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Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs – charakterliche Ungeeignetheit zur Fahrzeugführung

Rücksichtslose Fahrt mit hohem Risiko: Ein Blick auf die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs und charakterliche Ungeeignetheit

In einem bemerkenswerten Fall hat das Landgericht Kempten einen Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Risiken, die durch rücksichtsloses Fahren entstehen können, und stellt die Frage nach der charakterlichen Eignung zur Fahrzeugführung. Der Angeklagte fuhr mit hoher Geschwindigkeit durch eine Fußgängerzone und nahm billigend in Kauf, dass er Menschen verletzen könnte. Das Hauptproblem in diesem Fall ist die vorsätzliche Missachtung der Verkehrsregeln und die Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ks 220 Js 3532/18  >>>

Die Fahrt und die Risiken

Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs - charakterliche Ungeeignetheit zur Fahrzeugführung
Rücksichtslose Fahrt, hohes Risiko: Ein Moment der Gleichgültigkeit mit weitreichenden Konsequenzen. (Symbolfoto: Hayk_Shalunts /Shutterstock.com)

Der Angeklagte fuhr mit Geschwindigkeiten von 45 bis 60 km/h durch eine Fußgängerzone, die er eigentlich gar nicht hätte befahren dürfen. Er ignorierte die Straßenbeschaffenheit, die durch Baustellen und schlecht einsehbare Kurven gekennzeichnet war. Die Geschwindigkeit war nicht nur unangepasst, sondern auch gefährlich. Hätte er die Zeugen, die sich in der Nähe befanden, getroffen, wären diese schwer oder sogar lebensbedrohlich verletzt worden.

Gleichgültigkeit und vorsätzliches Handeln

Der Angeklagte zeigte während der gesamten Fahrt eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Er hatte erkannt, dass sich Fußgänger in der Zone aufhalten könnten und nahm dies billigend in Kauf. Sein Verhalten war nicht nur rücksichtslos, sondern auch vorsätzlich. Er ließ zu keinem Zeitpunkt Bedenken gegen seine Fahrweise aufkommen und setzte seine Fahrt mit gleichbleibender Geschwindigkeit fort, obwohl er erheblich alkoholisiert war.

Widersprüchliche Zeugenaussagen und Sachverständige

Ein Zeuge, der ebenfalls erheblich alkoholisiert war, versuchte den Angeklagten zu entlasten, was jedoch aufgrund seiner widersprüchlichen Aussagen scheiterte. Ein Sachverständiger bestätigte, dass der Angeklagte bei der gefahrenen Geschwindigkeit theoretisch hätte anhalten können, wenn er die Zeugen rechtzeitig gesehen hätte. Die Kammer war jedoch nicht überzeugt und ging von einer Geschwindigkeit von mindestens 45 km/h aus.

Strafzumessung und charakterliche Ungeeignetheit

Bei der Strafzumessung wurden verschiedene Faktoren berücksichtigt, darunter die Tatsache, dass der Angeklagte bisher nicht wegen schwerwiegender Verkehrsverstöße aufgefallen ist. Dennoch wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt und ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Die Kammer sah in seinem Verhalten eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Dieser Fall zeigt eindrücklich, wie ein einzelner Moment der Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit nicht nur das Leben anderer Menschen gefährden kann, sondern auch weitreichende rechtliche Konsequenzen für den Verursacher haben kann.

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Das vorliegende Urteil

LG Kempten – Az.: 1 Ks 220 Js 3532/18 – Urteil vom 04.10.2018

1. Der Angeklagte wird wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.

2. Dem Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein wird eingezogen. Der Verwaltungsbehörde wird untersagt, dem Angeklagten vor Ablauf  einer Frist von 3 Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Angewandte Vorschriften: §§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 d, 69, 69 a StGB

Entscheidungsgründe

A.

Persönliche Verhältnisse:

I. Biographie:

Der am 1988 in geborene Angeklagte ist im Alter von 5 Jahren zusammen mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger.

Der Angeklagte hat die Grund- und Hauptschule besucht und diese mit dem Hauptschulabschluss beendet. Eine danach angefangene Lehre zum Parkett- und Fußbodentechniker hat der Angeklagte im 3. Lehrjahr abgebrochen. Seit dem Jahr 2009 arbeitet der Angeklagte als Maschinenführer bei der Fa. A. in L./W. und erzielt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.500,00 €.

Der Angeklagte lebt seit 2008 mit seiner jetzigen Ehefrau zusammen, welche er im Jahr 2016 geheiratet hat. Mit dieser hat der Angeklagte zwei Kinder im Alter von fast 2 und 6 Jahren. Der Angeklagte ist Alleinverdiener und hat für sich und seine Familie Wohnraummietkosten in Höhe von 800,00 € monatlich zu tragen. Schulden bestehen keine.

II. Voreintragungen:

Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 22.02.2018 weist für den Angeklagten eine Eintragung aus.

Am 05.06.2014 wurde der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Die Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 23.02.2018 weist für den Angeklagten ebenfalls eine Eintragung aus. Am 08.01.2018 wurde gegen den Angeklagten durch die Bußgeldbehörde ZPS V. eine Geldbuße von 80,00 € verhängt und der Angeklagte wurde mit einem Punkt belastet. Dieser Ahndung lag folgender Verkehrsverstoß zugrunde:

Der Angeklagte überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 60 km/h. Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 83 km/h.

III. Haftdaten:

Der Angeklagte befand sich in dieser Sache aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.06.2018 seit dem 25.06.2018 bis zur Hauptverhandlung am 04.10.2018 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt K1.

IV. Fahrerlaubnis:

Die Fahrerlaubnis des Angeklagten wurde diesem in dieser Sache aufgrund Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) gemäß § 111 a StPO vom 12.03.2018 vorläufig entzogen. Der Führerschein wurde am 19.03.2018 beschlagnahmt.

B.

Sachverhalt:

Der Angeklagte fuhr am 23.12.2017 gegen 1.08 Uhr mit dem Pkw VW Golf, FIN …, amtl. Kennz…., mit Abblendlicht, auf dem Sch.ring in K.

Die Polizeistreife mit dem Zeugen POM Sch. und PMin St. befuhr die K1. Straße in Richtung Schumacherring und wollte das Fahrzeug des Angeklagten zunächst beobachten und sodann einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterziehen.

Der Angeklagte bog unvermittelt nach rechts in die K1. Straße ein. In der K1. Straße ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt. Der das Polizeifahrzeug führende Zeuge POM Sch. wendete daraufhin sein in Gegenrichtung befindliches Fahrzeug, um dem Angeklagten nachzufahren, diesen anzuhalten und zu kontrollieren. Das Anhaltesignal hatte der Zeuge angeschaltet.

Der Angeklagte hielt jedoch nicht an, sondern beschleunigte sein Fahrzeug. Der Zeuge POM Sch. schaltete das Blaulicht an und fuhr dem Angeklagten stadteinwärts hinterher.

Obwohl der Angeklagte die Anhaltesignale und das Blaulicht des von den Beamten geführten Pkws erkannte, beschleunigte er unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt seinen Pkw stark und fuhr weiterhin stadteinwärts mit steigender Geschwindigkeit von zumindest 100 km/h an der dortigen Veranstaltungshalle „Bigbox“ vorbei, durch die anschließende 20-km/h-Zone und bog sodann nach rechts in die dortige Fußgängerzone, B1. straße, ein. Die Fahrtstrecke bis zum Erreichen der 20 km/h-Zone betrug ca. 550 m, die Strecke der 20 km/h-Zone bis zum Erreichen der B1. straße ca. 300 m. In die K1. Straße münden im Bereich der 20 km/h-Zone, in Fahrtrichtung des Angeklagten, von rechts zwei Straßen ein. Hier gilt die Vorfahrtsregelung „rechts vor links“.

