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Übersicht
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Thema war die Gewerbsmäßigkeit bei Betrugsdelikten.
- Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass die Gewerbsmäßigkeit keine eigene Straftat darstellt, sondern eine Strafzumessungsregel ist.
- Im vorliegenden Fall ging es um 56 Fälle von gewerbsmäßigem Betrug und 3 Fälle von gewerbsmäßigem Computerbetrug.
- Das Amtsgericht Herford hatte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
- Die Berufung des Angeklagten beschränkte sich auf den Rechtsfolgenausspruch.
- Das Landgericht Bielefeld hatte die Berufung als unbegründet verworfen, jedoch ohne eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit zu treffen.
- Das Oberlandesgericht Hamm hob das Urteil des Landgerichts im Strafausspruch auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer.
- Die Gewerbsmäßigkeit beeinflusst nur die Strafzumessung und nicht den Schuldspruch an sich.
- Für die Strafzumessung muss das Gericht eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen, wenn diese als Straferschwerungsgrund berücksichtigt wird.
- Die Entscheidung hat zur Folge, dass die Berufungsgerichte bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung selbst eigene Feststellungen treffen müssen, um die Strafzumessung korrekt zu beurteilen.
Berufungsgericht muss Gewerbsmäßigkeit bei Betrug eigenständig prüfen
Betrug ist eine der am häufigsten begangenen Straftaten in Deutschland. Das Strafgesetzbuch sieht für bestimmte Betrugsvarianten sogar höhere Strafen vor, insbesondere wenn die Tat „gewerbsmäßig“ begangen wird. Aber was genau bedeutet der Begriff „Gewerbsmäßigkeit“ im strafrechtlichen Kontext?
Entscheidend ist, ob der Täter die Tat mit der Absicht begeht, sich durch wiederholte Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Anders ausgedrückt: Wird der Betrug systematisch und auf Dauer angelegt, um daraus einen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen, liegt Gewerbsmäßigkeit vor. Das Gericht muss dann im Rahmen der Strafzumessung diesen erschwerenden Umstand berücksichtigen.
Wie sich die Rechtsprechung zu diesem Thema entwickelt hat und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, erfahren Sie im Folgenden anhand eines aktuellen Gerichtsbeschlusses.
Gewerbsmäßigkeit im Strafrecht verstehen
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✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm
Betrugsfall mit 56 Fällen von Betrug und 3 Fällen von Computerbetrug
Der vorliegende Fall befasst sich mit einem Angeklagten, der vom Amtsgericht Herford wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 56 Fällen und wegen gewerbsmäßigen Computerbetrugs in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Der Angeklagte legte daraufhin Berufung ein, die er später auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Das Landgericht Bielefeld verwarf die Berufung des Angeklagten als unbegründet, entfernte jedoch in der Urteilsformel jeweils den Zusatz „gewerbsmäßigen“ vor „Betruges“ und „Computerbetruges“.
Revision beim Oberlandesgericht Hamm eingelegt
Der Angeklagte legte gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld Revision beim Oberlandesgericht Hamm ein. Er rügte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die aus seiner Sicht zu hohe Strafe sowie eine unzureichende Binnendifferenzierung hinsichtlich der einzelnen Strafhöhen. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beantragte, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Teilweise Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch das OLG Hamm
Das OLG Hamm gab der Revision teilweise statt und hob das landgerichtliche Urteil im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf. Das Landgericht hatte eigene Feststellungen zur Frage der Gewerbsmäßigkeit unterlassen, obwohl es hierzu trotz der Beschränkung der Berufung verpflichtet gewesen wäre. Bei § 263 Abs. 3 StGB (Betrug im besonders schweren Fall) handelt es sich nämlich nicht um einen selbstständigen Straftatbestand, sondern um eine gesetzliche Strafzumessungsregel. Die Gewerbsmäßigkeit ist nur für die Strafzumessung relevant, nicht für den Schuldspruch.
