Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Landgericht Köln: Staatskasse trägt Anwaltskosten trotz Verjährung – Keine Abweichung von § 467 StPO ohne Unbilligkeit
- Ausgangslage: Strafverfahren wegen Tatvorwurfs aus 2017 und Zustellungsprobleme
- Verfahrenseinstellung wegen Verjährung: Streit um Kostentragung nach § 467 StPO
- Entscheidung des Landgerichts Köln: Staatskasse muss notwendige Auslagen des Angeklagten tragen
- Begründung des Gerichts: Ermessensausübung bei § 467 Abs. 3 StPO und fehlende Unbilligkeit
- Konsequenz der Entscheidung: Anwaltskosten und Gerichtskosten gehen zulasten der Staatskasse
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet es, wenn ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt wird?
- Wer trägt die Kosten, wenn ein Strafverfahren eingestellt wird?
- Was sind notwendige Auslagen in einem Strafverfahren?
- Was bedeutet ein Strafbefehl und was passiert, wenn man Einspruch dagegen einlegt?
- Wann ist es unbillig, wenn der Staat die Kosten eines eingestellten Strafverfahrens trägt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 117 Qs 35/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Köln
- Datum: 25.02.2022
- Aktenzeichen: 117 Qs 35/22
- Verfahrensart: Beschluss (auf sofortige Beschwerde)
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Dem Verfahren lag eine Tat aus dem Jahr 2017 zugrunde. Nachdem ein Strafbefehl erlassen wurde, konnte er dem Angeklagten nicht persönlich zugestellt werden und die Zustellung erfolgte an den Verteidiger. Der Einspruch des Verteidigers ließ die Verjährungsfrist neu beginnen; diese lief im November 2021 ab. Das Amtsgericht stellte daraufhin das Verfahren wegen Verjährung ein, traf aber keine ausdrückliche Entscheidung zur Übernahme der notwendigen Kosten des Angeklagten durch die Staatskasse.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Staatskasse die notwendigen Kosten eines Angeklagten übernehmen muss, wenn ein Strafverfahren nur deshalb eingestellt wird, weil Verjährung eingetreten ist. Dabei war zentral, wie das Gericht sein Ermessen bei der Kostenentscheidung ausüben muss.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landgericht gab der Beschwerde des Angeklagten statt. Es änderte die Entscheidung des Amtsgerichts ab und ordnete an, dass die Staatskasse die notwendigen Kosten des Angeklagten für das ursprüngliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren tragen muss.
- Begründung: Das Gericht stellte fest, dass bei einer Verfahrenseinstellung die Staatskasse grundsätzlich die notwendigen Kosten des Angeklagten trägt. Eine Abweichung davon ist nur in Ausnahmefällen möglich, z.B. wenn das Verfahren wegen eines Hindernisses wie Verjährung endet und besondere Gründe vorliegen, die es unbillig erscheinen lassen, die Staatskasse die Kosten tragen zu lassen. Solche besonderen Gründe sah das Gericht im vorliegenden Fall jedoch nicht.
- Folgen: Die notwendigen Anwaltskosten des Angeklagten für das eingestellte Strafverfahren und das Beschwerdeverfahren werden von der Staatskasse übernommen.
Der Fall vor Gericht
Landgericht Köln: Staatskasse trägt Anwaltskosten trotz Verjährung – Keine Abweichung von § 467 StPO ohne Unbilligkeit
Das Landgericht Köln hat in einem Beschluss klargestellt, unter welchen Umständen die Staatskasse die notwendigen Auslagen eines Angeklagten, insbesondere die Anwaltskosten, tragen muss, wenn ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt wird.

Im Kern ging es um die Auslegung und Anwendung des § 467 der Strafprozessordnung (StPO), der die Kostenentscheidung nach einer Verfahrenseinstellung regelt. Das Gericht betonte, dass von der Grundregel, wonach die Staatskasse die Kosten trägt, nur in Ausnahmefällen abgewichen werden darf, wenn dies sonst unbillig wäre. Die bloße Tatsache, dass der Aufenthaltsort des Angeklagten unklar war, reicht hierfür nicht aus.
