Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Gericht entscheidet über Zuständigkeit bei Cannabis-Strafnachlass
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Was bedeutet „Neufestsetzung einer Strafe“ und wann kann sie beantragt werden?
- Welches Gericht ist für die Neufestsetzung meiner Strafe zuständig?
- Welche Unterlagen und Beweise muss ich für den Antrag auf Neufestsetzung einreichen?
- Was passiert, wenn sich Gerichte uneins über die Zuständigkeit sind?
- Welche Fristen gelten für den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Es ging um die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB.
- Der Bezug bestand zwischen einer vorhergehenden Freiheitsstrafe und der Frage, ob eine Anpassung dieser Strafe möglich war.
- Schwierigkeit lag darin, ob die Neufestsetzung der Strafe durch das Landgericht korrekt erfolgt war und ob die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gerechtfertigt war.
- Das Gericht entschied, dass die Beschwerde der Staatsanwaltschaft unbegründet war und wies sie ab.
- Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass das vorliegende Verfahren korrekt durchgeführt worden und die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden war.
- Die Entscheidung hat zur Folge, dass die ursprüngliche Neufestsetzung der Strafe durch das Landgericht weiterhin Bestand hat.
- Für den Verurteilten entstehen dadurch keine weiteren Kosten und er trägt lediglich die ursprünglichen Strafen.
- Die Staatskasse übernimmt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die Auslagen des Verurteilten.
- Aus dem Urteil lässt sich schließen, dass bei Strafneufestsetzungen genaue rechtliche Prüfungen erfolgen müssen, um die Verhältnismäßigkeit der Strafe zu gewährleisten.
- Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung gründlicher juristischer Argumentation und sorgfältiger Prüfung bei sofortigen Beschwerden im Strafvollzugsrecht.
Gericht entscheidet über Zuständigkeit bei Cannabis-Strafnachlass
Die Neufestsetzung von Strafen ist ein komplexes Thema, das viele Fragen aufwirft. Im Strafrecht spielt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Strafe eine zentrale Rolle. Die Strafhöhe muss stets im Verhältnis zur Schwere der Tat stehen. Oftmals werden Strafen jedoch erst nachträglich aufgrund neuer Erkenntnisse oder veränderter Umstände als zu hoch oder zu niedrig empfunden. In diesen Fällen kann eine Neufestsetzung der Strafe beantragt werden.
Dabei kommt es im Strafrecht häufig zu komplizierten Fragen: Wer ist zuständig für die Neufestsetzung einer Strafe? Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Neufestsetzung? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ist es wichtig, die rechtlichen Grundlagen zu verstehen. Das Gesetz bietet im Strafgesetzbuch (StGB) verschiedene Regelungen zur Neufestsetzung von Strafen an. Im heutigen Fall befassen wir uns mit der Neufestsetzung von Strafen nach Artikel 313 Abs. 3 und 4 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB).
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Änderungen im Gesetz können Auswirkungen auf Ihre Verurteilung haben. Sie fragen sich, ob eine Neufestsetzung Ihrer Strafe möglich ist? Unsicher, welches Gericht zuständig ist? Wir verstehen die Komplexität des Strafrechts und haben Erfahrung mit Verfahren zur Strafneuanpassung.
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Der Fall vor Gericht
Zuständigkeitsstreit um Neufestsetzung einer Strafe nach EGStGB
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat in einem Beschluss vom 6. Juni 2024 über die Zuständigkeit für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) entschieden. Der Fall betrifft einen Verurteilten, gegen den das Landgericht Hechingen am 29. Oktober 2020 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt hatte.
Dem Urteil lagen Straftaten der Brandstiftung sowie des Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit dem Besitz eines verbotenen Gegenstandes zugrunde. Konkret ging es um den Besitz von 30 Gramm Marihuana und eines Butterflymessers am 29. April 2020. Das Landgericht setzte Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten sowie von drei Monaten fest.
Antrag auf Neufestsetzung der Strafe
Nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes stellte der Verurteilte einen Antrag auf Neufestsetzung seiner Strafe. Er argumentierte, dass der Besitz von 30 Gramm Cannabis nach der neuen Rechtslage nicht mehr strafbar sei. Dies führte zu einem Zuständigkeitskonflikt zwischen verschiedenen Gerichten.
Das Landgericht Tübingen, genauer die 11. Strafvollstreckungskammer, erklärte sich zunächst für unzuständig und verwies den Fall an das Landgericht Hechingen als Gericht der Hauptsache. Dieses wiederum sah die Zuständigkeit beim Landgericht Tübingen und leitete den Fall dorthin zurück.
Entscheidung des Landgerichts Tübingen
Am 2. Mai 2024 fasste das Landgericht Tübingen schließlich einen Beschluss, in dem es seine Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe feststellte. Die Staatsanwaltschaft Hechingen legte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein. Sie vertrat die Ansicht, dass das Landgericht Hechingen als Gericht der Hauptsache zuständig sei.
OLG Stuttgart bestätigt Zuständigkeit des Landgerichts Tübingen
Das OLG Stuttgart hat nun in seinem Beschluss die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen als unbegründet verworfen. Das Gericht bestätigte damit die Zuständigkeit des Landgerichts Tübingen für die Neufestsetzung der Strafe.
In seiner Begründung führte das OLG aus, dass nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB die Strafvollstreckungskammer für die Neufestsetzung einer Strafe zuständig ist, wenn das Urteil bereits rechtskräftig ist. Dies war hier der Fall, da das Urteil des Landgerichts Hechingen seit dem 6. November 2020 rechtskräftig war.
