Rechtsschutzversicherung: Tragung der Kosten bei gleichzeitiger Verurteilung wegen Vorsatztat- und Fahrlässigkeitstat
LG Freiburg (Breisgau), Az.: 3 S 147/12, Urteil vom 06.12.2012
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 19.04.2012 – 11 C 2880/11 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Beschluss
Der Streitwert des Rechtsstreits beider Instanzen wird auf 3.192,91 € festgesetzt.
Gründe
I.
1. Der Kläger macht aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag die Übernahme restlicher Verfahrenskosten iHv 3.192,91 € des gegen ihn geführten Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Freiburg 50 Ds 550 Js 31818/08 – AK 112/09 – und in der Berufung vor der kleinen Strafkammer des Landgerichts Freiburg – 9 Ns 550 Js 31818/08 – AK 6/10 – geltend.
Wegen der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen einschließlich der Anträge erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zunächst auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Die strafrechtliche -rechtskräftige- Verurteilung des Klägers am 05.05.2010 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei Fällen und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist auf AS I 25 ff wiedergegeben.
Die gesamten Verfahrenskosten von 9.578,74 € enthalten u.a. 7.654,41 € Sachverständigenkosten und 869,33 € Zeugenentschädigungen; wegen der Kostenaufstellung wird im Übrigen auf die Kostenrechnung der Landesoberkasse Baden-Württemberg vom 22.12.2010 (AS I, 11) verwiesen. Die Beklagte zahlte diese bis auf den streitgegenständlichen Restbetrag. Die Verteidigervergütung wurde zu 100% erstattet.
Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag unbekannten Datums mit dem Kläger als Versicherungsnehmer (VN) und der Beklagten als Versicherer (VR). Teil des Vertrages ist § 2 i aa ARB mit dem Wortlaut:
„… Wird rechtskräftig festgestellt, dass der VN das Vergehen vorsätzlich begangen hat, ist er verpflichtet, dem VR die Kosten zu erstatten, die dieser für die Verteidigung wegen des Vorwurfs eines vorsätzlichen Verhaltens getragen hat; …“
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass diese Regelung unwirksam sei, da sich daraus nicht ergebe, was gelte, wenn der Versicherungsnehmer zugleich wegen eines verkehrsrechtlichen Vorsatzdelikts und eines verkehrsrechtlichen Fahrlässigkeitsdelikts strafrechtlich verurteilt werde. Die Klausel sei unklar und damit unwirksam.
Wenn die Klausel gleichwohl als wirksam angesehen werde, sei sie zumindest dahin auszulegen, dass nur solche Kosten vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien, die ausschließlich für die Verteidigung wegen des ausgeurteilten Vorsatzdelikts angefallen sind.
Davon unabhängig seien nach dem Wortlaut der Klausel, insbesondere nach dem Verständnis eines Versicherungsnehmers, nur die für die Verteidigung entstehenden Kosten erfasst. Unter Verteidigung fielen nur die Kosten des Rechtsanwalts, nämlich des Verteidigers – was vorliegend nur einen geringen Teil der Kosten ausmache – nicht aber Gerichtsgebühren, Sachverständigenkosten und Zeugenentschädigungen.
Im vorliegenden Fall seien wegen des nicht versicherten unerlaubten Entfernens vom Unfallort keine zusätzlichen Kosten angefallen. Diese Kosten seien alleine schon wegen der zweifachen fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs entstanden.
Wegen der Anträge in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (I 195).
Die Beklagte meint, eine Unklarheit bestehe bei der Regelung nicht. Ein Vorsatzdelikt wiege schwerer als ein Fahrlässigkeitsdelikt, was auch vorliegend der Fall der gewesen sei. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung auch wegen eines Vorsatzdeliktes (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) schulde sie nicht mehr als eine Quote von 2/5 der Kosten und habe daher bereits zu viel geleistet.
2. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 3.192,91 € an die Landesoberkasse verurteilt. In Mischfällen einer Verurteilung sowohl wegen eines vorsätzlichen wie eines fahrlässigen Vergehens könne eine anteilige Ersatzpflicht des Rechtsschutzversicherers entstehen. Vorliegend sei rechtskräftig nicht wie angeklagt wegen Vollrausch verurteilt worden, sondern wegen der Taten, die zunächst Bedingung der Strafbarkeit gewesen seien und in diesem Fall sei nachträglich nicht nach vorsätzlichen und fahrlässigen Teilen aufzuspalten.
3. Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der beklagten Rechtsschutzversicherung. Diese vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und verweist darauf, dass die streitige Klausel der ARB wirksam sei. Wenn man dies nicht annehme, gelte i.Ü. § 81 VVG, womit der Kläger nichts erhalte, da er den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt habe.
Die vom Amtsgericht schon bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertretene Auffassung, die Vorsatztat Unfallflucht sei nur „Annex“ gewesen, stelle eine haltlose Begründung dar. Eine der drei Taten, wegen der strafrechtlich verurteilt worden sei, sei die nur vorsätzlich begehbare Unfallflucht. Ein vom Amtsgericht zitiertes Urteil des OLG Oldenburg (NJW-RR 2005, 1548f) betreffe einen nicht vergleichbaren Sachverhalt.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Freiburg vom 19.04.2012 – 11 C 2880/11 – die Klage abzuweisen und hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
Die streitige Klausel in den ARB besage nicht, dass in sogenannten Mischfällen eine Quotelung vorzunehmen sei. Zudem sei die Klausel intransparent und mithin unwirksam. Da im Übrigen nach § 5 Abs. 1 c ARB die Kostenrechnung der Landesoberkasse vom Leistungsversprechen erfasst sei, sei die Beklagte zur restlichen Leistung verpflichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen in den Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Im Kammertermin vom 20.09.2012 wurde u.a. darauf hingewiesen, dass es möglicherweise darauf ankommen könnte, ob ausscheidbare Kosten im Hinblick auf die Verurteilung zu einer Vorsatztat entstanden sind. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit deren Einverständnis wurde das schriftliche Verfahren angeordnet.
II.
Die zulässige Berufung ist in der Sache unbegründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag der Parteien auf Freistellung von den restlichen Kosten des Strafverfahrens und Zahlung an die Landesoberkasse Baden-Württemberg zu. Der Anspruch ist nicht aufgrund der vorgetragenen unstreitigen Regelung in den Versicherungsbedingungen auflösend bedingt gewesen und wieder teilweise entfallen.
1. Mit Recht weist die Berufung allerdings darauf hin, dass die Auffassung des Amtsgerichts, Versicherungsschutz bestünde bei einer Vorsatztat (hier Unfallflucht) auch dann, wenn zunächst lediglich wegen Vollrauschs angeklagt worden war, im Wortlaut der Klausel keine Grundlage findet. Die zitierte Entscheidung des OLG Oldenburg (NJW-RR 2005, 1548f) befasst sich mit der hier irrelevanten Problematik, ob Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherungsnehmer wegen fahrlässigen Vollrauschs verurteilt wird und es sich bei der im Rausch begangenen Tat um ein Vorsatzdelikt handelt.
Die Kammer teilt auch nicht die Ansicht des Klägers, wonach § 2 i aa ARB den Forderungen des Transparenzgebotes widerspricht und schon deshalb unwirksam ist. Die Klausel ist zunächst einmal klar und auch aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers sofort verständlich. Die Schwierigkeit ergibt sich erst bei der Bestimmung der Höhe des zu erstattenden Betrages und nur, wenn zugleich eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen und wegen eines fahrlässigen Vergehens erfolgte; Kosten, die auf das eine und/oder das andere Vergehen entfallen, werden im Strafverfahren nicht gesondert ausgewiesen.
Eine Unklarheit entsteht schließlich vorliegend auch nicht, weil die Kosten erst nachträglich festgesetzt wurden. Die Kosten eines Strafverfahrens werden immer nach der Verurteilung in Rechnung gestellt, von eventuellen Verteidigervorschüssen abgesehen.
