Eine anthropologische Gutachterin forderte für die Gesichtsidentifikation auf Video eine höhere Vergütung für anthropologisches Gutachten als die üblichen 90 Euro pro Stunde. Doch ihre Argumente für eine Einstufung in eine höhere Honorargruppe trafen vor Gericht auf unerwarteten Widerstand.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Honorargruppen sieht das JVEG für Sachverständige generell vor?
- Kann ein Sachverständiger eine gerichtliche Honorarfestsetzung anfechten?
- Wie kann ein Sachverständiger seine Leistung gemäß JVEG korrekt einstufen und abrechnen?
- Was passiert, wenn meine Sachverständigenleistung nicht eindeutig im JVEG einzuordnen ist?
- Welche Folgen hat die strikte JVEG-Auslegung für die Gewinnung qualifizierter Sachverständiger?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Ws 40/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 09.02.2024
- Aktenzeichen: 2 Ws 40/23
- Verfahren: Beschwerdeverfahren zur Sachverständigenvergütung
- Rechtsbereiche: Sachverständigenrecht, Kostenrecht, Strafverfahrensrecht
- Das Problem: Eine Sachverständige und die Staatskasse stritten über die Höhe des Honorars für ein Gutachten. Die Sachverständige verlangte einen höheren Stundensatz als die Staatskasse zahlen wollte.
- Die Rechtsfrage: Wie sind Leistungen eines anthropologischen Sachverständigen zu vergüten und welcher Stundensatz ist dafür angemessen?
- Die Antwort: Das Gericht ordnete die Leistung der Sachverständigen der Honorargruppe M2 zu. Es setzte den Stundensatz auf 90 Euro pro Stunde fest und reduzierte damit das geforderte Honorar.
- Die Bedeutung: Diese Entscheidung klärt, wie anthropologische Gutachten in Zukunft vergütet werden. Sie schafft Klarheit für Sachverständige und Gerichte bei der Honorarzuordnung.
Der Fall vor Gericht
Wie viel ist ein geschulter Blick auf ein Gesicht wert?
Eine Rechnung über 2.334,99 Euro löste einen juristischen Streit aus, der erst vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ein Ende fand. Eine anthropologische Gutachterin hatte für das Gericht eine Angeklagte auf einem Video identifiziert.

Ihre Arbeit rechnete sie mit 115 Euro pro Stunde ab. Die Staatskasse wollte aber nur 90 Euro zahlen. Was nach kleinlicher Buchhaltung klingt, war in Wahrheit eine Grundsatzfrage: Wie viel ist die Expertise eines Menschen wert, der Gesichter liest wie andere ein Buch – und welches Preisschild hängt das Gesetz daran?
Warum wollte die Staatskasse nur 90 Euro pro Stunde zahlen?
Die Vertreterin der Staatskasse, eine Bezirksrevisorin, hatte eine klare Vorstellung. Ihre Argumentation stützte sich nicht auf eine persönliche Einschätzung, sondern auf den Willen des Gesetzgebers. Sie verwies auf die offiziellen Begründungen zum Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). Dort findet sich die Empfehlung, anthropologische Gutachten je nach Schwierigkeit den medizinischen Honorargruppen M1 bis M3 zuzuordnen.
Ihre Logik war einfach: Die Arbeit der Gutachterin war ein standardisierter Abgleich von Merkmalen. Sie beschrieb Ähnlichkeiten zwischen dem Gesicht auf dem Video und dem Gesicht der Angeklagten. Komplexe medizinische Ursachen oder Zusammenhänge musste sie nicht bewerten. Diese Art der beschreibenden Tätigkeit passe exakt in die Honorargruppe M2. Und diese sieht einen Stundensatz von 90 Euro vor. Der Fall war für die Staatskasse damit klar.
Wie begründeten die Gutachterin und die Vorinstanzen einen höheren Satz?
