LG Düsseldorf – Az.: 20 Qs 61/20 – Beschluss vom 28.12.2020
Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 25.11.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 13.11.2020 – Az. 151 Gs 2158/20 – aufgehoben.
Gründe
I. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB. Sie wirft ihm vor, am 06.09.2020 gegen 00:30 Uhr im Bereich Elbefelder Straße/Königsallee in Düsseldorf in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand im Straßenverkehr einen E-Scooter der Marke Tier geführt zu haben.
Gegen 00:50 Uhr traf eine Polizeistreife im Bereich Elbefelder Straße/Königsallee ein, um einen möglichen Verkehrsunfall aufzunehmen. Der Beschuldigte wurde zu diesem Zeitpunkt dort von der Besatzung eines Rettungswagens medizinisch versorgt. Er wies einen Nasenbeinbruch sowie Schürfwunden im Gesicht auf. Auf dem Pflaster des Gehwegs stellten die Beamten eine Blutspur fest, sowie etwa 5 Meter nördlich der Blutspur einen E-Scooter der Marke Tier.
Bei der Befragung des Beschuldigten nahmen die Beamten einen deutlichen Alkoholgeruch in seiner Atemluft wahr, weshalb zunächst ein Atemalkoholtest durchgeführt wurde und ihm später eine Blutprobe entnommen wurde. Festgestellt wurde beim Beschuldigten eine Blutalkoholkonzentration von 1,82 Promille (Bl. 8 GA).
Gegenüber den aufnehmenden Beamten ließ sich der Beschuldigte im Rahmen der Vernehmung dergestalt ein, dass er mit Freunden 3-4 Bier getrunken habe. Danach habe er sich einen E-Scooter freigeschaltet und habe nach Hause fahren wollen. Als er die Königsallee in Richtung des Hotels „Steigenberger Eck“ befahren habe, habe er im Bereich des Schalenbrunnens von der Fahrbahn auf den Gehweg wechseln wollen. Dabei habe er den flachen Bordstein übersehen, sei mit dem Vorderreifen an der Bordsteinkante hängengeblieben und nach vorne über den Lenker gestürzt.
Die Beamten nahmen Einsicht in die zur Anmietung des E-Scooters genutzte App. In dieser war eine Nutzungszeit von 00:12 bis 00:30 Uhr vermerkt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Düsseldorf dem Beschuldigten vorläufig die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen. Hiergegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.II.Die zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg.
Der Beschuldigte ist hier einer Trunkenheit im Verkehr dringend verdächtig. Zum Tatzeitpunkt befand er sich in einem absolut fahruntüchtigen Zustand. Dabei kann dahinstehen, ob für E-Scooter die Grenze für die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille liegt (so etwa LG München I, Beschluss vom 29.11.2019 – 26 Qs 51/19 -, juris Rn. 15; LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, juris Rn. 8) oder ob der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6 Promille gilt, da die Blutalkoholkonzentration des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt bei mindestens 1,86 Promille und demnach über beiden Grenzwerten lag.
Angesichts der hier gegebenen Umstände hält es die Kammer aber für angebracht, bereits die Entscheidung darüber, ob die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, trotz des dringenden Tatverdachts in Bezug auf die Verwirklichung eines Regelbeispiels der überlegenen Erkenntnisquelle der Hauptverhandlung vorzubehalten.
E-Scooter weisen ein geringeres abstraktes Gefährdungspotential auf als etwa PKWs, LKWs und Krafträder (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, juris Rn. 13; LG Halle (Saale), Beschluss vom 16. Juli 2020 – 3 Qs 81/20-, juris Rn. 8; Schefer: „Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). E-Scooter, wie der hier verwendete der Firma Tier, wiegen zwischen 20-25 kg und können nicht mehr als 21 km/h fahren (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20-, juris Rn. 13; LG Halle (Saale), Beschluss vom 16. Juli 2020 – 3 Qs 81/20 -, juris Rn. 8). Was das Verletzungspotential für Dritte angeht, sind E-Scooter im Normalfall eher mit einem Fahrrad oder einem Pedelec (Fahrrad mit elektrischen Hilfsantrieb) vergleichbar (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20-, juris Rn. 13; LG Halle (Saale), Beschluss vom 16. Juli 2020 – 3 Qs 81/20 -, juris Rn. 8), wobei mit einem Fahrrad schneller gefahren werden kann als mit einem E-Scooter.
Insgesamt bestehen angesichts der derzeitigen Aktenlage insbesondere aufgrund der im Vergleich zu schnelleren und/oder höhergewichtigen Fahrzeugen geringeren Fremdgefährlichkeit Gründe, die im vorliegenden Einzelfall, der sich zur Nachtzeit bei nur geringem Verkehrs- und Passantenaufkommen ereignete, ein Absehen von der Regelwirkung als zumindest nicht vollkommen abwegig erscheinen lassen.