Das OLG betonte, dass der Wortlaut des Gesetzes eindeutig sei und keine Ausnahme für Fälle vorsehe, in denen die Hauptsache von einem anderen Gericht entschieden wurde. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer gelte unabhängig davon, welches Gericht das ursprüngliche Urteil gefällt hat.
Zusätzlich wies das OLG darauf hin, dass diese Auslegung auch dem Sinn und Zweck der Regelung entspreche. Die Strafvollstreckungskammern seien aufgrund ihrer Spezialisierung besonders geeignet, die oft komplexen Fragen bei der Neufestsetzung von Strafen zu beurteilen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB die Strafvollstreckungskammer zuständig ist, unabhängig davon, welches Gericht das ursprüngliche Urteil gefällt hat. Diese Auslegung basiert auf dem klaren Wortlaut des Gesetzes und entspricht dem Zweck der Regelung, da Strafvollstreckungskammern aufgrund ihrer Spezialisierung besonders geeignet sind, komplexe Fragen bei der Neufestsetzung von Strafen zu beurteilen. Die Entscheidung schafft Klarheit in Zuständigkeitsfragen und stärkt die Rolle der Strafvollstreckungskammern bei der Anpassung von Strafen an geänderte Gesetzeslagen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie aufgrund einer Gesetzesänderung glauben, dass Ihre Strafe möglicherweise reduziert werden könnte, bestätigt dieses Urteil, dass Sie sich direkt an die Strafvollstreckungskammer des Gerichts wenden können, das Ihre Strafe vollstreckt. Sie müssen nicht den Weg über das Gericht gehen, das Sie ursprünglich verurteilt hat.
Dies ist besonders relevant, wenn Sie beispielsweise wegen Cannabisbesitzes verurteilt wurden und sich die Gesetze seitdem geändert haben. Die Strafvollstreckungskammer ist nun eindeutig dafür zuständig, Ihren Antrag auf eine mögliche Strafreduzierung zu prüfen.
Dieses Urteil schafft Klarheit und kann Ihnen möglicherweise den Weg zu einer schnelleren Entscheidung ebnen. Wenn Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden, sollten Sie sich von einem Anwalt beraten lassen, um Ihre individuellen Chancen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
FAQ – Häufige Fragen
Sie wurden verurteilt und fragen sich nun, ob die Strafe unter den aktuellen Gegebenheiten noch gerechtfertigt ist? Oder Sie haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Strafzumessung? Die Neufestsetzung von Strafen ist ein komplexes Thema, das viele betroffene Menschen vor große Herausforderungen stellt. Unsere FAQ-Rubrik verschafft Ihnen einen fundierten Überblick über die rechtlichen Aspekte, klärt wichtige Fragen zu Ihren Rechten und zeigt Ihnen, welche Schritte Sie im gegebenen Fall unternehmen können.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Was bedeutet „Neufestsetzung einer Strafe“ und wann kann sie beantragt werden?
- Welches Gericht ist für die Neufestsetzung meiner Strafe zuständig?
- Welche Unterlagen und Beweise muss ich für den Antrag auf Neufestsetzung einreichen?
- Was passiert, wenn sich Gerichte uneins über die Zuständigkeit sind?
- Welche Fristen gelten für den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe?
Was bedeutet „Neufestsetzung einer Strafe“ und wann kann sie beantragt werden?
Die Neufestsetzung einer Strafe bezeichnet den Vorgang, bei dem ein Gericht eine bereits rechtskräftig verhängte Strafe nachträglich neu berechnet und festlegt. Dies kann erforderlich werden, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern, unter denen die ursprüngliche Verurteilung erfolgte.
Ein typischer Fall für eine Neufestsetzung ergibt sich, wenn der Gesetzgeber bestimmte Handlungen entkriminalisiert, die zuvor strafbar waren. Das neue Cannabis-Gesetz stellt hierfür ein aktuelles Beispiel dar. Durch die teilweise Legalisierung von Cannabis-Besitz müssen viele Urteile überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Die rechtliche Grundlage für die Neufestsetzung von Strafen findet sich im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Artikel 313 EGStGB regelt, wie mit bereits verhängten Strafen umzugehen ist, wenn sich das Strafrecht ändert. Werden Handlungen nachträglich straffrei, sind die dafür verhängten Strafen zu erlassen. Bei Verurteilungen wegen mehrerer Taten muss das Gericht die Gesamtstrafe neu festsetzen.
Ein Antrag auf Neufestsetzung kann gestellt werden, sobald das neue Gesetz in Kraft getreten ist. Im Fall des Cannabis-Gesetzes wäre dies ab dem 1. April 2024 möglich. Verurteilte oder ihre Rechtsbeistände können dann bei der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem Gericht einen entsprechenden Antrag einreichen.
Für die Neufestsetzung ist grundsätzlich das Gericht zuständig, das die ursprüngliche Strafe verhängt hat. Bei Gesamtstrafen aus mehreren Verurteilungen entscheidet das Gericht, das die höchste Einzelstrafe ausgesprochen hat. Die Staatsanwaltschaft prüft zunächst, ob die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung vorliegen.
Bei der Neufestsetzung berücksichtigt das Gericht nur noch die nach neuem Recht strafbaren Handlungen. Es bildet eine neue Gesamtstrafe, die in der Regel niedriger ausfällt als die ursprüngliche. Die Strafe darf dabei nicht zum Nachteil des Verurteilten verändert werden.