Ausgangslage: Strafverfahren wegen Tatvorwurfs aus 2017 und Zustellungsprobleme
Grundlage des Verfahrens war ein Tatvorwurf, der sich auf ein Ereignis am 19. Dezember 2017 bezog. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin den Erlass eines Strafbefehls beantragt, den das Amtsgericht Köln am 25. Oktober 2018 auch erlassen hat. Ein Strafbefehl ist eine Art schriftliches Urteil ohne mündliche Verhandlung, gegen das der Betroffene Einspruch einlegen kann.
Die Zustellung dieses Strafbefehls gestaltete sich jedoch schwierig. Eine persönliche Übergabe an den Angeklagten war nicht möglich. Stattdessen erfolgte die Zustellung am 12. November 2018 ersatzweise an seinen Verteidiger. Dieser legte für seinen Mandanten am 26. November 2018 Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Dieser Einspruch ist entscheidend, denn er führt dazu, dass die Verjährungsfrist für die Straftat gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 9 StGB unterbrochen wird und von neuem zu laufen beginnt. Die ursprüngliche Verjährungsfrist für die dem Angeklagten vorgeworfene Tat betrug drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Durch den Einspruch begann diese Frist also im November 2018 erneut und lief dementsprechend im November 2021 ab.
Verfahrenseinstellung wegen Verjährung: Streit um Kostentragung nach § 467 StPO
Nachdem die dreijährige Verjährungsfrist im November 2021 abgelaufen war, stellte das Amtsgericht Köln das Strafverfahren am 1. Februar 2022 gemäß § 206a StPO ein. Der Grund hierfür war das Vorliegen eines sogenannten Verfahrenshindernisses, nämlich der eingetretenen Verfolgungsverjährung. Eine Verjährung bedeutet, dass die Tat nach Ablauf einer bestimmten Frist staatlich nicht mehr verfolgt und bestraft werden kann.
Mit der Einstellung des Verfahrens musste das Amtsgericht auch über die Kosten entscheiden. Hier entstand der Streitpunkt: Das Amtsgericht verwies in seiner Entscheidung lediglich pauschal auf § 467 Abs. 1 StPO, traf aber keine ausdrückliche Regelung dazu, wer die notwendigen Auslagen des Angeklagten – also vor allem die Kosten für seinen Verteidiger – tragen sollte. Der Angeklagte und sein Verteidiger interpretierten dies so, dass das Amtsgericht ihm diese Kosten auferlegen wollte, anstatt sie der Staatskasse aufzuerlegen, wie es die Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO vorsieht.
Ein weiterer Aspekt war, dass die Strafverfolgungsbehörden den Aufenthaltsort des Angeklagten über längere Zeit nicht ermitteln konnten. Der Verteidiger gab zwar im Beschwerdeverfahren an, bereits im Januar 2019 eine zustellungsfähige Adresse mitgeteilt zu haben, doch dies schien die Ermittlungen nicht maßgeblich beschleunigt zu haben. Gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts, die er als für sich nachteilig ansah, legte der Angeklagte über seinen Verteidiger sofortige Beschwerde beim Landgericht Köln ein.
Entscheidung des Landgerichts Köln: Staatskasse muss notwendige Auslagen des Angeklagten tragen
Das Landgericht Köln gab der sofortigen Beschwerde des Angeklagten statt. Es änderte den Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Februar 2022 ab und entschied klar: Auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Diese Entscheidung bezog sich auf die Kosten des ursprünglichen Verfahrens vor dem Amtsgericht.
Darüber hinaus entschied das Landgericht, dass auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst sowie die notwendigen Auslagen, die dem Angeklagten im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens entstanden sind (erneute Anwaltskosten), ebenfalls von der Staatskasse zu tragen sind. Die Beschwerde war somit in vollem Umfang erfolgreich.
Begründung des Gerichts: Ermessensausübung bei § 467 Abs. 3 StPO und fehlende Unbilligkeit
Das Landgericht Köln begründete seine Entscheidung detailliert und setzte sich intensiv mit der Auslegung des § 467 StPO auseinander.