Die dem Angeklagten nach fahrenden Polizeibeamten verringerten bei Einfahrt in die 20 km/hZone aus Sicherheitsgründen ihre Geschwindigkeit. Der Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem Fahrzeug des Angeklagten, der zunächst ca. zwei Fahrzeuglängen betrug, vergrößerte sich während der Fahrt kontinuierlich, bis zuletzt auf ca. 200 – 300 m, so dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug für die Beamten ab Einfahrt in die B1. straße, nicht mehr sichtbar war. In diesem Abschnitt der B1. straße ist diese als Fußgängerzone mit dem Zeichen 242.1, Anlage 2 zu § 40 StVO gekennzeichnet.

Der ortskundige Angeklagte fuhr sodann mit weiterhin deutlich überhöhter Geschwindigkeit über die, für den öffentlichen Verkehr zugelassene, vorfahrtsberechtigte B2. straße in die weitere Fußgängerzone in der F1. straße ein, diese entlang und über die K.steige zum R1.platz, auf welchen er mit einer Geschwindigkeit von zumindest noch 50 km/h zufuhr. Der Angeklagte verließ die Fußgängerzone am R1.platz und bog von dort wiederum nach rechts mit erheblicher Geschwindigkeit in die weitere Fußgängerzone in der G. straße ein.

Die zurückgelegte Fahrtstrecke in der B1. straße bis zum Erreichen der B2. straße betrug ca. 160 m, die Fahrtstrecke in der F1. straße über die Klostersteige bis zum Erreichen des R.platzes betrug ca. 420 m. Die Fahrtstrecke in der, für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr zugelassenen Straße R1.platz betrug ca. 40 m.

Die G. straße ist als Fußgängerzone mit dem Zeichen 242.1, Anlage 2 zu § 40 StVO gekennzeichnet. Sie hat eine Breite von 8-9 m und verläuft in einer leichten Rechtskurve. Aufgrund der Kurvenführung, der kurveninnenseitigen Bebauung und einer zum Tatzeitpunkt dort befindlichen Baustelle, welche die Straßenbreite auf 4,12 m verringerte, war die G. straße schlecht einsehbar. Sie ist gepflastert und in der Mitte mit einer Wasserablaufrinne versehen. Auf die Lichtbilder 13 bis 19 der Lichtbildtafel des OED K1. vom 23.12.2017, aufgenommen am 23.12.2017 durch POM Sch., wird verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Auf diesen Lichtbildern ist der Straßenverlauf der G. straße bis zur Kreuzung K2. straße, samt Kennzeichnung der Straße als Fußgängerzone und der zum Tatzeitpunkt vorhandenen Baustelle, abgebildet.

Trotz der dortigen Beschaffenheit der Straße und der schlecht einzusehenden Kurven und Kreuzungen überquerte der Angeklagte die dortige Kreuzung mit der Straße in der Brandstatt und fuhr unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, wie er erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hatte, weiter mit hoher Geschwindigkeit auf die baustellenbedingte Fahrbahnverengung in der zumindest leichten Rechtskurve unmittelbar vor dem weiteren Kreuzungsbereich G. straße/K. straße zu. Die K2. straße ist für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr freigegeben. Der Fahrbahnverlauf der K2. straße ist aufgrund der Hausbebauung nicht einsehbar.

Vor der Gaststätte „Mausefalle“ standen die Zeugen M. F, Th. F und C. L Freitagnacht zum Rauchen auf der Fahrbahn der G. straße. Dass sich zu dieser Zeit – – in der Fußgängerzone generell und vor der dortigen Gaststätte konkret Fußgänger aufhalten können, hatte der Angeklagte erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen.

Trotz der schlechten Einsehbarkeit der dortigen Örtlichkeit passte der Angeklagte seine gefahrene Geschwindigkeit nicht den örtlichen Gegebenheiten an und fuhr mit einer überhöhten und unangepassten Geschwindigkeit von 45 bis 60 km/h, jedenfalls aber zumindest 45 km/h, auf die unmittelbar zwischen Baustelle und Kreuzung stehenden Zeugen M. F T. F und C. L zu und wich diesen auch nicht aus.

Eine bevorstehende Kollision des Pkws des Angeklagten mit den Zeugen, zumindest der Zeugin L konnte nur durch die ungewöhnlich schnelle Reaktion des Matthias F vermieden werden, der die Theresa F gerade noch zur Seite ziehen konnte, welche glücklicherweise noch reaktionsschneller die Carolin L packen und mit sich ziehen konnte, während der Angeklagte mit seinem Pkw gerade noch in einem Abstand von ca. 30 cm an diesen mit unverminderter Geschwindigkeit vorbeifuhr.

Letztlich kam es nur aufgrund der geistesgegenwärtigen Reaktion der Zeugen M. und T. F hierbei nicht zu einem Zusammenprall des Fahrzeugs mit den Zeugen, durch den jedenfalls die Geschädigte C. L, vermutlich jedoch auch die weiteren Zeugen M. und T. F schwer, wenn nicht gar lebensbedrohlich, verletzt worden wären.

Die nicht nur abstrakte Gefahr des Eintritts eines solchen Unfalls mit entsprechenden Verletzungen hatte der Angeklagte auch vorhergesehen und sich mit dieser bei der Wahl seiner Fahrtstrecke durch die Fußgängerzonen und seiner Fahrgeschwindigkeit aus Gleichgültigkeit abgefunden.

Der Angeklagte ließ während der gesamten Fahrt aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und um seines schnelleren Fortkommens willen von vornherein und zu keinem Zeitpunkt Bedenken irgendwelcher Art gegen seine Fahrweise aufkommen.

Der Angeklagte setzte dann seine Fahrt mit gleichbleibender Geschwindigkeit über die Kreuzung K2. straße hinweg durch die, nunmehr wieder für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr zugelassene, G. straße fort, bis er auf Höhe des Hotels Fürstenhof seinen Pkw zur Hälfte auf einem Fußgängerweg im Bereich des eingeschränkten Halteverbots für die Dauer von mehr als einer Stunde parkte und sich entfernte. Die Fahrstrecke ab der Kreuzung G. straße/K. straße bis zum Haltepunkt betrug ca. 180 m.

Auf die Lichtbilder 22 bis 24 der Lichtbildtafel des OED K1. vom 23.12.2017 wird verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Auf diesen Lichtbildern ist der Abstellort des Fahrzeugs samt Verkehrszeichen 286 – eingeschränktes Halteverbot – ersichtlich.

Die Fahrstrecke betrug insgesamt ca. 1850 m, die durch die Fußgängerzone zurückgelegte Teilstrecke 780 m.

Durch die Tat hat sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

C.

Beweiswürdigung:

I. Persönliche Verhältnisse:

1. Biographie:

Die Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten gegenüber der Kammer in der Hauptverhandlung.

2. Voreintragungen:

Die Feststellungen beruhen auf der Verlesung des Bundeszentralregisters für den Angeklagten vom 22.02.2018 und der Verlesung der Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 23.02.2018.

3. Fahrerlaubnis:

Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Führerscheinbeschlagnahme beruhen auf dem Sicherstellungsprotokoll des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, OED K1., vom 19.03.2018.

II. Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen. Die Feststellungen beruhen zunächst auf den glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugen POM Sch., PMin St., POK Kr., M. F, T. F und C. L

1. Der einvernommene Zeuge POM Sch. schilderte zunächst, dass er und seine Streifenpartnerin, die Zeugin PMin St., in der K1. Straße in Fahrtrichtung Schuhmacherring gefahren seien, um den Verkehr zu beobachten. Von links sei der weiße Golf des Angeklagten, besetzt mit jedenfalls zwei Personen, angefahren und habe für ihn den Eindruck erweckt, geradeaus über den Schumacherring weiterfahren zu wollen. Für den Zeugen überraschend sei der Angeklagte jedoch nach rechts stadteinwärts auf die K1. Straße eingebogen.

Um ihn anzuhalten und zu kontrollieren habe er das Fahrzeug gewendet und das Anhaltesignal eingeschaltet. Nahezu zeitgleich habe der Angeklagte beschleunigt und sei mit zunehmender Geschwindigkeit weitergefahren, obwohl er, der Zeuge, auch das Blaulicht eingeschaltet habe und dem Angeklagten nachgefahren sei.

Trotz einer vom Zeugen gefahrenen Geschwindigkeit von über 100 km/h habe sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug des Angeklagten, von zunächst zwei Fahrzeuglängen, kontinuierlich vergrößert. Das Verkehrsaufkommen, im Hinblick auf weitere Kraftfahrzeuge, sei sehr gering gewesen. Im Bereich der K1. Straße seien einige wenige Fußgänger am Straßenrand unterwegs gewesen.

Der Angeklagte sei sodann mit unverminderter Geschwindigkeit an der Veranstaltungshalle „Bigbox“ vorbei in den 20-km/h-Bereich eingefahren.

Der Zeuge selbst habe bei Erreichen der 20 km/h-Zone seine eigene gefahrene Geschwindigkeit, welche während des Bremsvorgangs noch 120 km/h betragen habe aus Sicherheitsgründen verringert, insbesondere da er gewusst habe, dass in unmittelbarer Nähe ein Konzert stattgefunden habe. Im Bereich der „Bigbox“ sei auch eine kleine Traube von Menschen – ca. 10 Personen – am Straßenrand gestanden. Darüber hinaus hätten mehrere Kreuzungen überquert werden müssen, an denen die Regelung „rechts vor links“ gelte.

Aufgrund des sich immer weiter vergrößernden Abstands zum Fahrzeug des Angeklagten auf 200 – 300 m hätten er und die Zeugin St. den Angeklagten bei dessen Einfahrt in die Fußgängerzone in der B1. straße aus den Augen verloren. Das Kennzeichen des Fahrzeugs des Angeklagten hätten er und seine Kollegin jedoch bereits zu Beginn der Fahrt ablesen können.

Bei Erreichen der B2. straße seien sie auf Verdacht, auf der Suche nach dem Angeklagten, nach rechts auf die Straße Freudenberg abgebogen und hätten die Suche nach dem Angeklagten dort fortgesetzt. Aufgrund der kurz darauf erfolgten Notrufmitteilung des Zeugen K3. sei sodann auch die G. straße angefahren worden. Dort sei das Fahrzeug zur Hälfte auf dem Gehweg und zur Hälfte auf der Straße im eingeschränkten Halteverbot parkend festgestellt worden. Sowohl der Motor als auch die Reifen seien noch warm gewesen, jedoch sei weder der Fahrer noch der Beifahrer vor Ort gewesen. Daraufhin hätten die Beamten die Örtlichkeit in der Nähe des Abstellbereichs weiter nach dem Angeklagten abgesucht.

Bei der Fahrt durch die Fußgängerzone zu diesem Zeitpunkt und auch während der vorausgegangenen Verfolgungsfahrt seien einige Fußgänger in der Fußgängerzone unterwegs gewesen. Insbesondere im Bereich G. straße/K. straße hätten sich im Bereich der verschiedenen dort befindlichen Lokale auch Personen vor den Lokalen stehend befunden.

Bei der Absuche seien im Bereich der Gaststätte „Mausefalle“ die Zeugen F. M., F. T. und C. L. auf sie zugekommen und hätten von einem Fahrzeug berichtet, aufgrund dessen sie zur Seite hätten springen müssen. Bei den Zeugen habe er keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen bemerken können.

Der Zeuge POM Sch. gab weiter an, dass die G. straße in Richtung R1.platz aufgrund eines „Knicks“ in der Fahrbahn nicht ganz einsehbar sei und dass sich zudem etwas vorgelagert vor der „Mausefalle“ eine Baustelle befunden habe, die in diesem Bereich die Straßenbreite auf 4,12 m verengt habe.

Der Angeklagte sei sodann als Halter des Fahrzeugs ermittelt worden, habe in der Tatnacht jedoch nicht mehr festgestellt werden können.

Der Zeuge hat den von ihm wahrgenommenen Sachverhalt sachlich und nachvollziehbar so geschildert, wie er von der Kammer insoweit festgestellt wurde. Die Kammer hat keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und/oder der Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Umstände, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben in Zweifel ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben.

2. Die Angaben des Zeugen POM Sch. werden gestützt durch die glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugen PMin St. Die Angaben der Zeugin zur Fahrtstrecke während der Verfolgungsfahrt und der anschließenden Suche nach dem Angeklagten/dessen Fahrzeug stimmten vollumfänglich mit denen des Zeugen POM Sch. überein.

Auch die Zeugin PMin St. gab an, dass der Angeklagte weder auf Anhaltesignale noch das Blaulicht reagiert und, sein Fahrzeug beschleunigend, vor ihnen davongefahren sei.

Als das Polizeifahrzeug auf Höhe der „Bigbox“ gewesen sei, sei der Abstand von ursprünglich wenigen Fahrzeuglängen bereits auf 200 bis 300 m angewachsen gewesen. Darüber hinaus hätten sie den Angeklagten nach Einbiegen in die B1. straße stadteinwärts nicht mehr sehen können, da der Zeuge POM Sch. die Geschwindigkeit des Polizeifahrzeugs verringert habe, da die Fahrt ansonsten zu gefährlich gewesen sei.

Die Zeugin gab ebenfalls an, dass vereinzelt auf den Straßen und vor den Lokalen Passanten anzutreffen gewesen seien und dass die geschädigten Zeugen M. F., Theresa F. und C. L. auf die Beamten zugekommen seien und berichtet hätten, dass jemand mit einem weißen Golf mit hoher Geschwindigkeit durch die Fußgängerzone gerast sei. Auch die Zeugin PMin St. habe bei diesen Zeugen keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bemerkt.

Die Kammer hat keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin und/oder an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Umstände, dies in Zweifel zu ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben.

3. Die Feststellungen werden des Weiteren gestützt durch die Angaben des Zeugen POK K., welcher angab, in der Tatnacht gegen 1.00 Uhr privat unterwegs gewesen zu sein und mit seinem Pkw als Beifahrer die Straße R1.platz befahren zu haben. Auf Höhe der Einmündung Klostersteige sei von rechts aus der Fußgängerzone, mit hoher Geschwindigkeit, die er auf über 50 km/h schätze, ein weißer Golf angefahren gekommen und mit weiterhin hoher Geschwindigkeit nach rechts in die G. straße, ebenfalls Fußgängerzone, abgebogen.

Er übe dienstlich auch die Tätigkeit als Fahrsicherheitstrainer aus und seiner Einschätzung nach sei der Angeklagte mit „Vollgas/Speed“ in die G. straße ein- und diese entlang gefahren.