Zurückverweisung an andere Strafkammer und Aufhebung der Gesamtstrafe
Das OLG Hamm verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurück. Da der Strafausspruch nicht haltbar war, konnte auch die gebildete Gesamtstrafe keinen Bestand haben. Die weitergehende Revision wurde als unbegründet verworfen. Die Einziehung von Wertersatz auf Grundlage der insoweit bindenden amtsgerichtlichen Feststellungen blieb unbeanstandet.
Kernpunkte des Beschlusses sind somit:
- Bei gewerbsmäßigem Betrug handelt es sich um eine Strafzumessungsregel, nicht um einen eigenen Tatbestand.
- Das Berufungsgericht muss auch bei einer Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen.
- Unterlässt es dies, ist der Strafausspruch aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht, dass die Gewerbsmäßigkeit beim Betrug keine Tatbestandsvoraussetzung, sondern ein reiner Strafzumessungsgrund ist. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht auch bei einer auf den Strafausspruch beschränkten Berufung eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen muss. Unterlässt es dies, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Strafzumessung, sodass der Strafausspruch keinen Bestand haben kann. Dies unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Tatsachenfeststellung und rechtlichen Würdigung durch die Instanzgerichte.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Thema: Gewerbsmäßiger Betrug
Was bedeutet „gewerbsmäßig“ im Zusammenhang mit Betrugsdelikten?
Gewerbsmäßiger Betrug liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung von Betrugstaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Entscheidend sind dabei die Regelmäßigkeit, Intensität, Dauerhaftigkeit und Professionalität im Handeln des Täters. Die angestrebten finanziellen Vorteile müssen in einer gewissen Relation zur Bedeutung der täglichen Lebensführung des Täters stehen.
Es ist nicht erforderlich, dass der Täter seinen kompletten Lebensunterhalt durch die Betrugstaten bestreiten will. Es genügt, wenn der beabsichtigte Gewinn nicht ganz unerheblich ist und eine Art „Nebeneinkommen“ darstellt. Vollkommen geringfügige Nebeneinkommen oder nur auf kurze Zeit angelegte Zusatzverdienste reichen hingegen nicht aus.
Für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit kommt es allein auf die Absicht des Täters an. Daher kann bereits die erste Tat als gewerbsmäßig eingestuft werden, wenn der Täter mit der erforderlichen Absicht handelt. Es ist nicht notwendig, dass er zum Zeitpunkt der Tat bereits mehrere Betrugstaten begangen hat.
Der gewerbsmäßige Betrug stellt einen besonders schweren Fall des Betrugs gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB dar. Er wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Beim einfachen Betrug beträgt die Strafandrohung hingegen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
Für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit durch das Gericht müssen im konkreten Fall Anhaltspunkte für die Absicht des Täters vorliegen, sich eine dauerhafte Einnahmequelle von einigem Umfang durch wiederholte Betrugstaten zu verschaffen. Das Berufungsgericht muss hierzu eigene Feststellungen treffen. Allein der Umstand, dass der Täter in der Vergangenheit gelegentlich Betrugstaten begangen hat, reicht noch nicht aus. Es müssen vielmehr Umstände ersichtlich sein, die darauf schließen lassen, dass er auch zukünftig weitere Betrugstaten begehen will.
Wie wirkt sich die Gewerbsmäßigkeit auf die Strafzumessung bei Betrug aus?
Die Gewerbsmäßigkeit beim Betrug stellt einen Strafschärfungsgrund dar, der sich erheblich auf die Strafzumessung auswirkt. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will.
Gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall des Betrugs vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt. Während der Strafrahmen für den Grundtatbestand des Betrugs Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht (§ 263 Abs. 1 StGB), erhöht er sich in besonders schweren Fällen auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 263 Abs. 3 S. 2 StGB). Die Mindeststrafe steigt somit von Geldstrafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe, die Höchststrafe verdoppelt sich von fünf auf zehn Jahre.
