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Strafbefehlsantrag – Rücknahme des Antrags – Rechtsanwaltsgebühren

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 7 Qs 56/20 – Beschluss vom 13.10.2020

1. Die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt … gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 20.7.2020 wird zurückgewiesen.

2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 220,15 € festgesetzt.

Gründe

I.

Am 31.7.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 208 Js 16355/19 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Beschuldigten … wegen Vortäuschens einer Straftat. Der Beschuldigte sollte zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 70,00 € verurteilt werden. Mit Verfügung vom 8.8.2019 (Bl. 51 d.A.) wurde die Akte vom Amtsgericht Nürnberg – Strafrichter – zurückgeschickt mit dem Hinweis, dass die bisher durchgeführten Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat gemäß § 145 d Abs. 1 Nr. 1 StGB begründen würden. Am 18.9.2019 ging bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Vertretungsanzeige des Beschwerdeführers vom 15.9.2019 mit Akteneinsichtsgesuch und Vorlage einer Strafprozessvollmacht (Bl. 55 ff d.A.) ein. Ein gleichlautendes Schreiben vom 29.9.2019 (Bl. 60f d.A.) ging am 10.10.2019 bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ein. Ein weiteres Schreiben des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 29.9.2019 ging am 24.10.2019 (Bl. 58 d.A.), ein weiteres Schreiben vom 22.11.2019 am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ein (Bl. 64 d.A.). Auf Hinweis der Staatsanwaltschaft vom 26.11.2019, dass das Amtsgericht Nürnberg derzeit aktenführend sei, wandte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 28.11.2019, eingegangen am selben Tag (Bl. 67 d.A.), an das Amtsgericht Nürnberg und beantragte Akteneinsicht. Dieses Schreiben wurde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Schreiben des Amtsgerichts Nürnberg vom 2.12.2019, eingegangen am selben Tag (Bl. 66 d.A.), zugeleitet. Mit Verfügung vom 18.12.2019 gewährte das Amtsgericht Nürnberg nach Rückleitung der Akten Akteneinsicht an den Beschwerdeführer (Bl. 69 d.A.). Mit Schreiben vom 27.12.2019 nahm der Beschwerdeführer Stellung (Bl. 71 ff). Am 8.1.2020 (Bl. 70 d.A.) nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth den Strafbefehlsantrag zurück. Mit Verfügung vom 17.1.2020 wurde das Verfahren nach einem Telefonat zwischen Verteidiger und dem zuständigen Staatsanwalt ohne weitere Ermittlungen gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt (Bl. 75 ff d.A.).

Mit Schriftsatz vom 24.1.2020 machte der Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend und beantragte den Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses (Bl. 78f d.A.). Gegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens bilden folgende hervorgehobene Positionen des Kostenfestsetzungsantrages des Beschwerdeführers:

1.

Grundgebühr für Verteidiger, § 14, Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 200,00 €

2. Verfahrensgebühr für Ermittlungsverfahren, § 14, Nr. 4104 VV RVG in Höhe von 165,00 €

3. Verfahrensgebühr für ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht § 14 RVG, Nr. 4106 VV RVG in Höhe von 165,00 €

4. Mitwirkung an nicht nur vorläufiger Einstellung des Verfahrens, Verfahrensgebühr für Ermittlungsverfahren Nr. 4141 Abs. 1 S. 1, 4104 VV RVG 165,00 €

5. Post und Telekommunikation Nr. 7001 VV RVG (2 × 20,00 € =) 40,00 €

Am 11.2.2020 erging durch den Richter am Amtsgericht (weiterer aufsichtführender Richter) … eine Kostenentscheidung, mit welcher die beim Angeschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt wurden (Bl. 83f d.A.). Nach ausführlicher Korrespondenz und Stellungnahmen des Bezirksrevisors bei dem Amtsgericht Nürnberg vom 12.5.2020 (Bl. 94, 94-R d.A.), vom 3.6.2020 (Bl. 101f d.A.) und vom 3.7.2020 (Bl. 111 ff d.A.) erging am 20.7.2020 durch das Amtsgericht Nürnberg, Rechtspflegerin …, Kostenfestsetzungsbeschluss (Bl. 117 ff d.A.), welcher dem Verteidiger am 28.7.2020 zugestellt wurde. Darin wurde die oben angeführte Position Nr. 4104 VV RVG vollständig nicht anerkannt, die Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7001 VV RVG wurde nur in Höhe von 20,00 € anerkannt.

Mit Schriftsatz vom 29.07.2020, der bei Gericht am selben Tag eingegangen ist (Bl. 124 ff d.A.), legte der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den oben genannten Kostenfestsetzungsbeschluss ein.

Mit Verfügung vom 12.8.2020 (Bl. 127 d.A.) legte die Rechtspflegerin am Amtsgericht Nürnberg die Beschwerde dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vor. Der Beschwerdeführer erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme zur weiteren Stellungnahme des Bezirksrevisors bei dem Amtsgericht Nürnberg vom 8.9.2020 (Bl. 129 ff d.A.).

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, weil der Beschwerdewert 200,00 € (= 165,00 € + 20,00 € + MWSt) übersteigt (§§ 56 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, 33 Abs. 3 S. 1 RVG)

2. Die Beschwerde hat in der Sache aber keinen Erfolg.

a) Gebühr Nr. 4104 VV RVG

Die Gebühr Nr. 4104 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren bis zum Eingang u.a. des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht (s. Anmerkung zu RVG VV Nr. 4104). Die Gebühr Nr. 4106 VV RVG entsteht mit Beginn des gerichtlichen Verfahrens, u.a. mit dem Eingang des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht. Hierbei hat sich der Gesetzgeber für klare Tatbestandsmerkmale, jeweils bezogen auf den Eingang bei Gericht als entscheidende Trennlinie entschieden. Eine Ausnahmeregelung für den Fall der Rücknahme einer Verfahrenshandlung der Staatsanwaltschaft hat der Gesetzgeber für den Vergütungstatbestand der Nr. 4104 VV RVG sowie Nr. 4106 VV RVG nicht mit aufgenommen. Insofern ist auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen.