Zunächst stellte das Gericht die gesetzliche Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO heraus: Wird ein Strafverfahren eingestellt, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und grundsätzlich auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Dies ist der gesetzliche Regelfall.
Von dieser Regel kann das Gericht jedoch unter bestimmten Voraussetzungen abweichen. Eine solche Ausnahme ist in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorgesehen. Demnach kann das Gericht davon absehen, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen, wenn dieser nur deshalb nicht wegen einer Straftat verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis – wie hier die Verfolgungsverjährung – besteht.
Das Landgericht bestätigte, dass im vorliegenden Fall das Verfahren unzweifelhaft wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung nach § 206a StPO eingestellt wurde. Die Voraussetzungen für die mögliche Anwendung der Ausnahmeregelung lagen also dem Grunde nach vor.
Allerdings betonte das Gericht, dass die Anwendung dieser Ausnahmeregelung nicht automatisch erfolgt. Sie setzt nach herrschender Meinung voraus, dass zum Zeitpunkt der Einstellung ein hinreichender oder sogar erheblicher Tatverdacht gegen den Angeklagten bestanden hat. Das Landgericht ließ in seiner Entscheidung jedoch ausdrücklich offen, ob ein solcher Tatverdacht im konkreten Fall tatsächlich gegeben war.
Entscheidend für das Landgericht war vielmehr die Rechtsfolgenseite der Ausnahmeregelung – also die Frage, ob das Gericht, selbst wenn ein hinreichender Tatverdacht bestanden hätte, von der Grundregel hätte abweichen dürfen. Die Vorschrift sagt, das Gericht „kann“ abweichen, was bedeutet, dass es eine Ermessensentscheidung treffen muss.
Das Landgericht führte aus, dass ein Abweichen vom Regelfall (Kostenübernahme durch die Staatskasse) nur dann gerechtfertigt ist, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Anwendung der Grundregel im konkreten Fall ausnahmsweise unbillig erscheinen lassen. Es muss also ein triftiger Grund bestehen, warum es unfair wäre, die Staatskasse mit den Anwaltskosten des Angeklagten zu belasten.
Solche besonderen Umstände, die eine Unbilligkeit begründen könnten, konnte das Landgericht Köln im vorliegenden Fall nicht erkennen. Weder die Begründung des Amtsgerichts (die ja nur pauschal auf § 467 Abs. 1 StPO verwies) noch der sonstige Akteninhalt lieferten Anhaltspunkte dafür.
Insbesondere der Umstand, dass es den Strafverfolgungsbehörden über längere Zeit „schlicht nicht gelungen“ war, den Aufenthaltsort des Angeklagten zu ermitteln, stellt nach Ansicht des Landgerichts keinen solchen besonderen Umstand dar, der eine Abweichung von der Regelkostenfolge rechtfertigen würde. Das Gericht führte weiter aus, dass es dabei unerheblich sei, ob der Verteidiger – wie behauptet – tatsächlich im Januar 2019 eine zustellungsfähige Adresse mitgeteilt hatte oder nicht. Selbst wenn der Angeklagte schwer auffindbar war, begründet dies allein noch keine Unbilligkeit im Sinne des § 467 Abs. 3 StPO, die es rechtfertigen würde, ihm seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen, obwohl das Verfahren wegen Verjährung eingestellt wurde.
Da somit keine Gründe für eine Ausnahme von der gesetzlichen Grundregel vorlagen, verblieb es bei der Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO: Die notwendigen Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse aufzuerlegen.
Konsequenz der Entscheidung: Anwaltskosten und Gerichtskosten gehen zulasten der Staatskasse
Die Entscheidung des Landgerichts Köln hat zur Folge, dass der Angeklagte seine Anwaltskosten für das gesamte Verfahren vor dem Amtsgericht sowie für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren nicht selbst tragen muss. Diese Kosten werden, ebenso wie die Gerichtskosten, von der Staatskasse übernommen. Der Beschluss unterstreicht, dass die Hürden für eine Abweichung von der Regelkostentragung nach § 467 Abs. 1 StPO hoch sind und eine bloße Verfahrensverzögerung durch Unklarheit über den Aufenthaltsort des Angeklagten nicht ausreicht, um eine Unbilligkeit zu begründen, die eine Kostenbelastung des Angeklagten rechtfertigen würde, wenn das Verfahren – wie hier wegen Verjährung – eingestellt wird.
