweise auf. Zum Anhörungstermin am 18. Dezember 2023 erschien der Verurteilte nicht. Am 3. Januar 2024 telefonierte die Einzelrichterin der Strafvollstreckungskammer mit der Bewährungshelferin. Diese teilte mit, dass sich der Verurteilte bei ihr nicht mehr gemeldet und auch keine Unterlagen eingereicht habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Januar 2024 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Verurteilte sich der Bewährungshilfe beharrlich entzogen und gegen Weisungen gröblich und beharrlich verstoßen habe. Er habe seit dem 13. Juli 2023 keinen Kontakt zur Bewährungshelferin und lediglich kurz vor dem Anhörungstermin mit ihr telefoniert, danach habe er keinen weiteren Kontakt zu ihr aufgenommen oder Unterlagen bezüglich der im Bewährungsbeschluss aufgegebenen Durchführung einer Therapie und Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe vorgelegt. In Anbetracht des Ermittlungsverfahrens wegen Betruges habe er mit seinem Verhalten Anlass zur Besorgnis gegeben, dass er erneut Straftaten begehen werde.
Der Verurteilte hat gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat Bescheinigungen vorgelegt, wonach er vom 19. Dezember 2023 bis 9. Januar 2024 im A.-Krankenhaus in N. behandelt wurde und seit dem 5. Februar 2024 bis auf weiteres in der dortigen Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie behandelt wird. Eine dazugehörige ärztliche Verordnung vom 23. Januar 2024 weist als Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10: F 33.1G), aus.
II.
Der angefochtene Beschluss ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer den Anforderungen an die Anhörung des Verurteilten nicht gerecht wird.
Vor einem Widerruf der Strafaussetzung wegen Weisungsverstößen hat das Gericht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO mündlich anzuhören, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und schwerwiegende Gründe nicht entgegenstehen. Seine spätere Entscheidung über den Widerruf darf das Gericht nur auf solche Tatsachen stützen, die bereits Gegenstand der Anhörung waren. Holt das Gericht nach der Anhörung telefonisch weitere Informationen ein, muss es den Verurteilten zu diesen neuen Erkenntnissen erneut anhören (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 – 121 AR 13 – 14/17 -, Rn. 10, juris, m. w. N.).
Diesen Anforderungen hält das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer nicht stand. Die Strafvollstreckungskammer stützt sich in der Begründung ihres Widerrufsbeschlusses ausdrücklich darauf, dass der Verurteilte auch nach dem Anhörungstermin keinen weiteren Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und keine Therapienachweise vorgelegt hat. Sie bezieht sich dabei auf Erkenntnisse aus dem Telefonat mit der Bewährungshelferin vom 3. Januar 2024, das erst nach dem Anhörungstermin vom 18. Dezember 2023 erfolgt ist und zu dessen Inhalt dem Verurteilten keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieser Gehörsverstoß zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat. Wenn die Strafvollstreckungskammer ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben hätte, hätte er insbesondere die Nachweise über seinen Klinikaufenthalt seit dem 19. Dezember 2023 vorlegen und gegebenenfalls mündlich erläutern können. Dies hätte die Strafvollstreckungskammer zu der Bewertung führen können, dass seine Untätigkeit nach der Anhörung am 18. Dezember 2023 unverschuldet gewesen sein könnte.
Dem Anhörungsschreiben vom 20. November 2023 konnte der Verurteilte im Übrigen nicht entnehmen, dass der Widerruf auch auf das Fehlen von Therapienachweisen gestützt werden könnte. Denn dieses bezog sich nur darauf, dass sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin entzogen habe. Es ist nicht auszuschließen, dass der Verurteilte auch auf ein insoweit vollständiges Anhörungsschreiben anders reagiert und gegebenenfalls seine Gründe für die Weisungsverstöße schriftlich oder mündlich erläutert hätte.
III.
Der Senat kann die Anhörungsmängel nicht selbst beheben und ist daher an einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 309 Abs. 2 StGB gehindert. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 – 121 AR 13 – 14/17 -, Rn. 12, juris m. w. N.).
Bei ihrer neuen Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer näher zu prüfen haben, ob die Depressionserkrankung des Verurteilten der Annahme eines beharrlichen Weisungsverstoßes entgegensteht. Denn Beharrlichkeit erfordert, dass der Verstoß gegen die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers dem Verurteilten auch vorwerfbar ist (OLG Köln, Beschluss vom 24. März 2010 – 2 Ws 178/10 -, Rn. 9, juris). Schon bislang hat die Strafvollstreckungskammer dabei zutreffend auf den Zeitraum abgestellt, in dem der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin G. unterstellt war. Denn ein Bewährungswiderruf wegen fehlender Kontakthaltung zum Bewährungshelfer setzt voraus, dass der Bewährungshelfer namentlich bestellt worden ist (OLG Celle, Beschluss vom 22. Juni 2021 – 2 Ws 154/21 -, juris). Eine solche namentliche Bestellung ist erst mit Beschluss vom 20. Februar 2023 erfolgt.
Sollte die Strafvollstreckungskammer trotz der mittlerweile begonnenen Behandlung in einer psychiatrischen Tagesklinik erneut einen Widerruf wegen Verstoßes gegen die Therapieweisung (Ziff. 8 des Bewährungsbeschlusses) erwägen, wird sie die dafür geltenden besonderen Voraussetzungen zu berücksichtigen haben. Der fehlende Nachweis einer Therapie setzt nach dem Bewährungsbeschluss nicht nur eine entsprechende Aufforderung voraus, sondern erfordert außerdem, dass die Therapieweisung selbst ausreichend bestimmt ist (KG, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 5 Ws 198 – 199/20 -, Rn. 19, juris). Hierfür sind regelmäßig Angaben zur Art und zur stationären oder ambulanten Durchführung der Behandlung, zur Therapieeinrichtung oder zum Therapeuten, zur Dauer der Therapie und zur Art und Häufigkeit der Termine erforderlich (KG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 5 Ws 198 – 199/20 -, Rn. 9, juris). Derartige Angaben lassen sich dem Bewährungsbeschluss vom 29. April 2022 nicht entnehmen.
Im Hinblick auf die Angaben des Verurteilten zu einem Alkoholrückfall wird die Strafvollstreckungskammer außerdem zu berücksichtigen haben, dass ein Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen die im Bewährungsbeschluss enthaltene Abstinenzweisung nur zulässig ist, wenn der Verurteilte unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse, des Grades seiner Abhängigkeit und des Verlaufs und des Erfolgs der bisherigen Therapiebemühungen überhaupt zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage war (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Dezember 2016 – III-3 Ws 370/16 -, Rn. 39, juris).
IV.
Die Kostenentscheidung ist der abschließenden Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbehalten (§ 464 Abs. 2 StPO).
V.
Gegen diesen Beschluss ist nach § 304 Abs. 4 StPO ein Rechtsmittel nicht eröffnet.