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Nötigung – Blockieren mehrerer Straßen

Umweltaktivisten vor Gericht: Straßenblockaden als Nötigung und Hausfriedensbruch

Straßenblockaden durch Aktivisten sind ein komplexes juristisches Thema, das häufig für Diskussionen sorgt. Entscheidend ist, ab wann solche Aktionen als strafbare Nötigung gewertet werden können. Dabei spielt nicht nur die konkrete Durchführung, sondern auch die Motivation und Absicht der Beteiligten eine wichtige Rolle. Ein genaues Verständnis der rechtlichen Situation ist unerlässlich, um die Grenzen zwischen legitimen Protesten und strafbaren Handlungen klar abzustecken. Nur so lässt sich eine ausgewogene Bewertung vornehmen, die sowohl die Rechte und Freiheiten der Demonstranten als auch den Schutz der Allgemeinheit angemessen berücksichtigt. Das nachfolgende Urteil liefert hierzu wertvolle Erkenntnisse.

[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORs 25 Ss 1/23 >>>]

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Blockieren von Straßen durch Aktivisten, bei dem Fahrzeuge und Personen bewusst als Hindernisse eingesetzt werden, kann eine Nötigung mit Gewalt gemäß § 240 Abs. 1 StGB darstellen.
  • Wenn mehrere Aktivisten im Rahmen eines gemeinschaftlichen Tatplans agieren, muss sich jeder Mittäter die Handlungen der anderen Beteiligten zurechnen lassen.
  • Das Betreten eines Flachdachs ohne Zugang kann einen Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 StGB erfüllen, selbst wenn das Dach nicht für den Aufenthalt von Menschen bestimmt ist.
  • Die Beurteilung der Verwerflichkeit im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB erfordert eine Einzelfallabwägung, die Grenze kann auch ohne Gefährdung Dritter überschritten sein.
  • Eine Rechtfertigung solcher Aktionen aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 34 StGB oder dem zivilen Ungehorsam ist ausgeschlossen.
  • Die Höhe des Strafmaßes und eine etwaige Zurechnung gemäß § 25 Abs. 2 StGB müssen neu geprüft werden.

➜ Der Fall im Detail


Straßenblockaden als Nötigung und Hausfriedensbruch

Im vorliegenden Fall geht es um die Strafbarkeit von Straßenblockaden durch Umweltaktivisten. Eine junge Frau, die sich wiederholt gegen den Kiesabbau engagiert hatte, wurde wegen mehrerer Aktionen angeklagt.

Klimaprotest mit Megaphon und Schildern.
(Symbolfoto: Ground Picture /Shutterstock.com)

Die Vorfälle umfassen das Enthüllen eines Transparents auf dem Dach einer Mehrzweckhalle während einer Gemeinderatssitzung sowie die Blockade von Zufahrten zu zwei Kieswerken. Bei letzterem hatten sich die Aktivisten mit Seilen und Hängematten über die Straße gespannt, um den Verkehr zu behindern.

Freispruch durch das Landgericht

Das Landgericht sprach die Angeklagte in erster Instanz frei. Bezüglich des Hausfriedensbruchs argumentierte das Gericht, dass das Flachdach der Mehrzweckhalle kein befriedetes Besitztum sei. Im Fall der Straßenblockade verneinte das Landgericht eine Nötigung mit Gewalt, da die Angeklagte nur an einer Sperre beteiligt war, an der kein Fahrzeug an der Durchfahrt gehindert wurde.

Revision der Staatsanwaltschaft und Urteil des OLG Stuttgart

Die Staatsanwaltschaft legte gegen den Freispruch Revision ein, die vom Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) bestätigt wurde. Das OLG stellte fest, dass das Flachdach der Mehrzweckhalle sehr wohl als befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 StGB zu werten ist, da es keinen regulären Zugang bietet und nur durch Hilfsmittel betreten werden kann.

Hinsichtlich der Straßenblockade befand das OLG, dass das Landgericht die mittäterschaftliche Begehungsweise nach § 25 Abs. 2 StGB nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Angeklagte hatte sich mit anderen Aktivisten zu einer gemeinsamen Aktion zusammengeschlossen, die darauf abzielte, den Betrieb der Kieswerke zu stören. Daher muss sie sich die durch die anderen Blockaden entstandenen Staus zurechnen lassen. Das Blockieren von Straßen durch Aktivisten, bei dem Fahrzeuge und Personen bewusst als Hindernisse eingesetzt werden, kann eine Nötigung mit Gewalt gemäß § 240 Abs. 1 StGB darstellen.