Der Zeuge gab weiter an, dass aufgrund der Postion seines eigenen Fahrzeugs und der Ausfahrt des Angeklagten aus der Klostersteige die Gefahr einer Kollision bestanden hätte, wenn der Angeklagte nicht nach rechts abgebogen wäre. Der Zeuge habe sogleich das Kennzeichen abgelesen und seine polizeilichen Kollegen umgehend über den Vorfall informiert.

Umstände, welche geeignet wären, die Glaubwürdigkeit des Zeugen POK K. oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben in Zweifel zu ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben und wurden auch von den Prozessbeteiligten nicht geltend gemacht. Die Kammer hat keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und/oder der Glaubhaftigkeit seiner Angaben.

4. Der Zeuge gab an, dass er zusammen mit seiner Schwester, der Zeugin T. F. und deren Freundin, der Zeugin L, in der Tatnacht in der „Mausefalle“ gewesen sei. Zum Rauchen hätten sie sich alle drei nach draußen vor das Lokal auf die G. straße begeben.

Er selbst habe am ganzen Abend vier bis fünf Weizen getrunken, sei jedoch nicht erheblich alkoholisiert gewesen.

Der Zeuge gab nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder 17 und 18 der Lichtbildtafel des OED K1. vom 23.12.2017 an, dass sie etwas unterhalb der mit einem grünen Pfeil gekennzeichneten Stelle (Lichtbild 18) auf der Straße gestanden seien, wobei er selbst mit Blickrichtung leicht schräg zur Baustelle/Richtung Galeria Kaufhof gestanden sei, seine Schwester mit Blickrichtung zur gegenüberliegenden Häuserzeile und die Zeugin L mit Blickrichtung Kreuzung K2. straße. Sie seien ca. 20 – 30 m unterhalb der, die Straßenbreite verengende Baustelle, auf der Straße gestanden, die Zeuginnen T. F und L dabei eher mittig auf der rechten Straßenhälfte.

Er habe sodann ein Geräusch gehört, aufgeschaut und in diesem Moment sei ein weißer Golf nach dem „Knick“ der G. straße in sein Sichtfeld gekommen. Der Pkw sei beleuchtet gewesen und aufgrund des Motorengeräusches gehe der Zeuge davon aus, dass der Fahrer eher hochtourig gefahren sei.

Bei Bemerken des Fahrzeugs habe er umgehend seine Schwester gepackt, die maximal eine Armlänge entfernt gestanden habe, und diese in Richtung Hauswand auf die Seite gezogen. Diese habe ihrerseits die Zeugin L mitgezogen. Dann sei auch schon das Fahrzeug im Abstand einer halben Armlänge, ca. 30 cm, vorbeigefahren.

Der Angeklagte sei seiner Ansicht nach mit sehr hoher Geschwindigkeit gefahren, habe auch nicht gebremst und sei nicht ausgewichen. Der Zeuge fahre selbst mehrere tausend Kilometer/Jahr und schätze die vom Angeklagten gefahrene Geschwindigkeit auf 60 – 70 km/h.

Der Zeuge gab weiter an, dass er keine Anzeige gegen den Angeklagten erstattet hätte, wenn dieser mit einer Geschwindigkeit von nur 20 oder 30 km/h an ihnen vorbeigefahren wäre.

Mit weiterhin sehr hoher Geschwindigkeit sei der Angeklagte, ohne zu bremsen, über die Kreuzung K2. straße gefahren. Er habe sich noch das Ende des Kennzeichens merken können (SX – 10) und sogleich versucht, die Polizei zu kontaktieren, welche nach ca. einer Minute bereits erschienen sei.

Aufgrund der Situation, die sie alle drei als bedrohlich empfunden hätten, seien alle ein bisschen aufgewühlt gewesen. Der Zeuge F gab an, dass das Fahrzeug des Angeklagten seine Schwester voll erwischt hätte, wenn er sie nicht zur Seite gezogen hätte.

Der Zeuge hat die Fahrt des Angeklagten in der G. straße aufgrund eigenen Erlebens so dargestellt, wie sie durch die Kammer festgestellt wurde. Der Zeuge hat den von ihm wahrgenommenen Sachverhalt sachlich geschildert und dabei keinen Belastungseifer gezeigt. Die Kammer hat keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Umstände, die Glaubwürdigkeit des Zeugen und/oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben in Zweifel zu ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben.

5. Die Zeugin gab ebenfalls an, dass sie, die Zeugin L, und der Zeuge M. F. zum Tatzeitpunkt zum Rauchen vor der „Mausefalle“ auf der Straße gestanden seien. Sie selbst sei nicht alkoholisiert gewesen, da sie an diesem Abend noch nicht viel alkoholische Getränke konsumiert gehabt habe.

Die Zeugin L. sei mit dem Rücken zur späteren Anfahrt in Richtung des Angeklagten auf der Straße gestanden, der Zeuge M. F mit Blick nach oben Richtung Galeria Kaufhof und sie selbst mit dem Blick auf die gegenüberliegende Häuserzeile. Der Abstand zur Baustelle habe ca. 2 – 3 m betragen.

Dabei sei insbesondere die Zeugin C. L relativ mittig auf der rechten Straßenhälfte gestanden. Auf einmal habe ihr Bruder zu ihr herüber gegriffen und sie zur Seite gezogen. Sie sei erschrocken und habe zur Zeugin L geschaut und dabei das in ihren Augen schnell anfahrende Fahrzeug des Angeklagten gesehen. Das Abblendlicht sei eingeschaltet gewesen. Daraufhin habe sie die Zeugin L. gepackt und mit sich gezogen. Die Zeugin F sei dabei einen guten Schritt in Richtung Hauswand gezogen worden und das Fahrzeug, bezogen auf den Außenspiegel, sei mit einem Abstand von maximal 30 cm an ihr vorbeigefahren. Ansonsten hätte es einen Zusammenprall mit dem Fahrzeug gegeben. Eine Verlangsamung oder Bremsung des Fahrzeugs habe sie nicht wahrgenommen. Vielmehr sei es mit unverminderter Geschwindigkeit über den Kreuzungsbereich K2. straße weitergefahren, bis die Zeugin es aufgrund des weiteren Straßenverlaufs aus den Augen verloren habe.

Die gefahrene Geschwindigkeit schätze sie auf 60 bis 70 km/h, so schnell wie üblicherweise auf dem „Ring“ – bei zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h – fahrende Fahrzeuge.

Die Kammer hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen T. F Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Auch die Zeugin T. F und/oder der zeigte keinerlei

Belastungseifer. Umstände, die Glaubwürdigkeit der Zeugin oder die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben in Zweifel zu ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben.

6. Die Zeugin gab ebenfalls in Übereinstimmung mit den Zeugen M. und T. F. an, dass sie mit diesen vor der „Mausefalle“ auf der Straße gestanden sei. An die Entfernung des Standorts zur Baustelle könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie selbst habe bis zum Tatzeitpunkt lediglich einen Glühwein und ein Bier getrunken. Sie sei mit dem Rücken zur Anfahrrichtung des Fahrzeugs gestanden und habe dieses deshalb nicht gesehen. Auch akustisch habe sie nichts wahrgenommen. Für sie überraschend habe die Zeugin T. F sie auf einmal am linken Arm gepackt und in Richtung Hauswand gezogen. Dabei habe sie sich leicht gedreht und das Fahrzeug bemerkt, welches, ihrer Ansicht nach, mit hoher Geschwindigkeit, nahe an ihr vorbeigefahren sei. Wie nah könne sie – zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung – jedoch nicht mehr sagen. Die Geschwindigkeit schätze sie auf jeden Fall auf höher als 50 km/h.