Handelt der Täter den Betrug zusätzlich als Mitglied einer Bande gewerbsmäßig, liegt sogar ein Verbrechenstatbestand vor, der mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft wird (§ 263 Abs. 5 StGB). In minder schweren Fällen des bandenmäßigen gewerbsmäßigen Betrugs ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit müssen Regelmäßigkeit, Intensität, Dauerhaftigkeit und Professionalität im Handeln des Täters vorhanden sein. Die angestrebten finanziellen Vorteile müssen in einer gewissen Relation zur Bedeutung der täglich notwendigen Lebensführung des Täters stehen. Es reicht aus, wenn der geplante Gewinn nicht geringfügig ist und als eine Art „Nebenverdienst“ dient. Völlig unbedeutende Nebeneinkünfte oder nur für einen begrenzten Zeitraum bestimmte Einnahmen genügen hingegen nicht.
Gewerbsmäßiger Betrug liegt beispielsweise vor, wenn der Täter durch wiederholte Betrugstaten über einen längeren Zeitraum hinweg eine dauerhafte Einkommensquelle generieren will. Ein typisches Beispiel ist der sogenannte „Enkeltrick“, bei dem ein Betrüger sich in regelmäßigen Abständen bei verschiedenen Opfern als Verwandter ausgibt, um sich Geld zu erschleichen. Auch das unbefugte Beziehen von staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Hartz IV, Bafög oder Wohngeld über einen längeren Zeitraum kann gewerbsmäßigen Betrug darstellen.
Die Feststellung der Gewerbsmäßigkeit erfordert konkrete Feststellungen des Tatgerichts zu den Umständen, die die Annahme einer Wiederholungsabsicht und einer nicht unerheblichen Einnahmequelle rechtfertigen. Liegen die Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit vor, muss das Gericht zwingend den erhöhten Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB zugrunde legen. Andernfalls liegt ein Rechtsfehler vor, der zur Aufhebung des Urteils führen kann.
Ist gewerbsmäßiger Betrug ein eigener Straftatbestand?
Nein, der gewerbsmäßige Betrug stellt keinen eigenen Straftatbestand dar, sondern ist lediglich eine Strafzumessungsregel zum Grundtatbestand des Betrugs gemäß § 263 StGB.
Der entscheidende Unterschied zwischen einem Straftatbestand und einer Strafzumessungsregel liegt darin, dass der Tatbestand die Voraussetzungen definiert, die erfüllt sein müssen, damit eine Handlung überhaupt strafbar ist. Nur wenn alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurden, kann eine Strafe verhängt werden.
Eine Strafzumessungsregel wie der gewerbsmäßige Betrug kommt dagegen erst zur Anwendung, nachdem bereits alle Voraussetzungen des Grundtatbestands des Betrugs erfüllt sind. Sie dient dann dazu, die konkrete Strafhöhe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu bestimmen. Während der einfache Betrug mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, erhöht sich beim gewerbsmäßigen Betrug der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren.
Für die Praxis bedeutet dies, dass in einem Strafverfahren zunächst immer der Grundtatbestand des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB geprüft werden muss. Erst wenn dieser bejaht wurde, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob zusätzlich die Voraussetzungen des gewerbsmäßigen Betrugs erfüllt sind und daher ein erhöhter Strafrahmen zur Anwendung kommt. Das Berufungsgericht muss daher stets eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen, auch wenn die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde.
Als anschauliches Beispiel lässt sich der sogenannte „Enkeltrick“ anführen. Ein Betrüger, der sich wiederholt als Verwandter älterer Menschen ausgibt, um diesen Geld herauszulocken, verwirklicht zunächst den Grundtatbestand des Betrugs. Begeht er diese Taten fortgesetzt, um sich eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen, liegt zusätzlich gewerbsmäßiger Betrug vor.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 263 StGB (Betrug): Dieser Paragraph definiert den Tatbestand des Betrugs und stellt die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Strafverfolgung von Betrugsdelikten bereit. Im konkreten Fall wurde der Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt.
- § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB (Strafzumessungsregel): Diese Regel beschreibt die besonderen Umstände, unter denen der Betrug als besonders schwerer Fall gewertet wird, was zu einer höheren Strafe führt. Die Gewerbsmäßigkeit ist hierbei ein Beispiel für einen solchen erschwerenden Umstand.