Die Sachverständige sah ihre Arbeit in einem ganz anderen Licht. Sie argumentierte, ihre Leistung sei mit dem „Grafischen Gewerbe“ vergleichbar. Schließlich arbeite sie mit Bildern, Überlagerungen und visuellen Darstellungen. Das entsprechende Sachgebiet im Gesetz sieht einen Stundensatz von 115 Euro vor. Ihre Rechnung spiegelte diese Einordnung wider.
Das Amtsgericht und später das Landgericht Kassel gingen einen Mittelweg. Sie verwarfen die Idee des „Grafischen Gewerbes“, sahen die Arbeit aber auch nicht zwingend im medizinischen Bereich. Ihre Analogie war eine andere: die „Handschriften- und Dokumentenuntersuchung“. Dort wie hier gehe es um den Vergleich feiner Merkmale und eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Da das Gesetz keine perfekte Schublade bot, nutzten die Richter ihr Ermessen. Sie setzten einen Stundensatz von 105 Euro fest. Ein Kompromiss, der auch qualifizierte Experten bei Laune halten sollte. Doch die Bezirksrevisorin akzeptierte das nicht und zog vor die nächste Instanz.
Welcher Logik folgte das Oberlandesgericht und beendete den Streit?
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main pulverisierte die Argumente der Vorinstanzen. Für den Senat war der entscheidende Kompass der dokumentierte Wille des Gesetzgebers. Die Richter stellten fest, dass die Empfehlung zur Einordnung in die medizinischen Honorargruppen M1 bis M3 nach wie vor gilt. Eine neuere Gesetzesänderung hatte daran nichts geändert.
Der Vergleich mit Medizinern sei auch in der Sache überzeugend. Ein Gesichtsvergleich erfordere tiefes Wissen über menschliche Anatomie und Biologie. Es geht darum, wie sich Merkmale unter Bewegung oder verschiedenen Blickwinkeln verändern. Das hat mit grafischem Design wenig zu tun. Es ist eine forensische, eine humanbiologische Aufgabe. Die Analogie zum Arzt ist näher als die zum Grafiker.
Auf dieser Basis ordneten die Richter die konkrete Tätigkeit ein. Die Arbeit der Gutachterin war eine beschreibende Analyse nach einem etablierten Schema. Es war keine hochkomplexe Kausalitätsforschung. Damit passte sie perfekt in die Definition der Honorargruppe M2. Die Konsequenz war zwingend. Der Stundensatz musste 90 Euro betragen. Die Vergütung wurde auf 1.844,12 Euro korrigiert. Das Argument der Vorinstanzen, man müsse Experten mit höheren Honoraren locken, ließen die Richter nicht gelten. Die korrekte Anwendung des Gesetzes steht über solchen Erwägungen.
Die Urteilslogik
Die korrekte Entlohnung gerichtlicher Sachverständiger erfordert eine exakte Einordnung ihrer Leistung gemäß den gesetzlichen Vorgaben und der tatsächlichen Expertise.
- Der Wille des Gesetzgebers zählt: Gerichte legen die gesetzliche Einordnung von Sachverständigenleistungen nach dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers aus, auch wenn das Gesetz die Leistung nicht explizit benennt.
- Fachliche Tiefe bestimmt die Kategorie: Die Zuordnung einer Sachverständigenleistung zu einer Honorargruppe bemisst sich an ihrer tatsächlichen fachlichen und wissenschaftlichen Natur, nicht an oberflächlichen Vergleichen oder Analogien zu anderen Sachgebieten.
- Gesetzliche Vorgaben sind bindend: Die korrekte Anwendung der gesetzlichen Vergütungsvorschriften für Sachverständige steht über richterlichen Ermessenserwägungen, die eine höhere Entlohnung zur Gewinnung von Experten rechtfertigen sollen.
Die Bewertung forensischer Sachverständigenleistungen verlangt somit eine konsequente Orientierung an den gesetzlichen Grundlagen und der inhärenten wissenschaftlichen Expertise.
Benötigen Sie Hilfe?