Das Fahrzeug sei dann über die Kreuzung K2. straße gefahren und dabei nicht langsamer geworden.

Die Zeugin L hat damit das Geschehen, soweit es von ihr wahrgenommen wurde, genau so geschildert, wie die Zeugen T. und M. F . Die Angaben der Zeugen stützen sich damit gegenseitig. Umstände, die Glaubwürdigkeit der Zeugin oder die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage in Zweifel zu ziehen, haben sich aus der gesamten Hauptverhandlung nicht ergeben.

7. Die Feststellung, dass es sich bei dem Tatfahrzeug, dem weißen VW Golf, um das Fahrzeug des Angeklagten handelt, beruht auf den Angaben der Zeugen POM Sch. und POK K., welche das Kennzeichen des Fahrzeugs komplett und korrekt ablesen konnten sowie den Angaben des Zeugen M. F, der jedenfalls ein Teilkennzeichen korrekt ablesen konnte.

8. Die Feststellung, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt das Fahrzeug führte, beruht zunächst auf der Feststellung des Angeklagten als Halter des Fahrzeugs durch die Zeugen POM Sch. und PMin St., zum anderen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen A. …

Der Zeuge gab an, dass er mit dem Angeklagten in Sulzberg auf einer Weihnachtsfeier gewesen sei. Er selbst habe größere Mengen an Alkohol getrunken und sei deshalb zum Zeitpunkt der Heimfahrt erheblich alkoholisiert gewesen. Nachts hätten sie dann noch nach K1. fahren wollen. Der Angeklagte habe das Fahrzeug gefahren.

Nach Gesamtbetrachtung sämtlicher Zeugenangaben sind die Angaben des Zeugen S2. insoweit mit den Angaben der übrigen Zeugen in Einklang zu bringen.

Zusätzlich hat der Zeuge noch folgendes angegeben:

Da der Angeklagte bislang keinen Alkohol getrunken habe, habe man noch in K1. in der Diskothek „…“ etwas Trinken gehen wollen. Dazu sei der Angeklagte – auch durch die Fußgängerzone und durch die G. straße – in dieselbe gefahren und habe sein Fahrzeug dort abgestellt. Der Angeklagte sei dabei schnell, aber nicht rasant gefahren. Danach seien sie zu Fuß weiter zum Parktheater gegangen. Der Zeuge habe noch wahrnehmen können, dass sich in der G. straße Personen befunden hätten. Der Angeklagte habe auch eine Lenkbewegung gemacht und sei Leuten ausgewichen. Er selbst sei jedoch erheblich alkoholisiert gewesen, so dass er von der Fahrt nicht viel mitbekommen habe.

Der sichtlich nervöse Zeuge, der unablässig nach allen Seiten blickte und unruhig auf dem Zeugenstuhl herumrutschte, relativierte seine Angaben selbst dahingehend dass er erheblich alkoholisiert gewesen sei und von der Fahrt nicht viel mitbekommen habe.

Seine Angaben bei der polizeilichen Zeugenvernehmung, bei welcher er angab, von der Fahrt, der Fahrtstrecke und der gefahrenen Geschwindigkeit aufgrund seiner Alkoholisierung nichts mitbekommen zu haben, stehen hierzu im Gegensatz. Die Kammer schließt daraus, dass es dem Zeugen S2. vorwiegend darauf ankam, den Angeklagten zu Unrecht zu entlasten.

Die vagen Angaben des Zeugen S insbesondere keine Ausweichlenkung des konnten die Überzeugung der Kammer, dass es Angeklagten bei der Vorbeifahrt an den Zeugen

F und L gegeben hat, angesichts der glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugen M. und T. F nicht erschüttern.

9. Die Feststellungen zur Fahrtstrecke und den dort befindlichen verkehrstechnischen Besonderheiten werden zudem gestützt durch die in Augenschein genommenen Lichtbilder der Lichtbildtafel des OED K1. vom 23.12.2017. Hier ist auf den Lichtbildern 1 bis 5 der Beginn der Fahrtstrecke bis zum Erreichen der 20 km/h-Zone abgebildet, auf den Lichtbildern 6 – 9 die Fahrtstrecke in die 20 km/h-Zone bis zum Einbiegen in die B1. straße/Fußgängerzone, samt Straßenbeschilderung und einmündenden vorfahrtsberechtigten Querstraßen.

Auf den Lichtbildern 10 bis 12 ist zudem der Teilbereich der Fußgängerzone bis zum Erreichen der B2. straße sowie das Ende und die Ausfahrt aus der Straße Klostersteige abgebildet.

Die Fahrt über die F. straße zur Klostersteige stellt die direkte und schnellste Verbindung zwischen der B1. straße und der Klostersteige dar. Dazu kommt, dass der Zeuge POK K. den Angeklagten nur eine äußerst kurze Zeitspanne, nachdem die verfolgenden Beamten ihn aus den Augen verloren hatten, aus der Klostersteige ausfahren sah. Die Kammer ist deshalb davon überzeugt, dass der Angeklagte die Fußgängerzone von der B1. straße ausgehend bis zur Klostersteige komplett befuhr.

10. Die Feststellungen zur Beschaffenheit und Unübersichtlichkeit der G. straße werden ebenfalls gestützt durch die in Augenschein genommenen Lichtbilder der Lichtbildtafel des OED K1. vom 23.12.2017. So ist insbesondere auf den Lichtbildern 14 bis 17 der kurvige und durch die innenseitige Bebauung sichtbeeinträchtigte Fahrbahnverlauf abgebildet sowie auf den Lichtbildern 16 bis 19 die, die Sicht weiter behindernde und die Straße verengende, Baustelle.

11. Die Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten in der G. straße beruhen auf den Angaben der Zeugen M. F, T. F und C. L sowie auf dem schlüssigen, nachvollziehbaren, fundierten und widerspruchsfreien Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH), dem sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt.

Der Sachverständige führte aus, dass ihm für das Gutachten, welches er in der Hauptverhandlung mündlich erstattete, die Akte der Staatsanwaltschaft Kempten, AZ.: 220 Js 3532/18, die Fahrzeugdaten des Pkw VW Golf und Luftlichtbildaufnahmen der Örtlichkeit aus öffentlichen Erkenntnisquellen zur Verfügung gestanden hätten. Bei der Erstellung des Gutachtens habe er zudem die Angaben der Zeugen in der Hauptverhandlung berücksichtigt.

Der Sachverständige gab zunächst an, dass aufgrund der fahrdynamischen Begrenzung der Kurvenfahrt von der Klostersteige in die G. straße, den technischen Eigenschaften des Fahrzeugs des Angeklagten und aufgrund der Angaben des Zeugen POK K., dass das Fahrzeug des Angeklagten bei der Kurvenfahrt nicht aus der Spur ausgebrochen, gedriftet oder geschlittert sei, davon auszugehen sei, dass der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit in den oberen Bereich der G. straße eingefahren sei, der unter 50 km/h gelegen habe.