Verwerflichkeit der Tat und Rechtfertigung

Das OLG betonte zudem, dass die Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall geprüft werden muss. Hierzu sind die konkreten Umstände der Aktion, wie Dauer, Intensität, Auswirkungen auf Dritte und die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, zu berücksichtigen. Eine Rechtfertigung solcher Aktionen aus Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit), § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) oder dem zivilen Ungehorsam ist ausgeschlossen.

Da das Landgericht die mittäterschaftliche Begehung und die Verwerflichkeit der Tat nicht ausreichend geprüft hat, wurde der Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Höhe des Strafmaßes und eine etwaige Zurechnung gemäß § 25 Abs. 2 StGB müssen neu geprüft werden.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter Nötigung im Kontext von Straßenblockaden?

Der Straftatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB ist im Kontext von Straßenblockaden durch Demonstranten von zentraler Bedeutung. Eine Nötigung liegt vor, wenn jemand eine andere Person durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen nötigt.

Bei Straßenblockaden wird regelmäßig eine Gewaltanwendung gegenüber Autofahrern bejaht. Entscheidend ist dabei die sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs:

Das erste durch die Blockade zum Anhalten gezwungene Fahrzeug stellt für die nachfolgenden Fahrzeuge ein physisches Hindernis dar. Die Demonstranten nutzen das erste Fahrzeug somit als „Werkzeug“, um mittelbar Gewalt gegenüber den weiteren Fahrzeugen auszuüben.

Allerdings ist eine Nötigung gemäß § 240 Abs. 2 StGB nur dann rechtswidrig, wenn die Tat als verwerflich anzusehen ist. Hier kommt der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG eine wichtige Rolle zu:

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Sitzblockaden im Rahmen von Versammlungen grundsätzlich durch die Versammlungsfreiheit gedeckt und damit nicht verwerflich sind. Es ist jedoch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls erforderlich, etwa hinsichtlich Dauer, Intensität, Ausweichmöglichkeiten und Dringlichkeit des blockierten Verkehrs.

Insgesamt zeigt sich, dass Straßenblockaden zwar regelmäßig den Tatbestand der Nötigung erfüllen. Ob sie aber strafbar sind, hängt maßgeblich von der Reichweite der Versammlungsfreiheit im konkreten Fall ab.

Welche Rolle spielt die Verwerflichkeit bei der Bewertung einer Nötigung?

Die Verwerflichkeit spielt eine zentrale Rolle bei der strafrechtlichen Bewertung einer Nötigung gemäß § 240 StGB. Denn erst wenn die Nötigungshandlung als „verwerflich“ eingestuft wird, ist sie auch rechtswidrig und strafbar.

Ob eine Verwerflichkeit vorliegt, hängt von einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ab. Dabei sind insbesondere drei Aspekte zu prüfen:

  • Verwerflichkeit des Nötigungsmittels: Ist das eingesetzte Mittel selbst schon strafbar (z.B. Körperverletzung) oder sozialwidrig, indiziert dies eine Verwerflichkeit.
  • Verwerflichkeit des angestrebten Zwecks: Zielt die Nötigung auf einen strafbaren oder sozialwidrigen Zweck ab, deutet dies auf Verwerflichkeit hin.
  • Verwerfliche Zweck-Mittel-Relation: Selbst wenn Mittel und Zweck für sich genommen nicht verwerflich sind, kann das Verhältnis zwischen beiden eine unangemessene Zwangsausübung darstellen.

Gerichte haben die Verwerflichkeit in verschiedenen Fällen unterschiedlich bewertet:

  • Das Amtsgericht Karlsruhe sah die Blockiergebühr von 0,10€/min der EnBW ab 4h Standzeit als nicht verwerflich an, da das Interesse des Betreibers an freien Ladesäulen berechtigt sei.
  • Beim Festkleben auf Straßen durch Klimaaktivisten gelangten Gerichte zu unterschiedlichen Einschätzungen. Einige sahen die Verwerflichkeit als gegeben, andere verneinten sie mit Blick auf die Versammlungsfreiheit.