Haben Sie Fragen zur Vergütung anthropologischer Gutachten oder zur Honorargruppe M2? Erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer Situation.
Experten Kommentar
Ein Gesicht zu entziffern mag nach Detektivarbeit klingen, aber das Gericht hat hier ganz pragmatisch entschieden, wieviel davon im Rechtssystem wert ist. Es zeigt, dass die Juristerei bei der Vergütung von Sachverständigen nicht spekulativ wird: Die gesetzlichen Vorgaben zählen mehr als der Wunsch, Experten mit höheren Sätzen zu locken. Wer als Gutachter für das Gericht arbeitet, muss sich auf diese klare Linie und die vorgegebene Honorargruppe einstellen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Honorargruppen sieht das JVEG für Sachverständige generell vor?
Das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) sieht keine einzige, universelle Liste von Honorargruppen für alle Sachverständigen vor, sondern differenziert nach Sachgebieten. Für forensische Tätigkeiten, wie anthropologische Gutachten, empfiehlt es die Zuordnung zu den medizinischen Honorargruppen M1 bis M3, die je nach Komplexität der Aufgabe variieren. Die korrekte Einstufung hängt primär vom dokumentierten Willen des Gesetzgebers und der tatsächlichen Leistung ab.
Juristen nennen das JVEG das Regelwerk für die Bezahlung von Gutachtern. Es klassifiziert Leistungen nicht nach einem starren Einheitsmodell, sondern weist spezifische Honorargruppen für unterschiedliche Sachgebiete aus. Für viele forensische Gutachten, beispielsweise anthropologische Vergleiche, schlägt das JVEG explizit die Zuordnung zu den medizinischen Honorargruppen M1 bis M3 vor. Diese Staffelung berücksichtigt die Bandbreite von standardisierten Analysen bis hin zu hochkomplexen Kausalitätsforschungen.
Zusätzlich existieren weitere definierte Sachgebiete mit eigenen Stundensätzen, etwa für das grafische Gewerbe oder die Handschriften- und Dokumentenuntersuchung. Die Herausforderung besteht darin, die eigene Expertise der passendsten Gruppe zuzuordnen. Dabei zählt weniger eine oberflächliche Ähnlichkeit mit der Arbeitsweise als vielmehr die inhaltliche Kernkompetenz und der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers bei der Kategorisierung. Gerichte können bei uneindeutiger Lage zwar ihr Ermessen anwenden, doch die höchstrichterliche Rechtsprechung fördert eine strikte Auslegung dieses Willens.
Denken Sie an einen Maler: Er nutzt Farben und Pinsel, genau wie ein Restaurator. Trotzdem gehört der Maler, der ein Porträt schafft, nicht zur selben Kategorie wie der Restaurator, der ein altes Gemälde mit wissenschaftlichen Methoden analysiert und konserviert. Beide arbeiten visuell, doch die zugrunde liegende Expertise und die Aufgabe sind fundamental unterschiedlich – und so auch die honorarrechtliche Einordnung.
Konsultieren Sie unbedingt die offiziellen Begründungen zum JVEG und spezifische Kommentare oder Richtlinien für Ihr Fachgebiet. Diese Quellen helfen Ihnen, die empfohlenen Honorargruppen und deren genaue Zuordnungskriterien zu identifizieren und so Ihre Leistung rechtssicher einzuordnen, um unnötige Streitigkeiten zu vermeiden.
Kann ein Sachverständiger eine gerichtliche Honorarfestsetzung anfechten?
Ja, ein Sachverständiger kann eine gerichtliche Honorarfestsetzung anfechten. Auch die Staatskasse nutzt dieses Recht, wie das Beispiel der anthropologischen Gutachterin zeigt. Solche Anfechtungen können bis zu höchsten Instanzen wie dem OLG gehen. Dort wird eine strikte Auslegung des JVEG durchgesetzt, was nicht immer zu einem höheren Satz für den Sachverständigen führt.
