Weil er Polizisten in Landshut die „Scheibenwischer“-Geste zeigte und fragte, „seids ihr no ganz dicht?“, stand ein Mann wegen Beleidigung von Polizeibeamten vor Gericht. Die bayerischen Richter mussten klären, ob die Geste und die Worte noch unter den Schutz der Meinungsfreiheit fielen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Beleidigung der Polizei: Wann schützt die Meinungsfreiheit?
- Ist der Scheibenwischer eine strafbare Beleidigung?
- Wann schützt Artikel 5 GG bei Kritik an der Polizei?
- Warum wurde der Angeklagte vom Beleidigungsvorwurf freigesprochen?
- Was bedeutet der Beschluss für Kritik an der Polizei?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt Kritik an der Polizei als geschützte Meinungsfreiheit und nicht als Beleidigung?
- Zählt eine Geste wie der ‚Scheibenwischer‘ gegenüber Beamten immer als strafbare Beleidigung?
- Reicht das subjektive Gefühl eines Polizisten aus, um mich wegen Beleidigung zu verurteilen?
- Wie muss ein Gericht eine mehrdeutige Äußerung auslegen, um eine Verurteilung zu vermeiden?
- Welche Konsequenzen drohen bei einer Verurteilung wegen Beleidigung in Tateinheit mit anderen Delikten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 343/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 14.10.2024
- Aktenzeichen: 206 StRR 343/24
- Verfahren: Strafverfahren (Revision)
- Rechtsbereiche: Meinungsfreiheit, Beleidigungsstrafrecht, Fahrerlaubnisrecht
- Das Problem: Ein Mann, der ohne Führerschein fuhr, fragte hinzukommende Polizisten, ob sie „noch ganz dicht“ seien und zeigte den Scheibenwischer. Er wurde in den Vorinstanzen wegen Beleidigung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.
- Die Rechtsfrage: Wann ist eine kritische und drastische Äußerung gegenüber Polizisten noch von der Meinungsfreiheit gedeckt und wann ist sie eine strafbare Beleidigung?
- Die Antwort: Die Verurteilung wegen Beleidigung wurde aufgehoben; der Mann wurde freigesprochen. Das Gericht stellte fest, dass die Äußerung auch als generelle Kritik am polizeilichen Vorgehen interpretiert werden konnte. Bei einer solchen Mehrdeutigkeit muss die Meinungsfreiheit Vorrang haben, solange eine straflose Deutung nicht ausgeschlossen werden kann.
- Die Bedeutung: Bürger dürfen auch deutliche Kritik am Vorgehen der Polizei äußern, ohne sofort eine strafbare Beleidigung zu begehen. Die Gerichte müssen bei Kritik am staatlichen Handeln immer prüfen, ob der Schutz der Meinungsfreiheit gilt.
Beleidigung der Polizei: Wann schützt die Meinungsfreiheit?

Ein Mann äußert gegenüber Polizisten die Frage „seids ihr no ganz dicht?“ und untermalt sie mit der „Scheibenwischer“-Geste. Für das Amts- und Landgericht Landshut war der Fall klar: eine strafbare Beleidigung. Doch das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hob die Verurteilung in einem bemerkenswerten Beschluss vom 14. Oktober 2024 auf und sprach den Mann frei (Az.: 206 StRR 343/24). Die Entscheidung beleuchtet eindrücklich die Grenze zwischen einer persönlichen Herabwürdigung von Beamten und einer zugespitzten, aber von der Meinungsfreiheit geschützten Kritik an staatlichem Handeln.
Ist der Scheibenwischer eine strafbare Beleidigung?
Der Vorfall, der die Justiz beschäftigte, ereignete sich vor dem Wohnanwesen des späteren Angeklagten. Konfrontiert mit einem Polizeieinsatz, den er als unverhältnismäßig empfand, richtete er an die erkennbaren Polizeibeamten die Worte „seids ihr no ganz dicht?“ und zeigte ihnen dabei zweimal den sogenannten Scheibenwischer, eine Geste mit der flachen Hand vor dem Gesicht.
