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Anwendung von Jugendstrafrecht bei Taten im Erwachsenenalter

AG Rudolstadt, Urteil vom 13.08.2013

Az.: 343 Js 33640/12 – 1 Ls jug

Der Angeklagte ist der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen und der gefährlichen Körperverletzung schuldig.

Der Angeklagten wird unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts – Strafrichter – Rudolstadt, Zweigstelle Saalfeld, vom 11.04.2013 (Az. 790 Js 18530/12 1 Ds) wegen der dort bezeichneten Taten angewiesen, für sechs Monate an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 230 Abs. 1 Satz 1, 53 StGB; §§ 1, 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, 31 Abs. 2,105 JGG.

Gründe

I.

Anwendung von Jugendstrafrecht bei Taten im Erwachsenenalter
Symbolfoto: jhandersen/Bigstock

Der heute 23 Jahre alte Angeklagte ist der nichteheliche Sohn von…. Seine Eltern trennten sich als der Angeklagte noch ein Kleinkind war. Der Angeklagte wuchs gemeinsam mit seiner jüngeren Halbschwester …..im Haushalt der Mutter und ihres Ehemanns……, welche im Jahre 1994 geheiratet haben, auf, in deren Haushalt er auch jetzt wieder lebt.

Nach dem Besuch der Kinderkrippe und des Kindergartens wurde der Angeklagte im Jahre 1997 altersgerecht eingeschult und beendete die Schule nach Wiederholung der 10. Klasse im Jahre 2008 mit dem Realschulabschluß. Anschließend trat er eine Lehre als Busfahrer an. Diese Ausbildungsstelle verlor er jedoch im April 2010, nachdem ihm wegen Drogenkonsums die Fahrerlaubnis, die er bereits mit 17 Jahren erworben hatte, entzogen worden war. Im August 2012 begann er eine 3½ jährige Lehre als Zerspanungsmechaniker bei der Firma Siemens AG in Erfurt. Im Januar 2013 hat der Angeklagte, der seit dem Jahre 2009 regelmäßig Methamphetamin zu sich nimmt, diese Ausbildung unterbrochen, weil er sich aufgrund seines Drogenmißbrauchs von Januar bis Mai 2013 zur stationären Entgiftung in das Asklepios Fachklinikum Stadtroda begeben mußte.

Derzeit ist der Angeklagte noch krankgeschrieben und bezieht Krankengeld in Höhe von 540,00 Euro monatlich. Seine Einkünfte werden infolge erheblicher Schulden des Angeklagten momentan von seiner Mutter verwaltet.

Der Angeklagte, gegen den die Staatsanwaltschaft im Jahre 2009 wegen eines Betäubungsmitteldelikts nach § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung abgesehen hatte, mußte sich bislang einmal vor Gericht verantworten:

Durch seit dem selben Tage rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Rudolstadt, Zweigstelle Saalfeld, vom 11.04.2013 wurde der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Erschleichens von Leistungen und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt. Dieser Entscheidung lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:

Zwischen Juni und November 2011 verkaufte der Angeklagte bei zwei Gelegenheiten an den Drogenkonsumenten….. im Stadtgebiet von Saalfeld jeweils 0,5 g Methamphetamin zum Preis von 50,00 Euro.

Am 16.12.2011 verkaufte der Angeklagte vor der Spielothek „Planet Casino“ in der ………dem Drogenkonsumenten…. 1,5 g Methamphetamin zum Preis von 150,00 Euro.

Im Februar 2012 verkaufte der Angeklagte dem Drogenkonsumenten….. im Stadtgebiet von Saalfeld 0,1 g Methamphetamin zum Preis von 20,00 Euro.

Am 22.03.2012 um 15.58 Uhr fuhr der Angeklagte mit dem Regionalexpreß der ……, obwohl er nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises war. Der Deutschen Bahn AG entstand dadurch ein Schaden in Höhe von 9,10 Euro.