Ein Beispiel verdeutlicht den Vorgang: Ein Täter wurde wegen Cannabisbesitz und Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes wäre der Besitz nicht mehr strafbar. Das Gericht würde nun nur noch den Diebstahl berücksichtigen und die Strafe entsprechend reduzieren.
Die Neufestsetzung kann erhebliche Auswirkungen haben. Sie kann zur Verkürzung von Haftzeiten führen oder sogar eine sofortige Entlassung aus der Haft bewirken. Auch Geldstrafen können reduziert oder aufgehoben werden. Für die Justiz bedeutet dies einen erheblichen Arbeitsaufwand, da zahlreiche Fälle überprüft werden müssen.
Nicht nur Verurteilte profitieren von der Neufestsetzung. Auch laufende Strafverfahren müssen an die neue Rechtslage angepasst werden. Ermittlungsverfahren wegen nun legaler Handlungen sind einzustellen. Dies entlastet die Justiz langfristig.
Die Möglichkeit der Neufestsetzung von Strafen zeigt, wie dynamisch das Rechtssystem ist. Es passt sich gesellschaftlichen Entwicklungen an und sorgt dafür, dass niemand länger bestraft wird als nach aktuellem Recht vorgesehen. Dies ist ein wichtiger Aspekt des Rechtsstaatsprinzips und dient der Gerechtigkeit im Einzelfall.
Welches Gericht ist für die Neufestsetzung meiner Strafe zuständig?
Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB ist grundsätzlich das erkennende Gericht zuständig. Dies bedeutet, dass das Gericht, welches ursprünglich das Urteil gefällt hat, auch für die Neufestsetzung verantwortlich ist. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus der Natur der Aufgabe, da das erkennende Gericht am besten mit den Einzelheiten des Falls vertraut ist und somit eine sachgerechte Entscheidung treffen kann.
Die Strafvollstreckungskammer spielt in diesem Prozess keine primäre Rolle. Ihre Aufgaben liegen vorwiegend in anderen Bereichen der Strafvollstreckung, wie etwa Entscheidungen über die vorzeitige Entlassung oder die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung. Bei der Neufestsetzung einer Strafe nach den genannten Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch tritt sie in den Hintergrund.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts auch dann bestehen bleibt, wenn sich der Verurteilte bereits im Strafvollzug befindet. In einem solchen Fall könnte man irrtümlich annehmen, dass die Strafvollstreckungskammer zuständig sei. Dies trifft jedoch nicht zu. Das erkennende Gericht behält seine Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe unabhängig vom aktuellen Status des Verurteilten.
Ein praktisches Beispiel kann dies verdeutlichen: Angenommen, eine Person wurde vom Landgericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und befindet sich nun im Strafvollzug. Aufgrund einer Gesetzesänderung, die eine mildere Bestrafung vorsieht, wird eine Neufestsetzung der Strafe erforderlich. In diesem Fall wäre nicht die Strafvollstreckungskammer am Ort der Justizvollzugsanstalt zuständig, sondern das ursprünglich urteilende Landgericht.
Diese klare Zuständigkeitsregelung dient der Rechtssicherheit und der effizienten Bearbeitung von Anträgen auf Neufestsetzung. Sie stellt sicher, dass das mit dem Fall am besten vertraute Gericht die Entscheidung trifft und vermeidet potenzielle Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen Gerichten.
Betroffene Personen sollten daher ihren Antrag auf Neufestsetzung der Strafe direkt an das Gericht richten, welches das ursprüngliche Urteil gefällt hat. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich in Freiheit befinden oder die Strafe bereits angetreten haben. Eine falsche Adressierung des Antrags könnte zu Verzögerungen führen und den Prozess der Neufestsetzung unnötig in die Länge ziehen.
Es ist ratsam, im Zweifelsfall rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um sicherzustellen, dass der Antrag korrekt gestellt und an das zuständige Gericht gerichtet wird. Ein Rechtsanwalt kann nicht nur bei der Identifizierung des zuständigen Gerichts helfen, sondern auch bei der Formulierung des Antrags und der Darlegung der rechtlichen Gründe für eine Neufestsetzung der Strafe unterstützen.
Die Kenntnis der korrekten gerichtlichen Zuständigkeit ist ein wesentlicher Schritt im Prozess der Neufestsetzung einer Strafe. Sie ermöglicht es Betroffenen, ihre Rechte effektiv wahrzunehmen und potenzielle Verzögerungen durch Fehlzustellungen oder Unzuständigkeitserklärungen zu vermeiden.
Welche Unterlagen und Beweise muss ich für den Antrag auf Neufestsetzung einreichen?
Für einen Antrag auf Neufestsetzung der Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB müssen bestimmte Unterlagen und Beweise eingereicht werden. Das rechtskräftige Urteil, auf dem die ursprüngliche Verurteilung basiert, ist zwingend erforderlich. Dieses Dokument enthält die wesentlichen Informationen zur verhängten Strafe und den zugrundeliegenden Straftaten.
Der Gesetzestext des neuen Cannabisgesetzes sollte dem Antrag beigefügt werden. Hierbei sind insbesondere die Paragraphen relevant, die eine Strafmilderung oder Entkriminalisierung der betreffenden Handlungen vorsehen. Ein Vergleich zwischen alter und neuer Rechtslage verdeutlicht die Notwendigkeit einer Neufestsetzung.