Die Sache landete vor Gericht, verbunden mit einem weiteren Vorwurf: Der Mann war zudem ohne gültige Fahrerlaubnis Auto gefahren. Das Amtsgericht Landshut verurteilte ihn am 26. März 2024 wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Zusätzlich verhängte es eine Sperrfrist von 18 Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis und ordnete die Einziehung seines Fahrzeugs an. Der Angeklagte legte Berufung ein, doch das Landgericht Landshut bestätigte am 27. Mai 2024 im Wesentlichen den Schuldspruch. Es milderte die Strafe lediglich, indem es von der Einziehung des Fahrzeugs absah und für das Fahren ohne Fahrerlaubnis eine Einzelstrafe von sechs Monaten festsetzte. Gegen dieses Urteil legte der Mann Revision ein, das letzte Rechtsmittel, das nur noch auf Rechtsfehler prüft, nicht aber auf Tatsachen.
Wann schützt Artikel 5 GG bei Kritik an der Polizei?
Die rechtliche Auseinandersetzung drehte sich um das Spannungsfeld zweier fundamentaler Normen: dem Schutz der persönlichen Ehre nach § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) und dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 des Grundgesetzes (GG). § 185 StGB stellt die vorsätzliche Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung gegenüber einer anderen Person unter Strafe. Eine Geste wie der Scheibenwischer kann zweifellos ehrverletzenden Charakter haben.
Demgegenüber steht jedoch Artikel 5 GG. Dieses Grundrecht schützt nicht nur sachliche und durchdachte Äußerungen, sondern auch polemische und überspitzte Kritik, insbesondere wenn sie sich auf Maßnahmen der öffentlichen Gewalt bezieht. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt klargestellt, dass Kritik an staatlichem Handeln zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört. Eine Äußerung wird erst dann zur strafbaren Schmähkritik, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Für die Gerichte ergibt sich daraus eine besondere Pflicht: Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen sie prüfen, ob eine straflose Interpretation möglich ist. Eine Verurteilung wegen Beleidigung ist nur dann zulässig, wenn eine Deutung als geschützte Meinungsäußerung mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden kann.
Warum wurde der Angeklagte vom Beleidigungsvorwurf freigesprochen?
Das Bayerische Oberste Landesgericht folgte der Argumentation des Angeklagten und hob dessen Verurteilung wegen Beleidigung auf. Die Analyse des Senats zeigt, dass die Vorinstanzen die verfassungsrechtlichen Maßstäbe der Meinungsfreiheit nicht ausreichend beachtet hatten. Die Entscheidung ist ein Lehrstück darüber, wie Gerichte bei potenziell ehrverletzenden Äußerungen gegenüber Hoheitsträgern vorgehen müssen.
Kritik am Einsatz oder Angriff auf die Person?
Die zentrale Rechtsfrage für das BayObLG lautete: War die Kombination aus der Frage „seids ihr no ganz dicht?“ und der Scheibenwischer-Geste eine gezielte Herabwürdigung der anwesenden Polizisten als Personen oder eine – wenn auch drastische – Kritik an der Art und Weise ihres Vorgehens? Die Vorinstanzen hatten sich für Ersteres entschieden und dies als strafbare Beleidigung gewertet.
Das Revisionsgericht legte jedoch einen anderen Maßstab an. Es betonte, dass es auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Perspektive eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ankommt. Weder die rein subjektive Absicht des Angeklagten noch das subjektive Empfinden der betroffenen Beamten sind allein ausschlaggebend. Das Landgericht hatte seine Pflicht zur eigenen Auslegung verletzt, indem es lediglich auf die Feststellungen des Amtsgerichts verwies, ohne selbst eine Abwägung vorzunehmen.
Warum die Sicht der Polizisten nicht ausreichte
Ein entscheidendes Argument der Anklage und der Vorinstanzen war die Aussage eines der Polizisten, der sich durch die Äußerung und Geste persönlich gemeint und in seiner Ehre verletzt fühlte. Die Generalstaatsanwaltschaft argumentierte, diese Feststellung reiche aus, um den Schuldspruch zu tragen.
