Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Kammergericht Berlin: Berufung auch bei Absehen von Strafe zulässig – § 313 StPO nicht analog anwendbar
- Schuldspruch ohne Strafe: Amtsgericht sieht von Bestrafung wegen geringer Schuld ab (§ 86a StGB)
- Streit um Zulässigkeit der Berufung: Landgericht verlangt Annahme nach § 313 StPO
- Kammergericht hebt Entscheidung auf: Berufung der Beschuldigten ist zulässig
- Begründung des Kammergerichts: Warum § 313 StPO bei Absehen von Strafe nicht greift
- Praktische Folge: Landgericht muss Berufung nun inhaltlich prüfen
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „Absehen von Strafe wegen geringer Schuld“ genau?
- Was bedeutet es, wenn das Landgericht die Berufung „nicht annimmt“?
- Warum war das Kammergericht anderer Meinung als das Landgericht?
- Was passiert jetzt, nachdem das Kammergericht entschieden hat?
- In welchen Fällen kann von Strafe abgesehen werden und welche Rolle spielt die Höhe der Schuld dabei?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 4 Ws 7/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Kammergericht Berlin
- Datum: 29. Februar 2024
- Verfahrensart: Beschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Angeklagte, die Beschwerde gegen die Verwerfung ihrer Berufung einlegte.
- Beklagte: Landgericht Berlin, dessen Entscheidung über die Unzulässigkeit der Berufung angefochten wurde.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Amtsgericht befand die Angeklagte zwar für schuldig, sah aber wegen geringer Schuld von einer Bestrafung ab. Sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung ein. Das Landgericht verwarf die Berufungen als unzulässig, da es meinte, für diese Fälle sei eine Annahme durch das Berufungsgericht nötig.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob eine Berufung gegen ein Urteil, das von Strafe absieht, wie in Bagatellfällen vom Berufungsgericht angenommen werden muss oder ob die Berufung ohne diese Annahme zulässig ist. Es ging um die analoge Anwendung einer Vorschrift über die Annahmebedürftigkeit (§ 313 Abs. 1 StPO).
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Kammergericht hob den Beschluss des Landgerichts auf, der die Berufung der Angeklagten als unzulässig verworfen hatte. Damit ist die Berufung der Angeklagten als zulässig anzusehen.
- Begründung: Das Kammergericht entschied, dass die Vorschrift über die Annahmebedürftigkeit (§ 313 Abs. 1 StPO) im Gesetz das Absehen von Strafe nicht erwähnt. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, da sie nicht ausdrücklich geregelt sei und eine Planwidrige Regelungslücke nicht klar erkennbar sei.
- Folgen: Das Landgericht muss nun über die Berufung der Angeklagten inhaltlich entscheiden.
Der Fall vor Gericht
Kammergericht Berlin: Berufung auch bei Absehen von Strafe zulässig – § 313 StPO nicht analog anwendbar
Das Kammergericht Berlin hat in einem wichtigen Beschluss vom 29. Februar 2024 (Az. nicht im Originaltext genannt) entschieden, dass eine Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil auch dann ohne weiteres zulässig ist, wenn das Gericht zwar einen Schuldspruch fällt, aber aufgrund geringer Schuld von einer Bestrafung absieht.

Die Vorschrift des § 313 Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO), die für bestimmte Bagatelldelikte eine Annahme der Berufung durch das Landgericht erfordert, findet in Fällen des „Absehens von Strafe“ keine analoge Anwendung. Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Beschuldigten, da sie den Zugang zur nächsten Instanz in diesen Fällen erleichtert.
Schuldspruch ohne Strafe: Amtsgericht sieht von Bestrafung wegen geringer Schuld ab (§ 86a StGB)
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten. Dieses hatte eine Frau des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a des Strafgesetzbuches (StGB) für schuldig befunden. Jedoch entschied das Amtsgericht, von einer Strafe abzusehen. Es stützte sich dabei auf die spezielle Regelung in § 86a Absatz 3 in Verbindung mit § 86 Absatz 5 StGB, die ein solches Absehen von Strafe bei geringer Schuld ermöglicht. Obwohl die Frau somit einen Schuldspruch erhielt, wurde keine konkrete Strafe wie eine Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt.
Streit um Zulässigkeit der Berufung: Landgericht verlangt Annahme nach § 313 StPO
Gegen dieses Urteil des Amtsgerichts legten sowohl die verurteilte Frau als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein, um das Urteil in der nächsthöheren Instanz, dem Landgericht Berlin, überprüfen zu lassen. Das Landgericht Berlin wies jedoch beide Berufungen mit einem Beschluss vom 18. Dezember 2023 als unzulässig zurück. Es stützte seine Entscheidung auf § 313 Absatz 2 Satz 2 StPO.