Medizinische Gutachten können in bestimmten Fällen hilfreich sein. Wenn beispielsweise eine Cannabisabhängigkeit oder andere gesundheitliche Aspekte für die Tat eine Rolle spielten, können aktuelle ärztliche Stellungnahmen die Argumentation unterstützen.
Nachweise über eine erfolgreiche Therapie oder Rehabilitation sind ebenfalls von Bedeutung. Diese belegen die positive Entwicklung des Verurteilten seit der ursprünglichen Verurteilung und können sich günstig auf die Neufestsetzung auswirken.
Ein detaillierter Lebenslauf des Antragstellers gibt Aufschluss über die persönlichen Umstände und die Entwicklung seit der Verurteilung. Berufliche Qualifikationen, familiäre Situation und gesellschaftliches Engagement können dabei berücksichtigt werden.
Führungszeugnisse oder Bescheinigungen über Straffreiheit seit der Verurteilung unterstreichen eine positive Prognose. Sie zeigen, dass keine weiteren Straftaten begangen wurden.
Arbeitgeberbescheinigungen oder Ausbildungsnachweise demonstrieren die soziale Integration des Antragstellers. Eine stabile berufliche Situation kann sich positiv auf die Entscheidung auswirken.
Schriftliche Stellungnahmen von Bewährungshelfern, Sozialarbeitern oder anderen Betreuungspersonen geben Einblick in die Resozialisierungsbemühungen. Diese fachlichen Einschätzungen haben oft großes Gewicht bei der Beurteilung.
Eine ausführliche Begründung des Antrags, die die rechtlichen und persönlichen Aspekte darlegt, rundet das Antragspaket ab. Hier sollten die Gründe für die Neufestsetzung klar und nachvollziehbar dargelegt werden.
Bei der Zusammenstellung der Unterlagen empfiehlt sich juristische Unterstützung. Ein Rechtsanwalt kann bei der Auswahl der relevanten Dokumente beraten und den Antrag formal korrekt gestalten. Dies erhöht die Chancen auf eine positive Entscheidung des Gerichts.
Was passiert, wenn sich Gerichte uneins über die Zuständigkeit sind?
Bei einem Zuständigkeitsstreit zwischen Gerichten greifen gesetzlich festgelegte Mechanismen, um die Frage der Zuständigkeit zu klären. Grundsätzlich prüft jedes Gericht zunächst selbst seine Zuständigkeit. Kommt es zu der Einschätzung, nicht zuständig zu sein, verweist es den Fall an das aus seiner Sicht zuständige Gericht.
Erklären sich mehrere Gerichte für unzuständig, liegt ein negativer Kompetenzkonflikt vor. In diesem Fall bestimmt das gemeinsame übergeordnete Gericht das zuständige Gericht. Dies regelt § 14 der Strafprozessordnung (StPO). Bei Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet gemäß § 17a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) das nächsthöhere gemeinsame Gericht.
Ein Beispiel verdeutlicht den Ablauf: Das Amtsgericht A verweist einen Fall an das Landgericht B, welches sich ebenfalls für unzuständig erklärt. In dieser Situation würde das für beide Gerichte zuständige Oberlandesgericht die Zuständigkeitsfrage verbindlich entscheiden.
Fehlt es im gesamten Geltungsbereich an einem zuständigen Gericht, bestimmt der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht. Dies regelt § 13a StPO.
Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) ist grundsätzlich das Gericht zuständig, das die ursprüngliche Entscheidung getroffen hat. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der funktionellen Zuständigkeit.
Der Zuständigkeitsstreit zwischen Gerichten kann für Betroffene frustrierend sein und zu Verzögerungen führen. Die gesetzlichen Regelungen stellen jedoch sicher, dass letztlich immer ein zuständiges Gericht bestimmt wird und der Rechtsweg nicht versperrt bleibt.
Welche Fristen gelten für den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe?
Für den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB gelten keine expliziten gesetzlichen Fristen. Der Antrag kann grundsätzlich jederzeit gestellt werden, solange die Strafe noch nicht vollständig vollstreckt ist. Es empfiehlt sich jedoch, den Antrag zeitnah nach Inkrafttreten einer relevanten Gesetzesänderung zu stellen.
Die Strafvollstreckungskammer als zuständiges Gericht prüft von Amts wegen, ob die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung vorliegen. Betroffene sollten dennoch selbst aktiv werden und einen Antrag stellen, um ihre Rechte zu wahren. Dies gilt besonders, wenn seit der Verurteilung bereits längere Zeit vergangen ist.
Bei der Antragstellung ist zu beachten, dass die Neufestsetzung nur für noch nicht vollstreckte Strafen in Betracht kommt. Wurde die Strafe bereits vollständig verbüßt, ist eine nachträgliche Korrektur nicht mehr möglich. Schnelles Handeln kann daher entscheidend sein.
In der Praxis orientieren sich Gerichte häufig an der Frist von einem Jahr, die für die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten nach § 359 Nr. 5 StPO gilt. Ein Antrag innerhalb dieses Zeitraums dürfte in der Regel als rechtzeitig angesehen werden.
Besondere Umstände können im Einzelfall eine längere Frist rechtfertigen. Dies gilt etwa, wenn der Betroffene erst später von der für ihn günstigen Gesetzesänderung Kenntnis erlangt hat. Hier kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 44 StPO in Betracht.