Die Möglichkeit zur Anfechtung ist eine grundlegende Säule unseres Rechtssystems. Sie erlaubt allen Beteiligten, die Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung überprüfen zu lassen. Ein klassisches Beispiel ist die Bezirksrevisorin, die eine Honorarfestsetzung von 105 Euro durch Amts- und Landgericht nicht akzeptierte. Sie zog erfolgreich vor das Oberlandesgericht.
Gerade in solchen Fällen, wo die erste Instanz vielleicht einen Kompromiss gesucht hat, kann ein höherinstanzliches Gericht die Argumente der Vorinstanzen komplett neu bewerten. Das OLG Frankfurt zeigte eindrucksvoll, wie eine ursprünglich festgesetzte Vergütung revidiert wird. Die Erfolgsaussichten einer Anfechtung hängen maßgeblich davon ab, ob die eigene Argumentation den dokumentierten Willen des Gesetzgebers besser trifft. Maßgeblich ist die strikte Anwendung des JVEG. Persönliche Einschätzungen sind zweitrangig.
Denken Sie an einen Bauplan. Wenn ein Architekt einen Plan nach spezifischen Regeln erstellt, aber ein Bauunternehmer improvisiert, wird die Bauaufsicht den ursprünglichen Plan einfordern. Genauso verhält es sich mit dem JVEG. Die Gerichte überprüfen, ob die Honorarberechnung den ‚Bauplan‘ des Gesetzgebers exakt befolgt.
Prüfen Sie deshalb die Begründung der gerichtlichen Honorarfestsetzung penibel genau. Vergleichen Sie sie akribisch mit den offiziellen Begründungen zum JVEG und einschlägigen Kommentaren. Nur so identifizieren Sie konkrete, juristisch stichhaltige Angriffspunkte für eine mögliche Anfechtung. Bedenken Sie: Die korrekte Gesetzesanwendung hat Vorrang vor allen anderen Erwägungen.
Wie kann ein Sachverständiger seine Leistung gemäß JVEG korrekt einstufen und abrechnen?
Die korrekte Einstufung und Abrechnung einer Sachverständigenleistung nach JVEG verlangt eine präzise Zuordnung zur gesetzlich vorgesehenen Honorargruppe. Entscheidend sind dabei nicht nur die verwendeten Methoden, sondern vor allem die tatsächliche Kernaufgabe und der dokumentierte Wille des Gesetzgebers. Dies mag manchmal zu geringeren Sätzen führen als erhofft, sichert aber die juristische Korrektheit Ihrer Honorarabrechnung.
Juristen nennen das eine strikte Auslegung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG). Für eine fehlerfreie Abrechnung müssen Sie sich stets an den im Gesetz und seinen offiziellen Begründungen empfohlenen Zuordnungen für Ihr Fachgebiet orientieren. Ein prominentes Beispiel sind anthropologische Gutachten, die oft den medizinischen Honorargruppen M1 bis M3 zugerechnet werden, wie das OLG Frankfurt betonte.
Darüber hinaus ist die tatsächliche Komplexität und Art Ihrer Leistung genau zu analysieren. Handelt es sich um eine eher standardisierte, beschreibende Analyse, etwa reine Merkmalsabgleiche, ist Honorargruppe M2 oft zutreffend. Für wirklich hochkomplexe Kausalitätsforschung oder tiefergehende wissenschaftliche Untersuchungen käme möglicherweise M3 in Betracht. Wichtig ist, die eigene Leistung nicht kreativ in scheinbar passende, aber nicht primär vorgesehene Kategorien zu verschieben. Gerichte legen den dokumentierten Willen des Gesetzgebers strikt aus und lehnen Analogien wie zum „Grafischen Gewerbe“ ab, wenn die Kernkompetenz eine humanbiologische Analyse erfordert, selbst wenn visuelle Medien zum Einsatz kommen.