Die Begründung des Landgerichts war, dass die Berufungen der Annahme durch das Landgericht bedurft hätten, diese aber nicht erfolgt sei. Zwar nennt § 313 Absatz 1 StPO – die Vorschrift, die eine solche Annahmebedürftigkeit für Berufungen in Bagatellfällen regelt – das „Absehen von Strafe“ nicht ausdrücklich. Das Landgericht meinte jedoch, die Vorschrift müsse analog angewendet werden. Es argumentierte mit einem sogenannten Erst-Recht-Schluss: Wenn schon bei geringfügigen Strafen wie einer Geldstrafe bis zu 15 Tagessätzen oder einer Verwarnung mit Strafvorbehalt die Berufung angenommen werden muss, dann müsse dies erst recht gelten, wenn die Rechtsfolge noch milder sei – wie eben beim Absehen von Strafe wegen geringer Schuld. Dies diene dem Zweck des § 313 StPO, die Berufungsgerichte von Bagatellsachen zu entlasten. Gegen diese Zurückweisung ihrer Berufung legte die Frau über ihren Verteidiger am 31. Dezember 2023 sofortige Beschwerde beim Kammergericht ein.
Kammergericht hebt Entscheidung auf: Berufung der Beschuldigten ist zulässig
Das Kammergericht Berlin gab der sofortigen Beschwerde der Frau statt. Es hob den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 18. Dezember 2023 auf, soweit dieser die Berufung der Frau als unzulässig verworfen hatte. Die Berufung der Frau gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten ist somit zulässig. Das Landgericht Berlin muss sich nun inhaltlich mit den Argumenten der Berufung auseinandersetzen.
Zunächst stellte das Kammergericht klar, dass die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts überhaupt zulässig war. Zwar ist nach § 322a Satz 2 StPO die Entscheidung über die Annahme einer Berufung selbst unanfechtbar. Dies gilt laut ständiger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte aber nur dann, wenn die Berufung tatsächlich annahmebedürftig ist. Wenn – wie hier vom Kammergericht angenommen – das Landgericht fälschlicherweise von einer Annahmepflicht ausgeht oder diese zumindest strittig ist, bleibt es bei der allgemeinen Anfechtbarkeit solcher Verwerfungsbeschlüsse gemäß § 322 Abs. 2 StPO. Der Gesetzgeber wollte nur die sachliche Prüfung der Annahmegründe dem Rechtsmittelzug entziehen, nicht aber die vorgelagerte Frage, ob überhaupt ein Bagatellfall im Sinne des § 313 Abs. 1 StPO vorliegt. Die Beschwerde war auch fristgerecht eingelegt.
Begründung des Kammergerichts: Warum § 313 StPO bei Absehen von Strafe nicht greift
In der Hauptsache widersprach das Kammergericht der Auffassung des Landgerichts entschieden: § 313 Absatz 1 Satz 1 StPO ist auf Fälle des Absehens von Strafe nicht analog anwendbar.
Das Gericht führte aus, dass der Wortlaut der Vorschrift das Absehen von Strafe eindeutig nicht umfasst. Die Frage einer analogen Anwendung wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beantwortet. Während einige Gerichte und Autoren eine Analogie – zumindest bei Absehen von Strafe wegen geringer Schuld – befürworten (sog. Erst-Recht-Schluss), lehnt ein anderer Teil dies unter Verweis auf das Gebot der Rechtsmittelklarheit generell ab.
Das Kammergericht schloss sich der ablehnenden Meinung an und begründete dies ausführlich mit zwei Hauptargumenten:
1. Gebot der Rechtsmittelklarheit: Das Kammergericht betonte die hohe Bedeutung der Rechtsmittelklarheit, wie sie auch vom Bundesverfassungsgericht immer wieder eingefordert wird. Bürger müssen aus dem Gesetz selbst klar erkennen können, welche Rechtsmittel ihnen unter welchen Voraussetzungen zur Verfügung stehen. Gerade bei Vorschriften, die den Zugang zu einem Rechtsmittel beschränken – wie § 313 StPO –, seien besonders strenge Anforderungen an die Eindeutigkeit zu stellen. Eine analoge Anwendung, die nicht auf einer gefestigten und allgemein anerkannten Rechtsprechung beruht, sei hier verfassungsrechtlich problematisch. Da es zur analogen Anwendung von § 313 StPO auf das Absehen von Strafe keine solche gefestigte Rechtsprechung gibt, spreche bereits das Gebot der Rechtsmittelklarheit gegen eine solche Auslegung durch die Gerichte.