Insgesamt zeigt sich, dass die Bewertung der Verwerflichkeit eine Einzelfallabwägung erfordert. Sie ist das zentrale Korrektiv, um strafwürdiges Unrecht von noch hinzunehmendem Verhalten abzugrenzen.

Inwiefern unterscheidet sich die mittäterschaftliche Begehung von der alleinigen Täterschaft?

Die mittäterschaftliche Begehung unterscheidet sich von der alleinigen Täterschaft in mehreren zentralen Aspekten:

  • Anzahl der Beteiligten: Bei der Mittäterschaft sind per Definition mindestens zwei Personen an der Tatbegehung beteiligt, während bei der Alleintäterschaft nur eine einzelne Person die Tat begeht.
  • Gemeinsamer Tatentschluss: Mittäter müssen sich zu einem „gemeinsamen Tatentschluss“ zusammengefunden haben. Sie müssen also vorsätzlich zusammenwirken und die Tat gemeinschaftlich beschlossen haben. Bei der Alleintäterschaft fehlt dieser gemeinsame Tatentschluss.
  • Tatherrschaft: Mittäter üben gemeinschaftlich die sogenannte „Tatherrschaft“ aus, d.h. sie haben die Tat gemeinschaftlich in der Hand. Der Alleintäter hingegen hat die alleinige Tatherrschaft inne.
  • Zurechnung: Bei der Mittäterschaft wird jedem Beteiligten die Handlung des anderen zugerechnet, als hätte er sie selbst vorgenommen. Diese wechselseitige Zurechnung findet bei der Alleintäterschaft naturgemäß nicht statt.
  • Strafbarkeit: Mittäter machen sich der gemeinschaftlichen Tatbegehung strafbar, auch wenn sie selbst keine Ausführungshandlung vorgenommen haben. Der Alleintäter ist hingegen nur für seine eigene Handlung verantwortlich.

Im Kontext von Straßenblockaden ist die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Alleintäterschaft von großer Bedeutung. Oft wird geprüft, ob die Blockierenden einen gemeinsamen Tatentschluss hatten und gemeinschaftlich die Tatherrschaft ausübten. Dies kann dazu führen, dass allen die Nötigungshandlung zugerechnet wird – selbst wenn sie sich nicht angeklebt haben.

Kann die Versammlungsfreiheit eine Straßenblockade rechtfertigen?

Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG kann unter bestimmten Umständen eine Straßenblockade rechtfertigen und vor einer Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 StGB) schützen. Entscheidend sind dabei folgende Aspekte:

  • Friedliche Versammlung: Die Blockade muss im Rahmen einer friedlichen Versammlung erfolgen. Gewalttätige Aktionen sind nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt.
  • Einzelfallabwägung: Es bedarf einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Dauer, Intensität, Ausweichmöglichkeiten und Dringlichkeit des blockierten Verkehrs spielen eine wichtige Rolle.
  • Verhältnismäßigkeit: Die Blockade muss verhältnismäßig sein, um den Zweck der Versammlung zu erreichen. Je länger und intensiver die Blockade, desto höher sind die Anforderungen.
  • Verwerflichkeit: Selbst wenn eine Nötigung vorliegt, muss diese im Einzelfall als „verwerflich“ eingestuft werden, um strafbar zu sein. Die Versammlungsfreiheit kann die Verwerflichkeit entfallen lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass kurzzeitige Sitzblockaden im Rahmen von Versammlungen grundsätzlich durch die Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Bei länger andauernden oder besonders intensiven Blockaden kann die Strafbarkeit aber wieder eingreifen.

