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Strafbefehlsverfahren: Anforderungen an Einspruchsbelehrung

LG Dresden, Az.: 3 Qs 79/16, Beschluss vom 10.10.2016

Das Verfahren wird zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist, als der die „Beschwerde“ des Angeklagten auszulegen ist, an das Amtsgericht Dippoldiswalde zurückgegeben.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Dippoldiswalde hat gegen den Angeklagten am 02.06.2014 einen Strafbefehl erlassen, durch den gegen ihn wegen Körperverletzung eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30,- Euro verhängt worden ist.

Dieser Strafbefehl ist dem Angeklagten im Wege der Rechtshilfe am 25.05.2015 durch Übergabe zugestellt worden.

Mit nicht datiertem Schreiben, bei dem Amtsgericht Dippoldiswalde eingegangen am 16.06.2015, hat der Angeklagte einen auf die Überprüfung der Tagessatzhöhe beschränkten Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt.

D

Strafbefehlsverfahren: Anforderungen an Einspruchsbelehrung
Symbolfoto: perhapzz/Bigstock

as Amtsgericht Dippoldiswalde hat daraufhin versucht, den Angeklagten darüber zu informieren, dass sein Einspruch verspätet ist, da er spätestens am 09.06.2015 bei Gericht hätte eingehen müssen, tatsächlich aber erst am 16.06.2015 eingegangen ist. Zugleich hat es ihn über die Möglichkeit eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand belehren wollen. Das entsprechende Schreiben konnte ihm aber nicht zugestellt werden, was bei mindestens einem der drei Zustellversuche daran lag, dass das Gericht erneut eine Wohnanschrift des Angeklagten zur Adressierung benutzt hat, die es bereits zuvor als nicht mehr aktuell ermittelt hatte.

Schließlich hat das Amtsgericht den Einspruch des Angeklagten durch Beschluss vom 14.03.2016 als unzulässig verworfen.

Dieser Beschluss ist dem Angeklagten am 19.07.2016 im Wege der Rechtshilfe zugestellt worden. Die Zustellung wurde bewirkt, indem der Angeklagte durch das Amtsgericht Litomerice vorgeladen wurde und bei seinem Erscheinen – vorgeführt aus einer Justizvollzugsanstalt – eine Ausfertigung des Beschlusses nebst Übersetzung sowie eine Rechtsmittelbelehrung in deutscher und tschechischer Sprache übergeben erhielt. Bei dieser Gelegenheit erklärte er sogleich zu Protokoll, dass er gegen den Beschluss „Beschwerde“ erhebe, da er seinen Rechtsbehelf auf der Post in der festgelegten Frist abgesendet habe. Auch wenn er nicht wisse, wann sein Schreiben in Deutschland eingegangen sei und wie sie dort die Fristen berechneten, könne er das mit Belegen von zu Hause beweisen.

Das durch das Amtsgericht Litomerice über den Zustellvorgang erstellte Protokoll einschließlich der Erklärungen des Angeklagten und mit angefügter Übersetzung in die deutsche Sprache ist am 12.08.2016 bei dem Amtsgericht Dippoldiswalde eingegangen.

Das Amtsgericht Dippoldiswalde hat die Akten sodann über die Staatsanwaltschaft der Kammer zur Entscheidung über die in dem Zustellungsprotokoll enthaltene „sofortige Beschwerde“ vorgelegt.

II.

Das Verfahren war an das Amtsgericht Dippoldiswalde zurückzugeben, denn die Erklärung des Angeklagten über die Erhebung der Beschwerde ist als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist auszulegen, für dessen Bescheidung das Amtsgericht zuständig ist.

Bei der zu Protokoll des Amtsgerichts Litomerice abgegebenen Erklärung des Angeklagten, er erhebe Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.03.2016, handelt es sich bei verständiger Auslegung um einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO sind Verfahrenserklärungen eines Betroffenen unter Berücksichtigung ihres Gesamtinhalts und der Erklärungsumstände – auch abweichend von ihrer Bezeichnung – so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 300 RN 3).