2. Fehlende planwidrige Regelungslücke: Unabhängig von verfassungsrechtlichen Bedenken fehle es aber bereits an den grundlegenden Voraussetzungen für eine Analogie. Eine Analogie setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine bestimmte Fallgestaltung übersehen hat und diese Regelung bei Kenntnis der Lücke getroffen hätte (sog. planwidrige Regelungslücke). Das Kammergericht konnte jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Gesetzgeber das „Absehen von Strafe“ bei der Schaffung des § 313 Abs. 1 StPO nur versehentlich nicht aufgenommen hat.
- Der Gesetzgeber verfolgte mit § 313 StPO das Ziel, die Berufungsgerichte in Fällen „kleinerer Kriminalität“ zu entlasten. Gleichzeitig wollte er aber eine einfache und klar handhabbare Regelung schaffen, die Zweifelsfragen möglichst vermeidet. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass die gewählte Aufzählung in § 313 Abs. 1 StPO (Geldstrafe bis 15 TS, Verwarnung mit Strafvorbehalt etc.) nicht jeden denkbaren Bagatellfall erfasst und zu Wertungswidersprüchen führen kann. Dies wurde laut den Gesetzesmaterialien (BR-Drs. 12/1217) „im Interesse der größtmöglichen Vereinfachung“ bewusst in Kauf genommen. Als Beispiel nennt das KG, dass schon das Hinzutreten eines Fahrverbots oder einer geringen Einziehungsentscheidung dazu führt, dass § 313 StPO nicht mehr greift – gerade um die Zulässigkeitsprüfung einfach zu halten.
- Weiterhin führte das Gericht aus, dass das „Absehen von Strafe“ eine sehr heterogene Rechtsfolge ist. Es kommt in zahlreichen Vorschriften des Strafgesetzbuches (Allgemeiner Teil: §§ 23 Abs. 3, 46a Abs. 1, 46b Abs. 1, 60 StGB; Besonderer Teil: §§ 86 Abs. 5, 86a Abs. 3, 113 Abs. 4, 157, 158 Abs. 1 etc.) und in Nebengesetzen (z.B. § 29 Abs. 5 Betäubungsmittelgesetz) vor. Die Gründe für ein Absehen von Strafe sind vielfältig und nicht immer auf geringe Schuld (§ 60 StGB) beschränkt. Es gibt Fälle wie den Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB), die Aufklärungshilfe (§ 46b StGB) oder die tätige Reue bei schweren Delikten (z.B. §§ 158 Abs. 1, 306e Abs. 1 StGB), die nicht ohne weiteres der „kleineren Kriminalität“ zuzuordnen sind.
- Wollte man das Absehen von Strafe in § 313 StPO berücksichtigen, hätte der Gesetzgeber – um dem Ziel der Einfachheit treu zu bleiben – wohl nur einzelne, klar definierte Fälle des Absehens von Strafe aufnehmen können. Dies hätte aber zu einer fragmentierten und unübersichtlichen Regelung geführt, die der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.
Aus diesen Gründen sei es nicht eindeutig, ob das Fehlen des „Absehens von Strafe“ in § 313 Abs. 1 StPO ein Versehen oder eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung im Sinne einer einfachen Pauschalregelung war. Da eine planwidrige Regelungslücke nicht sicher festgestellt werden kann, scheidet eine analoge Anwendung aus.
Praktische Folge: Landgericht muss Berufung nun inhaltlich prüfen
Im Ergebnis bedeutet die Entscheidung des Kammergerichts, dass die Berufung der Frau zulässig ist, weil der Fall des Absehens von Strafe nicht unter die Bagatellgrenze des § 313 Abs. 1 StPO fällt. Das Landgericht durfte die Berufung nicht wegen fehlender Annahme als unzulässig verwerfen. Es ist nun verpflichtet, sich inhaltlich mit den Argumenten der Berufung auseinanderzusetzen und eine Sachentscheidung zu treffen. Eine Kostenentscheidung traf das Kammergericht in diesem Zwischenverfahren nicht.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin stärkt die Rechte Beschuldigter, indem sie klarstellt, dass gegen einen Schuldspruch ohne Strafe (Absehen von Strafe) immer Berufung eingelegt werden kann, ohne dass diese vom Gericht erst angenommen werden muss. Dies gilt selbst bei Bagatelldelikten, da die Annahmevorschrift des § 313 StPO wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit nicht analog angewendet werden darf. Das Urteil schafft Rechtssicherheit für Betroffene und erleichtert ihnen den Zugang zur nächsten Gerichtsinstanz, wenn sie gegen einen Schuldspruch vorgehen möchten, auch wenn keine konkrete Strafe verhängt wurde.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Absehen von Strafe wegen geringer Schuld“ genau?