Insgesamt zeigt sich, dass die Versammlungsfreiheit Straßenblockaden nicht pauschal rechtfertigt. Es bedarf stets einer sorgfältigen Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter im konkreten Einzelfall. Die Gerichte müssen das Spannungsfeld zwischen Bürgerrechten und Strafverfolgung austarieren.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 240 Abs. 1 StGB (Nötigung): Das Kernstück des Textes beschäftigt sich mit dem Tatbestand der Nötigung. Wenn Personen oder Fahrzeuge gezielt als Hindernis benutzt werden, um andere zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen, kann dies eine strafbare Nötigung darstellen. Dies ist besonders relevant, wenn Straßen durch physische Barrieren oder Personen blockiert werden, um bestimmte politische oder gesellschaftliche Ziele zu erreichen.
  • § 240 Abs. 2 StGB (Verwerflichkeit der Nötigung): Die Verwerflichkeit der Tat nach § 240 Abs. 2 StGB ist bedeutsam, da sie eine zentrale Rolle bei der Bewertung spielt, ob neben dem Zwang auch die moralische Verwerfbarkeit des Handelns vorliegt. Im Kontext von Protestaktionen, bei denen Straßensperren errichtet werden, ist diese Bewertung besonders kritisch und kann darüber entscheiden, ob ein Handeln strafrechtlich sanktioniert wird oder nicht.
  • § 123 StGB (Hausfriedensbruch): Der Hausfriedensbruch kommt im Text vor, wenn Personen unbefugt befriedete Besitztümer betreten, wie hier beschrieben am Beispiel des Flachdachs einer Halle. Dies kann im Rahmen von Protesten auftreten, etwa wenn Teilnehmer Gebäude oder andere abgesperrte Bereiche betreten, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
  • Artikel 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit): Auch wenn das Recht auf Versammlungsfreiheit in Deutschland grundlegend ist, zeigt der Text, dass es Einschränkungen dieses Rechts gibt, besonders wenn durch die Versammlung Straftaten, wie Nötigung oder Hausfriedensbruch, begangen werden. Die Interpretation, inwiefern eine Straßenblockade als Ausdruck der Versammlungsfreiheit angesehen werden kann, ist ausschlaggebend.
  • § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand): Der Text erwähnt, dass ein rechtfertigender Notstand zur Rechtfertigung von Straßenblockaden nicht anerkannt wird. In Szenarien, wo durch das Blockieren von Straßen möglicherweise Schlimmeres verhindert werden soll, spielt diese rechtliche Bewertung eine kritische Rolle.
  • Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche: Abseits strafrechtlicher Konsequenzen ist auch der zivilrechtliche Aspekt, insbesondere der Anspruch auf Schadenersatz bei entstandenen Schäden (hier genannt in Höhe von ca. 30.000 Euro), für die Teilnehmer an solchen Aktionen von hoher Bedeutung. Dies unterstreicht die potenziellen finanziellen Folgen von Protestaktionen, die in rechtliche Auseinandersetzungen münden können.


Das vorliegende Urteil

OLG Stuttgart – Az.: 1 ORs 25 Ss 1/23 – Urteil vom 16.02.2024

Leitsatz

Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der durch das Blockieren einer Straße gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang sich unmittelbar in physische Hindernisse umsetzt, indem diese Personen und ihre Fahrzeuge bewusst als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt werden. Anlass, von dieser verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.

Entspricht das Blockieren mehrerer Straßen einem gemeinsam gefassten Tatplan, muss sich jeder in die Aktion eingebundene Mittäter die durch das Handeln seiner Tatgenossen plangemäß errichteten Straßensperren und dadurch hervorgerufene Folgen zurechnen lassen.

Die Beurteilung der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB erfordert eine an den Einzelfallumständen orientierte Abwägung. Im Hinblick auf den Wortlaut und den von § 240 StGB bezweckten Schutz der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung kann die Grenze zur Verwerflichkeit ohne Weiteres auch ohne eine Gefährdung Dritter überschritten sein. Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden aus Art. 8 Abs. 1 GG, nach § 34 StGB sowie unter dem Aspekt des sog. zivilen Ungehorsams ist ausgeschlossen.

Das Flachdach einer Mehrzweckhalle, zu dem kein allgemeiner oder regulärer Zugang eröffnet ist und dessen Betreten ohne mitgebrachte Aufstiegshilfe unmöglich ist, stellt ein befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB dar.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 17. Oktober 2022 hinsichtlich des Freispruchs der Angeklagten vom Vorwurf der Taten 1 (22. Februar 2021) und 3 (29. April 2021) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Die im Jahr 2003 geborene Angeklagte hat sich wiederholt als Umweltaktivistin gegen den Kiesabbau engagiert. Die Staatsanwaltschaft legte ihr das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch am 22. Februar 2021 (Tatvorwurf 1), das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung im März 2021 (Tatvorwurf 2) sowie Nötigung in Tateinheit mit der Teilnahme an einer Versammlung in einer Aufmachung zur Verhinderung der Feststellung ihrer Identität am 29. April 2021 (Tatvorwurf 3) zur Last. Wegen dieser Taten verurteilte das Amtsgericht Wangen die Angeklagte zur Ableistung von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Die Berufung der Angeklagten führte vor dem Landgericht Ravensburg zu einem Freispruch. Hiergegen richtet sich die von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Sie greift – nach teilweiser Rücknahme der Revision sowie nach der Beschränkung des Verfahrens auf die Vorwürfe des Hausfriedensbruchs und der Nötigung – den Freispruch von den Tatvorwürfen 1 und 3 an.