Ein passender Vergleich ist der eines spezialisierten Mechanikers. Auch wenn dieser modernste Diagnosetools verwendet, um einen komplexen Motorschaden zu analysieren, wird seine Leistung nach seiner spezifischen Mechaniker-Expertise abgerechnet – nicht etwa nach dem Tarif für Software-Entwickler, nur weil er digitale Werkzeuge nutzte. Die wahre Fachkompetenz und nicht das Hilfsmittel ist entscheidend.
Um Honorarstreitigkeiten zu vermeiden und Ihre Rechnung wasserdicht zu machen, dokumentieren Sie jeden Arbeitsschritt penibel. Halten Sie die angewandten wissenschaftlichen Methoden und die intellektuellen Anforderungen Ihrer Leistung präzise fest. Nur so können Sie nachvollziehbar begründen, warum Ihre Expertise in eine bestimmte Honorargruppe – beispielsweise M2 oder M3 – gehört.
Was passiert, wenn meine Sachverständigenleistung nicht eindeutig im JVEG einzuordnen ist?
Wenn eine Sachverständigenleistung nicht eindeutig im JVEG einzuordnen ist, können Gerichte zwar zunächst ihr Ermessen nutzen und Analogien heranziehen. Das Oberlandesgericht hat jedoch klargestellt, dass in solchen Fällen der dokumentierte Wille des Gesetzgebers und die treffendste inhaltliche Zuordnung, auch wenn sie nicht perfekt erscheint, über kreativen Kompromissen steht. Dies verhindert willkürliche Honorarfestsetzungen.
Bei einer fehlenden, expliziten „Schublade“ im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz neigen Amts- oder Landgerichte manchmal dazu, zunächst einen Mittelweg zu suchen. Sie können ihr Ermessen anwenden und Parallelen zu ähnlichen, bereits im Gesetz genannten Sachgebieten ziehen. Dies geschieht oft mit dem Ziel, einen angemessenen Kompromiss-Stundensatz festzulegen. Ein klassisches Beispiel wäre die Heranziehung der „Handschriften- und Dokumentenuntersuchung“ für eine komplexe forensische Gesichtsvergleichsanalyse.
Doch Vorsicht ist geboten: Solche Ermessensentscheidungen sind nicht endgültig. Höhere Instanzen, wie ein Oberlandesgericht, können diese Festsetzungen als anfechtbar betrachten. Sie legen den Fokus dann primär auf den „dokumentierten Willen des Gesetzgebers“. Selbst wenn eine vorgeschlagene Kategorie nicht absolut deckungsgleich erscheint, wird sie bevorzugt, sofern sie die Kernkompetenz und den eigentlichen Zweck der Leistung im Sinne des Gesetzes am besten abbildet. Es geht nicht darum, eine Lücke für einen höheren Satz zu nutzen. Vielmehr ist entscheidend, welche der vorgesehenen Kategorien die erbrachte Leistung inhaltlich am treffendsten widerspiegelt.
Ein passender Vergleich ist ein großes Bücherregal, in dem Sie ein Sachbuch suchen, das der Autor nicht eindeutig einem Genre zugeordnet hat. Anfangs mag der Bibliothekar es in die „Gemischten Sachbücher“ stellen. Kommt jedoch ein spezialisierter Literaturwissenschaftler, wird er es akribisch der Kategorie zuordnen, die dem eigentlichen Thema und der Intention des Autors am nächsten kommt, selbst wenn es dort vielleicht nicht perfekt reinpasst. Das Gesetz funktioniert hier ähnlich: Es will die korrekte, intendierte Einordnung, nicht nur eine bequeme.
Argumentieren Sie daher proaktiv und schriftlich, warum Ihre Leistung inhaltlich und nach dem Geist des Gesetzes am besten zu einer spezifischen, im JVEG genannten Honorargruppe passt. Dies gilt selbst dann, wenn die Bezeichnung nicht eins zu eins übereinstimmt. Vermeiden Sie die bloße Reklamation einer allgemeinen Lücke. Eine detaillierte Begründung sichert Ihre Abrechnung besser ab.