Wenn das Gericht eine Straftat verhandelt, prüft es zunächst, ob die angeklagte Person schuldig ist. Wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die Person die Tat begangen hat und dafür verantwortlich ist, spricht es einen Schuldspruch aus.
„Absehen von Strafe wegen geringer Schuld“ bedeutet nun Folgendes: Obwohl das Gericht festgestellt hat, dass Sie schuldig sind, wird keine Strafe gegen Sie verhängt. Das kann eine Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe oder eine andere gerichtliche Sanktion sein. Das Gericht trifft diese Entscheidung, weil die Schuld als besonders gering angesehen wird und es unter den gegebenen Umständen keinen Anlass für eine Bestrafung sieht.
Diese Möglichkeit ist im Gesetz vorgesehen, zum Beispiel im Strafgesetzbuch (§ 60 StGB) für bestimmte Delikte, bei denen die Schuld des Täters als sehr gering eingestuft wird.
Der Unterschied zum Freispruch
Es ist sehr wichtig, dies von einem Freispruch zu unterscheiden:
- Beim Freispruch stellt das Gericht fest, dass Sie nicht schuldig sind. Es gab keine Schuld im rechtlichen Sinne.
- Beim Absehen von Strafe stellt das Gericht fest, dass Sie schuldig sind. Die Schuld besteht, aber das Gericht verzichtet aus bestimmten Gründen auf die Verhängung einer Strafe.
Folgen trotz Straffreiheit
Auch wenn keine Strafe verhängt wird, bleibt der Schuldspruch bestehen. Dies ist nicht dasselbe, als wäre die Tat ungeschehen oder als wären Sie für unschuldig erklärt worden.
Eine solche gerichtliche Feststellung der Schuld kann unter bestimmten Voraussetzungen im Bundeszentralregister eingetragen werden. Eine Eintragung im Bundeszentralregister kann wiederum Bedeutung für Ihr Führungszeugnis haben, das Sie zum Beispiel bei Bewerbungen vorlegen müssen. Die genauen Regeln dafür sind komplex und hängen von der Art der Tat und anderen Faktoren ab.
Kurz gesagt: Sie werden als schuldig angesehen, aber das Gericht sieht von einer Bestrafung ab, weil die Schuld sehr gering ist. Dies ist eine besondere Regelung im Recht, unterscheidet sich aber klar von einem Freispruch.
Was bedeutet es, wenn das Landgericht die Berufung „nicht annimmt“?
Im deutschen Strafverfahren ist die Berufung ein Rechtsmittel, mit dem man ein Urteil der ersten Instanz, meist des Amtsgerichts, von einem höheren Gericht überprüfen lassen kann. Wenn Sie oder Ihr Verteidiger Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts einlegen, wird die Sache grundsätzlich beim Landgericht verhandelt.
Allerdings gibt es bei bestimmten Urteilen des Amtsgerichts eine Besonderheit. In diesen Fällen muss das Landgericht zunächst darüber entscheiden, ob es die Berufung überhaupt zu einer neuen Verhandlung zulässt. Juristen sprechen hier von der „Annahmebedürftigkeit“ der Berufung.
Dieser Mechanismus ist im Gesetz (§ 313 der Strafprozessordnung, kurz StPO) geregelt und dient als eine Art Filter. Er soll die Landgerichte entlasten, indem sehr geringfügige oder offensichtlich unbegründete Berufungen nicht zu einer vollständigen neuen Verhandlung führen müssen.
Wann ist eine Berufung „annahmebedürftig“?
Nicht jede Berufung muss vom Landgericht angenommen werden. Die Annahmebedürftigkeit hängt von der Art und Höhe der im Amtsgerichtsurteil verhängten Strafe ab. Sie liegt in der Regel vor, wenn das Amtsgericht zum Beispiel:
- nur auf eine Geldstrafe von höchstens 15 Tagessätzen erkannt hat.
- nur eine Verwarnung mit Strafvorbehalt oder eine Geldbuße verhängt hat.
- von Strafe abgesehen hat.
Es gibt noch weitere, spezifischere Fälle der Annahmebedürftigkeit.
Wann nimmt das Landgericht die Berufung an?
Auch wenn eine Berufung grundsätzlich annahmebedürftig ist, muss das Landgericht sie in bestimmten Fällen annehmen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn im Amtsgerichtsurteil eine höhere Strafe als die oben genannten verhängt wurde (z. B. eine höhere Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe oder wenn ein Fahrverbot über vier Monate verhängt wurde).