Am 17.06.2012 gegen 01.30 Uhr führte der Angeklagte in der ……..in Saalfeld 0,1 g Methamphetamin bei sich.

Am 23.10.2012 um 23.22 Uhr befuhr der Angeklagte, der beim Anhalten Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten, mit dem Fahrrad in Schlangenlinien die……….., obgleich er infolge vorangegangenen Drogenkonsums fahruntüchtig war.

II.

1.

Der Angeklagte, der diese im Februar 2009 kennengelernt hatte, unterhielt seit Februar 2010 eine feste Beziehung zu der am 15.04.1987 geborenen jungen Volljährigen………, mit der er im März 2010 in einer eigenen Wohnung zusammenzog und mit welcher er unterdessen einen am 02.10.2011 geborenen gemeinsamen Sohn namens …….hat. Nach anfänglich harmonischem Verlauf kam es während des Zusammenlebens zunehmend zu Spannungen in der Beziehung, vor allem weil der Angeklagte aggressiv wurde und mit körperlicher Gewalt gegen seine Lebensgefährtin vorging. Am 15.07.2011 gegen 20.00 Uhr paßte der Angeklagte, welcher sich aufgrund vorher konsumierten Methamphetamins in einem akuten Drogenrausch befand, seine Lebensgefährtin, die im 6. Monat schwanger war, am ………ab, um sie dazu zu bewegen, schneller in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren. Nach einem kurzen Streitgespräch, daß der Angeklagte mutwillig vom Zaun gebrochen hatte, um sich seinen aggressiven Gefühlsregungen ungehemmt zu überlassen, verfolgte er die zu Fuß laufende Geschädigte mit seinem Fahrrad und fuhr ihr wiederholt mit Absicht gegen die Fersen. In der …….. stieg er vom Rad ab, stieß die Geschädigte zu Boden und versetzte ihr kräftige Faustschläge in das Gesicht. Ferner biß er ihr in die linke Wange. Erst als sich ihre Bekannten……… zufällig näherten und sie diese zu Hilfe rief, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab. Aufgrund der Gewalteinwirkungen erlitt die Geschädigte Blutergüsse im Gesicht.

2.

Im Frühjahr 2012 steigerten sich die Spannungen zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin. Am 18.04.2012 gegen 18.00 Uhr kam es in der gemeinsamen Wohnung im ……….aufgrund des dominanten und eifersüchtigen Verhaltens des Angeklagten zu einem Streit zwischen ihm und seiner Freundin, in dessen Verlauf der Angeklagte, der zuvor Methamphetamin zu sich genommen hatte, der Geschädigten, die das gemeinsame Kind auf dem Arm trug, zunächst einen Faustschlag gegen den Hinterkopf versetzte. Nachdem Luise M. den Säugling sodann in seinen Kinderstuhl gesetzt hatte, zog der Angeklagte ihr an den Haaren und verabreichte ihr zahlreiche Fausthiebe ins Gesicht und gegen den Oberkörper. Als die Geschädigte aufgrund dieser körperlichen Übergriffe zu Boden gestürzt war, trat der Angeklagte….. schließlich mit dem beschuhten Fuß, an dem er Turnschuhe trug, so wuchtig in das Gesicht, daß das Tatopfer eine zweifache Unterkieferfraktur davontrug, welche vom 03.05. bis zum 11.05.2012 mittels Plattenosteosynthese durch den Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg ……….ambulant versorgt werden mußte.

3.

Am 04.07.2012 gegen 17.15 Uhr erschien Luise M. im Haus der Eltern des Angeklagten in der …… in…, um Geld von dem Angeklagten zurückzufordern. Obwohl die Geschädigte den gemeinsamen Sohn auf dem Arm hielt, griff der Angeklagte….. wiederum tätlich an und versetzte der Geschädigten, nachdem seine Mutter…… ihr den Säugling abgenommen hatte und mit dem Kind ins Wohnzimmer gegangen war, erneut zahlreiche Faustschläge gegen den Kopf und gegen den Oberkörper. Zudem biß er….. in die linke Wange sowie, nachdem er sie zu Boden geworfen hatte, in die rechte Wade, so daß die Geschädigte Bißwunden in der linken Gesichtshälfte und am rechten Unterschenkel sowie Hämatome am Nacken, rechten Ellenbogen, rechten Oberarm und im Bereich des Rückens erlitt.

