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Anforderungen an Anfangsverdacht – Verhältnismäßigkeit

Rechtliche Grauzone: Anforderungen an den Anfangsverdacht und die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen im Kontext von Kinderpornografie

Das Landgericht Detmold hat in einem Beschluss vom 4. Oktober 2021 entschieden, dass ein Durchsuchungsbeschluss vom 30. April 2021 rechtswidrig war. Der Fall dreht sich um den Verdacht der Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Das Hauptproblem in diesem Fall war die Frage, ob ein ausreichender Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten vorlag und ob die Durchsuchung seiner Wohnung und anderer Räume verhältnismäßig war.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 23 Qs – 22 JS 1368/21 – 106/21  >>>

Der Ausgangspunkt: Verdacht und Ermittlungen

Anforderungen an Anfangsverdacht - Verhältnismäßigkeit
Rechtliche Grauzone: Anforderungen und Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen im Kontext von Kinderpornografie unter Prüfung. (Symbolfoto: Mega Pixel /Shutterstock.com)

Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelte gegen den Beschuldigten aufgrund eines Hinweises des National Center For Missing und Exploited Children (NCMEC). Dieses hatte dem Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet, dass kinderpornographische Inhalte von einer bestimmten IP-Adresse hochgeladen wurden. Die IP-Adresse konnte dem Beschuldigten zugeordnet werden, allerdings waren unter seiner Wohnanschrift sechs weitere Personen gemeldet. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) schätzte die Beweislage als ausreichend ein, um einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen.

Die Durchsuchung und die rechtlichen Konsequenzen

Das Amtsgericht Detmold ordnete die Durchsuchung an, die am 30. Juli 2021 vollzogen wurde. Der Beschuldigte legte daraufhin Beschwerde ein und argumentierte, dass kein ausreichender Anfangsverdacht gegen ihn vorlag. Er wies darauf hin, dass neben ihm sechs weitere Personen an der gleichen Adresse gemeldet waren, die ebenfalls als potenzielle Tatverdächtige in Frage kämen.

Die Entscheidung des Landgerichts: Anfangsverdacht und Verhältnismäßigkeit

Das Landgericht Detmold stellte fest, dass die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war. Es fehlte an einem ausreichenden Anfangsverdacht, da nur vage Anhaltspunkte und Vermutungen vorlagen. Die Tatsache, dass die IP-Adresse dem Beschuldigten zugeordnet werden konnte, reichte nicht aus, um ihn als Täter zu identifizieren, insbesondere da weitere Personen an der gleichen Adresse gemeldet waren.

Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit

Das Gericht betonte auch, dass die Durchsuchung unverhältnismäßig war. Angesichts der Schwäche des Tatverdachts und der Tatsache, dass es sich nur um zwei Bilder sogenannter Hentai-Pornografie handelte, hätte vor der Durchsuchung eine grundrechtsschonendere Ermittlung durchgeführt werden müssen.

Kosten und rechtliche Folgen

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten wurden der Staatskasse auferlegt. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die komplexen Anforderungen an den Anfangsverdacht und die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen, insbesondere im sensiblen Bereich der Kinderpornografie.

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Das vorliegende Urteil

Landgericht Detmold – Az.: 23 Qs – 22 JS 1368/21 – 106/21 – Beschluss vom 04.10.2021

Es wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss vom 30. April 2021 rechtswidrig ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.

G r ü n d e :

I.

Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 06. März 2021 teilte das National Center For Missing und Exploited Children (NCMEC) dem BKA mit, dass ein bislang unbekannter Nutzer des Internetdienstes „A“ unter Nutzung der IP-Adresse 01 am 06. März 2021 um 00:00 und 00:00 Uhr MEZ nach der Bewertung des NCMEC kinderpornographische Schriften ins Internet hochgeladen habe.

Eine Bestandsanfrage zu dieser IP-Adresse ergab folgende Daten:

Zugangsnummer: IP01

S.

G-Straße 1a, B, Germany

Mobile: T01

E-Mail: E01

Geburtsdatum 00.00.0000

Nach Ermittlungen des LKA NRW konnte festgestellt werden, dass unter der Wohnanschrift des Beschuldigten sechs weitere Personen gemeldet sind.

Nach der Einschätzung des LKA NRW vom 13. April 2021 handelte es sich bei den in Rede stehenden Schriften bei zwei Bilddateien um Kinderpornografie gemäß § 184b StGB. Es bestehe nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Verdacht, dass der Beschuldigte unter anderem im Besitz von zwei kinderpornographischen Bilddateien sei und diese verbreitet habe. Es sei nach kriminalpolizeilicher Erfahrung auch davon auszugehen, dass der Beschuldigte weiter im Besitz dieser Inhalte sei. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse sei zu vermuten, dass eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume zur Auffindung von Beweismitteln führen und die Beweislage damit verbessern werde. In der Folge regte das LKA NRW die Beantragung eines Durchsuchungsbeschluss an.