Auch bei annahmebedürftigen Berufungen kann das Landgericht die Berufung annehmen, wenn es der Meinung ist, dass eine neue Verhandlung nötig ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Amtsgerichtsurteil einen schwerwiegenden Fehler enthält oder die Sache aus anderen Gründen, wie der Klärung einer wichtigen Rechtsfrage, von Bedeutung ist. Das Landgericht prüft also, ob die Berufung eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat oder das Urteil des Amtsgerichts offensichtlich unrichtig ist.
Was bedeutet die „Nichtannahme“?
Wenn das Landgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Berufung nicht die Voraussetzungen für eine Annahme erfüllt, erlässt es einen sogenannten Beschluss, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wird. Es findet dann keine mündliche Verhandlung vor dem Landgericht statt.
Das hat zur Folge, dass das Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig wird. Es ist damit endgültig, und der Fall wird vom Landgericht nicht inhaltlich überprüft.
Die Nichtannahme der Berufung durch das Landgericht bedeutet nicht, dass das ursprüngliche Urteil des Amtsgerichts automatisch fehlerfrei oder richtig ist. Es bedeutet lediglich, dass die nächste Instanz (das Landgericht) den Fall aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht erneut inhaltlich prüft und keine neue Beweisaufnahme durchführt. Für Sie als Betroffener ist der Weg der Berufung damit beendet.
Warum war das Kammergericht anderer Meinung als das Landgericht?
Das Landgericht und das Kammergericht hatten eine unterschiedliche Auffassung darüber, wie in einem bestimmten Fall mit dem Recht auf Berufung umzugehen ist. Berufung ist eine Möglichkeit, ein Urteil der ersten Instanz (hier Landgericht) von einem höheren Gericht (hier Kammergericht) überprüfen zu lassen.
Der Kern des Unterschieds lag in der Auslegung eines bestimmten Gesetzesparagraphen der Strafprozessordnung, des § 313 StPO. Dieser Paragraph besagt, dass bei bestimmten sehr geringen Strafen (wie zum Beispiel einer Verwarnung mit Strafvorbehalt oder einer geringen Geldstrafe bis zu 15 Tagessätzen) die Möglichkeit einer umfassenden Berufung auf das nächsthöhere Gericht eingeschränkt sein kann.
Das Landgericht war der Meinung, dass dieser Paragraph (§ 313 StPO) auch dann angewendet werden sollte, wenn das Gericht von einer Strafe abgesehen hat. „Absehen von Strafe“ bedeutet, dass das Gericht zwar feststellt, dass eine Person eine Straftat begangen hat, aber aus bestimmten, im Gesetz genannten Gründen entscheidet, keine Strafe zu verhängen. Wenn § 313 StPO hier gelten würde, wäre eine Berufung, die eine volle neue Verhandlung ermöglicht, nicht oder nur eingeschränkt möglich gewesen.
Warum das Kammergericht anders entschied
Das Kammergericht sah das anders. Es stellte klar, dass § 313 StPO nicht analog (also nicht sinngemäß, obwohl es nicht ausdrücklich im Text steht) auf Fälle des Absehens von Strafe angewendet werden darf. Die Begründung des Kammergerichts war, dass das Gesetz (§ 313 StPO) ausdrücklich von der Verhängung bestimmter geringer Strafen spricht. Ein Absehen von Strafe ist aber gerade das Gegenteil: Es wird eben keine Strafe verhängt.
Die Bedeutung der Entscheidung des Kammergerichts
Diese Entscheidung des Kammergerichts ist wichtig, weil sie die Rechte der beschuldigten Person stärkt. Indem das Gericht die Anwendung von § 313 StPO auf Fälle des Absehens von Strafe ablehnt, eröffnet es der Person die Möglichkeit, volle Berufung gegen das Urteil einzulegen. Eine volle Berufung bedeutet, dass der Fall vor dem höheren Gericht (Kammergericht) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht neu verhandelt wird. Zeugen können erneut gehört, Beweise neu bewertet und rechtliche Argumente vollständig vorgetragen werden.
Was die Entscheidung nicht bedeutet
Es ist wichtig zu verstehen: Die Entscheidung des Kammergerichts bedeutet nicht, dass die beschuldigte Person automatisch „gewonnen“ hat. Es bedeutet lediglich, dass ihr Fall nun in der Berufungsinstanz inhaltlich geprüft wird. Das Kammergericht wird den Fall vollständig neu aufrollen und dann entscheiden, ob das Landgericht korrekt entschieden hat, von einer Strafe abzusehen, oder ob eine andere Entscheidung (zum Beispiel doch eine Strafe oder ein Freispruch) rechtlich geboten ist. Die tatsächliche Entscheidung über den Fall steht nach der Kammergerichtsentscheidung also noch aus, aber der Weg für die volle Überprüfung ist offen.