Bei Zweifeln über die Rechtzeitigkeit eines Antrags sollten sich Betroffene anwaltlich beraten lassen. Ein zu spät gestellter Antrag kann zur Ablehnung führen, selbst wenn die materiellen Voraussetzungen für eine Neufestsetzung vorliegen.
Die Strafvollstreckungskammer entscheidet über den Antrag nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten. Gegen einen ablehnenden Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach § 311 StPO statthaft. Die Beschwerdefrist beträgt eine Woche ab Zustellung des Beschlusses.
Im Interesse der Rechtssicherheit sollten Anträge auf Neufestsetzung möglichst zeitnah gestellt werden. Dies erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Korrektur der Strafe und vermeidet Konflikte mit allgemeinen Verjährungsfristen im Strafrecht.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Neufestsetzung der Strafe: Dies bezeichnet die Möglichkeit, eine bereits verhängte Strafe nachträglich zu ändern. Sie kommt in Betracht, wenn sich die Rechtslage ändert, wie hier durch das neue Cannabis-Gesetz. Das zuständige Gericht prüft dabei, ob und wie sich die Gesetzesänderung auf das ursprüngliche Strafmaß auswirkt. Dabei werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, etwa die Schwere anderer Taten. Die Neufestsetzung kann zu einer Reduzierung der Strafe führen, muss es aber nicht zwingend. Sie dient der Anpassung von Urteilen an veränderte rechtliche Rahmenbedingungen.
- Strafvollstreckungskammer: Dies ist eine spezielle Abteilung des Landgerichts, die für Entscheidungen während der Strafvollstreckung zuständig ist. Sie befasst sich mit Fragen, die nach der Rechtskraft eines Urteils auftreten, wie hier die Neufestsetzung der Strafe. Die Kammer besteht aus erfahrenen Richtern mit besonderer Expertise im Strafvollzugsrecht. Ihre Aufgaben umfassen neben der Neufestsetzung von Strafen auch Entscheidungen über vorzeitige Haftentlassung oder Bewährungsauflagen. Die Spezialisierung soll eine sachgerechte Beurteilung komplexer Vollstreckungsfragen gewährleisten.
- Tateinheit: Dieser Begriff beschreibt die Situation, wenn jemand durch eine Handlung mehrere Strafgesetze verletzt. Im vorliegenden Fall lag Tateinheit zwischen dem Besitz von Betäubungsmitteln und dem Besitz eines verbotenen Gegenstands vor. Bei Tateinheit wird nur das Gesetz mit der schwersten Strafandrohung angewendet, die anderen Gesetzesverletzungen wirken sich strafschärfend aus. Dies ist relevant für die Strafzumessung und eine mögliche Neufestsetzung, da sich die rechtliche Bewertung einer der Taten geändert hat.
- Sofortige Beschwerde: Dies ist ein Rechtsmittel gegen bestimmte gerichtliche Entscheidungen, das innerhalb einer kurzen Frist eingelegt werden muss. Die Staatsanwaltschaft nutzte es hier, um die Zuständigkeitsentscheidung des Landgerichts Tübingen anzufechten. Die sofortige Beschwerde hat in der Regel aufschiebende Wirkung, d.h. die angefochtene Entscheidung wird vorerst nicht vollzogen. Sie dient der schnellen Überprüfung prozessualer Entscheidungen durch das nächsthöhere Gericht, hier das OLG Stuttgart.
- Gesamtfreiheitsstrafe: Bei mehreren Straftaten wird eine Gesamtstrafe gebildet, die alle Einzeltaten angemessen berücksichtigt. Sie wird durch Erhöhung der schwersten Einzelstrafe gebildet, darf aber die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Im vorliegenden Fall betrug sie 2 Jahre und 4 Monate. Bei der Neufestsetzung muss geprüft werden, wie sich die geänderte Rechtslage bezüglich Cannabis auf die Gesamtstrafe auswirkt, wobei die anderen Taten weiterhin zu berücksichtigen sind.
- Rechtskraft: Ein Urteil wird rechtskräftig, wenn keine Rechtsmittel mehr dagegen eingelegt werden können. Ab diesem Zeitpunkt ist es endgültig und vollstreckbar. Die Rechtskraft ist wichtig für die Zuständigkeit bei der Neufestsetzung einer Strafe. Laut OLG Stuttgart ist nach Rechtskraft die Strafvollstreckungskammer zuständig, nicht mehr das ursprünglich urteilende Gericht. Dies soll eine effiziente und fachkundige Bearbeitung von Anträgen auf Neufestsetzung sicherstellen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch): Dieser Artikel regelt die Neufestsetzung von Strafen, wenn sich die Rechtslage nach einem Urteil geändert hat. Im konkreten Fall beantragte der Verurteilte eine Neufestsetzung, da der Besitz von Cannabis, für den er verurteilt wurde, nach neuem Recht möglicherweise nicht mehr strafbar ist.
- § 29 BtMG (Betäubungsmittelgesetz): Dieser Paragraph legt die Strafen für den Besitz von Betäubungsmitteln fest. Da der Verurteilte wegen des Besitzes von Cannabis verurteilt wurde und sich die Rechtslage bezüglich Cannabis geändert hat, ist dieser Paragraph relevant für die mögliche Neufestsetzung der Strafe.
- § 31 BtMG (Betäubungsmittelgesetz): Dieser Paragraph ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine Strafmilderung oder sogar einen Straferlass, wenn die Straftat nach neuem Recht milder bestraft wird oder nicht mehr strafbar ist. Dies könnte im vorliegenden Fall relevant sein, wenn der Besitz von Cannabis nach neuem Recht nicht mehr unter Strafe steht.