Die Revision hat im verbliebenen Umfang vollen Erfolg.

I.

1. Zum ersten Tatvorwurf hat das Landgericht im Wesentlichen festgestellt:

Am 22. Februar 2021 fand ab 19 Uhr in der Mehrzweckhalle der Gemeinde … eine Gemeinderatssitzung zum Regionalplan Bodensee-Oberschwaben statt. Gegen 18.30 Uhr kletterten die Angeklagte und der gesondert verfolgte … mit Hilfe einer Leiter auf das nicht gesicherte Hallenflachdach und enthüllten dort ein ca. acht Quadratmeter großes Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Klimahöllenplan“, um die Teilnehmer der Gemeinderatssitzung auf ihrer Meinung nach mit den Projekten des Regionalplans einhergehenden Folgen für die Umwelt aufmerksam zu machen. Die Angeklagte und … verließen das Dach erst nach Beginn der Gemeinderatssitzung. Der Bürgermeister der Gemeinde stellte am 2. März 2021 Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.

Den Freispruch von diesem Vorwurf hat das Landgericht damit begründet, dass es an einem Eindringen in ein befriedetes Besitztum fehle.

2. Zum Tatvorwurf 3 hat das Landgericht festgestellt:

Die Angeklagte schloss sich mit zehn Personen zusammen, um durch eine auf „einen gemeinsamen Tatplan zurückgehende gemeinschaftlich ausgeführte Aktion“ den Betrieb von zwei Kieswerken zu stören. In Umsetzung dieser Aktion, die wegen des beabsichtigten Überraschungseffekts vorher geheim gehalten wurde, wurden fünf aus je zwei Personen bestehende „Posten“ gebildet.

Vier dieser Posten besetzten die Zufahrten zum Kieswerk … GmbH & Co.KG in …, indem sie – auf einer Fahrbahnseite 4-5m über dem Boden, auf der anderen Seite bodennah, dh schräg abfallend über die Straße – Seile spannten, an denen sie Hängematten befestigten. In jeder Hängematte lag eine Person; die andere Person postierte sich davor mit einem Hinweis auf die Hängematte bzw. einer „Warnung vor Weiterfahrt“. Ferner waren Hinweisschilder mit dem Schriftzug „da hängt ein Leben dran“ angebracht. Ein Kappen der Seile hätte zum Sturz der in den Matten liegenden Aktivisten aus lebensgefährdender Höhe geführt.

Infolge der blockierten Zufahrten bildete sich an der Hauptzufahrt (besetzt vom gesondert verfolgten … und einem Unbekannten) ein Stau aus den Pkws der Kieswerkmitarbeiter und mindestens 20 Lkws. Der Fahrer des ersten Fahrzeugs fühlte sich psychisch an der Weiterfahrt gehindert; die Weiterfahrt wäre ihm zwar möglich gewesen, hätte aber wahrscheinlich das gespannte Seil gekappt und dadurch zum Absturz der Hängematte und der darin befindlichen Person geführt. Die von der Angeklagten besetzte Zufahrt versuchte nur ein Pkw zu passieren, der „letztlich“ am Fahrbahnrand unter der am gespannten Seil angebrachten Hängematte hindurch weiterfahren konnte. Der Betrieb der Kieswerke war über Stunden hinweg gestört. Die Angeklagte und die weiteren Aktivisten wurden von Polizeikräften mittels Drehleitern aus den Hängematten geholt. Die … GmbH & Co.KG macht zivilrechtlich Schadensersatz in Höhe von ca. 30.000 Euro geltend. Ein weiterer Posten blockierte die Zufahrt des mehrere Kilometer entfernten Kieswerks …, wo sich aus Angst, das gespannte Seil zu kappen, ein Lkw-Fahrer an der Weiterfahrt gehindert sah.

