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Untersuchungshaftanordnung: Haftgründe nach Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung

LG Frankfurt (Oder), Az.: 22 Qs 168/14

Beschluss vom 21.10.2014

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 01.10.2014 wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 09.03.2011 – 27 Ls 15/10 – aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Untersuchungshaftanordnung: Haftgründe nach Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung
Symbolfoto: Kzenon/Bigstock

Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt erließ gegen den am 09.12.2009 vorläufig festgenommenen Beschuldigten (jetzt Angeklagten) am 10.12.2009 einen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts des 14-fachen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls unter Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr. Ihm wurde zur Last gelegt, am 09.12.2009 in 14 Fällen in Wochenendhäuser der Gartenanlagen „Sonnental“ und „Schrabsche Mühle“ in Eisenhüttenstadt eingebrochen zu sein und dort jeweils diverse Gegenstände entwendet zu haben. Auf seine Beschwerde wurde der Haftbefehl mit Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25.02.2010 – 24 Qs 21/10 -aufgehoben.

Nach Anklageerhebung, die nunmehr 16 Fälle des gemeinschaftlichen vollendeten bzw. (in einem Fall) versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, teilweise tateinheitlich begangen mit Sachbeschädigungen, in der Nacht vom 08. auf den 09.12.2009 in den genannten Gartensparten in Eisenhüttenstadt umfasste, wurde das Verfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 14.12.2010 vor dem dortigen Schöffengericht eröffnet. Zu dem am 03.02.2011 anberaumten Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht. Die Ladung zu diesem Termin hatte ausweislich des internationalen Rückscheins ein Familienangehöriger unter der Anschrift des Angeklagten entgegen genommen. Zu dem sodann für den 03.03.2011 neu anberaumten Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte, der die Ladung zu diesem Termin persönlich ausgehändigt erhalten hatte, wiederum nicht.

Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt – 27 Ls 15/10 – erließ daraufhin unter dem 09.03.2011 gegen den Angeklagten einen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Begehung der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten 16 Taten. Als Haftgrund hat das Amtsgericht § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (Fluchtgefahr) angenommen und sodann ausgeführt, dass der Angeklagte sich verborgen halte bzw. flüchtig sei, da er trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung am 03. März 2011 nicht erschienen sei und sich den inländischen Strafverfolgungsbehörden nicht stelle. Das Verfahren wurde nach § 205 StPO vorläufig eingestellt und der Angeklagte zur Fahndung ausgeschrieben.

Mit anwaltlichem Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.10.2014 hat der Angeklagte nunmehr Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 09.03.2011 erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht gegeben sei. Die Zustellung der Ladung an den Angeklagten belege, dass er sich nicht verborgen halte. Aus dem Nichterscheinen zum Termin könne nicht geschlussfolgert werden, dass er flüchtig sei. Im Übrigen sei der Haftbefehl nicht mehr verhältnismäßig.

Das Amtsgericht hat der Haftbeschwerde nicht abgeholfen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird im Übrigen auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die gegen den Bestand des Haftbefehls des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde des Angeklagten ist nach § 304 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Angeklagte derzeit auf freiem Fuß befindet. Denn bereits der Bestand des Haftbefehls bedeutet einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Angeklagten, da er jederzeit mit der Vollstreckung der Untersuchungshaft rechnen muss (vgl. OLG Bremen, NStZ-RR 1997, 334).

Die Haftbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Zwar besteht gegen den Angeklagten aufgrund der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 30.07.2010 genannten wesentlichen Beweismittel der dringende Tatverdacht des 16-fachen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, teilweise in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Dieser Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus dem Geständnis des Angeklagten sowie den Einlassungen der gesondert Verfolgten … und … .

Gleichwohl kann der Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 09.03.2011 keinen Bestand haben, weil jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt kein Haftgrund besteht.