Die Schlüsselerkenntnisse
Bei Verfahrenseinstellungen wegen Verjährung trägt grundsätzlich die Staatskasse die Anwaltskosten des Angeklagten, wie das Landgericht Köln bestätigt hat. Von dieser Regelung darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, wenn die Kostenübernahme durch den Staat unbillig wäre – die bloße Schwierigkeit, den Aufenthaltsort des Angeklagten zu ermitteln, rechtfertigt keine solche Abweichung. Das Urteil stärkt die Rechte von Angeklagten bei Verfahrenseinstellungen und verdeutlicht die hohe Hürde für Ausnahmen von der Regelkostentragung durch den Staat, was für Betroffene in ähnlichen Situationen eine wichtige Orientierung bietet.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet es, wenn ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt wird?
Wenn in Deutschland ein Strafverfahren wegen Verjährung eingestellt wird, bedeutet das, dass der Staat eine bestimmte Straftat nach Ablauf einer gesetzlich festgelegten Zeitspanne nicht mehr verfolgen darf. Stellen Sie sich das wie ein „Ablaufdatum“ für die Strafbarkeit vor. Ist diese Frist verstrichen, ist es rechtlich unmöglich, die Tat noch zu ahnden, selbst wenn alle Beweise vorlägen.
Was Verjährung im Strafrecht bedeutet
Das Konzept der Verjährung soll sicherstellen, dass Straftaten nicht unbegrenzt lange zurückliegen können und Verfahren irgendwann zu einem Abschluss kommen. Es dient auch dem Rechtsfrieden. Wenn die Verjährung eintritt, endet die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung der Tat.
Die Einstellung eines Strafverfahrens wegen Verjährung bedeutet konkret:
- Das Verfahren wird beendet, ohne dass es zu einem Urteil kommt.
- Die betroffene Person wird nicht verurteilt.
- Es gibt keine Strafe (wie Geldstrafe oder Haft).
- Die Tat erscheint nicht im polizeilichen Führungszeugnis als Verurteilung, da es keine Verurteilung gab.
Die Dauer der Verjährungsfrist hängt von der Schwere der Straftat ab. Das Gesetz (konkret § 78 des Strafgesetzbuches – StGB) legt fest, wie lange die Frist für unterschiedliche Delikte ist.
Hier einige Beispiele für Verjährungsfristen (der Beginn und mögliche Unterbrechungen können die Frist beeinflussen):
- 3 Jahre bei Vergehen im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter einem Jahr (z.B. einfacher Diebstahl).
- 5 Jahre bei Vergehen im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis unter fünf Jahren (z.B. Betrug).
- 10 Jahre bei Verbrechen im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (z.B. schwerer Diebstahl).
- 15 Jahre bei Verbrechen im Höchstmaß mit lebenslanger Freiheitsstrafe (z.B. Totschlag).
Bestimmte sehr schwere Straftaten, wie Mord, verjähren nie.
Wenn die zuständige Behörde (Staatsanwaltschaft oder Gericht) feststellt, dass die Verjährung für eine bestimmte Tat eingetreten ist, muss das Verfahren eingestellt werden. Es gibt dann keinen Spielraum mehr für weitere Ermittlungen oder eine Gerichtsverhandlung zur Schuldfrage.
Für die betroffene Person bedeutet die Einstellung wegen Verjährung, dass der staatliche Strafanspruch erloschen ist.
Wer trägt die Kosten, wenn ein Strafverfahren eingestellt wird?
Wenn ein Strafverfahren eingestellt wird, das heißt, es kommt zu keiner Verurteilung oder Freispruch, sondern das Verfahren wird vorzeitig beendet, trägt in der Regel der Staat (die Staatskasse) die entstandenen Gerichtskosten.