Das Amtsgericht Detmold ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft Detmold mit Beschluss vom 30. April 2021 gemäß §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung der Person des Beschuldigten, der Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen des Beschuldigten zur Auffindung von Beweismitteln an. Die Durchsuchung habe den Zweck, für die Ermittlung erforderliche Beweismittel (Computer, Laptops, Mobiltelefone und Speichermedien aller Art) aufzufinden. Zudem ordnete das Amtsgericht mit gleichem Beschluss die Beschlagnahme der Beweismittel an. Der Beschluss wurde damit begründet, dass der Beschuldigte einer Straftat nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB hinreichend tatverdächtig sei. Die Zugangsnummer der, Tatzeit generierten, IP-Adresse laute IP01. Eine Bestandsdatenabfrage zu der E-Mail-Adresse habe zu dem Ergebnis geführt, dass diese auf die Personalien des Beschuldigten registriert sei. Zwar seien an der Wohnanschrift des Beschuldigten weitere Personen gemeldet. Indes bestehe mangels Nutzernamens bei „A“ oder anderer weiterer Informationen aktuell kein Anfangsverdacht gegen andere an der Anschrift gemeldete Personen.

Die angeordnete Durchsuchung wurde am 30. Juli 2021 vollzogen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 04. August 2021 hat der Beschuldigte gegen den Beschluss vom 30. April 2021 Beschwerde eingelegt und mit Schriftsatz vom 26. August 2021 beantragt, den Durchsuchungsbeschluss aufzuheben. Die Beschwerde wird damit begründet, dass der Durchsuchungsbeschluss und somit die Durchsuchung rechtswidrig gewesen seien. Es habe ersichtlich kein Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten vorgelegen. Neben dem Beschuldigten seien weitere sechs Personen unter der Anschrift amtlich gemeldet, welche alle als potentielle Tatverdächtige in Betracht gekommen seien. Daneben sei der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses mit Rücksicht darauf, dass es sich lediglich um zwei Bilder sogenannter Hentai-Pornografie gehandelt habe, und angesichts der Schwäche des Tatverdachts auch unverhältnismäßig gewesen.

Mit Beschluss vom 06. September 2021 half das Amtsgericht Detmold der Beschwerde des Beschuldigten nicht ab und legte die Sache der Kammer zur Entscheidung vor.

II.

Die gemäß § 304 StPO grundsätzlich statthafte Beschwerde ist nach erfolgter Vollziehung der Durchsuchung mit dem Begehren, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung festzustellen, zulässig und in der Sache begründet. Die Anordnung der Durchsuchung war nach der zur Zeit der Anordnung gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig.

1.

Die Anordnung einer Durchsuchung nach § 102 StPO erfordert zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass eine Straftat begangen worden ist und der Betroffene als Täter in Betracht kommt. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen. Vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Durchsuchung und Durchsicht dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 94 Rn. 7).

Gemessen an diesen Grundsätzen lag im Zeitpunkt der Beschlussfassung kein erforderlicher Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten vor. Nach dem damaligen Ermittlungsergebnis gab es im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung keine hinreichenden Verdachtsmomente dafür, dass der Beschuldigte unerlaubt kinderpornographische Schriften über den Internetdienst „A“ verbreitet hatte.

Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen konnte lediglich festgestellt werden, dass die zwei gegenständlichen Bilddateien über den Internetanschluss des Beschuldigten hochgeladen wurden. Unter dessen Wohnanschrift sind jedoch weitere sechs Personen amtlich gemeldet, die potentiell alle als Tatverdächtige in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass die Zugangsnummer der Tatzeit generierten IP-Adresse IP01 lautete. Das Kürzel „X“ könnte jedoch auf den Nachnamen Y und damit auf eine mit diesem Nachnamen unter der Wohnanschrift des Beschuldigten gemeldete Person hindeuten. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschuldigte – immerhin bereits 00 Jahre alt und daher mit Hentai-Pornografie vermutlich eher weniger vertraut – bislang weder strafrechtlich noch kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist.

2.

Mit Rücksicht auf die vorstehend dargestellte Schwäche des Tatverdachts dürfte die Durchsuchungsanordnung auch außer Verhältnis zur Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs gestanden haben. Wegen des geringen Gewichts der Umstände, welche auf eine Täterschaft des Beschuldigten hinwiesen, und vor dem Hintergrund, dass es sich bei den hochgeladenen Inhalten lediglich um zwei Bilder der sogenannten Hentai-Pornografie handelte, dürften vielmehr vor der Anordnung einer in die Grundrechte des Beschuldigten schwerwiegend eingreifenden Durchsuchung andere, grundrechtsschonende Ermittlungsschritte vorzunehmen gewesen sein, um den allenfalls geringen Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer zu erhärten oder endgültig zu zerstreuen, zumal eine besondere Eilbedürftigkeit nicht zu erkennen ist.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

 

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