Was passiert jetzt, nachdem das Kammergericht entschieden hat?
Nach der Entscheidung des Kammergerichts wird nun das Landgericht die Berufung der Frau inhaltlich prüfen. Dies ist der nächste Schritt im Verfahren, nachdem das Kammergericht möglicherweise eine Vorentscheidung getroffen oder einen bestimmten Punkt geklärt hat, der nun die weitere Bearbeitung durch das Landgericht ermöglicht.
Was bedeutet die inhaltliche Prüfung durch das Landgericht?
Die Berufung ist eine Möglichkeit, ein Urteil der ersten Instanz (hier: des Amtsgerichts) von einem höheren Gericht (hier: dem Landgericht) vollständig überprüfen zu lassen. In dieser inhaltlichen Prüfung betrachtet das Landgericht den Fall nochmals umfassend.
Das Gericht wird dabei:
- Die Argumente der Frau (und der Gegenseite, z.B. der Staatsanwaltschaft) anhören und bewerten.
- Die Beweise neu würdigen, die bereits vor dem Amtsgericht vorlagen.
- Gegebenenfalls auch neue Beweise erheben, wenn dies für die Entscheidungsfindung notwendig ist.
Ziel ist es, auf Grundlage der erneuten Prüfung eine eigene Entscheidung über die Schuldfrage und eine mögliche Strafe zu treffen.
Welche Ergebnisse sind möglich?
Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung nicht an das vorherige Urteil des Amtsgerichts gebunden. Es kann also zu einem anderen Ergebnis kommen.
Mögliche Konsequenzen dieser Prüfung durch das Landgericht sind vielfältig. Das Landgericht kann zum Beispiel:
- Das Urteil des Amtsgerichts bestätigen und die Berufung somit als unbegründet zurückweisen.
- Die Frau freisprechen, wenn es nach der erneuten Beweisaufnahme und Prüfung keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung sieht.
- Zu dem Ergebnis kommen, dass zwar eine Schuld vorliegt, aber eine mildere Strafe als vom Amtsgericht verhängt angemessen ist.
- In bestimmten Fällen das Urteil aufheben, was unter Umständen ein erneutes Verfahren vor dem Amtsgericht erforderlich machen kann.
Für die Beteiligten bedeutet die Prüfung durch das Landgericht, dass der Fall noch einmal von Grund auf beleuchtet und neu entschieden wird.
In welchen Fällen kann von Strafe abgesehen werden und welche Rolle spielt die Höhe der Schuld dabei?
Wenn jemand eine Straftat begeht, ist die Verurteilung zu einer Strafe grundsätzlich die übliche Folge. Das Strafrecht sieht aber in besonderen Situationen vor, dass das Gericht entscheiden kann, keine Strafe zu verhängen, obwohl die Tat bewiesen ist und der Täter schuldig ist. Man spricht hier vom „Absehen von Strafe“. Dies ist jedoch eine Ausnahme und an strenge Voraussetzungen geknüpft.
Ein ganz entscheidender Faktor dafür, ob von einer Strafe abgesehen werden kann, ist die Höhe der persönlichen Schuld des Täters. Wenn im Strafrecht von „Schuld“ die Rede ist, meint das nicht nur, dass jemand die Tat objektiv begangen hat. Es geht um die persönliche Vorwerfbarkeit – also, inwieweit der Täter für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann, ob er anders hätte handeln können oder ob besondere Umstände seine Tat oder seine Beweggründe beeinflusst haben.
Die Bedeutung der geringen Schuld und weitere Umstände
Eine besonders geringe Schuld ist oft die wichtigste Voraussetzung, um von einer Strafe abzusehen. Stellen Sie sich vor, jemand begeht eine Tat, die zwar formal strafbar ist, aber unter Umständen geschieht, die seine Schuld erheblich mindern. Vielleicht war die Tat nur eine spontane Reaktion in einer Ausnahmesituation, oder der Schaden war extrem gering, und es gab kaum eine böse Absicht. In solchen Fällen kann das Gericht die Schuld als so gering einschätzen, dass eine Bestrafung nicht unbedingt erforderlich ist, um die Ziele des Strafrechts zu erreichen (wie Abschreckung oder Wiedergutmachung).
Allerdings führt auch eine geringe Schuld nicht automatisch dazu, dass keine Strafe verhängt wird. Das Gericht betrachtet immer die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls. Dazu gehören zum Beispiel:
- Die Folgen der Tat für den Täter: Hat die Tat selbst schon so schwerwiegende Konsequenzen für den Täter gehabt, dass eine zusätzliche Strafe unverhältnismäßig wäre?