Darüber hinaus muss der Staat oft auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten oder Angeklagten übernehmen. Stellen Sie sich das als Kosten vor, die Ihnen direkt durch das Verfahren entstanden sind, zum Beispiel die Kosten für Ihren Verteidiger oder für notwendige Fahrten zum Gericht. Dies ist der Grundsatz, der im Gesetz festgelegt ist.
Ausnahmen: Wann der Staat die Kosten nicht tragen muss
Allerdings gibt es von dieser Regel wichtige Ausnahmen. Der Staat muss Ihre notwendigen Auslagen dann nicht tragen, wenn es unbillig wäre, das heißt, wenn es ungerecht oder unpassend erscheint, die Allgemeinheit (vertreten durch den Staat) mit diesen Kosten zu belasten.
Dies ist insbesondere in folgenden Situationen der Fall:
- Wenn das Verfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt wurde (zum Beispiel gegen Zahlung eines Geldbetrags oder Erbringung von Arbeitsleistungen). In solchen Fällen wird oft angenommen, dass der Beschuldigte zumindest eine Teilschuld trägt oder das Verfahren gerade wegen seines Verhaltens überhaupt erst entstanden ist.
- Wenn das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde, besonders wenn die Schuld nicht völlig ausgeschlossen werden konnte, aber die Tat als zu unwichtig für eine Verurteilung angesehen wurde.
- Wenn der Beschuldigte das Verfahren durch sein eigenes Verhalten schuldhaft verursacht oder erschwert hat, auch wenn es später eingestellt wurde. Das kann sein, wenn er sich verdächtig verhalten hat, die Ermittlungen behindert hat oder versucht hat, sich dem Verfahren zu entziehen.
Was das für die Kostentragung bedeutet: Nur weil ein Verfahren eingestellt wurde, ist nicht automatisch garantiert, dass der Staat alle Kosten übernimmt. Es kommt stark darauf an, warum das Verfahren eingestellt wurde und ob Ihr eigenes Verhalten eine Rolle gespielt hat. Nur wenn die Einstellung einer Art Freispruch nahekommt und Sie keine Schuld am Entstehen oder Verlauf des Verfahrens trifft, ist die Übernahme Ihrer Auslagen durch den Staat wahrscheinlich.
Was sind notwendige Auslagen in einem Strafverfahren?
In einem Strafverfahren können für die betroffene Person verschiedene Kosten entstehen. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang sind die „notwendigen Auslagen“. Darunter versteht man im Wesentlichen die Kosten, die dem Angeklagten oder Beschuldigten zur angemessenen Verteidigung seiner Rechte entstanden sind und die objektiv erforderlich waren.
Stellen Sie sich vor, Sie werden in einem Strafverfahren beschuldigt. Um sich verteidigen zu können, brauchen Sie möglicherweise Hilfe. Die Kosten für einen Rechtsanwalt sind hierfür oft der größte Posten und gehören in der Regel zu den notwendigen Auslagen, wenn der Angeklagte oder Beschuldigte diesen beauftragt hat. Diese Kosten entstehen für die Beratung, Vertretung und die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen.
Neben den Anwaltskosten können aber auch andere Ausgaben notwendig sein. Dazu gehören beispielsweise:
- Fahrtkosten: Wenn Sie selbst oder notwendige Zeugen zum Gerichtstermin anreisen müssen.
- Kosten für Gutachten: Manchmal sind spezielle Sachverständigengutachten erforderlich, um einen Sachverhalt aufzuklären. Die Kosten dafür können als Notwendige Auslagen gelten, wenn das Gutachten zur Verteidigung notwendig war.
- Kosten für Kopien und Akteneinsicht: Ausgaben, die entstehen, um sich über den Stand des Verfahrens zu informieren und Unterlagen zu erhalten.
Ob Auslagen tatsächlich als „notwendig“ anerkannt werden, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Es geht darum, welche Schritte und Kosten im konkreten Verfahren objektiv erforderlich waren, um sich wirksam verteidigen zu können. Dies ist besonders wichtig, wenn das Verfahren eingestellt wird oder der Angeklagte freigesprochen wird. In solchen Fällen kann eine Entscheidung über die Erstattung dieser notwendigen Auslagen getroffen werden.