Diesem Ansatz erteilte das BayObLG eine klare Absage. Die subjektive Wahrnehmung eines Betroffenen kann die notwendige objektive Auslegung nicht ersetzen. Ein Gericht muss sich aktiv mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass die Äußerung anders gemeint war und auch anders verstanden werden konnte. Eine bloße Übernahme der Sicht des Opfers genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, insbesondere wenn der Kontext eine andere Deutung nahelegt.
Der entscheidende Kontext: „unverständlich und überzogen“
Den Ausschlag für den Freispruch gab ein Detail, das bereits in den Urteilen der Vorinstanzen dokumentiert war: Der Angeklagte empfand den Polizeieinsatz als „unverständlich und überzogen“. Dieser Kontext, so das BayObLG, ist für die Interpretation der Geste und der Worte von entscheidender Bedeutung. Er macht die Deutung plausibel, dass der Angeklagte nicht die Ehre der einzelnen Beamten angreifen, sondern sein fundamentales Unverständnis und seine Kritik an der polizeilichen Maßnahme als solcher zum Ausdruck bringen wollte. Die Frage „seids ihr no ganz dicht?“ kann in diesem Zusammenhang auch als zugespitzte Form von „was soll das?“ oder „das ist doch absurd“ verstanden werden.
Im Zweifel für die Meinungsfreiheit
Da der Gesamtkontext eine Deutung als allgemeine Kritik an staatlichem Handeln zuließ, griff ein zentraler Grundsatz des Verfassungsrechts: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Weil eine straflose Deutungsvariante nicht mit überzeugenden Argumenten ausgeschlossen werden konnte, war eine Verurteilung nach § 185 StGB rechtlich nicht haltbar. Das Gericht schloss zudem aus, dass eine neue Verhandlung weitere Fakten zutage fördern könnte, die eine Verurteilung rechtfertigen würden. Daher sprach es den Angeklagten in diesem Punkt gemäß § 354 Abs. 1 StPO direkt frei.
Warum das Strafmaß für das Fahren ohne Führerschein fehlerhaft war
Während der Schuldspruch wegen Beleidigung aufgehoben wurde, bestätigte das Gericht die Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG. Allerdings hielt der Rechtsfolgenausspruch – also die konkrete Strafe – der rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand. Das Landgericht hatte eine Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe verhängt, was im oberen Bereich des möglichen Strafrahmens von bis zu einem Jahr liegt. Eine solch hohe Strafe erfordert eine besonders sorgfältige Begründung, die das Gericht vermissen ließ. Es fehlten konkrete Feststellungen zu strafzumessungsrelevanten Umständen wie der gefahrenen Strecke oder den herrschenden Verkehrsverhältnissen. Auch die Begründung für die zusätzlich verhängte Isolierte Sperrfrist von 18 Monaten war laut BayObLG völlig unzureichend.
Was bedeutet der Beschluss für Kritik an der Polizei?
Mit dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist der Freispruch des Mannes vom Vorwurf der Beleidigung rechtskräftig. Die Sache wird nun an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen. Dort muss allerdings nur noch über die Höhe der Strafe für das Fahren ohne Fahrerlaubnis neu verhandelt und entschieden werden.
Die Entscheidung bekräftigt die hohe Stellung der Meinungsfreiheit, gerade wenn es um die Auseinandersetzung mit staatlichen Maßnahmen geht. Sie stellt klar, dass auch scharfe, polemische oder als unhöflich empfundene Kritik an der Polizei nicht automatisch eine strafbare Beleidigung darstellt. Solange eine Äußerung im Kern als Auseinandersetzung mit der Sache – dem polizeilichen Handeln – verstanden werden kann, ist sie durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Gerichte sind verpflichtet, diesen Schutzrahmen ernst zu nehmen und dürfen eine Verurteilung nicht allein auf das subjektive Ehrgefühl der betroffenen Beamten stützen.