III.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung und auf dem von ihm als richtig anerkannten Bericht der Jugendgerichtshilfe über seinen bisherigen Werdegang.

Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf der in vollem Umfang geständigen Einlassung des Angeklagten, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, weil das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren und es konsistent und in sich stimmig ist, sowie den ergänzenden Bekundungen der Zeugin..

IV.

Der Angeklagte hat sich somit der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle II 1 und 3) und der gefährlichen Körperverletzung (Fall II 2) schuldig gemacht.

Im Fall II 2 hat der Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung, begangen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verübt, weil ein Turnschuh der heute üblichen Art als gefährliches Werkzeug anzusehen ist, wenn damit, mit welcher Stelle des Schuhs auch immer, einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Das gilt jedenfalls für Tritte in das Gesicht des Opfers (vgl. BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 1; BGH, NStZ 2010, 151; BGH, NStZ-RR 2011, 337; LK-Lilie, StGB, 11. Aufl., § 224 Rn. 25).

V.

Die Taten des Angeklagten sind nach Jugendstrafrecht zu ahnden.

Der Angeklagte hat die Taten teils vor dem 07.08.2011 als Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG, teils nachher als Erwachsener begangen.

Der erste Gewaltakt im Fall II 1, der eine auslösende Bedeutung für die weiteren Straftaten hatte, wäre bei getrennter Aburteilung nach Jugendstrafrecht zu ahnden. Auf den Angeklagten ist insoweit gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden, weil sowohl Art und Umstände der Tat eine jugendtümliche Verhaltensweise zeigen als auch die Beweggründe der Tat und ihre Veranlassung solche Merkmale erkennen lassen, die charakteristisch für einen jungen Menschen sind, der sich noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet. Es gibt keine Straftat, die ihrer äußerlichen Struktur wegen nicht auch eine Jugendverfehlung sein könnte. Dies gilt auch für Gewalt- und Roheitsdelikte (Eisenberg, JGG, 16. Aufl., § 105 Rn. 35). Maßgebend ist, ob die Tatumstände und die Beweggründe der Tat diese als eine jugendtümliche Lebensäußerung erscheinen lassen oder nicht. Daß solche Straftaten von Tätern aller Altersklassen begangen werden, schließt die Annahme einer Jugendverfehlung nicht aus (vgl. BGH, NStZ 2001, 102; LG Gera, StV 1998, 346; Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 105 Rn. 14; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 2. Aufl., Rn. 97). Danach kann auch die Anwendung von Gewalt jugendtümlich sein und eine Verhaltensweise darstellen, die aus einem Mangel an Mitgefühl, Selbstsicherheit und Hemmungskraft erklärbar ist (vgl. OLG Zweibrücken, NStE Nr. 1 zu § 105 JGG; HK JGG-Sonnen, 6. Aufl., § 105 Rn. 28), zumal in der Existenz des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG das Bestreben des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt, im Interesse des Heranwachsenden alles das dem Jugendstrafrecht zu unterstellen, was durch jugendliches Verhalten und Erscheinungsbild gekennzeichnet ist. Entscheidend sind also Tatausführung, Tatumstände und Täterpersönlichkeit (vgl. AG Saalfeld, BA 2006, 242, 243 m. zust. Anm. Mitsch).

