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Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung bei Verdacht einer Straftat

LG Heidelberg, Az.: 2 Qs 21/16, Beschluss vom 17.06.2016

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 02.05.2016 – 115 Gs 472/16 – aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen durch dieses entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Amtsgericht Heidelberg auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Entnahme einer Speichelprobe bei dem Betroffenen und deren Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters an, da dieser einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtig sei und Grund zu der Annahme bestehe, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen seien.

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung bei Verdacht einer Straftat
Symbolfoto: Von create jobs 51 /Shutterstock.com

Einer Anordnung nach § 81g Abs. 1 StPO dürfte bereits die fehlende Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen entgegenstehen. Nach dem Wortlaut der Norm darf eine solche Anordnung nur gegenüber einem Beschuldigten ergehen. Vorliegend war die Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen jedoch zum Zeitpunkt der Anordnung durch das Amtsgericht am 02.05.2016 nicht mehr gegeben, da die Staatsanwaltschaft das gegen den Betroffenen geführte Ermittlungsverfahren (Az.: 330 Js 21408/15) bereits mit Verfügung vom 21.04.2016 mangels hinreichenden Tatverdachtes gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte. Beschuldigter ist – auch im Sinne des § 81g StPO – gegen wen aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte (Anfangsverdacht, § 152 Abs. 2 StPO) ein Strafverfahren betrieben wird (Löwe-Rosenberg/Krause, StPO, 26. A., § 81g, Rn 11). Unabhängig vom Fortbestehen von Verdachtsmomenten wird nach der Verfahrenseinstellung jedenfalls kein Strafverfahren mehr aufgrund solcher Verdachtsmomente geführt, weswegen die Beschuldigteneigenschaft mit der Einstellung entfällt. Gemäß § 81g Abs. 4 StPO gelten die Absätze 1-3 der Norm für Verurteilte und ihnen gleichgestellte Personen entsprechend. Eine solche Entsprechungsregelung existiert für Personen, deren Beschuldigteneigenschaft nicht aufgrund einer Verurteilung, sondern wegen einer Verfahrenseinstellung entfallen ist, nicht.

Unabhängig von der Frage der Beschuldigteneigenschaft liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 81g Abs. 1 StPO jedenfalls deshalb nicht vor, weil kein ausreichender Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind.

Bei der Frage, ob Grund zu einer solchen Annahme besteht, handelt es sich um eine Prognosefrage, dahingehend, ob von dem Betroffenen zukünftig die Gefahr der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten ist (Senge in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. A., § 81g, Rn 9). Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu prüfen, wobei insbesondere auf die Anlasstat, Vorstrafen, Rückfallgeschwindigkeit, Prägung in Richtung bestimmter Delikte, Motivationslage bei früheren Straftaten, das Verhalten des Betroffenen in einer Bewährungszeit oder nach einem Straferlass sowie frühere und derzeitige Lebensumstände abzustellen ist (vgl. BVerfGE 103, 21; BVerfG 2 BvR 2391/07). Vorliegend ist der Betroffene nicht vorbestraft. Für frühere Straftaten bestehen keinerlei Anhaltspunkte, so dass hinsichtlich der Prognose nur auf die Taten abgestellt werden kann, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens 330 Js 21408/15 waren.