Das Landgericht hat die Angeklagte auch von diesem Vorwurf freigesprochen. Eine Nötigung mit Gewalt hat es verneint, da an der Sperre der Angeklagten kein Fahrzeug an der Durchfahrt gehindert gewesen sei und die Angeklagte eine möglicherweise entstehende physische Blockade nicht in ihr Vorstellungsbild aufgenommen habe; sie habe angesichts ihrer Entfernung von 500 bzw. 700 Metern zu den anderen Sperren die dortigen Geschehnisse nicht sehen oder beeinflussen können. Die freie Gegenspur hätten die Fahrer nicht zum Ausscheren genutzt, da sie annahmen, am Eingang ebenso wie der dortige erste Lkw an der Weiterfahrt gehindert zu sein.

II.

1. Der Freispruch vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) hat aufgrund der lückenhaften Feststellungen und der unzutreffenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals „befriedetes Besitztum“ keinen Bestand.

Das Flachdach der Mehrzweckhalle stellt, wie der Generalstaatsanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, ein befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB dar:

Das Dach ist als unbeweglicher Gebäudeteil taugliches Tatobjekt. Es ist auch befriedet. Denn zu dem Dach ist kein allgemeiner oder regulärer Zugang eröffnet. Das Betreten des Flachdachs ist ohne mitgebrachte Aufstiegshilfe unmöglich. Die Mauer, die vor dem Betreten überwunden werden muss, reicht als Sicherung gegen das willkürliche Betreten aus (Feilcke in MüKoStGB, 4. Aufl., § 123 Rn. 14; Sternberg-Lieben/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 123 Rn. 6; vgl. auch OLG Hamburg, BeckRS 2020, 11913; AG München, BeckRS 2015, 16851). Schon danach besteht ein ausreichender Schutz gegen das Eindringen Unbefugter, sodass das Anbringen einer besonderen Zugangsbarriere nicht erforderlich und der Wille des Berechtigten, andere fernzuhalten, ohne Weiteres erkennbar war. Entgegen der Auffassung des Landgerichts verlangt der Tatbestand des § 123 StGB nicht, dass das Besitztum dem Aufenthalt von Menschen dient.

Das Eindringen im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB erfordert nicht, dass sich der Täter über Hindernisse hinwegsetzt (Sternberg-Lieben/Schittenhelm aaO, Rn. 11). Überdies steht mit Blick auf den Anklagevorwurf ggf. eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Nichtentfernens nach Aufforderung gemäß der 2. Alternative des § 123 Abs. 1 StGB im Raum. Da sich das angefochtene Urteil nicht dazu verhält, ob und wann die Angeklagte zum Verlassen des Hallendachs aufgefordert wurde und ggf. wie sie hierauf reagierte, bleibt der Tatsachverhalt insoweit offen.

Gleiches gilt für die subjektive Tatseite. Die Strafbarkeit setzt zwar lediglich bedingten Vorsatz voraus. Der Senat ist jedoch mangels jeder Feststellung hierzu sowie zu etwaigen Vorstellungen der Angeklagten (vgl. dazu Sternberg-Lieben/Schittenhelm aaO, Rn. 34) an einer Durchentscheidung gehindert.

2. Der Freispruch vom Tatvorwurf 3 erweist sich ebenfalls als durchgreifend fehlerhaft.

Die Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts tragen die Verneinung einer Strafbarkeit gemäß § 240 StGB nicht.

a) Dies gilt zunächst für das Tatbestandsmerkmal der Gewalt. Unabhängig davon, dass die Aktion durch quer über die Fahrbahnen gespannte Seile und daran befestigte, jeweils mit einer Person besetzte Hängematten über eine bloße körperliche Anwesenheit bzw. die alleinige Wirkung der körperlichen Anwesenheit hinausgeht, liegt jedenfalls dort eine sich physisch als unüberwindlich auswirkende Einwirkung auf Kraftfahrer vor, wo diese durch vor ihnen haltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert sind (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rn. 14, 17, 19). Maßgebend ist, dass die Gewaltanwendung ursächlich zu dem vom Täter angestrebten Verhalten des Opfers führt. Der für eine Nötigung mit Gewalt erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung (Bereiten eines Hindernisses) und dem Nötigungserfolg (Unmöglichkeit der Fortbewegung für nachfolgende Kraftfahrer) ist im Rahmen eines einheitlichen Verkehrsstaus nicht zweifelhaft. Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der durch das Blockieren der Zufahrtsstraße gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang sich – wie hier – unmittelbar in physische Hindernisse umsetzt, indem diese Personen und ihre Fahrzeuge bewusst als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt werden (vgl. BGH NJW 1995, 2643). Anlass, von dieser – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. BVerfG NJW 2011, 3020) – sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ abzuweichen, besteht nicht (ebenso OLG Karlsruhe Urt. v. 20.2.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23).