Im Weiteren werde die fahrdynamische Begrenzung in der G. straße bereits im oberen Bereich durch eine Kurvenführung mit einem Radius von 45 m bestimmt. Aufgrund der mittigen Wasserrinne und des Pflasterbelages gehe er von einer maximalen Querbeschleunigung von 4,5 m/s² aus, was eine theoretisch mögliche Maximalgeschwindigkeit des VW Golf in dieser Kurve von 51 km/h ergäbe. Die G. straße verlaufe sodann mit einem geringen Kurvenradius bogenförmig weiter, so dass eine Beschleunigungsphase bis zur Position der Zeugen F und L. auf 110 km/h theoretisch möglich wäre. Das Erreichen der Zeugen nach dem Durchfahren der Kurve benötige dabei 5 Sekunden.

Bei der kontrollierenden Betrachtung und Berechnung, mit welcher Geschwindigkeit der Angeklagte tatsächlich gefahren sei, als er die Zeugen M. und T. F und L passierte, seien zunächst die Wahrnehmungen der Zeugen zu den gefahrenen Geschwindigkeiten sowie die von diesen angegebenen Standorte in Betracht zu ziehen.

Dabei habe er berücksichtigt, dass die Angaben der Zeugen zu deren Standort variieren sowie, dass die subjektive Einschätzung einer gefahrenen Geschwindigkeit fehlerbehaftet sein könne.

Maßgebend für die Kontrollbetrachtung sei zudem, dass der Blick in die G. straße durch die kurveninnenseitige Bebauung dynamisch eingeschränkt gewesen sei. Der Zeuge F. habe das Fahrzeug als erstes akustisch wahrgenommen und einen direkten Blick auf die bedrohliche Situation erst dann gewinnen können, als er das Fahrzeug erkannte. Zwischen der Position auf der Straße und dem Blick in die G. straße standen bei Erkennen der bedrohlichen Situation maximal 50 m Distanz zur Verfügung.

Der Sachverständige führte weiter aus, dass über die Wahrnehmung und Reaktion des Zeugen M. F. auch noch eine Handlung in Form des Wegziehens der Zeugin T. F und der Zeugin L von der Straße erfolgte. Daher sei, was auch den Schilderungen der Zeugen entspreche, das Verstreichen einer Zeitspanne von 3 bis 4 Sekunden von der Wahrnehmung des herannahenden Fahrzeugs durch den Zeugen M. F bis zum Wegziehen der Zeugin L anzunehmen.

Bei Zugrundelegung dieser Zeitspanne und der maximalen Sichtweite von 50 m ergäbe sich daher eine mögliche gefahrene Geschwindigkeit zwischen 45 und 60 km/h.

Bei der Bemessung der gefahrenen Geschwindigkeit seien jedoch die Angaben der Zeugen kritisch zu hinterfragen. So habe der Zeuge M. F angegeben, dass der Angeklagte eher hochtourig gefahren sei, was nach den Ausführungen des Sachverständigen in der Regel zur Folge habe, dass die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs höher wahrgenommen werde, als diese tatsächlich sei. Auch der Umstand, dass das Geschehen unerwartet gewesen sei und nur wenige Sekunden gedauert habe, trage dazu bei, dass die Geschwindigkeit regelmäßig höher eingeschätzt werde, als sie tatsächlich sei.

Aufgrund der zum Tatzeitpunkt vorhandenen, die Sicht weiter beeinträchtigenden, Baustelle, welche in einer Entfernung von 20 m zum Eingang der Mausefalle gelegen habe und die Fahrbahn von 8 bis 9 m auf 4,12 m verengt habe und aufgrund der variierenden Angaben der Zeugen zu ihrem Standort, könne nach den Angaben des Sachverständigen auch eine geringere Sichtweite zwischen der Standposition und dem Blick in die G. straße, welche zwischen 35 und 50 m gelegen habe, nicht ausgeschlossen werden.

Bei Zugrundelegung der gleichen Bewegungsabläufe der Zeugen käme daher theoretisch, aufgrund der innerhalb der gleichen Zeitspanne zurückzulegenden kürzeren Wegstrecke, eine gefahrene Geschwindigkeit in Betracht, die unter 45 km/h liege.

Ergänzend führte der Sachverständige aus, dass für den Angeklagten bei der möglichen gefahrenen Geschwindigkeitsspanne bis hin zu 60 km/h die theoretische Möglichkeit bestanden hätte, bei entsprechender Abwehrbremsung vor den Zeugen zum Stehen zu kommen, da auch für den Angeklagten, jedenfalls aus einer Distanz von 35 bis 40 m – Reichweite des Abblendlichts bzw. Mindestsichtweite – die Zeugen sichtbar gewesen wären.

Angesichts der Wahrnehmungen der Zeugen ist die Kammer nach den Ausführungen des Sachverständigen dennoch nicht der Überzeugung, dass der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von weniger als 45 km/h auf die Zeugen zu und an ihnen vorbei gefahren ist.

Der Zeuge M. F Fahrzeug des Angeklagten hat, nach seinen zuvor geschilderten glaubhaften Angaben, das zunächst hochtourig anfahren gehört. Die Reaktionskette wurde nach den Angaben des Zeugen bereits mit der akustischen Wahrnehmung des Fahrzeugs und nicht erst mit der visuellen Erkennbarkeit in Gang gesetzt, so dass die Kammer – angesichts der geistesgegenwärtigen Reaktionen der Zeugen F – von einer verstrichenen Zeitspanne von lediglich 2 – 3 Sekunden ab dem Zeitpunkt der visuellen Erkennbarkeit ausgeht.

Der Kammer ist bewusst, dass das Einschätzen von Geschwindigkeiten von einer Vielzahl subjektiver Faktoren abhängig und daher generell fehlerbehaftet ist.

Angesichts des Umstandes, dass die Zeugen allesamt die Geschwindigkeit als sehr schnell und die Situation als bedrohlich eingeschätzt haben und der Ausführungen des Zeugen K., der ebenfalls angab, dass der Angeklagte mit „Speed“ in die G. straße einfuhr, ist die Kammer jedoch davon überzeugt, dass der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von mindestens 45 km/h durch die G. straße gefahren ist. Die Zeugin F hat die von ihr wahrgenommene Geschwindigkeit mit der Geschwindigkeit auf der durch K1. führenden, umgangssprachlich als „Ring“ bezeichneten Straße, verglichen. Hier ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzt. Sowohl beim Zeugen M. F als auch beim Zeugen K. handelt es sich um erfahrene Kraftfahrer, der Zeuge POK K. ist zusätzlich Fahrsicherheitsstrainer.

Unabhängig von dem Umstand, dass die Straße als Fußgängerzone gekennzeichnet ist und der Angeklagte diese gar nicht hätte befahren dürfen, fuhr er zur Überzeugung der Kammer angesichts der bau- und baustellenbedingten Unübersichtlichkeit der Straße mit weit überhöhter Geschwindigkeit.

12. Das vom Angeklagten durchfahrene Teilstück der B1. straße, die F. straße, die Klostersteige und auch die G. straße sind mit dem Zeichen 242.1 als Fußgängerzone gekennzeichnet, wie sich auch aus den Lichtbildern 10, 13 und 16 der Lichtbildtafel des OPD K1. vom 23.12.2017 ergibt. Der Angeklagte hätte diese Straßen, auch die G. straße, somit grundsätzlich nicht befahren dürfen. Auch zu gewissen Zeiten zugelassener Lieferverkehr müsste entsprechend Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO Abschnitt 5, laufende Nr. 21 und 18, auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen und dürfte diesen weder gefährden noch behindern. Zudem dürften diese berechtigten Verkehrsteilnehmer, zu denen der Angeklagte nicht gehörte, nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.