- § 46 StGB (Strafgesetzbuch): Dieser Paragraph regelt die Gesamtstrafenbildung, wenn eine Person mehrere Straftaten begangen hat. Da der Verurteilte wegen mehrerer Delikte verurteilt wurde, ist dieser Paragraph relevant für die Berechnung einer möglichen neuen Gesamtstrafe.
- § 52 StGB (Strafgesetzbuch): Dieser Paragraph regelt die Bildung einer Gesamtstrafe, wenn eine Person mehrere Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden. Da der Verurteilte wegen mehrerer gleichzeitig abgeurteilter Delikte verurteilt wurde, ist dieser Paragraph relevant für die Berechnung einer möglichen neuen Gesamtstrafe.
Das vorliegende Urteil
OLG Stuttgart – Az.: 4 Ws 167/24 – Beschluss vom 06.06.2024
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Landgerichts – 11. Strafvollstreckungskammer – Tübingen vom 2. Mai 2024 wird als unbegründet v e r w o r f e n.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
1. a) Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Landgerichts Hechingen vom 29. Oktober 2020, rechtskräftig seit 6. November 2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Zugrunde lagen Brandstiftung und Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstandes, konkret der Besitz von 30 Gramm Marihuana und eines Butterflymessers am 29. April 2020. Es wurden Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten sowie von drei Monaten festgesetzt, wobei bei letzteren der Strafrahmen des § 29 Abs.
[…]
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1 Nr. 3 BtMG zugrunde gelegt wurde.
b) Nach Verbüßung von zwei Dritteln wurde mit Beschluss der 11. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen vom 5. November 2021 die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt und die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre festgelegt.
c) Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat unter dem 5. April 2024, eingegangen beim Landgericht Tübingen am 15. April 2024, bei der dortigen Strafvollstreckungskammer beantragt, hinsichtlich der für die tateinheitlich verwirklichten Delikte des Besitzes von Betäubungsmitteln und des Besitzes eines verbotenen Gegenstandes verhängten Strafe eine neue Strafe von zwei Monaten festzusetzen, weil der Strafrahmen aus dem nunmehr – aufgrund des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – straflosen Verhalten entnommen worden sei. Ferner beantragte die Staatsanwaltschaft, festzustellen, dass der Gesamtstrafenausspruch unberührt bleibe, weil die Ermäßigung der Einzelstrafe nicht zu einer Herabsetzung zwinge und die bereits erkannte Gesamtstrafe auch weiterhin angemessen und erforderlich sei.
d) Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen hat mit Verfügung vom 17. April 2024 den Verurteilten darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger rechtlicher Würdigung die Entscheidung über die Festsetzung einer neuen Einzelstrafe und die Entscheidung über die Höhe der Gesamtstrafe in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts falle und die Strafvollstreckungskammer unzuständig sei.
e) Der Verurteilte hat mitgeteilt, dass „die Zuständigkeit an das Landgericht Hechingen übertragen werden“ könne.
f) Mit angegriffenem Beschluss vom 2. Mai 2024 hat das Landgericht – 11. Strafvollstreckungskammer – Tübingen den Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen als unzulässig zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer unter anderem dargelegt, dass von einer bindenden Abgabe der Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs nach § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen werde, weil eine solche die nicht gegebene Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer voraussetzte. Zur Begründung der Unzuständigkeit hat die Strafvollstreckungskammer unter näherer Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass sich eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nur aus § 462a Abs. 1, Abs. 4 StPO ergeben könne, auf den Art. 313 Abs. 5 EGStGB aber nicht verweise. Selbst wenn diese Zuständigkeitsnorm sinngemäß Anwendung fände, könne sich hieraus in Fällen, in denen in Bezug auf rechtskräftige Straferkenntnisse nachträglich eine Strafe und gegebenenfalls eine Gesamtstrafe festzusetzen sei, nach § 462a Abs. 3 StPO allein die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs ergeben. Eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für eine Festsetzung von Strafen sehe § 462a StPO nicht vor. Eine solche Zuständigkeit lasse sich ferner nicht über eine sinngemäße Anwendung des § 462a Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 462 Abs. 1, § 458 Abs. 1 StPO begründen. § 458 Abs. 1 StPO setze Zweifel über die Berechnung einer bereits erkannten Strafe oder die Auslegung eines Straferkenntnisses voraus. Die hier beantragte Festsetzung einer neuen Strafe sei damit nicht vergleichbar. Eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für die Abänderung von Straferkenntnissen und insbesondere die Festsetzung von Strafen würde schließlich deren Funktion widersprechen, die sich auf Entscheidungen im Vollstreckungs- und Vollzugsverfahren beschränke.
g) Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 6. Mai 2024 und dem Verurteilten am 7. Mai 2024 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Hechingen mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 7. Mai 2024, die am selben Tag per Fax und am 13. Mai 2024 per Post beim Landgericht Tübingen eingegangen ist. Die Staatsanwaltschaft Hechingen vertritt darin die Auffassung, dass sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer aus der in Art. 313 Abs. 5 EGStGB vorgesehenen sinngemäßen Anwendung der §§ 458, 462 StPO ergebe. Diese umfasse auch die Anwendung des § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO. Nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen bereits über die Strafaussetzung entschieden habe, sei sie auch für die vorliegende Entscheidung zuständig.
II.