- Das Verhalten des Täters nach der Tat: Hat er versucht, den Schaden wiedergutzumachen oder sich mit dem Opfer versöhnt?
- Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung: Ist es trotz der geringen Schuld im Interesse der Allgemeinheit, dass die Tat bestraft wird?
Für Sie bedeutet das: Die Entscheidung, von einer Strafe abzusehen, ist eine komplexe Abwägung des Gerichts. Die geringe persönliche Schuld ist dabei ein zentrales Element, aber sie muss in Zusammenspiel mit allen anderen relevanten Umständen des Falles betrachtet werden. Es ist immer eine Einzelfallentscheidung, die sorgfältig begründet werden muss.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Absehen von Strafe wegen geringer Schuld
Das „Absehen von Strafe“ bedeutet, dass ein Gericht trotz Schuldspruch keine Strafe wie Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt, weil die Schuld des Täters als besonders gering eingeschätzt wird (§ 60 StGB). Das Gericht erkennt damit zwar die Schuld an, verzichtet aber aus sozialen oder strafrechtlichen Erwägungen auf eine Bestrafung. Diese Regelung dient dazu, Härten zu vermeiden, wenn ein Straftäter nur wenig verantwortungslos gehandelt hat.
Beispiel: Jemand begeht eine geringfügige Tat aus einer spontanen Fehlentscheidung und es liegt kein öffentliches Interesse an einer Strafe vor. Hier kann das Gericht von einer Bestrafung absehen, obwohl die Schuld festgestellt wird.
§ 313 StPO – Annahmebedürftigkeit der Berufung
§ 313 Strafprozessordnung (StPO) regelt, dass Berufungen gegen bestimmte geringe Strafen (z. B. Geldstrafe bis zu 15 Tagessätzen oder Verwarnung mit Strafvorbehalt) durch das Berufungsgericht zunächst angenommen werden müssen, bevor sie zur inhaltlichen Prüfung zugelassen werden. Diese sogenannte „Annahmebedürftigkeit“ soll Gerichte entlasten, indem schwerwiegende Verfahren von Bagatellfällen unterschieden werden. Nur wenn das Berufungsgericht die Berufung annimmt, kommt es zu einer neuen Verhandlung.
Beispiel: Wird gegen eine geringe Geldstrafe Berufung eingelegt, entscheidet das Landgericht zunächst, ob diese Berufung angenommen wird und damit überhaupt vor Gericht verhandelt wird.
Analogie (in der Rechtsanwendung)
Eine Analogie bedeutet, dass eine Rechtsnorm auf einen Fall angewendet wird, der nicht ausdrücklich vom Gesetz erfasst ist, weil eine ähnliche Regelungslücke vorliegt und der Zweck der Norm dies rechtfertigt. Voraussetzung ist eine planwidrige Regelungslücke, also dass der Gesetzgeber den konkreten Fall versehentlich nicht geregelt hat. Eine solche Auslegung ist nur zulässig, wenn sie dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht widerspricht.
Im vorliegenden Fall wurde darüber gestritten, ob § 313 StPO, der die Annahmebedürftigkeit von Berufungen regelt, auch sinngemäß (analog) auf Fälle des „Absehens von Strafe“ anzuwenden ist. Das Kammergericht verneinte dies mit Verweis auf fehlende planwidrige Regelungslücke und Rechtsmittelklarheit.
Beispiel: Wenn etwa das Gesetz Regelungen für kleine Geldstrafen trifft, eine neue Art von Bagatellstrafen aber noch nicht regelt, könnte man überlegen, ob die bestehende Vorschrift analog gilt – vorausgesetzt, der Gesetzgeber hat das nicht bewusst ausgeschlossen.
Planwidrige Regelungslücke
Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, wenn der Gesetzgeber bei Erlass einer Norm bestimmte Sachverhalte nicht bedacht oder versehentlich nicht geregelt hat, obwohl eine Regelung sinnvoll und beabsichtigt gewesen wäre. Für die Zulässigkeit einer Analogie ist eine solche Lücke zwingend erforderlich, um gesetzliche Planungen nicht zu verletzen. Wenn die Lücke aber bewusst in Kauf genommen wurde oder keine klare Intention besteht, besteht keine planwidrige Regelungslücke.
Im Streitfall sah das Kammergericht keine planwidrige Regelungslücke im Wortlaut von § 313 StPO hinsichtlich des Absehens von Strafe. Vielmehr habe der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, diese Fälle einzuschließen.