Die Urteilslogik
Die Verfassung schützt auch drastische Kritik an staatlichem Handeln und verhindert, dass Gerichte die Meinungsfreiheit aufgrund des subjektiven Ehrgefühls von Amtsträgern einschränken.
- Grenze zwischen Sachkritik und Diffamierung: Die freie Meinungsäußerung schützt polemische und überspitzte Kritik an der öffentlichen Gewalt, solange der Kontext die Auseinandersetzung in der Sache zulässt und die Diffamierung der Person nicht eindeutig im Vordergrund steht.
- Objektive Auslegung bei Mehrdeutigkeit: Gerichte müssen mehrdeutige Äußerungen objektiv auslegen und eine Verurteilung wegen Beleidigung nur dann zulassen, wenn sie eine Deutung als geschützte Kritik am polizeilichen Vorgehen mit überzeugenden Gründen ausschließen können.
- Pflicht zur detaillierten Strafbegründung: Verhängen Gerichte hohe Einzelstrafen im oberen Strafrahmen, müssen sie dies präzise und detailliert begründen; fehlende konkrete Feststellungen zu strafzumessungsrelevanten Umständen machen das Strafmaß rechtlich fehlerhaft.
Das Grundgesetz verlangt, dass die Justiz die hohe Stellung der Meinungsfreiheit auch bei unhöflichen oder provokanten Äußerungen gegenüber Hoheitsträgern uneingeschränkt respektiert.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Viele glauben, wer die Polizei mit dem Scheibenwischer bedenkt und laut wird, kassiert automatisch eine Beleidigungsanzeige. Dieses Urteil zieht eine klare Grenze: Solange die Äußerung im Kern eine Kritik am polizeilichen Vorgehen darstellt und nicht nur die Beamten persönlich diffamiert, schützt die Meinungsfreiheit auch scharfe, polemische Reaktionen. Gerichte müssen künftig sehr genau prüfen, ob es wirklich um die Diffamierung der Person ging oder ob der Frust über das unverhältnismäßige staatliche Handeln im Vordergrund stand. Das ist eine wichtige Stärkung für Bürger, die emotional, aber in der Sache berechtigt, gegen behördliches Vorgehen protestieren wollen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt Kritik an der Polizei als geschützte Meinungsfreiheit und nicht als Beleidigung?
Die Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG) schützt Ihre Kritik an polizeilichen Maßnahmen sehr weitgehend. Äußerungen gelten solange als geschützt, wie sie sich auf das staatliche Handeln und nicht auf die gezielte Diffamierung der Beamten als Privatpersonen beziehen. Sogar polemische oder überspitzte Kritik kann unter diesen Schutz fallen. Die entscheidende Frage für Gerichte ist stets der objektive Sinn der Äußerung im Gesamtzusammenhang.
Der Grundsatz lautet, dass Artikel 5 GG gerade die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Gewalt umfasst. Scharfe oder unhöfliche Äußerungen gegenüber Polizisten stellen daher nicht automatisch eine Beleidigung dar. Die rechtliche Grenze wird erst bei der sogenannten Schmähkritik überschritten. Diese liegt vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die gezielte Herabwürdigung der Person im Vordergrund steht. Gerichte müssen daher immer prüfen, ob der dokumentierte Kontext eine Interpretation als sachbezogene Kritik an der polizeilichen Maßnahme zulässt.
Nehmen wir an, Sie empfanden einen Polizeieinsatz als unverständlich oder überzogen. In diesem Fall kann auch eine vermeintlich beleidigende Bemerkung noch als drastischer Ausdruck sachbezogener Kritik interpretiert werden. Gerichte dürfen eine Verurteilung nicht allein auf das subjektive Empfinden des betroffenen Polizisten stützen, da sie den objektiven Sinn der Äußerung aus der Perspektive eines unvoreingenommenen Publikums bestimmen müssen. Solange der Gesamtkontext eine straflose Deutung zulässt, greift der Grundsatz: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit.
Dokumentieren Sie sofort präzise und detailliert den konkreten polizeilichen Einsatz, auf den sich Ihre Kritik bezog, um den sachlichen Kontext belegen zu können.