- § 354 Abs. 2 StPO (Aufhebung und Zurückverweisung): Dieser Paragraph regelt die Möglichkeiten der Aufhebung eines Urteils und die Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung. Das Oberlandesgericht Hamm hat das Urteil des Landgerichts Bielefeld teilweise aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
- § 349 Abs. 4 StPO (Verwerfung und Erfolg der Revision): Diese Vorschrift ermöglicht es dem Revisionsgericht, das Urteil teilweise aufzuheben und den Fall zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen, wenn die Revision teilweise erfolgreich ist. Hier wurde die Revision des Angeklagten teilweise als begründet angesehen.
- § 349 Abs. 2 StPO (offensichtlich unbegründete Revisionen): Dieser Paragraph erlaubt es, Revisionen als unbegründet zu verwerfen, wenn keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestehen. Die weitergehende Revision wurde auf dieser Grundlage verworfen.
- § 263 Abs. 3 StGB (besonders schwerer Fall des Betrugs): Dieser Abschnitt spezifiziert, dass bestimmte Umstände, wie die Gewerbsmäßigkeit, den Betrug als besonders schweren Fall qualifizieren, was höhere Strafen nach sich zieht.
- Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch: Diese rechtliche Möglichkeit erlaubt es, die Berufung auf die Frage der Strafzumessung zu beschränken, ohne den Schuldspruch anzufechten. Dies war im vorliegenden Fall relevant, da der Angeklagte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte.
- Gewerbsmäßigkeit im strafrechtlichen Kontext: Dieser Begriff beschreibt die systematische und auf Wiederholung angelegte Begehung von Straftaten mit dem Ziel, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Die Gewerbsmäßigkeit war im vorliegenden Fall ein wesentlicher Aspekt der Strafzumessung.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Hamm
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 3 ORs 18/24 – Beschluss vom 02.04.2024
Leitsätze:
Bei § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB handelt es sich um keinen selbstständigen Straftatbestand, sondern um eine gesetzliche Strafzumessungsregel. Ist die Gewerbsmäßigkeit der Tat als Regelbeispiel für einen Straferschwerungsgrund ausgestaltet, so ist sie allein für die Strafzumessung relevant. Im Falle einer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch oder Strafausspruch muss das Berufungsgericht daher selbständig eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen.
Das angefochtene Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14.12.2023 wird im Strafausspruch mit den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
G r ü n d e:
I.
Das Amtsgericht – Schöffengericht – Herford hat den Angeklagten mit Urteil vom 18.08.2023 wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ in 56 Fällen und wegen „gewerbsmäßigen Computerbetruges“ in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine frist- und formgerecht eingelegte Berufung hat der Angeklagte später auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Das Landgericht Bielefeld hat daraufhin mit dem hier angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass in der Urteilsformel vor „Betruges“ und vor „Computerbetruges“ jeweils der Zusatz „gewerbsmäßigen“ entfällt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die aus seiner Sicht zu hohe Strafe sowie eine unzureichende Binnendifferenzierung hinsichtlich der einzelnen Strafhöhen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Stellungnahme vom 06.03.2024 beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision hat in der Sache teilweise Erfolg und führt auf die Sachrüge hin in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO zur teilweisen Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld. Der Strafausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat seiner Zumessung „für jede der Taten“ (UA 8) den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt, ohne eigene Feststellungen zur Frage der angenommenen Gewerbsmäßigkeit (§ 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB) getroffen zu haben.
Von eigenen Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung war die Strafkammer trotz wirksamer Teilrücknahme der Berufung nicht befreit. Eine innerprozessuale Bindung an die entsprechenden Feststellungen des Amtsgerichts bestand nicht. Umfasst von der Bindungswirkung der mit einer wirksamen Berufungsbeschränkung eintretenden horizontalen Teilrechtskraft sind in erster Linie die Tatsachen, in denen Tatbestandsmerkmale zu finden sind, darüber hinaus die weitergehenden Feststellungen zum Tatgeschehen im Sinne des geschichtlichen Vorgangs und die Tatsachen, aus denen der Beweis abgeleitet wird (Senat, Beschluss vom 20.01.2020, III-3 RVs 59/19 – juris).