Zutreffenderweise bejaht das Amtsgericht im Hinblick auf diese Taten einen nach wie vor bestehenden Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung von Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Ein solcher ergibt sich aus den Aussagen der Tochter und der früheren Ehefrau des Betroffenen, welche aussagen, von diesem über Jahre hinweg mehrfach misshandelt und vergewaltigt worden zu sein. Am Bestehen dieser Verdachtsmomente ändert auch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nichts. Im Rahmen des § 81g StPO genügt das Bestehen eines Anfangsverdachtes, qualifizierte Verdachtsmomente, etwa das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachtes, sind nicht erforderlich. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren eingestellt, weil sie eine Verurteilung im Falle einer Anklage für nicht überwiegend wahrscheinlich hielt. Hintergrund ist die Annahme, dass sich ein erkennendes Gericht nach Würdigung des Beweisergebnisses, insbesondere der beiden Zeugenaussagen, voraussichtlich nicht davon wird überzeugen können, dass der Betroffene die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat. Dies ändert aber nichts daran, dass nach wie vor die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass die Angaben der Ehefrau sowie der Tochter zutreffend sind und der Betroffene die Taten begangen hat. Die in der Einstellungsverfügung genannten Gründe für die zum Tatnachweis nicht ausreichende Qualität der Zeugenaussagen – insbesondere das Motiv für eine Falschbelastung (laufendes familiengerichtliches Verfahren) und der fehlende Detailreichtum der Angaben – lassen keineswegs den Schluss zu, dass die Angaben unwahr sind. Vielmehr können beide Darstellungen – sowohl die Vorwürfe der Ehefrau und der Tochter als auch das gänzliche Bestreiten des Betroffenen – zutreffend sein.

Diese nach wie vor bestehenden Verdachtsmomente sind im Rahmen der Gesamtabwägung in die Prognoseentscheidung einzustellen. Das Prinzip der Unschuldsvermutung steht dem nicht entgegen (vgl. VGH Mannheim, Urteil v. 13.07.2011 – 1 S 350/11 – m.w.N.). Auch unter Berücksichtigung der seitens der früheren Ehefrau und der Tochter erhobenen Vorwürfe kann jedoch keine Gefahrenprognose gestellt werden, welche eine Anordnung nach § 81g Abs. 1 StPO rechtfertigt. Zwar führt das Amtsgericht zutreffend aus, dass die dem Betroffenen vorgeworfenen Taten – massive und sich über Jahre wiederholende gewaltsame sexuelle Übergriffe gegenüber seiner Ehefrau und seiner Tochter – dann, wenn sie tatsächlich begangen worden wären, einen Hang zur Begehung derartiger Taten nahelegen. Hieraus – verbunden mit der Möglichkeit einer verminderten Impulskontrolle aufgrund Alkoholmissbrauchs – können durchaus gewisse Gefahrenmomente hinsichtlich der zukünftigen Begehung solcher Taten abgeleitet werden. Vor dem Hintergrund, dass neben diesen bestrittenen Vorwürfen keinerlei weitere Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen und keine Hinweise darauf vorliegen, dass der Betroffene in anderen Fällen auf vergleichbare Weise übergriffig geworden wäre, reicht dies aber nicht aus, um eine Anordnung nach § 81g Abs. 1 StPO zu rechtfertigen.

Dies ergibt sich vorliegend jedenfalls daraus, dass der Zweck des § 81g Abs. 1 StPO darin besteht, die Identifizierung des Täters in einem künftigen Strafverfahren zu ermöglichen (Senge in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. A., § 81g, Rn 1, 8). Selbst wenn man davon ausginge, dass die in dem zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungsverfahren erhobenen Vorwürfe als Grund für die Annahme, dass der Betroffene künftig wegen ähnlicher Taten verfolgt werden wird, ausreichen, so könnte man allenfalls annehmen, dass der Betroffene erneut sexuell motivierte Gewalttaten im Familienkreis oder zumindest in seinem persönlichen Umfeld begehen wird. Für die Annahme, dass der Betroffene darüber hinaus auch Sexualdelikte gegenüber unbekannten wahllos ausgewählten Opfern begehen könnte, liefern die Vorwürfe jedenfalls keine Grundlage. Nur in solchen Fällen kann ein bereits gespeichertes DNA-Muster jedoch als Mittel dienen, um die Identität des Täters zu ermitteln. Ereignen sich die Taten dagegen im Familienkreis oder jedenfalls im persönlichen Umfeld des Täters, kennt das Opfer den Täter. Entschließt es sich dann zu einer Anzeige, kann es eine konkrete Person als Tatverdächtigen benennen. Zum Abgleich von DNA-Spuren, kann dem Tatverdächtigen in einem solchen Fall auch nachträglich eine entsprechende Probe entnommen werden (§§ 81a, 81e StPO). Ein bereits im Vorfeld nach § 81g StPO erhobenes und gespeichertes DNA-Muster ist daher nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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