Das konkret begangene Körperverletzungsdelikt erweist sich als Ausdruck einer unreifen Persönlichkeit. Es offenbart einen Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit und Hemmungsvermögen. Das Verhalten des Angeklagten ist aus Imponiergehabe und Geltungsbedürfnis erklärbar sowie auf entwicklungsbedingte Unüberlegtheit und soziale Unreife zurückzuführen. Die Körperverletzungshandlung wurde unüberlegt und aus einer Laune heraus begangen. Sie entsprang impulsivem, unmittelbar aus der Situation hervorschießendem Handeln, das für die Entwicklungsstufe des Jugendlichen charakteristisch ist. Sie erhält durch das brutale und rücksichtslose Ausleben jugendtümlicher Machtgefühle ihr Gepräge. Gerade bei Aggressionsdelikten wird die mitunter erschreckend große Unfähigkeit des Täters, Konflikte mit anderen Mitteln als demjenigen der kriminellen Gewalt zu lösen, offenkundig. Aus Ausführungsart und Vordergrundmotivation ergibt sich, daß handlungsleitend die schlichte Freude an sinnloser Gewalttätigkeit zur Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls war. Es handelt sich bei dem von dem Angeklagten unter Drogeneinfluß verübten Gewaltakt daher nach den gesamten Umständen um eine jugendtypische Verhaltensweise, die den Antriebskräften der Entwicklung entsprang, und der Verfehlung des Heranwachsenden, die auf einem Mangel an Beherrschung sowie dem Leben im Augenblick unter Mißachtung möglicher Folgen beruhte, ein durchweg jugendtümliches Gepräge verleiht.

Auch die von dem Angeklagten nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Taten waren zusammen mit der früher begangenen Tat einheitlich mit einer jugendstrafrechtlichen Sanktion zu ahnden, obwohl der Angeklagte bei den Taten in den Fällen II 2 und 3 bereits Erwachsener war, weil auch die im Alter von 21 Jahren begangenen Taten ihre Wurzeln in der schon im Jugendalter begonnenen und kontinuierlich fortschreitenden Persönlichkeitsentwicklung hatten und deswegen insbesondere im Hinblick auf die Brüche im Lebenslauf des Angeklagten und dessen teilweise naive Lebensführung einheitlich nach Jugendstrafrecht zu beurteilen sind. Ob mehrere in verschiedenen Altersstufen begangene Taten einheitlich nach Jugendrecht abzuurteilen sind, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt (§ 32 Satz 1 JGG). Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen. Vielmehr ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nur nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen (BGHR JGG § 32 Schwergewicht 5). Bei der Abwägung darf nicht allein auf die Zahl der Tathandlungen und ihren Unrechtsgehalt abgestellt werden. Es kommt dabei vor allem auf die Tatwurzeln und die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten an. Sind die nach dem 21. Lebensjahr begangenen Straftaten nur die Folge und der Ausfluß der früheren Taten, so kann daraus geschlossen werden, daß das Schwergewicht bei diesen liegt (vgl. BGH, NStE Nr. 1 zu § 32 JGG; BGH, Beschl. v. 15.06.1994 – 2 StR 229/94; BGH, Urt. v. 31.08.1999 – 1 StR 268/99; Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 32 Rn. 3). Es ist nicht ausgeschlossen, Jugendrecht selbst dann anzuwenden, wenn – wie hier – die Mehrzahl der Straftaten im Erwachsenenalter begangen wurde, wenn aber die in diesem Alter begangenen Taten letztlich aus den früheren Taten entstanden sind und sich dort die Tatwurzeln finden (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1989 – 1 StR 266/89). Sämtliche abzuurteilenden Straftaten des Angeklagten resultierten aus seinem langwährenden und massiven Drogenkonsum und sind Folge der bei ihm zur Tatzeit vorliegenden Betäubungsmittelabhängigkeit, weshalb die Wurzeln der nach Erreichen des 21. Lebensjahres begangenen Taten im Heranwachsendenalter gelegt worden und auch diese Taten Ausfluß der schon in die Jugendzeit zurückreichenden Neigung zum Drogenmißbrauch sind. Die späteren Taten im Erwachsenenalter sind reine Folgetaten, so daß das Schwergewicht der Taten in der gemeinsamen jugendtümlichen Ursache liegt. Unabhängig von möglichen Entstehungszusammenhängen für regelmäßigen Drogenkonsum und eine Drogenabhängigkeit führt deren Vorliegen neben sonstigen Reifeverzögerungen nicht selten zu einer Verzögerung oder Unterbrechung der sozialen Reifung und einem Stillstand in der Entwicklung (vgl. OLG Bremen, StV 1993, 536; Eisenberg, JGG, 16. Aufl., § 105 Rn. 18). Gerade bei einem längerwährenden Konsum besteht kein Anlaß, Jugendstrafrecht umso weniger anzuwenden, je mehr sich der Heranwachsende der Altersgrenze des Erwachsenen nähert, da häufig neben der durch den Konsum bedingten Reifeverzögerungen oder Reifeunterbrechung weitere entwicklungsbedingte Störungen festzustellen sind, die den Heranwachsenden zum Drogenkonsum gebracht haben (vgl. Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Aufl., S. 180). Der bisherige Werdegang des Angeklagten, der seit dem Jahre 2009 regelmäßig Drogen in erheblichem Umfang konsumierte und nach der Schulentlassung weiterhin keine Lehre durchgestanden, sondern zuletzt ein in Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit verstricktes Leben ohne tragfähige Zukunftsperspektive geführt hat, deutet darauf hin, daß seine Entwicklung noch nicht abgeschlossen und er noch prägbar ist. Die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, in der nicht unerhebliche Defizite aufgetreten sind, ist noch durch puberale Züge bestimmt, welche ihrerseits durch eine ausgeprägte Gleichgültigkeit des jungen Volljährigen gegenüber gesetzlichen Verboten ihr Gepräge erhalten.