Insoweit ist hier zu berücksichtigen, dass den Angeklagten die Belehrung des Amtsgerichts Dippoldiswalde zur Möglichkeit der Wiedereinsetzug in den vorigen Stand nach Aktenlage wohl nicht erreicht hat, er ausweislich seiner Erklärung gegenüber dem Amtsgericht Litomerice (fälschlich) davon ausging, zur Fristwahrung genüge die Absendung des Einspruchsschreibens innerhalb der Frist, weshalb sein Einspruch entgegen dem Beschluss vom 14.03.2016 zulässig sei, und er mit dem zulässigen Rechtsmittel/Rechtsbehelf gegen die Verwerfung seines Einspruchs als unzulässig vergehen und eine inhaltliche Entscheidung über die von ihm begehrte Herabsetzung der Tagessatzhöhe erreichen wollte.

Dieses Ziel ist für ihn (allein) mit der sofortigen Beschwerde nicht erreichbar, denn das Amtsgericht Dippoldiswalde ist zu Recht von einer Verfristung des Einspruchs ausgegangen.

Gemäß § 410 Abs. 1 StPO ist der Einspruch gegen einen Strafbefehl innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem Gericht einzulegen, das den Strafbefehl erlassen hat. Zur Einhaltung der Frist ist es erforderlich, dass der Einspruch vor Ablauf der Frist bei dem Gericht eingeht. Die bloße Absendung des schriftlichen Einspruchs innerhalb der Frist genügt nicht.

Hier ist der Strafbefehl dem Beschwerdeführer am 25.05.2015 (Montag) zugestellt worden. Der Einspruch hätte deshalb spätestens am 08.06.2015 bei dem Amtsgericht Dippoldiswalde eingehen müssen, ging aber erst am 16.06.2015 dort ein. Er ist damit verfristet.

Sein Ziel der Ermöglichung einer Sachentscheidung über die Tagessatzhöhe kann der Angeklagte deshalb allenfalls über einen Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist erreichen.

Einem derartigen Antrag, zu dessen Bescheidung indes gemäß § 46 Abs. 1 StPO allein das Amtsgericht berufen ist, kann auch nicht jede Erfolgsaussicht abgesprochen werden, was anderenfalls einer entsprechenden Auslegung entgegenstehen würde.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 45 Abs. 1 StPO binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Das ist hier das Amtsgericht Dippoldiswalde. Wie bei der Einspruchsfrist kommt es auf den Eingang des Antrags bei dem Gericht an.

Da der Angeklagte nach seinem Vorbringen davon ausgegangen ist, dass zur Fristwahrung die Versendung des Einspruchs innerhalb der Frist ausreicht, ist das Hindernis durch Kenntnisnahme des Verwerfungsbeschlusses am 19.07.2016 beseitigt worden. Der Antrag hätte somit spätestens am 26.07.2016 bei dem Amtsgericht Dippoldiswalde eingehen müssen, ist jedoch erst am 12.08.2016 dort eingegangen. Insoweit liegt es jedoch nach Ansicht der Kammer nahe, dem Angeklagten jedenfalls von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn er hat sofort nach Erhalt des angegriffenen Beschlusses zu Protokoll des Amtsgerichts Litomerice erklärt, „Beschwerde zu erheben“. Da diese Erklärung durch das Amtsgericht Litomerice auch entgegengenommen wurde, durfte er darauf vertrauen, dass er nicht zur Fristwahrung selbst noch zusätzlich an das Amtsgericht Dippoldiswalde schreiben muss. Die sodann eingetretene Zeitverzögerung bei der Übermittlung der Unterlagen von dem Amtsgericht Litomerice an das Amtsgericht Dippoldiswalde hat er nicht zu verantworten. Zudem ist zwar eine ausdrückliche Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht vorgesehen, aber zumindest in Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, eine solche Belehrung vorzunehmen. Erst mit Zugang dieser Belehrung beginnt dann die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zu laufen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 44 RN 24). Aus den noch nachfolgend dargestellten Gründen liegt nach Ansicht der Kammer hier ein solcher Fall vor.