Der Angeklagte ist weder flüchtig noch hält er sich verborgen (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Er lebt in Polen, sein dortiger Wohnsitz ist dem erkennenden Amtsgericht bekannt. Jedenfalls konnte dem Angeklagten die Ladung zu dem für den 03.03.2011 anberaumten Hauptverhandlungstermin unter der im Beschlussrubrum genannten Anschrift zugestellt werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren seinen bisherigen räumlichen Lebensmittelpunkt, den Wohnsitz, aufgegeben haben und sich wegen des hier anhängigen Strafverfahrens, dessen Gegenstand ihm im Wesentlichen bereits seit der ersten Haftbefehlsverkündung Ende 2009 bekannt ist, unangemeldet oder unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort aufhalten könnte, vermag die Kammer den Akten nicht zu entnehmen (vgl. insoweit Bbg OLG, StV 1996, 381 [382]; LG Hamburg, StV 2002, 205; LG Verden, StV 1986, 256). Nach dem Erkenntnisstand, wie er sich der Kammer nach Aktenlage darstellt, kann auch nicht angenommen werden, dass der in Polen lebende Angeklagte gerade aufgrund des gegen ihn geführten Verfahrens in sein Heimatland zurückgelehrt war (vgl. insoweit OLG Bremen, NStZ-RR 1997, 334).

Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht nicht.

Fluchtgefahr ist dann anzunehmen, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte (oder Angeklagte) dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Dies kann vorliegend trotz des Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 03.03.2011, zu der er ordnungsgemäß geladen war (- für den 03.02.2011 kann eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten nicht festgestellt werden, da nicht erkennbar ist, ob ihn die Ladung tatsächlich erreicht hat -), nicht ohne weiteres angenommen werden. Allein die Tatsache, dass ein Beschuldigter oder Angeklagter den Strafverfolgungsbehörden derzeit nicht zur Verfügung steht, stellt, auch wenn dadurch die Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und des Gerichts sicherlich erschwert wird, für sich genommen keinen Haftgrund dar (vgl. BGH StV 1990, 309). Denn durch bloßen Ungehorsam gegenüber Vorladungen und bloße Untätigkeit entzieht sich der Angeklagte, der im Ausland seinen Wohnsitz hat und dort postalisch erreichbar ist, in der Regel noch nicht dem Strafverfahren. Dazu gehört vielmehr – wie bereits aus dem Sprachgebrauch folgt – mehr als ein rein passives Verhalten. Das Sich-Entziehen setzt nämlich eine zweckgerichtete Tätigkeit eines Angeklagten voraus, die darauf ausgerichtet sein muss, den Fortgang des Strafverfahrens insgesamt oder in erheblichen Teilen dauernd oder vorübergehend dadurch zu verhindern, dass er für Ladungen nicht zur Verfügung steht (vgl. OLG Oldenburg, StV 2011, 419 [420].; OLG Karlsruhe, StV 1999, 36 [37]; OLG Bremen a.a.O.; Bbg OLG a.a.O.; OLG Frankfurt/Main, StV 1994, 581 [582]; LG Verden a.a.O.). Dafür bestehen jedoch vorliegend (noch) keine Anhaltspunkte, zumal der Angeklagte einen Verteidiger hat, der ausweislich der von dem Angeklagten unterzeichneten Strafprozessvollmacht auch zum Empfang von Zustellungen aller Art, unter anderem von Ladungen, bevollmächtigt ist (vgl. Bd. I Bl. 209 d.A.). Fluchtgefahr kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass der Angeklagte offenbar keine Anstalten macht, nach Deutschland zurückzukehren (BGH a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; KK-Graf, 7. Aufl., § 112 StPO Rn. 22a). Denn ein Beschuldigter bzw. Angeklagter ist nicht verpflichtet, sich freiwillig seiner Verhaftung zu stellen (vgl. OLG Dresden, StV 2007, 587) bzw. seine Strafverfolgung zu erleichtern (OLG Oldenburg, a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). Tatsächliche Hinweise dafür, dass der Angeklagte untertauchen will, sind nicht ersichtlich.

Nach alledem war der Haftbefehl des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 09.03.2011 mangels Vorliegens eines Haftgrundes aufzuheben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren hat die Staatskasse zu tragen, weil kein anderer sonst dafür haftet. Die Kostenentscheidung ist auch in Haftbeschwerdeverfahren veranlasst (so die ständige Rechtsprechung des für Beschwerdesachen zuständigen 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, vgl. Beschluss vom 14.04.2010, StB 5/10; Beschluss vom 23.12.2009, StB 51/09; Beschluss vom 12.01.2000, StB 15/99, alle zitiert nach juris).

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