Welche Folgen hat die strikte JVEG-Auslegung für die Gewinnung qualifizierter Sachverständiger?
Die Strikte Auslegung des JVEG durch höhere Gerichte hat eine klare Botschaft: Argumente, qualifizierte Experten müssten mit höheren Honoraren „gelockt“ oder „bei Laune gehalten“ werden, werden als unerheblich abgewiesen. Die korrekte Gesetzesanwendung steht über solchen Erwägungen. Dies könnte die Bereitschaft hochspezialisierter Fachleute mindern, sich für die staatliche Rechtspflege zu engagieren.
Ein Oberlandesgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass die Notwendigkeit, Fachleute zu motivieren, keine Grundlage für abweichende Honorarsätze bietet. Es geht um die präzise Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes. Sachverständige müssen daher auch bei herausragender Expertise und spezialisiertem Wissen unter Umständen den vom JVEG vorgesehenen Mindestsatz akzeptieren. Viele Experten empfinden dies als nicht marktgerecht. Diese Haltung hat weitreichende Konsequenzen. Gerichte und Behörden sehen sich zunehmend einem kleineren Pool an verfügbaren Sachverständigen gegenüber. Dies kann Wartezeiten verlängern. Hochqualifizierte Fachleute bevorzugen oft private Aufträge, die ihre Leistung angemessener vergüten.
Ein passender Vergleich ist ein fest vorgegebener Preiskatalog für spezialisierte Dienstleistungen. Die Qualität Ihrer Arbeit mag unbestreitbar top sein, doch der Katalog, nicht der Marktwert, legt den Preis fest.
Als Auftraggeber, beispielsweise ein Gericht, kommunizieren Sie die JVEG-Honorare transparent. Zudem definieren Sie die genauen Anforderungen an die Sachverständigenleistung präzise. So lässt sich eine Einstufung in die höchste adäquate Honorargruppe innerhalb des gesetzlichen Rahmens stichhaltig begründen. Dies maximiert Anreize, ohne das Gesetz zu beugen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Bezirksrevisorin
Eine Bezirksrevisorin ist eine spezialisierte Beamtin der Finanzverwaltung, die im Auftrag der Staatskasse die gerichtlichen Kostenrechnungen überprüft und deren Rechtmäßigkeit sicherstellt. Ihre Aufgabe ist es, die öffentlichen Finanzen vor überhöhten Forderungen zu schützen und eine einheitliche Anwendung des Kostenrechts zu gewährleisten. So wird sichergestellt, dass Steuergelder effizient eingesetzt werden.
Beispiel: Im vorliegenden Fall beanstandete die Bezirksrevisorin die Abrechnung der anthropologischen Gutachterin, weil sie den angesetzten Stundensatz für zu hoch hielt.
Dokumentierter Wille des Gesetzgebers
Der dokumentierte Wille des Gesetzgebers bezeichnet die ursprüngliche Absicht und die Begründungen, die bei der Entstehung eines Gesetzes festgehalten wurden und dessen Auslegung maßgeblich beeinflussen. Dieses Prinzip stellt sicher, dass Gerichte Gesetze nicht willkürlich interpretieren, sondern sich an der vom Parlament beabsichtigten Bedeutung orientieren. Es schafft Rechtsklarheit und Vorhersehbarkeit für alle Beteiligten.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Frankfurt folgte dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers zum JVEG, indem es die Zuordnung anthropologischer Gutachten zu den medizinischen Honorargruppen bekräftigte.
Ermessen
Juristen sprechen von Ermessen, wenn einem Gericht oder einer Behörde ein gewisser Entscheidungsspielraum eingeräumt wird, um in bestimmten Situationen eine angemessene Lösung zu finden. Es erlaubt flexible Lösungen für Einzelfälle, wo starre Regeln zu Ungerechtigkeiten führen könnten. Allerdings ist dieses Ermessen nicht grenzenlos, sondern muss sich stets am gesetzlichen Rahmen orientieren.