Zählt eine Geste wie der ‚Scheibenwischer‘ gegenüber Beamten immer als strafbare Beleidigung?
Nein, eine nonverbale Geste wie der Scheibenwischer gilt nicht automatisch als strafbare Beleidigung. Entscheidend für die juristische Beurteilung ist die Auslegung der Äußerung im gesamten Kontext. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat klargestellt, dass eine solche Geste auch als drastische, aber geschützte Kritik am staatlichen Handeln interpretiert werden kann, statt als reiner Angriff auf die Person.
Eine Beleidigung setzt die vorsätzliche Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung gegenüber einer anderen Person voraus (§ 185 StGB). Gerichte müssen objektiv prüfen, ob die Geste tatsächlich auf die Diffamierung der Beamten als Privatpersonen abzielt. Die Grenze zur Strafbarkeit ist nur überschritten, wenn die Geste zur reinen Schmähkritik wird. Existieren mehrere Deutungsmöglichkeiten, muss der Grundsatz der Meinungsfreiheit stets beachtet werden.
Im konkreten Fall des BayObLG wurde die Geste nicht isoliert betrachtet, sondern zusammen mit einer verbalen Frage. Da der Betroffene den Polizeieinsatz als unverhältnismäßig empfunden hatte, sah das Gericht die Kombination als Ausdruck des fundamentalen Unverständnisses für die behördliche Maßnahme. Die zentrale Rechtsfrage ist immer, ob die Geste als Angriff auf die Person der Polizisten oder als zugespitzte Kritik an der Art ihres Vorgehens zu werten ist.
Um eine erfolgreiche Verteidigung zu gewährleisten, verfassen Sie sofort eine detaillierte Eigendarstellung, die den zwingenden kausalen Zusammenhang zwischen der konkreten Polizeihandlung und Ihrer Geste belegt.
Reicht das subjektive Gefühl eines Polizisten aus, um mich wegen Beleidigung zu verurteilen?
Nein, die bloße Aussage eines Beamten, er fühle sich persönlich in seiner Ehre verletzt, ist nicht ausreichend für eine Verurteilung wegen Beleidigung. Gerichte dürfen sich nicht allein auf das subjektive Empfinden des Betroffenen stützen. Stattdessen müssen sie den objektiven Sinn der Äußerung ermitteln und prüfen, ob sie auch anders verstanden werden kann. Dieser juristische Maßstab stellt sicher, dass scharfe Kritik an der Polizei als Meinungsäußerung geschützt bleibt.
Die Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesverfassungsgerichts, verlangt von Strafgerichten eine objektive Sinnbestimmung. Richter müssen entscheiden, wie ein unvoreingenommenes, verständiges Publikum die beanstandete Äußerung verstehen würde. Die zentrale Frage lautet: Bezieht sich die Kritik auf das staatliche Handeln der Polizisten oder zielt sie auf die gezielte Diffamierung der Beamten als Privatpersonen ab? Eine bloße Übernahme der Opferperspektive durch das Gericht stellt einen klaren Rechtsfehler dar.
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) betonte diesen Grundsatz in einem aktuellen Beschluss, indem es die Verurteilung eines Angeklagten wegen Beleidigung aufhob. Obwohl der betroffene Polizist sich persönlich beleidigt fühlte, genügte dies nicht. Gerichte sind verpflichtet, sich aktiv mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass die Äußerung anders gemeint war. Wenn der Kontext eine Deutung als Kritik an einem polizeilichen Handeln zulässt, muss diese straflose Interpretation Vorrang haben.
Bestehen Sie in Ihrer Einlassung darauf, dass Ihr Anwalt explizit die objektive Sinnbestimmung der Äußerung gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantragt.
Wie muss ein Gericht eine mehrdeutige Äußerung auslegen, um eine Verurteilung zu vermeiden?