Das Verständnis, welche Kosten grundsätzlich als notwendig gelten können, hilft Ihnen einzuschätzen, welche finanziellen Belastungen in einem Strafverfahren entstehen können und unter welchen Umständen eine Erstattung der eigenen Kosten möglicherweise in Betracht kommt.
Was bedeutet ein Strafbefehl und was passiert, wenn man Einspruch dagegen einlegt?
Ein Strafbefehl ist wie ein schriftliches Urteil, das von einem Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlassen wird. Es ist eine vereinfachte Form, um geringfügigere Straftaten zu ahnden, ohne dass es zu einer mündlichen Gerichtsverhandlung kommt.
Stellen Sie sich das so vor: Bei weniger schweren Vergehen, wie zum Beispiel kleineren Verkehrsdelikten oder Ladendiebstahl, kann die Staatsanwaltschaft dem Gericht vorschlagen, eine Strafe festzusetzen – meistens eine Geldstrafe. Der Richter prüft dies und erlässt dann den Strafbefehl. Darin steht, welcher Tatvorwurf erhoben wird und welche Strafe verhängt ist.
Wenn der Strafbefehl rechtskräftig wird
Wenn Sie nichts gegen den Strafbefehl unternehmen und die Frist für einen Einspruch verstreicht, wird der Strafbefehl rechtskräftig. Das bedeutet, er steht einem rechtskräftigen Urteil gleich. Die darin festgesetzte Strafe (z.B. die Geldstrafe) muss dann bezahlt werden.
Einspruch einlegen
Wenn Sie mit dem Strafbefehl nicht einverstanden sind, können Sie innerhalb einer bestimmten Frist (meist zwei Wochen nach Zustellung) Einspruch einlegen. Dies geschieht schriftlich beim Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat.
Durch den Einspruch wird der Strafbefehl erstmal unwirksam. Es kommt dann doch zu einer mündlichen Gerichtsverhandlung vor dem zuständigen Strafgericht. In dieser Verhandlung wird der Fall wie in einem normalen Strafprozess behandelt: Beweise werden erhoben, Zeugen gehört, und Sie haben die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
Was bei der Gerichtsverhandlung passieren kann
Nach der Verhandlung entscheidet das Gericht neu über den Fall. Die möglichen Ergebnisse sind vielfältig:
- Der Richter bestätigt die Strafe aus dem Strafbefehl.
- Der Richter setzt eine niedrigere Strafe fest.
- Der Richter setzt eine höhere Strafe fest (dieses Risiko besteht bei einem Einspruch).
- Das Gericht stellt das Verfahren ein oder Sie werden freigesprochen, wenn sich der Tatvorwurf als unbegründet herausstellt.
Auswirkungen des Einspruchs auf die Verjährung
Ein wichtiger Punkt ist die Verjährung der Tat. Die Verjährung ist eine Frist, nach deren Ablauf eine Tat nicht mehr verfolgt und bestraft werden kann. Wenn Sie Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen, hat das eine besondere Auswirkung auf diese Frist: Es führt zur Unterbrechung der Verjährung (§ 78c Abs. 1 Nr. 5 Strafgesetzbuch).
Das bedeutet, die Zeit, die für die Verjährung bereits abgelaufen war, wird quasi auf null zurückgesetzt. Die Verjährungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt des Einspruchs komplett neu zu laufen. Dieses Detail kann in manchen Fällen eine wichtige Rolle spielen, da es den Zeitraum verlängert, in dem die Tat noch gerichtlich verfolgt werden kann.
Wann ist es unbillig, wenn der Staat die Kosten eines eingestellten Strafverfahrens trägt?
Grundsätzlich gilt im deutschen Strafrecht: Wird ein Strafverfahren eingestellt, bevor es zu einer Verurteilung kommt, dann trägt in der Regel die Staatskasse die Kosten des Verfahrens. Das ist die normale Folge, die im Gesetz (§ 467 der Strafprozessordnung) vorgesehen ist.