Ferner erscheint es verfehlt, auf die Möglichkeit eines – bislang beweiswürdigend ohnehin nicht belegten – Ausscherens auf die Gegenspur abzuheben. Bei zahlreichen aufgestauten Fahrzeugen ändert das Ausscheren einzelner Fahrzeugführer am entstandenen physischen Hindernis nichts, sondern vermag allenfalls eine zusätzliche Blockade der Fahrbahn zu bewirken, da sich diese Fahrer ebenfalls zum Anhalten vor der Sperre gezwungen sehen werden.

b) Zudem hat das Landgericht fehlerhaft lediglich eine „alleintäterschaftliche Nötigung“ in den Blick genommen, obwohl es im Widerspruch hierzu einen Zusammenschluss der Angeklagten mit zehn weiteren Personen zu einer gemeinsamen Aktion festgestellt hat. Schon die Anklageschrift legt der Angeklagten, obgleich sie § 25 Abs. 2 StGB nicht zitiert, unzweifelhaft eine mittäterschaftliche Begehungsweise zur Last. Der Anklagesatz wirft der Angeklagten und weiteren Umweltaktivisten, von denen acht namentlich aufgeführt werden, das Errichten von fünf Zufahrtssperren entsprechend einem gemeinsamen Tatplan vor und stellt nicht auf einzelne Beteiligte oder einzelne Sperren, sondern allein auf die Gesamtblockade und deren Folgen ab. Dementsprechend hat das Landgericht einen gemeinsam gefassten Tatplan und eine gemeinschaftlich ausgeführte Aktion festgestellt, bei seiner rechtlichen Würdigung aber § 25 Abs. 2 StGB aus dem Blick verloren bzw. ein zu enges Verständnis der mittäterschaftlichen Tatbegehung im Sinne dieser Vorschrift zugrunde gelegt.

Nach st. Rspr. werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist ein Mittäter für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (BGH NStZ 2005, 261; 2013, 400). Ob fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (BGH NStZ-RR 2023, 169 mwN).

Danach erscheint die Feststellung des Landgerichts, die Angeklagte habe ein mögliches Entstehen einer Blockade der Zufahrt durch hintereinander stehende Fahrzeuge nicht in ihr Vorstellungsbild aufgenommen, nicht nachvollziehbar. Sie entbehrt nicht nur jeder Grundlage, sondern steht auch in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem im Urteil festgestellten gemeinsam gefassten Tatplan, der darauf abzielte, den Betrieb der Kieswerke durch eine „gemeinschaftlich ausgeführte Aktion“ zu stören. Gleiches gilt bei Betrachtung des festgestellten Vorstellungsbildes der Angeklagten, die davon ausgegangen sei, die Angst der Fahrzeugführer, den in den Hängematten befindlichen Personen Schaden zuzufügen, werde sie an der Weiterfahrt hindern.

Vielmehr liegt nach den Feststellungen zum Vorhaben der Angeklagten eine Blockade durch eine Staubildung auf der Hand. Auf den Umstand, dass an der von der Angeklagten besetzten Sperre kein Stau entstanden war, kommt es nicht an. Entspricht – wie hier – das Blockieren mehrerer Zufahrtswege exakt einem gemeinsam gefassten Tatplan und damit auch dem Vorstellungsbild der Mittäter, muss sich die Angeklagte als in die Aktion eingebundene Mittäterin die plangemäß errichteten Zufahrtssperren ihrer Tatgenossen und die dadurch hervorgerufenen – dem gemeinsamen Tatplan entsprechenden – Tatfolgen zurechnen lassen.

Allem nach findet die Wertung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite der Angeklagten in den bisherigen Feststellungen keinerlei Stütze. Vielmehr weist alles darauf hin, dass die Angeklagte als Mittäterin für die gesamte Blockadeaktion und alle dadurch verursachten Folgen verantwortlich ist.