Bei mehrdeutigen Äußerungen gegenüber Hoheitsträgern müssen Gerichte den verfassungsrechtlichen Grundsatz Im Zweifel für die Meinungsfreiheit anwenden. Eine Verurteilung wegen Beleidigung ist nur zulässig, wenn eine Deutung als geschützte Kritik mit überzeugenden und rechtlich haltbaren Gründen ausgeschlossen werden kann. Dies bedeutet, das Gericht muss eine aktive, eigene Abwägung vornehmen, die den Gesamtkontext der Äußerung berücksichtigt.
Strafgerichte dürfen den Schuldspruch nicht allein auf die Feststellungen von Vorinstanzen stützen. Sie sind verpflichtet, die strengen verfassungsrechtlichen Maßstäbe selbst anzulegen. Die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 GG schützt auch polemische oder überspitzte Kritik, besonders wenn sie staatliches Handeln betrifft. Entscheidend ist dabei der objektive Sinn der Äußerung, der aus der Perspektive eines unvoreingenommenen Publikums zu bestimmen ist.
Konkret macht der dokumentierte Anlass eine straflose Deutung oft plausibel. Ein Beispiel: Wenn eine Äußerung im Kontext des Empfindens eines Polizeieinsatzes als „unverständlich und überzogen“ fiel, wird sie leicht als Kritik an der Maßnahme interpretiert. Konnte diese straflose Deutung nicht überzeugend ausgeschlossen werden, greift die Meinungsfreiheit. Die Mehrdeutigkeit der Äußerung muss dann zwangsläufig zur Aufhebung der Verurteilung führen.
Rügen Sie in der Berufung oder Revision explizit, wenn das Vorgericht die Pflicht zur eigenständigen, verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung missachtet und lediglich auf die Interpretation der Vorinstanz verwiesen hat.
Welche Konsequenzen drohen bei einer Verurteilung wegen Beleidigung in Tateinheit mit anderen Delikten?
Wenn Sie wegen Beleidigung und gleichzeitig eines weiteren, oft schwerwiegenderen Delikts – wie etwa Fahren ohne Fahrerlaubnis – verurteilt werden, liegt eine sogenannte Tateinheit vor. Das Gericht bildet aus den einzelnen Strafen eine Gesamtstrafe. Die Gesamtfreiheitsstrafe muss dabei höher sein als die höchste Einzelstrafe, aber unter der Summe aller Einzelstrafen liegen. Gerade die Höhe des Strafmaßes und die dazugehörigen Nebenfolgen, wie eine Führerscheinsperre, sind oft anfechtbar.
Für jede Tat muss das Gericht eine Einzelstrafe festsetzen. Liegt die Einzelstrafe für das schwerwiegendere Delikt im oberen Bereich des möglichen Strafrahmens, fordert die Rechtsprechung eine besonders sorgfältige Begründung. Revisionsgerichte prüfen strikt, ob das Urteil exakte Feststellungen zu allen strafzumessungsrelevanten Umständen enthält. Fehlen diese konkreten Angaben, etwa zur gefahrenen Strecke oder den herrschenden Verkehrsverhältnissen, gilt die Strafe als unzureichend begründet.
Ein prominenter Fall zeigt die Konsequenz solcher Mängel: Wegen Fahrens ohne Führerschein verhängte ein Landgericht eine sechsmonatige Freiheitsstrafe bei einem Maximalrahmen von einem Jahr. Weil die Urteilsbegründung diese hohe Einzelstrafe nicht ausreichend detailliert belegte, hob das BayObLG den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Dies schloss auch die unzureichend begründete isolierte Sperrfrist mit ein. Solche Begründungsmängel führen zur Zurückverweisung des Falles an eine andere Kammer zur Neuverhandlung der Strafhöhe.
Fordern Sie von Ihrem Anwalt die sofortige Überprüfung der Urteilsbegründung auf mangelnde Feststellungen und die Verhältnismäßigkeit der Nebenfolgen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Isolierte Sperrfrist
Eine Isolierte Sperrfrist ist eine gerichtliche Anordnung, die dem Verurteilten die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis für einen festgelegten Zeitraum untersagt, obwohl er gar keinen Führerschein besitzt.
