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Unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln – Besitzbewusstsein

OLG Braunschweig – Az.: 1 Ss 55/21 – Beschluss vom 14.12.2021

In der Strafsache wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 14. Dezember 2021 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 14. Juni 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten des Revisionsverfahrens — an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 19. Oktober 2020 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Von einer Bestrafung sah das Amtsgericht gemäß § 29 Abs. 5 BtMG ab.

Auf die dagegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 14. Juni 2021 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, den Angeklagten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und ihn deshalb zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt.

Die Kammer hat festgestellt, der Angeklagte habe am 29. Mai 2019 in seiner Wohnung in der pp. in Braunschweig einen Folienbeutel mit 0,14 g betäubungsmittelhaltigem Substanzgemisch verwahrt. Das Gemisch habe die Substanzen Heroinbase, Paracetamol, Coffein und Ascorbinsäure enthalten. Heroinbase und Ascorbinsäure seien in Spuren nachgewiesen worden. Der Angeklagte habe nicht über die erforderliche schriftliche Erlaubnis der Verwaltungsbehörde zum Erwerb des Rauschgifts Heroin verfügt, was ihm auch bewusst gewesen sei. Das Heroin habe zum Eigenkonsum des Angeklagten gedient. Es habe sich um schlechte Straßenqualität gehandelt.

Der Angeklagte habe eingeräumt, dass der Folienbeutel mit dem Substanzgemisch bei ihm aufgefunden worden sei. Er habe nicht ordentlich aufgeräumt. Wenn er seinerzeit noch heroinabhängig gewesen wäre und Heroin konsumiert hätte, hätte er besser aufgepasst und man hätte den Beutel mit dem Heroin nicht bei ihm gefunden.

Der Angeklagte habe sich daher des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gemacht. Er habe gewusst, dass sich in dem Folienbeutel Heroin befunden habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner durch Verteidigerschriftsatz vom 15. Juni 2021 eingelegten — am selben Tage per Fax beim Landgericht eingegangenen — Revision, die er nach Zustellung des Urteils am 4. August 2021 an seinen Verteidiger mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 2. September 2021 — beim Landgericht per Fax eingegangen am 3. September 2021 — mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat. Der Angeklagte beantragt Aufhebung und Zurückverweisung. Er beanstandet unter anderem, die Urteilsfeststellungen trügen den Schuldspruch nicht, weil es an der Feststellung seines Besitzwillens fehle.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 8. Juli 2020 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Besitzen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus (BGH, Beschluss vom 18. August 2020,1 StR 247/20, juris, Rn. 6; Beschluss vom 10. Juni 2010, 2 StR 246/10, juris, Rn. 3; Beschluss vom 2. Dezember 1992, 5 StR 592/92, juris, Rn. 6).

Den Urteilsfeststellungen mag in ihrer Gesamtheit (UA S. 4: Abstellen auf den 29. Mai 2019 als Tatzeitpunkt; UA S. 4: das Heroin diente zum Eigenkonsum; UA S. 5: er [der Angeklagte] wusste, dass sich in dem Folienbeutel Heroin befand; UA S. 5: der Angeklagte befand sich zum Tatzeitpunkt seit mindestens einem Jahr in einem Subsititutionsprogramm) (noch) die Feststellung der Kammer entnommen werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 Besitzwillen und Besitzbewusstsein bezüglich des Substanzgemischs gehabt hat.

Eine solche Feststellung wird indes nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht ordentlich aufgeräumt, kann naheliegend dahingehend aufgefasst werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 seinen Angaben zufolge davon ausgegangen ist, sämtliche Betäubungsmittelreste entsorgt zu haben. Mit dieser Einlassung setzt sich die Kammer nicht auseinander. Sie legt nicht dar, ob und, falls ja, aus welchen Gründen die entsprechende Einlassung den Feststellungen nicht zugrunde zu legen ist. In Anbetracht der geringen Menge des aufgefundenen Betäubungsmittels und der Tatsache, dass der Angeklagte nach den Feststellungen ohne Beikonsum substituiert wird (UA S. 3), bestand indes Veranlassung, sich mit der entsprechenden, nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Einlassung des Angeklagten näher auseinanderzusetzen. Die gebotene Überprüfung der Einlassung des Angeklagten auf ihren Wahrheitsgehalt hin (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019, 5 StR 451/19, juris, Rn. 7) ist nicht ersichtlich erfolgt. Die Beweiswürdigung ist damit letztlich lückenhaft, was sich — auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, 2 StR 115/17, juris, Rn. 8) — als rechtsfehlerhaft darstellt.

Ob den Urteilsfeststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung zu entnehmen ist, dass der Angeklagte das Substanzgemisch vor dem etwaig misslungenen Versuch eines „ordentlichen Aufräumens“, also vor dem 29. Mai 2019, mit Besitzwillen und Besitzbewusstsein innegehabt hat, kann im Ergebnis dahinstehen.

Zwar käme die Anknüpfung an einen solchen früheren Tatzeitpunkt zur Begründung eines Schuldspruchs wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (Dauerdelikt) grundsätzlich in Betracht und wäre ein entsprechendes Verhalten des Angeklagten auch von der verfahrensgegenständlichen prozessualen Tat umfasst. Dem Urteil ist indes nicht zu entnehmen, bis wann die entsprechenden (insbesondere auch die subjektiven) Voraussetzungen für eine entsprechende Strafbarkeit vorgelegen haben sollen, d. h. wann der in der Einlassung des Angeklagten erwähnte Versuch eines „Aufräumens“ erfolgt sein soll. Bei der Angabe einer — gegebenenfalls auch nur zeitraummäßig umrissenen — Tatzeit handelt es sich indes um eine erforderliche Mindestfeststellung (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2021, 1 Ss 2/21, juris, Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, juris, Ls. 3), die zur Beurteilung der Schuld des Angeklagten (vgl. auch UA S. 5: Tat liegt schon zwei Jahre zurück) und gegebenenfalls der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, erforderlich ist.

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Für den Fall, dass die nun zur Entscheidung berufene Kammer zur Begründung eines Schuldspruchs wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in dem oben dargestellten Sinne auf einen früheren Tatzeitpunkt abstellen wollte, müsste sie einen entsprechenden rechtlichen Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO erteilen. Jedenfalls in diesem Fall wäre —je nach konkret angenommenem Tatzeitpunkt — die Nichtanwendung des § 29 Abs. 5 BtMG auch nicht mit der im angefochtenen Urteil gegebenen Argumentation (Tatbegehung während der Teilnahme an einem Substitutionsprogramm) begründbar. Der Senat merkt insoweit allerdings ergänzend an, dass er zu der Annahme tendiert, dass die Ermessensausübung im Rahmen von § 29 Abs. 5 BtMG auch in der dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Konstellation (vorsätzliche Tatbegehung im Mai 2019) nicht rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Das alleinige Abstellen darauf, dass der Angeklagte „die Droge Heroin nicht mehr benötigte, um einem körperlichen Entzug zu entgehen (UA S. 5)“, lässt die gebotene umfassende Beurteilung der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten (vgl. OLG München, Urteil vom 1. Februär2011, 5 StRR (I) 076/10 t, BeckRS 2012, 3258) vermissen, in die insbesondere\:,auch die Motivation des Angeklagten zum (fortdauernden) Besitz von Betäubungsrnittel einzustellen wäre (vgl. hierzu auch Weber, in: Weber/Kornprobst/Maier, Betäubungsmittelgesetz, 6. Auflage 2021, § 29 BtMG Rn. 2155, 2167, 2168).

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.

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