Ferner weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer mittäterschaftlich begangenen vollendeten Nötigung für einen Schuldspruch wegen Versuchs kein Raum mehr besteht (vgl. BGH NStZ 2024, 87). Der Nötigungstatbestand ist – in Fällen, in denen Mittäter die Blockade mehrerer Straßen geplant hatten – bereits erfüllt, wenn an lediglich einer Straße durch Errichtung einer Blockade tatsächlich ein Stau verursacht wurde.

c) Das Landgericht hat sich mit der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB nicht befasst. Geboten ist eine an den Einzelfallumständen orientierte Abwägung. Anhaltspunkte dafür, dass es an der Verwerflichkeit des Vorgehens der Angeklagten fehlen könnte, bestehen nach den bisherigen Feststellungen nicht.

Zunächst deutet nichts darauf hin, dass die Verwerflichkeit wegen eines Bagatellcharakters des Nötigungserfolges ausscheiden könnte.

Allerdings erschließen sich Hintergrund und Zweck der Aktion aus dem angefochtenen Urteil nicht mit der gebotenen Klarheit. Während der Anklagevorwurf davon ausgeht, die Zufahrtssperren seien errichtet worden, um gegen den Kiesabbau und die Klimapolitik des Regionalverbandes zu demonstrieren, enthalten die Urteilsfeststellungen nur Ausführungen dahin, dass der Geschäftsbetrieb der beiden Kieswerke gestört werden sollte. Ob deshalb die Demonstration entfallen oder der Demonstrationszweck in den Hintergrund getreten ist, bleibt offen, wird aber als für die Verwerflichkeitsprüfung mit bedeutsamer Gesichtspunkt zu klären sein. Gleiches gilt mit Blick darauf, dass zum Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB besondere Anforderungen bestehen, die bisherigen Feststellungen aber schon nicht hinreichend verdeutlichen, ob die gemeinschaftliche Aktion die Merkmale einer Versammlung (dazu BVerfG NJW 2011, 3020, 3022) erfüllt hat.

Das neue Tatgericht wird bei der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation besonders Art und Ausmaß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen haben, im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung und der dabei gebotenen Abwägung aber auch Dauer und Intensität der Aktion, ihre unterbliebene Ankündigung, die Anzahl der betroffenen Fahrzeugführer und ggf. vorhandene Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Transports sowie ggf. den Sachbezug zwischen den an der Weiterfahrt gehinderten Personen und einem etwaigen Protestgegenstand einzubeziehen und zu diesen Aspekten tatsächliche Feststellungen zu treffen haben (vgl. BVerfG NJW 2011, 3020, 3023; Sinn in MüKoStGB, 4. Aufl. § 240 Rn. 143). Schon danach – wie auch im Hinblick auf den Wortlaut des § 240 StGB und des von dieser Vorschrift bezweckten Schutzes der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung – kann die Grenze zur Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB ohne Weiteres auch ohne eine Gefährdung Dritter überschritten sein (zumindest missverständlich red. Leitsatz 1 zu AG Freiburg, KlimR 2023, 59).

Davon unabhängig wird bei der Verwerflichkeitsprüfung auch mit in den Blick zu nehmen sein, dass zahlreiche Möglichkeiten der öffentlichkeitswirksamen Meinungsäußerung, der Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung sowie des Abhaltens öffentliche Aufmerksamkeit erregender Versammlungen bestehen, ohne dass damit eine Gefährdung, eine Beeinträchtigung von Grundrechten oder anderer Rechtspositionen Dritter einhergehen müsste. Namentlich umfasst das Recht, über Art und Umstände der Ausübung eines Grundrechts zu bestimmen, keine Entscheidungsbefugnis darüber, welche Beeinträchtigungen die Träger anderer kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (OLG Karlsruhe aaO).

d) Schließlich fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Blockadeaktion gerechtfertigt gewesen sein könnte. Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden aus Art. 8 Abs. 1 GG scheidet aus (BVerfG NJW 2002, 1031, 1035; OLG Karlsruhe aaO; LG Berlin BeckRS 2023, 6800). Ebenso ausgeschlossen ist eine Rechtfertigung unter dem Aspekt des sog. zivilen Ungehorsams (OLG Celle, NStZ 2023, 113) sowie nach § 34 StGB (BayObLG NStZ 2023, 747; OLG Karlsruhe aaO; vgl. auch Sinn aaO Rn. 141, 142).

Danach bedarf die Sache in den Fällen 1 und 3 insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

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