Juristen verhängen diese Sperrfrist, um sicherzustellen, dass Personen, die vorsätzlich ohne Erlaubnis fahren, nicht einfach sofort nach der Verurteilung einen neuen Führerschein beantragen können; sie dient der Verkehrssicherheit und der erzieherischen Wirkung.
Beispiel: Da das Landgericht die isolierte Sperrfrist von 18 Monaten nicht ausreichend begründet hatte, forderte das BayObLG eine neue Verhandlung über diesen Rechtsfolgenausspruch.
Meinungsfreiheit (Art. 5 GG)
Dieses Grundrecht garantiert jedem Bürger, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, selbst wenn die Äußerungen polemisch oder überspitzt sind.
Die Meinungsfreiheit schützt insbesondere die öffentliche Auseinandersetzung mit staatlichem Handeln, weil eine funktionierende Demokratie auf der freien Kritik an der öffentlichen Gewalt basiert und dies einen Kernbereich demokratischer Rechte darstellt.
Beispiel: Im vorliegenden Fall musste das Gericht prüfen, ob die Äußerungen des Angeklagten als geschützte Meinungsfreiheit oder als strafbare Beleidigung gegenüber den Polizeibeamten zu werten waren.
Objektive Sinnbestimmung
Juristen nennen die Objektive Sinnbestimmung das Verfahren, bei dem Gerichte eine Äußerung nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen, sondern nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen Publikums auslegen.
Dieses strenge Kriterium ist notwendig, um Mehrdeutigkeiten bei Kritik an Hoheitsträgern im Sinne der Meinungsfreiheit aufzulösen und eine willkürliche Strafverfolgung zu verhindern.
Beispiel: Die Vorinstanzen verletzten ihre Pflicht zur objektiven Sinnbestimmung, indem sie sich allein auf die Aussage des Polizisten stützten, er habe sich persönlich in seiner Ehre verletzt gefühlt.
Rechtsfolgenausspruch
Der Rechtsfolgenausspruch beschreibt den Teil eines Strafurteils, der sich ausschließlich mit der konkreten Strafe – also der Höhe der Freiheitsstrafe oder Geldstrafe sowie den Nebenfolgen – beschäftigt.
Nur wenn dieser Ausspruch sorgfältig begründet ist und alle strafzumessungsrelevanten Umstände berücksichtigt, ist er revisionsfest; das Gesetz erzwingt damit eine faire und nachvollziehbare Strafhöhe.
Beispiel: Obwohl der Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bestätigt wurde, hielt der Rechtsfolgenausspruch der rechtlichen Überprüfung nicht stand, da die Einzelstrafe von sechs Monaten nicht detailliert genug belegt war.
Schmähkritik
Als Schmähkritik wird eine Äußerung dann eingestuft, wenn nicht mehr die sachliche Auseinandersetzung oder Kritik an einem Vorgang, sondern die gezielte Diffamierung und Herabwürdigung der Person im Vordergrund steht.
Sie markiert die klare Grenze der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), da das Recht, eine Meinung zu äußern, nicht das Recht beinhaltet, andere Menschen vorsätzlich zu beleidigen.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht sah die Äußerung des Mannes nicht als strafbare Schmähkritik an, da der Kontext darauf hindeutete, dass er primär den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz kritisieren wollte.
Tateinheit
Tateinheit, formal als Idealkonkurrenz bezeichnet, liegt vor, wenn eine einzige Handlung oder ein enger zeitlicher Zusammenhang mehrerer Handlungen gleichzeitig mehrere Straftatbestände erfüllt.
Juristen wenden diese Konkurrenzform an, um bei der Strafzumessung sicherzustellen, dass das Gericht eine Gesamtstrafe bildet, die höher ist als die höchste Einzelstrafe, aber die doppelte Bestrafung für dasselbe Verhalten vermeidet.
Beispiel: Im Fall des Mannes urteilte das Amtsgericht zunächst wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und verhängte deshalb eine höhere Gesamtstrafe.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 206 StRR 343/24 – Beschluss vom 14.10.2024
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