Beispiel: Die Amts- und Landgerichte nutzten ihr Ermessen, um einen Kompromiss-Stundensatz von 105 Euro festzulegen, als sie die Leistung der Sachverständigen nicht eindeutig einordnen konnten.
Honorargruppe
Eine Honorargruppe ist eine im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) definierte Kategorie, die bestimmte Sachverständigenleistungen nach deren Schwierigkeitsgrad und erforderlicher Expertise klassifiziert. Diese Einteilung legt die angemessenen Stundensätze für Gutachter fest, um eine faire und transparente Vergütung sicherzustellen. So wird vermieden, dass für vergleichbare Leistungen unterschiedliche Preise gezahlt werden.
Beispiel: Die anthropologische Gutachterin wurde schließlich der Honorargruppe M2 zugeordnet, welche einen Stundensatz von 90 Euro für ihre beschreibende Analyse vorsieht.
Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG)
Das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, kurz JVEG, ist das zentrale Gesetz, das die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern, Übersetzern und ehrenamtlichen Richtern in Gerichtsverfahren regelt. Dieses Gesetz legt fest, wie viel diese Personen für ihre Leistungen im Auftrag des Staates erhalten. Es sorgt für eine einheitliche und transparente Abrechnung von Prozesskosten und sichert die Funktionsfähigkeit der Justiz.
Beispiel: Der Streit um die Höhe des Stundensatzes der Gutachterin wurde schlussendlich auf Basis einer strikten Auslegung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes entschieden.
Strikte Auslegung
Unter einer strikten Auslegung verstehen Juristen eine besonders wortgetreue und eng an den Gesetzeswortlaut gebundene Interpretation einer Norm, die wenig Raum für freie Einschätzungen lässt. Diese Methode zielt darauf ab, die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers präzise umzusetzen und eine willkürliche Anwendung des Rechts zu verhindern. Sie gewährleistet Rechtssicherheit und Gleichbehandlung aller Beteiligten.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Frankfurt wendete eine strikte Auslegung des JVEG an und setzte den Stundensatz der Gutachterin entgegen den Vorinstanzen auf 90 Euro fest.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG)
Dieses Gesetz regelt bundesweit, wie Sachverständige, Zeugen und andere Personen für ihre Tätigkeiten vor Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft vergütet werden.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das gesamte Verfahren drehte sich um die korrekte Anwendung und Interpretation der Vergütungstabellen und -vorschriften dieses Gesetzes, um den Stundensatz für die Gutachterin festzulegen.
- Auslegung des Gesetzes (Wille des Gesetzgebers)
Bei der Auslegung eines Gesetzes muss ermittelt werden, was der Gesetzgeber mit der Vorschrift erreichen wollte.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht legte den Stundensatz fest, indem es sich maßgeblich an den offiziellen Begründungen und dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers zum JVEG orientierte, um die Tätigkeit der Gutachterin korrekt einzuordnen.
- Bindung der Gerichte an das Gesetz
Gerichte müssen ihre Entscheidungen stets auf gültige Gesetze stützen und dürfen nicht von deren klarem Inhalt abweichen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht betonte, dass die korrekte Anwendung des Gesetzes wichtiger ist als der Wunsch, Experten durch höhere Honorare anzuziehen, und korrigierte damit die Ermessensentscheidung der Vorinstanzen.
- Analogiebildung im Recht
Eine Analogie liegt vor, wenn eine Rechtsnorm auf einen Fall angewendet wird, für den das Gesetz keine ausdrückliche Regelung enthält, dieser Fall aber einem geregelten Fall so ähnlich ist, dass eine Gleichbehandlung gerechtfertigt erscheint.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Gerichte versuchten, die Arbeit der Gutachterin in bestehende Kategorien des JVEG einzuordnen, indem sie Vergleiche zu „Grafischem Gewerbe“, „Handschriftenuntersuchung“ oder „medizinischen Honorargruppen“ zogen.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 2 Ws 40/23 – Beschluss vom 09.02.2024
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