Inhaltlich enthält die Erklärung des Angeklagten das Vorbringen, (unverschuldet) nicht gewusst zu haben, dass der Einspruch zur Fristwahrung innerhalb der Frist nicht nur versandt werden, sondern auch bei dem Gericht eingehen muss.

Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass die gemäß § 409 Abs. 1 Nr. 7 StPO als Bestandteil des Strafbefehls vorgeschriebene Belehrung über die Möglichkeit des Einspruchs und die dafür vorgeschriebene Frist und Form hier unvollständig erfolgt ist

Diese lautete wie folgt:

„Dieser Strafbefehl wird rechtskräftig und vollstreckbar, soweit Sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung bei dem vorstehend bezeichneten Amtsgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch erheben.

Die schriftliche Erklärung muss in deutscher Sprache erfolgen.“

Eine vollständige Belehrung erfordert indes auch den ausdrücklichen Hinweis, dass der Einspruch innerhalb der Frist bei dem Gericht eingegangen sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 04.08.1955, 2 StR 250/55, BGHSt 8, 105ff; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.01.1986, 1 Ws 384/85, NStZ 1986, 470f; LG Saarbrücken, Beschluss vom 28.05.2002, 8 Qs 108/02, zitiert nach Juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 35a RN 11; Löwe-Rosenberg, StPO, 26 Aufl., § 35a RN 22; Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 35a RN 9; Kleinknecht-Müller-Reitberger, StPO, § 35a RN 19; Münchener Kommentar, StPO, § 35a RN 17). Ein inhaltlicher Unterschied hinsichtlich der Anforderungen an die Belehrung besteht insoweit zwischen § 35a StPO und § 409 Abs. 1 Nr. 7 StPO, die in diesem Punkt wortgleich formuliert sind, nicht (für entsprechende Anwendung des § 35a StPO Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 35a RN 7).

Die unvollständige Belehrung steht der unterlassenen Belehrung im Hinblick auf § 44 Satz 2 StPO gleich, wenn die Unvollständigkeit einen wesentlichen Punkt betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 44 RN 23). Das ist hier der Fall. Zudem handelt es sich bei dem Einspruch gegen einen Strafbefehl zwar nicht um ein befristetes Rechtsmittel, § 44 Satz 2 StPO findet auf die Einspruchsfrist aber entsprechende Anwendung, weil das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dem Angeklagten im summarischen Strafbefehls verfahren die letzte Möglichkeit bietet, rechtliches Gehör in der Sache zu erhalten (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 07.07.2008, 528 Qs 99/08, zitiert nach Juris; Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 409 RN 25; Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 409 RN 11; Kleinknecht-Müller-Reitberger, a. a. O., § 409 RN 23).

Aus der unvollständigen Belehrung des vorliegenden Strafbefehls folgt hier deshalb in entsprechender Anwendung des § 44 Satz 2 StPO die gesetzliche Vermutung des fehlenden Verschuldens. Dass der Belehrungsmangel auch ursächlich für die Fristversäumnis war, liegt angesichts des Vorbringens des Angeklagten, dem Zeitpunkt des verspäteten Einspruchseingangs und den Postlaufzeiten aus der Tschechischen Republik zumindest nicht fern. Sofern das Amtsgericht bei der gegebenen Sachlage die durch den Angeklagten gegenüber dem Amtsgericht Litomerice angekündigte, dann aber nicht durchgeführte Glaubhaftmachung der vorgetragenen Einspruchsversendung innerhalb der Frist noch für erforderlich halten sollte, wäre ihm hier die Gelegenheit zu einer entsprechenden Ergänzung noch einzuräumen.

Da somit das von dem Angeklagten verfolgte Ziel allein im Wege der sofortigen Beschwerde auf keinen Fall, allein durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist, der im Erfolgsfalle die Gegenstandslosigkeit des Verwerfungsbeschlusses vom 14.04.2016 nach sich zöge (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.03.2006, 3 Ws 321/06, RN 13, zitiert nach Juris), aber durchaus erreichbar ist, ist seine Erklärung gegenüber dem Amtsgericht Litomerice aufgrund einer Gesamtwürdigung nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO als ein solcher Antrag auszulegen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

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