Beispiel: Wenn ein Gesetz über Parkverbote an Samstagen schweigt, obwohl es dort generell gelten sollte, kann man von einer planwidrigen Lücke ausgehen. Wenn aber der Gesetzgeber bewusst entschieden hat, für Samstage keine Regelung zu treffen, besteht keine solche Lücke.
Rechtsmittelklarheit
Rechtsmittelklarheit bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger aus der gesetzlichen Regelung eindeutig und klar erkennen können müssen, welche Rechtsmittel ihnen offenstehen und unter welchen Bedingungen sie diese einlegen dürfen. Dies ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Prinzip, weil Rechtsmittelbeschränkungen die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen beeinflussen. Unklare oder schwammige Gesetze, die nicht eindeutig aufzeigen, wann Berufungen zulässig sind, verletzen dieses Prinzip.
Im vorliegenden Fall führte das Kammergericht aus, dass eine analoge Anwendung von § 313 StPO auf das Absehen von Strafe die Rechtsmittelklarheit verletzt, weil die gesetzliche Regelung dies nicht ausdrücklich vorsieht und eine unsichere Rechtsprechung besteht.
Beispiel: Wenn ein Gesetz nicht deutlich macht, ob gegen eine bestimmte Entscheidung Berufung möglich ist, wissen Betroffene nicht, wie sie ihr Recht effektiv wahrnehmen können – das widerspricht dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 313 StPO (Strafprozessordnung), insbesondere Abs. 1 Satz 1: Regelt die Annahmebedürftigkeit von Berufungen bei Bagatellsachen, also bei geringfügigen Delikten wie Geldstrafen bis zu 15 Tagessätzen oder Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Diese Regelung dient der Entlastung von Berufungsgerichten und schränkt den Rechtsmittelzugang ein, ist aber ausdrücklich nur für bestimmte Fälle vorgesehen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Kammergericht stellt fest, dass § 313 StPO nicht auf Fälle des Absehens von Strafe angewendet oder analog ausgeweitet werden darf, da das Absehen von Strafe keine Bagatellstrafmaßnahme i.S. dieser Vorschrift ist.
- § 86a StGB (Strafgesetzbuch): Verbietet das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und stellt dies unter Strafe. § 86a Absatz 3 in Verbindung mit § 86 Absatz 5 StGB erlaubt bei geringer Schuld das Absehen von Strafe trotz Schuldspruch. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Verurteilte wurde wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gesprochen, jedoch wegen geringer Schuld von einer Strafe verschont, wodurch die Berufungsklagefrage kompliziert wird.
- § 322 Abs. 2 StPO: Regelt die Anfechtbarkeit von Entscheidungen über die Verwerfung von Rechtsmitteln, insbesondere dass Entscheidungen über die Annahme von Berufungen grundsätzlich unanfechtbar sind, außer wenn die Annahmepflicht strittig oder falsch beurteilt wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Kammergericht hebt hervor, dass die Entscheidung des Landgerichts über die angebliche Annahmepflicht der Berufung nicht unanfechtbar war, da die Annahmebedürftigkeit strittig war, und die sofortige Beschwerde somit zulässig ist.
- Gebot der Rechtsmittelklarheit (Verfassungsprinzip): Anspruch darauf, dass Rechtsmittelrechte dem Bürger klar und eindeutig aus dem Gesetz erkennbar sein müssen, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Dies wird auch vom Bundesverfassungsgericht gefordert, besonders bei Vorschriften, welche den Zugang zu Rechtsmitteln beschränken. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Kammergericht lehnt eine analoge Anwendung von § 313 StPO auf das Absehen von Strafe ab, da diese die Rechtsmittelklarheit verletzen und für den Bürger nicht erkennbar wäre.
- Grundsätze zur Analogie im Strafrecht: Analogie ist nur zulässig bei Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, also wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Sachverhalt übersehen hat und die Ausdehnung der Norm nötig ist. Andernfalls ist eine Ausdehnung unzulässig. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Kammergericht stellt fest, dass keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, da der Gesetzgeber das Absehen von Strafe bewusst nicht in § 313 StPO aufgenommen hat, womit eine Analogie ausscheidet.
- § 60 StGB (Strafzumessung und geringer Schuld): Ermöglicht im Bereich der Strafzumessung das Absehen von Strafe bei geringerer Schuld. Diese Regelung kann das Strafmaß mildern, ohne die Schuldfrage zu ändern. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgericht berief sich auf diese Norm, um trotz Schuldspruch von einer Strafe abzusehen, was den Kern der Diskussion zur Berufungszulässigkeit und zur Einordnung unter § 313 StPO bildet.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 4 Ws 7/24 – 161 AR 6/24 – Beschluss vom 29.02.2024
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