Wenn der Rechtsschutzversicherer noch nicht alle Kosten bezahlt hat, kann er die Zahlung verweigern, soweit er sie nach § 2 i aa ARB zurückfordern kann.
2. Die Berufung bleibt dennoch erfolglos. Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt, ob und welche zusätzlichen, abgrenzbaren Verfahrenskosten nur durch die Verteidigung gegen die letztlich erfolgte Verurteilung wegen (nur vorsätzlich begehbaren) unerlaubten Entfernens vom Unfallort entstanden sind.
Nach der unstreitigen Regelung in § 2 ARB umfasst der Versicherungsschutz vorliegend Strafrechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfs eines verkehrsrechtlichen Vergehens. Dies meint alle Kosten, die im Strafverfahren anfallen, also auch Gerichtsgebühren und Auslagen; dass die festgesetzten Kosten an sich vom Versicherungsschutz erfasst werden ist unstreitig.
Soweit in Rechtsprechung und Literatur bei gleichzeitiger Verurteilung wegen eines vorsätzlichen und wegen eines fahrlässigen Vergehens vertreten wird, den Kostenerstattungsanspruch des Versicherungsnehmers nach dem Gewicht der Taten zu quoteln (LG Duisburg RuS 1997, 117; AG Marl RuS 1997, 337 nach den gesetzlichen Strafrahmen; LG Karlsruhe RuS 1993, 66; Harbauer-Stahl, Rechtschutzversicherung, ARB 2000 § 2 Rn 277; Prölss/Martin-Armbrüster 28. Aufl., § 2 ARB 2008 Rn 47; wohl auch van Bühren/Plote, ARB, 2.Aufl., § 2 Rn 66) folgt die Kammer dem nicht. Neben praktischen Anwendungsproblemen (würde man vorliegend bei den drei tatmehrheitlichen Vergehen allein auf die der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Einsatzstrafen abstellen, hätte die Beklagte 5/8 der Kosten zu tragen: wie bei Tateinheit das Gewicht und damit eine Quote bestimmt werden sollte, ist unklar), lässt sich die zitierte Auslegung der Klausel nach Auffassung der Kammer nicht mehr mit deren Wortlaut vereinbaren, da dieser nicht auf die Schwere des strafrechtlichen Vorwurfs, sondern auf die für die Verteidigung wegen des Vorwurfs eines vorsätzlichen Verhaltens entstandenen Kosten abstellt. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung der Klausel führt vielmehr dazu, dass diese nur ausscheidbare Kosten erfasst, die bei der Verteidigung wegen der – vorliegend tatmehrheitlichen – beiden Vergehen der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs nicht angefallen wären (so im Ergebnis Schneider ZfS 2008, 249, 250; Harbauer-Stahl, aaO Rn 261 a.E. – jeweils die nach Umstellung des Vorwurfes von Fahrlässigkeit auf Vorsatz entstandenen Kosten betreffend; vgl. auch den in § 305c Abs.2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken). Solche Kosten hat die Beklagte trotz entsprechenden Hinweises nicht darlegen können. Das im Strafverfahren eingeholte (kostenträchtige) Gutachten hat zwar auch die Schuldfähigkeit des Klägers beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort umfasst; ob das Gutachten hierdurch und wenn ja um wie viel teurer wurde, ist jedoch nicht dargetan. Kriterien für eine solche Bestimmung im Nachhinein sind vorliegend auch nicht zu erkennen. Welche sonstigen Kosten (etwa Zeugenentschädigungen, Gerichtsgebühren) lediglich im Zusammenhang mit der Verteidigung gegen die Vorsatztat entstanden sind, ist ebenfalls nicht vorgetragen oder offensichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S.2 ZPO.
Die Zulassung der Revision erfolgt, da sich die Frage, wie die Rechtsschutzkosten für die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Vergehens von denen wegen einer zugleich erfolgenden Verurteilung wegen eines fahrlässigen Vergehens abzugrenzen sind, in einer Vielzahl von künftigen Fällen stellt (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).