Bei § 263 Abs. 3 StGB handelt es sich um keinen selbstständigen Straftatbestand, sondern um eine gesetzliche Strafzumessungsregel (Fischer, StGB, 71. Auflage 2024, § 263, Rn. 209). Ist die Gewerbsmäßigkeit der Tat als Regelbeispiel für einen Straferschwerungsgrund ausgestaltet, so ist sie allein für die Strafzumessung relevant. Es handelt sich weder um einen Umstand, der den Schuldspruch trägt, noch – zumindest im vorliegenden Fall – um einen doppelrelevanten Umstand, der Schuld- und Strafausspruch gleichermaßen berührt. Für die Frage, wann Schuldspruch und Strafzumessung so miteinander verknüpft sind, dass ein die Strafbarkeit erhöhender oder mindernder Umstand eine doppelrelevante Tatsache darstellt, kommt es neben der besonderen Lage des Einzelfalls auf die Trennbarkeit von den bindenden Feststellungen an. Ist es möglich, einen Umstand aus den Urteilsgründen herauszulösen und insoweit abweichende Feststellungen zu treffen, ohne die innere Einheit der Urteilsgründe in Frage zu stellen, handelt es sich in der Regel nicht um eine doppelrelevante Tatsache (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16 – juris Rn. 14 ff. zu § 95 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 lit. b AMG a.F.).
Die Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit sind regelmäßig vom Schuldspruch widerspruchsfrei abtrennbar. Die gewerbsmäßige Begehung hat auf das eigentliche Tatbild, wie es für den Schuldspruch maßgeblich ist, keinen Einfluss und ist für die Tatausführung auch nicht von entscheidender Prägung, so dass die innere Einheit der Urteilsgründe nicht gefährdet wird, wenn das Berufungsgericht hierzu eigene Feststellungen trifft. Wenngleich es sich bei der Gewerbsmäßigkeit auch um eine Handlungsmotivation handelt, reicht diese über die konkrete Tat hinaus; der besondere Unrechtsgehalt liegt gerade in der auf die Begehung weiterer Taten gerichteten Planung. Die die gewerbsmäßige Begehung begründenden Umstände können daher in der Regel hinzu- oder hinweggedacht werden, ohne dass der für den Schuldspruch tragende Geschehensablauf hiervon berührt würde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. November 2019 – 1 Rv 21 Ss 784/19 –; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2018 – 3 OLG 130 Ss 19/18 –; beide zitiert nach juris). Daran gemessen ist hier schon vor dem Hintergrund der diesbezüglich isolierten Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten in der amtsgerichtlichen Entscheidung (dort UA7, Bl. 574 d. A.) eine Trennbarkeit unproblematisch gegeben.
Standen die vom Amtsgericht zum gewerbsmäßigen Vorgehen des Angeklagten getroffenen Feststellungen trotz der von dem Angeklagten erklärten Teilrücknahme seines Rechtsmittels bzw. Beschränkung auf die Rechtsfolgenentscheidung somit nicht bindend fest, hatte die Strafkammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen.
Dies hat sie hier unterlassen und im Gegenteil zum Ausdruck gebracht, dass sie sich „infolge der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch an die vom Amtsgericht festgestellten tatsächlichen Voraussetzungen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles in Form der gewerbsmäßigen Begehung für jede der Taten gebunden“ betrachte.
Es kommt danach nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch der zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte Umstand, er habe „planmäßig das Überführungsrisiko“ vermindert, schon nicht von den zugrundeliegenden Feststellungen belegt wird. Darüber hinaus lässt auch die Formulierung, der Angeklagte habe „zugleich eine Schadenswiedergutmachung verhindert“ besorgen, dass die Kammer insoweit das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes rechtsfehlerhaft strafschärfend gewürdigt haben könnte.
2. Damit kann auch die gebildete Gesamtstrafe keinen Bestand haben.
3. Die weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Anordnung der Einziehung von Wertersatz auf der Grundlage der insoweit bindenden Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.