Infolge der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls wird das Verfahren wieder in das vorbereitende Verfahren (Ermittlungsverfahren) zurückversetzt (Meyer-Goßner StPO, 63. Aufl. § 156 Rn. 2). Dies ändert jedoch nichts daran, dass bereits ein gerichtliches Verfahren begonnen hatte und diesbezüglich der Anfall der Gebühr Nr. 4106 VV RVG bereits verwirklicht wurde, wenn der Verteidiger (erstmals) im gerichtlichen Verfahren tätig geworden ist (vgl. hierzu AG Gießen, Beschluss vom 29.6.2016, 507 Ds 604 Js 35439/13 = BeckRS 2016, 13454). Auch die Kammer ist der Auffassung, dass die Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls gebührenrechtlich keinen Einfluss auf die Eigenschaft eines gerichtlichen Verfahrens hat, zumal Nr. 4106 VV RVG lediglich auf den Eingang des Antrags bei Gericht abstellt und nicht auf den Erlass des Strafbefehls. Sofern hier im weiteren Verfahren ein neuer Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen wäre, wäre dies gebührenrechtlich jedenfalls als dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG zu behandeln gewesen.

Die übereinstimmende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist zudem, dass dem Verteidiger – sofern er nach Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls anschließend im Ermittlungsverfahren tätig war z.B. aufgrund weiterer Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, die zu einem erneuten Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder aber zu einer Einstellung geführt haben – zusätzlich die Gebühr VV 4104 RVG zusteht (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4104, Rn. 4; LG Berlin, Beschluss vom 28.12.2016 – 536 Qs 22/16 = BeckRS 2016, 114021; AG Gießen, Beschluss vom 29.6.2016, 507 DS 604 Js 35439/13 = BeckRS 2016, 13454). Diese Gebühr gilt für die gesamte Tätigkeit des RA im vorbereitenden Verfahren mit Ausnahme der (besonderen) Tätigkeiten, die z.B. durch die Grundgebühr nach VV 4100 RVG abgegolten werden. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es für den Anfall der Gebühren nicht an, das ist ein Problem des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4104, Rn. 6). Ein Automatismus beim Anfall der Gebühr, wenn der Verteidiger auch im Ermittlungsverfahren bestellt war, besteht jedoch nach Auffassung der Kammer – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 8.9.2020 – nicht.

Der Beschwerdeführer hat das Mandat unstreitig erst erhalten, als bereits der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen war und somit das gerichtliche Verfahren – unabhängig von der späteren Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls – begonnen hatte (Nr. 4106 VV RVG). Im gerichtlichen Verfahren ist der Verteidiger tätig geworden und hat Akteneinsicht erhalten und eine Stellungnahme abgegeben, weshalb der Anfall der Gebühren Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4106 VV RVG nicht zu beanstanden ist.

Infolge der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls am 8.1.2020 ist das Verfahren sodann wieder in das vorbereitende Verfahren (Ermittlungsverfahren) zurückversetzt worden. Jedoch vermag die Kammer aus den Stellungnahmen des Verteidigers – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 3.7.2020 – keine Tätigkeit im Zeitraum 8.1.2020 bis 17.1.2020 erkennen, mit der die Verwirklichung des Tatbestands der Nr. 4104 VV RVG begründet werden könnte. Zwar wurde mit Verfügung vom 17.1.2020 das Verfahren nach einem Telefonat des Verteidigers mit dem zuständigen Staatsanwalt sowie nach einem Gespräch mit seinem Mandanten, die sich beide nur auf eine mögliche Einstellung des Verfahrens beziehen konnten, eingestellt, allerdings ohne dass zuvor noch Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden. Das Telefonat und das Gespräch werden gebührenrechtlich jedoch in Nr. 4141 VV RVG als die dort erforderliche Mitwirkung abgegolten (vgl. BeckOK RVG, v. Seltmann, 49. Edition, Stand 1.9.2020, RVG VV 4141 Rn. 15 ff, insbesondere Rn. 17) und können nicht zusätzlich im Rahmen des Tatbestands Nr. 4104 VV RVG berücksichtigt werden (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 5.2.2015 – 6 Qs 7/15; Geroldt/Schmidt, RVG, 24. Aufl., 4106, 4107 VV Rdnr. 8 ff). Weitere Tätigkeiten des Verteidigers im Ermittlungsverfahren sind aus der Akte weder ersichtlich noch wurden solche dargelegt.

b) Gebühr Nr. 7002 VV RVG

Pro Angelegenheit entfällt eine Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG.

Für Strafsachen gelten gemäß § 17 Nr. 10 RVG, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Sonstige Aussagen trifft das RVG hierzu nicht.

Nachdem dem Beschwerdeführer die Gebühr Nr. 4104 VV RVG für eine vorbereitende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren nicht zustand (siehe oben), ist damit die zusätzliche Gebühr Nr. 7002 VV RVG für das vorbereitende Verfahren ebenfalls nicht angefallen.

Auf die überzeugenden Ausführungen des Bezirksrevisors in den Stellungnahmen vom 3.7.2020 und vom 8.9.2020 wird umfassend Bezug genommen

3. Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).

 

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