Das Befahren der unübersichtlichen G. straße, die aufgrund der in ihrer Mitte befindlichen Wasserablaufrinne und der Baustellenverengung weitere erschwerende Besonderheiten aufwies, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 45 km/h und somit deutlich über Schrittgeschwindigkeit, zu einem Zeitpunkt, an dem in der Fußgängerzone befindliche Personen darüber hinaus mit Warenanlieferungsverkehr nicht rechnen müssen, stellt zur Überzeugung der Kammer einen besonders schweren Verstoß gegen Verkehrsvorschriften und somit ein grob verkehrswidriges Verhalten dar.

13. Die Feststellung hinsichtlich der Ortskenntnis des Angeklagten beruht auf dem Umstand, dass der Angeklagte seinen Wohnsitz in K1. hat.

Bei der Nacht vom 22. auf den 23.12.2017 handelte es sich um einen Freitagabend, an dem generell und in der Weihnachtszeit besonders, damit zu rechnen ist, dass eine Vielzahl von Personen abends bis spät in die Nacht hinein ausgeht. Der Angeklagte war an diesem Abend selbst auf einer Weihnachtsfeier. Dazu kommt, dass der Zeuge POM Sch. und die Zeugin PMin St. angegeben haben, es hätten sich über den gesamten Verlauf der Fahrtstrecke und insbesondere auch in den von ihnen befahrenen Passagen der Fußgängerzone Personen auf der Straße oder vor den dort befindlichen Lokalen befunden.

Nachdem der Angeklagte zu einem überwiegenden Teil dieselbe Fahrtstrecke befahren hat wie die ihn verfolgenden Beamten, war auch dem Angeklagten bewusst, dass Fußgänger auf den Straßen unterwegs und auch vor den Lokalen anzutreffen sind. Nachdem der Angeklagte auf die Anhaltesignale der Polizei in der K1. Straße umgehend mit Beschleunigung seines Fahrzeugs reagiert hat, ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der Angeklagte erkannt hat, dass eine Polizeikontrolle erfolgen sollte. Aufgrund des weiteren Umstands, dass der Angeklagte sich mit weit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h von den Beamten entfernt hat und dabei auch Straßen benutzt hat, die zum Befahren für den allgemeinen Verkehr nicht freigegeben waren, ist die Kammer zudem davon überzeugt, dass sich der Angeklagte der Polizeikontrolle durch Flucht entziehen wollte.

Der Angeklagte ist zunächst mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h in die Fußgängerzone in der B1. straße eingefahren. Während seiner Fahrt hat der Angeklagte

„kamikazeartig“ mehrere Kreuzungen, in denen die Vorfahrtsregelung „rechts vor links“ gilt, überfahren. Trotz des Umstandes, dass die Beamten bereits ab seiner Einfahrt in die B1. straße keinen Sichtkontakt mehr zu ihm hatten – was auch für den Angeklagten über die Rückspiegel erkennbar gewesen wäre – befuhr der Angeklagte weiter die Fußgängerzone bis hin zur Klostersteige und weiterführend durch die G. straße, obwohl ihm aufgrund der bisherigen Fahrt bekannt war, dass sich, jedenfalls vereinzelt, Personen auf der Fahrbahn befanden.

Der Angeklagte hat sich somit aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, hier vor allem gegenüber bevorrechtigten Fußgängern hinweggesetzt und aus Gleichgültigkeit von vorneherein keine Bedenken gegen sein Verhalten aufkommen lassen und damit rücksichtslos gehandelt.

14. Aufgrund der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit und des Fußgängeraufkommens wusste der Angeklagte auch, dass eine Gefahr für Leib oder Leben der auf der Straße befindlichen Fußgänger bestanden hat.

Bei objektiv nachträglicher Prognose unter Würdigung aller relevanter Tatumstände – auf die Feststellungen zur Fahrlinie und Geschwindigkeit, der Fahrbahnbeschaffenheit und des Fahrbahnverlaufs wird zu Vermeidung von Wiederholungen verwiesen – bestand die naheliegende Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Zusammenstoß mit Passanten gekommen wäre. Ohne die schnelle Reaktion des Zeugen M. F und der Zeugin T. F wäre es zum Zusammenprall gekommen.

Dem Angeklagten war aufgrund seiner Ortskenntnis sowohl der Umstand, dass die G. straße unübersichtlich war als auch der Umstand bekannt, dass sich in der G. straße und der kreuzenden K2. straße Lokale befinden. Die Gefährlichkeit der Fahrt war somit auch für den Angeklagten offensichtlich.

Der Angeklagte war, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, in der Lage, im Lichtkegel seiner Scheinwerfer die Zeugen M. und T. F und L aus einer Entfernung von 35 bis 40 m zu sehen.

Dennoch bremste der Angeklagte sein Fahrzeug nicht ab und führte auch keine Ausweichlenkung durch. Vielmehr bremste der Angeklagte sein Fahrzeug auch nach dem Beinaheunfall nicht erkennbar ab und fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit über die nicht einsehbare nachfolgende Kreuzung G. straße/K. straße.

Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung, z.B. durch alkoholische Beeinflussung zur Tatzeit das Gefährdungsrisiko nicht bewusst gewesen sei, bestehen zur Überzeugung der Kammer nicht. Die Zeugen POM Sch. und PMin St. sowie der Zeuge POK K. haben über die hohe gefahrene Geschwindigkeit hinaus keine fahrtechnischen Besonderheiten geschildert, die zur Annahme alkoholbedinger Ausfallerscheinungen führen könnten. Insbesondere hat der Angeklagte sein Fahrzeug trotz der hohen Geschwindigkeiten kontrolliert fahren und lenken können.

15. Die Kammer konnte keine Überzeugung davon gewinnen, dass der Angeklagte die Tötung oder tatsächliche Verletzung einer auf der Straße befindlichen Person, insbesondere der Zeugin L oder den Zeugen F, vorhersah und billigend in Kauf nahm. Aufgrund einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, hat die Kammer keine hinreichenden, das voluntative Vorsatzelement begründenden, Umstände feststellen können, die einen zweifelsfreien Schluss zuließen, der Angeklagte habe sich über die konkrete Gefährdung hinaus mit einer Verletzung oder dem Tod eines oder mehrerer Zeugen abgefunden.

16. Bei dem Tatgeschehen handelte es sich um einen Vorgang im fließenden Straßenverkehr, bei welchem der Angeklagte ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten gezeigt hat. Solche Verstöße sind in der Vorschrift des § 315 c StGB abschließend geregelt. Aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung haben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte sein Fahrzeug im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB bewusst zweckwidrig als „Waffe“ missbraucht und zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert hat.

17. Der Angeklagte hat sich zwar während seiner Flucht vor den Polizeibeamten und insbesondere während der Fahrt durch die Fußgängerzone mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt. Es konnten jedoch aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass der Angeklagte während der Fahrt nicht vorwiegend den Polizeibeamten habe entkommen wollen sondern der Motivation der Geschwindigkeitsjagd unterlegen sei.

Der Sachverständige hat schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei ausgeführt, dass bei der Kurvendurchfahrt am Beginn der G. straße eine Maximalgeschwindigkeit von 51 km/h und ein Beschleunigen bis zur Position der Zeugen auf 110 km/h technisch möglich gewesen wäre. Bei nicht ausschließbar gefahrenen Geschwindigkeiten von „nur“ 45 km/h kann kein Nachweis dafür erbracht werden, dass der Angeklagte im Sinne des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit dem Ziel auf der Straße unterwegs gewesen sei, die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeugs angesichts der Straßenverhältnisse auszureizen.

