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Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss

LG Hannover –  Az.: 30 Qs 29/14 – Beschluss vom 07.10.2014

1. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 16.07.2014 (270 Gs 1558/14) wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse.

2. Hinsichtlich der beantragten Herausgabe der sichergestellten Gegenstände wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit an das Amtsgericht Hannover zurückgegeben.

Gründe

I.

Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen . führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung gemäß §§ 369, 370 AO. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht Hannover auf Antrag des Finanzamtes durch Beschluss vom 16.07.2014 die Durchsuchung der Wohnung und des Arbeitsplatzes des Beschuldigten sowie anderer Räumlichkeiten angeordnet. Im Rahmen der daraufhin am 17.07.2014 durchgeführten Durchsuchung wurden Kopien von elektronischen Daten als Beweismittel zum Zwecke der Durchsicht sichergestellt. Das Finanzamt hat die Durchsicht der sichergestellten Gegenstände bisher noch nicht abgeschlossen, sondern nur eine vorläufige Sichtung durchgeführt. Eine Beschlagnahme bestimmter sichergestellter Beweismittel ist von dem Finanzamt noch nicht beantragt worden.

Gegen die Anordnung der Beschlagnahme richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten vom 04.08.2014, mit der er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände und ggf. die Vernichtung der kopierten Daten begehrt.

II.

1.

Die hinsichtlich des Durchsuchungsbeschlusses zulässige Beschwerde hat den im Tenor bezeichneten Erfolg.

Soweit der Beschuldigte mit der Beschwerde beantragt hat, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen, war sein Antrag interessengerecht auszulegen. Die Durchsicht sichergestellter Unterlagen bzw. Daten gemäß § 110 StPO ist stets Teil der Durchsuchung und dient deren Vollzug (BVerfG Beschl. v. 08.10.2003, 2 BvR 1511/03, juris Rn. 3). Da die Durchsicht der sichergestellten Daten hier bislang nur vorläufig erfolgt und damit noch nicht abgeschlossen ist, dauert die Durchsuchung noch an. Somit besteht noch kein Feststellungsinteresse, vielmehr ist der entsprechende Beschwerdeantrag dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung wegen ihrer Rechtswidrigkeit begehrt wird.

Der Durchsuchungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG und ist daher aufzuheben.

Staatliche Eingriffe in die durch Art. 13 Abs. 1 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung sind gemäß Art. 13 Abs. 2 GG grundsätzlich dem Richter vorbehalten. Dieser Richtervorbehalt zielt einerseits auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Wird die Durchsuchung – wie hier -ohne vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet, soll die Einschaltung des Richters auch dafür sorgen, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden. Dies setzt eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist keine bloße Formsache. Andererseits soll durch die Einschaltung des Richters die Durchführung der Durchsuchungsmaßnahme auch messbar und kontrollierbar gestaltet werden. Dazu muss der Richter den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Durchsuchung durchzuführen ist. Erst dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen in die Lage, die Durchsuchungsmaßnahme seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter daher die aufzuklärende Straftat, wenn auch nur kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen können (vgl. insgesamt hierzu BVerfG Beschl. v. 08.04.04, 2 BvR 1821/03, juris, Rn. 12 f.).

Diesen Maßstäben wird der angegriffene Durchsuchungsbeschluss nicht gerecht.

Hinsichtlich des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwurfs erschöpft sich der Durchsuchungsbeschluss in der bloßen Benennung des Straftatbestandes der Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung. Konkretisierend erwähnt wird insofern lediglich, es handele sich um Beihilfe zu der „durch X … begangenen Hinterziehung von Lohnsteuern incl. Solidaritätszuschlag für das Jahr 2013“ und der Beschuldigte habe „als Arbeitnehmer der X … dadurch Beihilfehandlungen begangen, dass er – in Kenntnis der Steuerpflicht von Lohnzahlungen – Hinweise zur rechtswidrigen steuerfreien Verbuchung bzw. Zahlung von Schwarzlöhnen gegeben hat“. Im Übrigen fehlt es an einer – im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses bereits ohne Weiteres möglichen -genauen Beschreibung des konkreten Tatvorwurfs, welche den äußeren Rahmen der durchzuführenden Durchsuchung hätte abstecken sollen. Die den Tatverdacht begründenden Handlungen, der konkrete Tatzeitraum sowie der Bezugspunkt der strafbaren Handlungen werden nicht näher bezeichnet. Die ebenso allgemein gehaltene Aufzählung von allen möglichen in Frage kommenden Beweismitteln ist dabei nicht geeignet, den Mangel der Tatkonkretisierung auszugleichen. Nach der Lage des Einzelfalls ist auch auszuschließen, dass eine für die Kontrolle des Eingriffs grundsätzlich erforderliche Konkretisierung und Gewichtung des Tatvorwurfs in der Begründung des Beschlusses unmöglich oder aus ermittlungstaktischen Gründen unangebracht gewesen wäre. Diese Fassung des Durchsuchungsbeschlusses lässt besorgen, dass eine eigenverantwortliche Prüfung zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nicht stattgefunden hat.