Bei der Auswahl und Bemessung der jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen hat sich das Gericht insbesondere von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Bei der Aburteilung des Angeklagten unter Anwendung von Jugendstrafrecht war das früher gegen ihn ergangene Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Rudolstadt, Zweigstelle Saalfeld, vom 11.04.2013 in das neue Urteil mit einzubeziehen, weil die früher verhängte Rechtsfolge noch nicht erledigt ist, und ist nunmehr auf eine neue einheitliche Rechtsfolge wegen aller Taten zu erkennen. § 105 Abs. 2 JGG in Verbindung mit § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ermöglicht auch die Einbeziehung eines Urteils wegen einer Tat, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 9; BGH, StV 1998, 345; BGH, Beschl. v. 12.12.2001 – 4 StR 474/01), weshalb auch eine noch nicht vollstreckte Geldstrafe in eine später unter Anwendung des Jugendstrafrechts ergangene Verurteilung einbezogen werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 15.12.2000 – 5 StR 545/00). Einer Einbeziehung voranzugehen hat allerdings eine Neubeurteilung der früher abgeurteilten Taten hinsichtlich der Frage, ob aufgrund neuer Erkenntnisse für diese Jugendstrafrecht anwendbar ist. Diese Neubeurteilung muß aufgrund einer Gesamtbewertung der bereits abgeurteilten Taten und der neu angeklagten Taten nach Maßgabe der Schwergewichtsformel des § 32 Satz 1 JGG erfolgen (vgl. BGHSt 40, 1, 2; BGH, NStZ 2009, 43). Es kommt dabei wiederum auf die Tatwurzeln und die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten an. Auch die Wurzeln dieser nach Erreichen des 21. Lebensjahres begangenen Taten sind im Heranwachsendenalter gelegt worden; die späteren Taten des Angeklagten, der einen gravierenden Reiferückstand aufweist, im Erwachsenenalter fußen auf seiner Drogenabhängigkeit und sind deshalb reine Folgetaten, so daß das Schwergewicht der Taten in der gemeinsamen jugendtümlichen Ursache liegt, weshalb die abzuurteilenden Taten demzufolge einheitlich nach Jugendstrafrecht zu beurteilen sind. Mit der Einbeziehung fallen die Rechtsfolgen der früheren Entscheidung weg, als wäre diese nicht ergangen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.03.2011 – 4 StR 49/11). Bei der neuen Entscheidung ist alsdann von den tatsächlichen Feststellungen und dem Schuldspruch des einzubeziehenden rechtskräftigen Urteils auszugehen. Die früher begangenen Straftaten sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zusammen mit den neuen Taten zur Grundlage einer einheitlichen originären Sanktion zu machen (vgl. BGHSt 25, 355, 356). Dabei ist die jugendstrafrechtliche Rechtsfolge so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Erforderlich ist deshalb eine völlig neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und die jetzt abgeurteilten Taten (vgl. BGHSt 37, 34, 39; BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 7; BGH, Beschl. v. 09.07.2013 – 3 StR 174/13).