D.

Rechtliche Würdigung:

Der Angeklagte hat sich daher der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 d, 69, 69 a StGB schuldig gemacht.

E.

Strafzumessung:

I. Strafrahmen:

Für die Bestrafung der Tat stand gemäß § 315 c Abs. 1, 38 Abs. 2 StGB ein Strafrahmen zur Verfügung, der Freiheitsstrafe von 1 Monat bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Anhaltspunkte für eine Verschiebung des Strafrahmens gem. § 49 StGB haben sich nicht ergeben.

II. Strafzumessung im engeren Sinne:

Innerhalb des genannten Strafrahmens war vor allem Art und Gewicht der Rechtsverletzung, der Grad der Pflichtwidrigkeit, die Tatintensität, das Ausmaß der verursachten Gefahr sowie die verschuldeten Tatfolgen und die Täterpersönlichkeit zu würdigen.

Dabei war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass

– der Angeklagte bisher nicht wegen schwerwiegender Verkehrsverstöße und auch ansonsten im Straßenverkehr nicht strafrechtlich relevant aufgefallen ist;

– der Angeklagte hinsichtlich der Herbeiführung einer Gefahr im Sinne des § 315 c Abs. 1 StGB lediglich bedingt vorsätzlich handelte;

– die Zeugen M. F, T. F. und C. L keine Verletzungen davongetragen haben und aufgrund des Vorfalls auch keine dauerhaften psychischen Folgen aufgetreten sind;

– auch andere Personen, wie der Zeuge K., nicht zu Schaden kamen;

– der Angeklagte sich aus Anlass der Tat etwas mehr als drei Monate in Untersuchungshaft befand;

Die Kammer berücksichtigt auch die beruflichen und familiären Nachteile, die für den Angeklagten mit einer länger dauernden Inhaftierung verbunden sind.

Strafmildernd wirkt sich zudem der Entzug der Fahrerlaubnis und die verhältnismäßig lange Dauer der Sperrfrist für die Wiedererteilung derselben aus.

Zu Lasten des Angeklagten war jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits eine Eintragung im Bundeszentralregister wegen einer vorsätzlich verübten, wenngleich andersartigen Straftat vorzuweisen hat.

Besonders schwerwiegend wirkte sich das hohe Gefährdungspotenzial, aufgrund der für die örtlichen Verhältnisse weit übersetzten Geschwindigkeit, mit der der Angeklagte gefahren ist, aus. Für die Zeugen M. F, T. F und C. L bestand akute Lebensgefahr bei einem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Angeklagten, wie auch der Sachverständige nachvollziehbar, fundiert und widerspruchsfrei ausführte. Auch bei der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit von mindestens 45 km/h, mit welcher er die Zeugen passierte, bestand die Gefahr des Eintritts erheblicher bis hin zur lebensgefährlichen Verletzungen.

Darüber hinaus ist auch die Fahrweise des Angeklagten vor Erreichen der G. straße zu berücksichtigen. Während der gesamten Fahrt hat sich der Angeklagte über eine Vielzahl von Regeln des Straßenverkehrs hinweggesetzt und ist mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h in die Fußgängerzone in der B1. straße eingefahren, in welcher sich auch zu dieser Nachtzeit immer noch Fußgänger befanden. Aufgrund der gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten und des Umstandes, dass er die Fußgängerzone befuhr, bestand darüber hinaus ein erhebliches Gefahrenpotenzial für sämtliche auf der Straße befindlichen Personen.

Nach den Angaben des Sachverständigen, denen sich die Kammer auch insoweit anschließt, hätte der Angeklagte unter den gegeben örtlichen Verhältnissen, nachdem er als nicht vorfahrtsberechtigter Fahrer die Kreuzungen in der K1. Straße mit mindestens 100 km/h überquerte, keine Möglichkeit mehr gehabt, einen Unfall mit einem kreuzenden Pkw zu vermeiden.

Insgesamt zeigte der Angeklagte während der 1.850 m langen Fahrt ein außergewöhnlich hohes Maß an Rücksichtslosigkeit.

Dass der Angeklagte eine Eintragung im Fahreignungsregister vorzuweisen hat, wurde durch die Kammer nicht strafschärfend berücksichtigt, da die Ordnungswidrigkeit fahrlässig begangen wurde und die Geschwindigkeitsüberschreitung verhältnismäßig gering war.

Ebenso wenig wurde zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er vor der beabsichtigten Polizeikontrolle geflüchtet ist und sich dieser damit entzogen hat.

Nach Würdigung sämtlicher zugunsten und zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigender Umstände war die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten tat- und schuldangemessen.

F.

Maßregel der Besserung und Sicherung – Entziehung der Fahrerlaubnis

Gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB war dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und eine Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis auszusprechen. Die Regelvermutung konnte auch durch die Gesamtwürdigung sämtlicher in der Tat und der Person des Angeklagten liegender Umstände nicht widerlegt werden. Zwar hat der Angeklagte erstmalig eine Verkehrsstraftat begangen. Er hat jedoch während seiner Fahrt bis hin zum Abstellen seines Fahrzeugs eine Vielzahl von Verkehrsvorschriften missachtet und während seiner Fahrt durch die K1.er Innenstadt bedenkenlos eine Gefahrenquelle für die dort befindlichen Fußgänger geschaffen. Er hat sich den Anweisungen der, den Verkehr kontrollierenden, Beamten widersetzt und sein verkehrswidriges Verhalten auch dann noch aufrecht erhalten, als er die Beamten bereits „abgeschüttelt“ hatte. Damit hat der Angeklagte gezeigt, dass er charakterlich unzuverlässig und damit ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges ist.

Die charakterliche Ungeeignetheit wird insbesondere durch den etwas mehr als 3-monatigen Aufenthalt des Angeklagten in der Untersuchungshaft nicht aufgehoben. Der Eignungsmangel besteht fort. Änderungen in der Persönlichkeit des Angeklagten, eine Nachreifung oder Umstände wie eine Nachschulung liegen nicht vor.

Nach § 69a Abs. 1 S.1 StGB beträgt die Sperrfrist zwischen 6 Monaten und 5 Jahren. Für eine erhöhte Mindestsperrfrist gem. § 69a Abs. 3 StGB ergeben sich keine Anhaltspunkte.

Die Dauer der Sperrfrist richtet sich danach, wie lange die aus der Anlasstat erwiesene Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen voraussichtlich andauern wird.

Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass zwischen der Dauer der Sperrfrist einerseits und der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe andererseits eine Wechselwirkung besteht und eine isolierte Betrachtung von Art und Dauer der Maßregel einerseits sowie der Strafbemessung andererseits nicht möglich ist.

Die Kammer hat, nach Ausübung des ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessens, die Tatumstände, insbesondere Art und Maß der Pflichtwidrigkeit, und die Persönlichkeit des Angeklagten, der Grad der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit sowie die Auswirkungen der Fahrerlaubnissperre auf den Angeklagten, umfassend gewürdigt.

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Führerschein des Angeklagten bereits am 19.03.2018 beschlagnahmt wurde, hält die Kammer angesichts des Ausmaßes der Pflichtwidrigkeit die Verhängung einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis in Höhe von 3 Jahren für angezeigt, um den festgestellten Eignungsmangel zu beseitigen.

G.

Kosten: Die Kostenentscheidung ergibt sich aus dem §§ 464, 465 Abs. 1 StPO.

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