Denn obwohl der Tatverdacht ausweislich des Vermerks des Finanzamtes vom 19.05.14, Bl. 14 f. der Ermittlungsakte, im Zeitpunkt des Antrags auf Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bereits deutlich weiter konkretisierbar war und sich – wie sich aus einem dem Finanzamt bereits bekannten Protokoll vom 27.02.2013 und einer E-Mail des Beschuldigten vom 10.03.2013 ergab – insbesondere auf die verschleiernd als „Werkzeuggeld“ oder „steuerfrei“ deklarierten Gewährungen von Bonuszahlungen in Höhe von jeweils 50 ,- € als Anerkennung für weniger als 5 Krankheitstage im Jahr 2012 an drei namentlich bekannte Arbeitnehmer bezog, hat der Ermittlungsrichter diese Konkretisierung nicht in seinen Durchsuchungsbeschluss aufgenommen, sondern lediglich einen vom Finanzamt in nur unzureichender Weise vorgefertigten Beschlussentwurf unterschrieben. Damit liegt einerseits ein weitgehender Ausfall der richterlichen Kontrolle vor, andererseits umgrenzt der Beschluss die Durchsuchungsmaßnahme nicht in ausreichender Weise.

Die mangelhafte Umschreibung des Tatvorwurfs kann auch nicht nachträglich von der Beschwerdekammer durch eine Korrektur des rechtswidrigen Durchsuchungsbeschlusses geheilt werden (vgl. BVerfG Beschl. v. 08.04.04, 2 BvR 1821/03, juris Rn. 18; Beschl. v. 09.02.2005, 2 BvR 1108/03, juris Rn. 15).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Gegen diesen Beschluss ist eine weitere Beschwerde nicht zulässig (§ 310 Abs. 2 StPO).

2.

Hinsichtlich der von dem Beschwerdeführer begehrten Herausgabe der sichergestellten Gegenstände und ggf. der Vernichtung der kopierten Daten ist darin noch keine Beschwerde, sondern ein Antrag entsprechend § 98 Abs. 2 StPO auf gerichtliche Entscheidung zu sehen, über den zunächst vom Amtsgericht in eigener Zuständigkeit zu entscheiden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO 57. Aufl. 2014, § 110 Rn. 10 und § 98 Rn. 16, 21, 23). Dies gilt umso mehr, als der Durchsuchungsbeschluss vom 16.07.2014 mit seiner lediglich pauschalen Anordnung der Beschlagnahme einer Vielzahl nicht konkret individualisierter Beweismittel nunmehr aufgehoben worden ist.

Denn die Entscheidung, welche konkreten Gegenstände unter die richterliche Beschlagnahmeanordnung fallen, ist nicht dem Finanzamt überlassen. Soll die Beschlagnahme von im Rahmen einer (wenngleich wie hier rechtswidrigen) Durchsuchung vorläufig sichergestellten Gegenständen ganz oder teilweise bestätigt werden, muss durch einen richterlichen Beschluss im Einzelnen dargelegt werden, welche Gegenstände aus welchen Gründen für bedeutsam gehalten werden und deshalb beschlagnahmt werden sollen (vgl. BVerfG Beschl. v. 03.09.1991, 2 BvR 279/90, juris). Die hier im Rahmen der (rechtswidrigen) Durchsuchung erfolgte bloße Mitnahme von Kopien von elektronischen Daten ist daher noch keine Beschlagnahme, sondern lediglich eine vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht (vgl. BGH Beschl. v. 05.08.2003, StB 7/03, juris; Meyer-Goßner, StPO 57. Aufl. 2014, § 110 Rn. 10).

Das Finanzamt hat bei dem Amtsgericht einen konkreten Antrag auf Beschlagnahme bestimmter Beweismittel noch nicht gestellt. Die Durchsicht der sichergestellten Kopien elektronischer Daten, die erst der weiteren Klärung und Entscheidung dient, ob eine Rückgabe erfolgen kann oder in einem weiteren Schritt eine konkrete richterliche Beschlagnahme als Beweismittel zu erwirken ist, ist ausweislich des Schriftsatzes des Finanzamtes vom 14.08.2014, Bl. 56 d. A., offenbar noch nicht abgeschlossen, weil dort noch von einem „vorläufigen Ergebnis der Sichtung“ die Rede ist. Rein vorsorglich weist die Kammer deshalb darauf hin, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Durchsicht seitens des Finanzamtes zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu dem Ergebnis zu gelangen, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was ggf. wieder an den Beschuldigten herausgegeben werden soll. Die Prüfung der Einhaltung der entsprechenden Entscheidungsgrenzen erfolgt ebenfalls in entsprechender Anwendung des § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH Beschl. v. 05.08.2003, StB 7/03 juris Rn. 16 m.w.N.).

Schließlich ist in diesem Fall noch darauf hinzuweisen, dass Verfahrensfehler bei der Durchsuchung grundsätzlich nicht zur Unverwertbarkeit der aufgefundenen und vorläufig sichergestellten Beweismittel führen, wenn im Sinne eines hypothetischen Ersatzeingriffs dem Erlass einer – (wie hier denkbar) rechtmäßigen – Durchsuchungsanordnung keine rechtlichen Hindernisse entgegengestanden hätten und die tatsächlich vorläufig sichergestellten Gegenstände bzw. Daten einer Verwertung als Beweismittel rechtlich zugänglich gewesen wären. Daher ist im Rahmen einer Entscheidung nach § 98 Abs. 2 S. 2 auch die vorläufige Sicherstellung zum Zweck der Fortsetzung der Durchsicht gemäß § 110 StPO eigenständig auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen (BVerfG Beschl. v. 08.11.2001, 2 BvR 2257/00, juris Rn. 11; Beschl. v. 18.03.2009, 2 BvR 1036/08, juris Rn. 77).

Erst gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO wäre eine einfache Beschwerde nach § 304 StPO zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., 2014, § 98 Rdnr. 31). Die Kammer ist deshalb insoweit derzeit noch nicht zu einer Beschwerdeentscheidung berufen.

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