Allerdings gibt es eine wichtige Ausnahme. Das Gericht kann entscheiden, dass es unbillig ist, wenn der Staat diese Kosten übernimmt. „Unbillig“ bedeutet hier so viel wie unfair oder unangemessen. Das ist der Fall, wenn die Person, gegen die ermittelt wurde, selbst maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Kosten entstanden sind oder das Verfahren überhaupt erst eingestellt werden musste.
Wann kann die Kostentragung durch den Staat als unbillig gelten?
Die Gerichte prüfen jeden Fall einzeln. Es gibt aber bestimmte Situationen, in denen die Übernahme der Kosten durch den Staat als unbillig angesehen werden kann. Stellen Sie sich vor, eine Person verhält sich so, dass das Verfahren dadurch erschwert oder beendet wird. Beispiele dafür sind:
- Verursachen der Einstellung durch eigenes Verhalten: Wenn das Verfahren zum Beispiel eingestellt wird, weil die Person absichtlich Beweise vernichtet oder Zeugen beeinflusst hat.
- Flucht oder Entziehen: Wenn sich die Person den Behörden entzieht, flieht oder untertaucht, sodass das Verfahren nicht durchgeführt oder beendet werden kann, kann es unbillig sein, die dadurch entstandenen Kosten dem Staat aufzubürden. Die Kosten für eine aufwendige Fahndung oder die lange Dauer des Verfahrens wären dann auf das Verhalten der Person zurückzuführen.
Nicht jede Abwesenheit führt zur Unbilligkeit
Es ist wichtig zu wissen, dass nicht jede Form der Abwesenheit oder Unauffindbarkeit automatisch dazu führt, dass die Kosten vom Staat nicht übernommen werden müssen. Wenn der Aufenthaltsort einer Person zum Beispiel nur deshalb unbekannt ist, weil sie umgezogen ist und die neue Adresse nicht sofort mitgeteilt hat, und dahinter keine Absicht steckt, sich dem Verfahren zu entziehen, dann bedeutet dies allein noch nicht, dass es unbillig wäre, die Kosten vom Staat tragen zu lassen. Das Landgericht Köln hat in einem ähnlichen Fall entschieden, dass die bloße Tatsache, dass jemand nicht auffindbar ist, nicht automatisch bedeutet, dass diese Person die Kosten tragen muss. Es kommt immer darauf an, ob die Person durch ihr Verhalten bewusst dazu beigetragen hat, dass das Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden konnte oder unnötige Kosten verursacht wurden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Verjährung
Verjährung im Strafrecht bedeutet, dass nach Ablauf einer gesetzlich festgelegten Frist eine Straftat nicht mehr strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden kann. Diese Frist beginnt mit der Tat und endet nach einer bestimmten Zeitspanne, die je nach Schwere der Tat gestaffelt ist (§ 78 StGB). Nach Eintritt der Verjährung muss das Verfahren eingestellt werden, da die Tat rechtlich nicht mehr geahndet werden darf. Beispiel: Wenn ein einfacher Diebstahl (Vergehen mit dreijähriger Verjährungsfrist) vom 2017 erst 2022 vor Gericht kommt, ist eine Strafe wegen Verjährung ausgeschlossen.
Notwendige Auslagen
Notwendige Auslagen sind Kosten, die dem Angeklagten im Strafverfahren entstehen und die objektiv erforderlich sind, um seine Rechte angemessen wahrnehmen zu können. Dazu gehören insbesondere Anwaltskosten, Fahrtkosten zu Gerichtsterminen oder Kosten für Gutachten, wenn diese für die Verteidigung unverzichtbar sind. Die Staatskasse trägt nach § 467 Abs. 1 StPO normalerweise diese Auslagen, wenn das Verfahren eingestellt wird oder der Angeklagte freigesprochen wird. Beispiel: Die Anwaltsgebühren für die Verteidigung in einem Strafprozess sind in der Regel notwendige Auslagen.
Verfahrenshindernis
Ein Verfahrenshindernis ist ein rechtlicher Grund, der die Fortführung eines Strafverfahrens unmöglich macht oder ausschließt (§ 206a StPO). Typische Verfahrenshindernisse sind beispielsweise die Verfolgungsverjährung oder die Unzulässigkeit der Strafverfolgung aus anderen Gründen. Liegt ein Verfahrenshindernis vor, wird das Verfahren eingestellt, ohne dass der Angeklagte verurteilt wird. Beispiel: Wenn die Verjährungsfrist abgelaufen ist, liegt ein Verfahrenshindernis vor, das eine Fortsetzung des Verfahrens ausschließt.