1. Die statthafte (Art. 316p EGStGB, Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO) und auch im Übrigen gemäß § 311 Abs. 1 und 2, § 306 Abs. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf Neufestsetzung einer Strafe zu Recht wegen ihrer Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen.
Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist das erkennende Gericht – hier das Landgericht Hechingen – und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig (aA LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, juris; aA ohne Begründung LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 20 StVK 228/24, juris; Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; aA offenbar auch AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 583 Ds 135/22, juris Rn. 11, das von einer Zuständigkeit nach § 462a StPO ausgeht; vgl. auch zur Zuständigkeit des Richters, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen gemäß § 66 Abs. 2 Satz 4 JGG: OLG Hamm, Beschluss vom 23. April 2024 – 4 OGs 10/24, juris; im Ergebnis wie hier LG Aachen, Beschluss vom 29. April 2024 – 69 KLs 17/19, juris).
Weder Art. 316p EGStGB noch Art. 313 EGStGB enthält – anders als beispielsweise § 11 Abs. 2 Satz 2 des Straffreiheitsgesetzes 1954 (BGBl. I 203 <205>), wonach das erkennende Gericht zuständig ist, oder als Art. 316e Abs. 3 Satz 3 EGStGB, der „das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht“ zur Entscheidung beruft – eine ausdrückliche Regelung zur Zuständigkeit, weshalb die dem Gesetz zugrunde liegende Regelungskonzeption im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058 <1062 Rn. 66 mwN>).
b) aa) Der Wortlaut von Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB trägt die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Der Begriff „das Gericht“ lässt ohne Weiteres die Auslegung zu, dass damit das erkennende Gericht gemeint ist. Art. 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB legt diese Auslegung sogar nahe, weil dort mit derselben Bezeichnung unzweifelhaft das Gericht benannt wird, das auf die Strafe „erkannt“ hat. Auch der Wortlaut des Art. 313 Abs. 4 EGStGB schließt dieses Verständnis nicht aus. Im Gegenteil legt der Wortlaut der Handlungsbefehle in den Absätzen 3 und 4, „die Strafe neu festzusetzen“, die Zuständigkeit des Gerichts nahe, das auf die Strafe erkannt hat. Die Straffestsetzung bedingt eine Strafzumessungsentscheidung, welche dem erkennenden Gericht obliegt.
bb) Gesetzessystematische Erwägungen sprechen ebenfalls nicht gegen ein solches Verständnis.
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 Abs. 5 EGStGB erklärt „bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4“ die §§ 458 und 462 StPO für sinngemäß anwendbar.
§ 458 StPO geht von einem Selbstentscheidungsrecht der Vollstreckungsbehörde aus und normiert Ausnahmen einer gerichtlichen Entscheidung in den in den Absätzen 1 und 2 aufgezählten Fällen. Ohne Art. 313 Abs. 5 EGStGB hätte die Vollstreckungsbehörde über Zweifel der Rechtsfolgen aus Art. 313 Abs. 1 und 2 EGStGB selbst zu entscheiden und könnte keine gerichtliche Entscheidung einholen (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 458 Rn. 8; aA in Bezug auf das Straffreiheitsgesetz 1954 [BGBl. I 203 <205>], das keine Regelung bei Zweifeln über die Rechtsfolgen vorsah, offenbar LG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 1955 – 501a Qs 274/55 – 54 Ms 65/52, JR 1955, 394). Die gerichtliche Entscheidungskompetenz für Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB ergibt sich demgegenüber bereits unmittelbar aus den genannten Absätzen des Art. 313 EGStGB, so dass sich der Regelungsgehalt der sinngemäßen Geltung von § 458 StPO insoweit auf dessen Absatz 3 beschränken dürfte, wonach der Fortgang der Vollstreckung nicht gehemmt wird, das Gericht einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen sowie und eine einstweilige Anordnung treffen kann.
§ 462 StPO enthält Verfahrensregelungen, konkret zum Beschlussverfahren (Abs. 1), zum rechtlichen Gehör (Abs. 2) und zu Rechtsschutzmöglichkeiten (Abs. 3), deren sinngemäße Anwendung auch bei gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB eingängig ist.
Zur Zuständigkeit für die gerichtlichen Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB lassen sich hingegen den sinngemäß anwendbaren Vorschriften keine Erkenntnisse ableiten. Gesetzessystematisch streitet jedoch der Umstand, dass nur auf §§ 458 und 462 StPO und gerade nicht auf § 462a StPO – die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Abschnitts „Strafvollstreckung“ im 7. Buch der StPO, nach der die Strafvollstreckungskammer zuständig ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird – verwiesen wird, gegen eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Soweit hingegen vertreten wird, dass § 462a StPO mittelbar herangezogen werden müsse, weil § 462a StPO Regelungen für Entscheidungen nach § 462 StPO enthalte (vgl. Böhme/Günnewig, in: DRiZ 2024, 144 <145 f.>; so auch ohne nähere Begründung LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24, juris Rn. 16 ff. und AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 583 Ds 135/22, juris Rn. 11), überzeugt dies nicht. Bei den hier in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen handelt es sich um keine Entscheidungen nach § 462 oder § 458 StPO, sondern um originäre Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 Abs. 3 oder Abs. 4 EGStGB, für die nur die in § 458 (Abs. 3) und § 462 StPO enthaltenen Verfahrensregeln sinngemäß anzuwenden sind.
cc) Für dieses Verständnis streitet auch die historische Auslegung.
