LG Frankfurt, Az.: 5/02 KLs 6/16, Beschluss vom 16.01.2017
1. Die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 08.08.2016 (Az.: 5/02 KLs 6/16 – 7580 Js 232817/10) wird gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 StGB sofort, nicht jedoch vor Rechtskraft dieses Beschlusses, zur Bewährung ausgesetzt.
2. Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.
3. Dem Verurteilten wird auferlegt, gegenüber dem Gericht halbjährlich zum Monatsersten, erstmals am 01.06.2017, einen schriftlichen Bericht über seine Lebenssituation vorzulegen, der sich mindestens auf die Wohnsituation, die Familiensituation, seine Arbeitstätigkeit sowie auf gegen ihn gegebenenfalls geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu erstrecken hat. Legt der Verurteilte diese Berichte nicht rechtzeitig vor, bleibt die Unterstellung unter Aufsicht und Leitung des für ihn örtlich zuständigen Bewährungshelfers vorbehalten.
4. Der Verurteilte wird angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel gegenüber dem Gericht unverzüglich unter Angabe des StVK-Aktenzeichens schriftlich mitzuteilen.
Gründe
Die Kammer hat gegen den Verurteilten im Urteil vom 08.08.2016, dieses rechtskräftig seit dem 16.08.2016, eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren wegen Urkundenfälschung, Betrugs sowie Gründungs- beziehungsweise Kapitalerhöhungsschwindel verhängt. In dieser Sache befand sich der Verurteilte in der Zeit vom 30.07.2013 bis zur Haftverschonung am 08.08.2016 in Untersuchungshaft. Dementsprechend ist mittlerweile infolge Anrechnung der Untersuchungshaft mehr als die Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt; bis zum 2/3-Zeitpunkt des § 57 Abs. 1 StGB müssten noch 3 Monate und 3 Wochen der Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt werden.
Die Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I hat in der Stellungnahme vom 07.12.2016 eine bedingte vorzeitige Entlassung des Verurteilten, der mit der Reststrafenaussetzung einverstanden ist, befürwortet. Die Staatsanwaltschaft hat im Anschluss daran eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits jetzt befürwortet. Die Kammer hat daher von einer persönlich Anhörung des Verurteilten abgesehen, § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 StPO. Ein Fall der notwendigen Begutachtung nach § 454 Abs. 2 StPO liegt nicht vor.
Die Kammer ist hiernach in einer Gesamtwürdigung und unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zu der Auffassung gelangt, dass die Erprobung verantwortet werden kann, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird, § 57 Abs. 1 StGB. Ihm kann eine günstige Legalprognose gestellt werden. Darüber hinaus ist die Kammer auch zu der Überzeugung gelangt, dass „besondere Umstände“ im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen, die eine Reststrafenaussetzung bereits jetzt und vor dem 2/3-Zeitpunkt rechtfertigen.
Hinsichtlich der günstigen Prognose nach § 57 Abs. 1 StGB gilt folgendes:
Der Verurteilte hat sich in der vorliegenden Sache erstmals in Haft befunden. Es spricht deswegen eine allgemeine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkungen erreicht hat, der Verurteilte durch den erstmaligen Freiheitsentzug nachhaltig beeindruckt ist und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt (vgl. OLG Frankfurt am Main, StV 2005, 277; Fischer, § 57 StGB, Rn. 14). Zwar ist diese Vermutung widerleglich. Ihr können sowohl die Art der abgeurteilten Tat (vgl. KG NStZ 2007, 472) als auch sonstige negative Umstände entgegenstehen (vgl. OLG Zweibrücken, StV 1986, 113; KG NStZ-RR 2006, 354). Dies ist hier jedoch nicht anzunehmen, wobei insoweit die nachstehenden Erwägungen zum Vorliegen besonderer Gründe auch hier gelten.
Es liegen auch besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor.
Einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt zwar Ausnahmecharakter zu, sie ist aber auch nicht auf extreme Ausnahmefälle beschränkt ist. Erforderlich sind „besondere Umstände“ (nach einer Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs), die im Vergleich mit den gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind, ohne dass die Auslegung des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB dazu führen darf, dass sozial integrierte Ersttäter in der Regel nur die Hälfte der Strafe verbüßen müssen (vgl. OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2011, 221), wobei die besonderen Gründe umso weniger Gewicht haben müssen, wenn wie hier der Halbstrafenzeitpunkt bereits länger vergangen ist und der 2/3-Zeitpunkt nahe bevorsteht.
Insoweit hat der Verurteilte nach den im Urteil getroffenen Feststellungen nicht nur seine Taten umfassend gestanden und Reue gezeigt. Das Vollzugsverhalten in der besonders langen Untersuchungshaft war durchgehend beanstandungsfrei, durch die Teilnahme an einer Reihe von Gruppenveranstaltungen der JVA haben sich seine sozialen Kompetenzen positiv entwickelt. Auch die Entwicklung des Verurteilten nach der Haftverschonung ist günstig. Er ist in sein früheres Lebensumfeld zurückgekehrt und hat mittlerweile die Lebensgefährtin geheiratet. Er verfügt über eine Wohnung und hat auch wieder einen Arbeitsplatz gefunden.
In der Summe hebt sich der vorliegende Fall hiernach von vergleichbaren durchschnittlichen Fällen so deutlich zugunsten des Verurteilten ab, dass eine günstige Prognose und besondere Umstände vorliegen, weshalb eine Reststrafenaussetzung schon vor dem 2/3-Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung der Strafzwecke gerechtfertigt erscheint.
Die Bewährungszeit war gemäß § 56a StGB auf 3 Jahre festzusetzen. Weisungen finden ihre Rechtsgrundlage in § 56c StGB. Im Hinblick auf die positive Schilderung der Verurteilten durch die JVA und ihren hohen Bildungsgrad erschien die Anbindung an einen Bewährungshelfer entbehrlich und die Weisung regelmäßiger Berichterstattung ausreichend.
Der Verurteilte wird wie folgt über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung belehrt:
1. Die Vollstreckung der gegen Sie erkannten Freiheitsstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden in der Erwartung, dass Sie sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werden.
Diese Strafaussetzung zur Bewährung beseitigt nicht die Verurteilung, sondern bedeutet lediglich, dass Sie Bewährungszeit erhalten und die Freiheitsstrafe vorläufig nicht zu verbüßen brauchen. Die Bewährungszeit kann nachträglich verkürzt oder verlängert werden.
2. Die Freiheitsstrafe muss jedoch verbüßt werden, wenn die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird. Mit dem Widerruf ist zu rechnen, wenn
a) Sie in der Bewährungszeit eine Straftat begehen,
b) Sie eine Straftat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen haben,
c) Sie gegen Auflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich verstoßen, z.B. einen etwa auferlegten Geldbetrag nicht pünktlich zahlen oder den Wechsel der Wohnung oder des Aufenthalts nicht sofort unaufgefordert dem Gericht unter Angabe des Aktenzeichens anzeigen,
e) Sie sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin/des Bewährungshelfers beharrlich entziehen und dadurch zeigen, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.
3. Nach Ablauf der festgesetzten Bewährungszeit wird die Strafe erlassen, wenn Sie die vom Gericht in Sie gesetzte Erwartung erfüllt haben.
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig, die für die Staatsanwaltschaft aufschiebende Wirkung hat. Die Weisungen und Auflagen können mit der einfachen Beschwerde angefochten werden.