Um den erforderlichen Erziehungszweck zu erreichen, nämlich den Angeklagten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, und seine weitere Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und zu sichern, insbesondere eine gesteigerte erzieherische Einwirkung auf den jungen Volljährigen zu ermöglichen, hielt es das Gericht für notwendig und geboten dem Angeklagten nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 JGG die Weisung zu erteilen, sechs Monate an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, der im Falle von Straffälligkeit die Aufgabe hat, repressive Maßnahmen wie Jugendarrest oder Jugendstrafe zu verhindern und vor allem präventive Funktionen zu erfüllen. Als adäquates erzieherisches Angebot für delinquente und in dieser Hinsicht gefährdete Jugendliche und Heranwachsende zielt diese Weisung auf eine themen- und gesprächsorientierte sowie aktions- und erlebnisorientierte Aufarbeitung der zu den Straftaten führenden Auffälligkeiten des jungen Volljährigen im Rahmen erzieherischer Gruppenarbeit ab, um mittels gezielter Interventionen „Stärken“ erhalten oder ausbauen und „Schwächen“ kompensieren oder in sozial verträglichere Formen umleiten zu können. Sie macht gruppenspezifische Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten für soziale Lernerfahrungen von Jugendlichen und Heranwachsenden nutzbar und dient dem Erlernen und Einüben sozialer Verhaltensweisen, der Förderung der Verbalisierungsfähigkeit, der Unterstützung des Selbstbewußtseins, der Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien, der Bewältigung von Alltagsproblemen sowie der Erweiterung von sozialadäquaten Handlungskompetenzen. Sie will vor allem die persönliche und soziale Verantwortung des Angeklagten fördern, ihm bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen helfen sowie die notwendige Sozialkompetenz vermitteln, um die Erziehungsdefizite, die der junge Volljährige während seiner bisherigen Entwicklung erlitten hat, zu verringern. Auch aus Anlaß von Straftaten hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Im Jugendstrafverfahren soll es gelingen, an die Verfehlung aber auch an die besonderen Bedingungen des Jugendlichen in einer Weise anzuknüpfen, daß bei diesem ein positiver Entwicklungsprozeß angestoßen beziehungsweise gefördert wird und zugleich eventuelle Entwicklungsrisiken abgebaut werden. Die Stärkung der psychischen und sozialen Ressourcen des jungen Volljährigen ist insoweit in besonderer Weise geeignet, Einsichten in Verhaltensursachen zu ermöglichen und Anstöße für Verhaltensänderungen zu geben sowie seine Konfliktfähigkeit zu fördern und damit künftigen Straftaten vorzubeugen. Der Angeklagte, dem es offensichtlich erkennbar an einer realistischen Alltagsbewältigung sowie einer ernsthaften Lebensplanung mangelt, soll dafür gewonnen werden, Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen. Dies ist zwar für ihn mit Mühen verbunden, aber eröffnet ihm die Chance, an der eigenen Zukunft mitzuwirken und somit eine positiv bewertete aktive Rolle einzunehmen, in der eigene Leistungen gefordert sind.

VI.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 74 JGG.

Da der Angeklagte gegenwärtig lediglich über ein geringes Einkommen verfügt und weil die Kostenentscheidung nicht zur Unterstützung von Strafzwecken dient (vgl. BGH, NStZ-RR 2006, 224), wurde von der Auferlegung der Kosten und gerichtlichen Auslagen abgesehen.

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