Den Gesetzesmaterialien kommt für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NJW 2018, 2542 <2548 Rn. 74>). Hinsichtlich des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) sind diese allerdings unergiebig. Die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 20/8704, S. 155), der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogene Stellungnahme des Bundesrats (insbesondere Ziffer 77 der Ausschussempfehlung BR-Drs. 367/1/23, vgl. BR-Plenarprotokoll 1036, S. 259), die darauf bezogene Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 20/8763, S. 13) sowie die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drs. 20/10426) enthalten allesamt keinerlei Ausführungen oder Anhaltspunkte zur Zuständigkeit für die Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB.
Der nach Art. 316p EGStGB entsprechend anzuwendende Art. 313 EGStGB wurde bereits mit dem Einführungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469 <642>) geschaffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) soll diese Vorschrift Art. 97 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645 <679>) und Art. 6 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drs. VI/1552, S. 7 f.; wobei Art. 6 Abs. 6 als Art. 7 Abs. 6 des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 in Kraft getreten ist, vgl. BGBl. I 1725 <1733 f.>) entsprechen. Wille des historischen Gesetzgebers war es demnach, insoweit das bisherige Regelungskonzept aufrecht zu erhalten. Art. 97 Abs. 2 1. StrRG erklärte unter anderem § 8 des Gesetzes über die Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (BGBl. I 773 <774>) für sinngemäß anwendbar. § 8 Abs. 3 Straffreiheitsgesetz 1968 bestimmte wiederum, dass für das Verfahren die §§ 458, 462, 462a StPO gelten. Art. 7 Abs. 6 4. StrRG regelte die sinngemäße Geltung von §§ 458 und 462 StPO bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 bis 3 ergebenen Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 4 und 5. Zu den beiden Regelungszeitpunkten in den Jahren 1969 und 1973 war § 462a StPO a.F. noch keine Zuständigkeitsnorm, sondern enthielt Regelungen zur Strafgewalt bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. war ausdrücklich zu entnehmen, dass die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen von dem Gericht des ersten Rechtszugs erlassen werden. Wenn der historische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung 1974 das bisherige Regelungskonzept fortgelten lassen wollte, so ist er von einer Zuständigkeit der Gerichte des ersten Rechtszugs ausgegangen. Hätte er hierfür eine Zuständigkeit der erst zum 1. Januar 1975 mit demselben Einführungsgesetz vom 2. März 1974 eingerichteten Strafvollstreckungskammern (BGBl. I 469 <517 und 520>) schaffen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies – als Abkehr von der bisherigen Konzeption – durch ausdrückliche Regelung in beispielsweise Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB oder zumindest durch Aufnahme einer Verweisung auf die neu geschaffene Zuständigkeitsnorm des § 462a StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB zum Ausdruck gebracht hätte. Stattdessen ist der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/550, S. 464) das Gegenteil zu entnehmen, wonach es bei der bisherigen Konzeption und damit der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts bleiben soll. Seither wurde das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch häufig, zuletzt durch Art. 13 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) geändert, ohne dass aufgrund etwaiger gewandelter Bedingungen Änderungen an Art. 313 EGStGB vorgenommen oder auf anderem Wege der Wille zur Änderung der Regelungskonzeption zum Ausdruck gekommen wäre.
dd) Schließlich und maßgeblich widerstreiten Sinn und Zweck einer Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und streiten für ein Verständnis, wonach das erkennende Gericht die Strafen nach Art. 313 Abs. 3 oder 4 EGStGB neu festzusetzen hat. Hierauf wird auch im angegriffenen Beschluss mit überzeugender Begründung abgestellt.
In der Sache geht es nicht um Zweifel über die Berechnung einer bereits „erkannten Strafe“ (§ 458 Abs. 1 StPO) oder um Gesichtspunkte, die dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet werden können, sondern um eine Rechtskraftdurchbrechung und Neufestsetzung der originären Strafe und damit um eine dem Tatgericht zuzuordnende Strafzumessungsentscheidung, die der Vollstreckung vorgelagert ist. Der Akt der Strafzumessung ist typischerweise Teil des Erkenntnisverfahrens und zweifellos dem erkennenden Gericht und nicht etwa der Strafvollstreckungskammer zugewiesen. Auch das Verfahren zur nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei dem eine Gesamtstrafe neu festzusetzen ist, ist dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszugs zugewiesen, was angesichts der hierfür erforderlichen Strafzumessungsentscheidung auf der Hand liegt und zweckmäßig ist.
Zielrichtung des Gesetzgebers bei Einrichtung von Strafvollstreckungskammern war hingegen, dass die während einer freiheitsentziehenden Maßnahme notwendigen Entscheidungen im Interesse der Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns ortsnah bei einem Spruchkörper konzentriert werden (BT-Drs. 7/550, S. 312). Dieser Zweck ist nicht berührt, soweit es um die Festsetzung der Ausgangsstrafe geht, nachdem die Strafvollstreckung und das Tätigwerden der Strafvollstreckungskammer das Vorliegen einer erkannten Strafe denknotwendig voraussetzen. Wenn der Gesetzgeber – wie hier mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) – eine rechtskraftdurchbrechende Amnestieregelung schafft, muss das erkennende Gericht nach Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB neu auf eine Strafe erkennen und eine valide Grundlage für die Strafvollstreckung schaffen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. zu den notwendigen Auslagen OLG Hamm, Beschluss vom 16. November 2021 – 3 Ws 433/21, BeckRS 2021, 36729).