Ermessensentscheidung
Eine Ermessensentscheidung trifft das Gericht, wenn das Gesetz eine Wahlmöglichkeit eröffnet, etwa ob es von einer Regelung abweicht oder nicht. Im Fall von § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO „kann“ das Gericht entscheiden, ob es von der Grundregel zur Kostentragung abweicht, wenn das Verfahren wegen Verjährung eingestellt wird. Das bedeutet, das Gericht muss unter Abwägung aller Umstände und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit eine Entscheidung treffen. Beispiel: Wenn wegen Verjährung eingestellt wird, kann das Gericht ausnahmsweise anordnen, dass der Angeklagte seine Anwaltskosten trägt, wenn dies nicht unbillig ist.
Unbilligkeit
Unbilligkeit bedeutet, dass es unter besonderen Umständen als unfair oder unangemessen erscheint, eine bestimmte Rechtsfolge anzuwenden. Im Kontext von § 467 StPO kann das Gericht davon ausgehen, dass die Übernahme der Kosten durch den Staat „unbillig“ ist, wenn der Angeklagte durch eigenes schuldhaftes Verhalten die Verfahrenseinstellung verursacht oder das Verfahren wesentlich erschwert hat. Eine bloße schwer erreichbare oder unbekannte Adresse reicht dafür nicht aus. Beispiel: Verhält sich ein Angeklagter so, dass er die Ermittlungen absichtlich behindert oder untertaucht und dadurch hohe Kosten verursacht, kann das Gericht ihm die Kosten auferlegen, um eine Unbilligkeit zu vermeiden.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 467 Abs. 1 StPO: Regelt die Kostenentscheidung bei Verfahrenseinstellung und besagt, dass die Staatskasse grundsätzlich sowohl die Verfahrenskosten als auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Diese Grundregel bildet die Basis der Entscheidung, nach der die Staatskasse auch die Anwaltskosten des Angeklagten übernehmen muss, da das Verfahren eingestellt wurde.
- § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO: Ermöglicht eine Ausnahme von der Grundregel, wonach das Gericht die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht der Staatskasse auferlegen muss, wenn das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses (z.B. Verjährung) eingestellt wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht prüfte, ob diese Ausnahme auf den Fall anzuwenden ist, entschied aber aus Gründen der fehlenden Unbilligkeit gegen eine Abweichung von der Grundregel.
- § 206a StPO: Bestimmt, dass das Verfahren einzustellen ist, wenn ein Verfahrenshindernis vorliegt, insbesondere wenn die Verfolgungsverjährung eingetreten ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Grundlage für die Verfahrenseinstellung wegen der abgelaufenen Verjährungsfrist, was die Auslösung der Kostenfrage nach § 467 StPO bewirkte.
- § 78c Abs. 1 Nr. 9 StGB: Regelt die Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährungsfrist durch bestimmte Verfahrenshandlungen, darunter der Einspruch gegen einen Strafbefehl. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Einspruch gegen den Strafbefehl unterbrach die Verjährungsfrist und verlängerte sie, was schließlich zum Ablauf der Verjährung im November 2021 führte.
- § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB: Definiert die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren für bestimmte Straftaten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Tat aus 2017 unterlag dieser Frist, die durch den Einspruch erneut zu laufen begann und im November 2021 endete.
- Grundsatz der Unbilligkeit im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 467 Abs. 3 StPO): Das Gericht kann von der Grundregel abweichen, wenn die Kostentragung durch die Staatskasse im Einzelfall unbillig wäre. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Landgericht Köln sah keine schwerwiegenden Umstände, die eine Unbilligkeit begründen könnten, weshalb die Kosten vom Staat zu tragen sind.
Das vorliegende Urteil
LG Köln – Az.: 117 Qs 35/22 – Beschluss vom 25.02.2022
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