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Darknetbestellung – Freispruch aus tatsächlichen Gründen

BayObLG – Az.: 202 StRR 100/21 – Beschluss vom 24.09.2021

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts vom 29. April 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht (Schöffengericht) verurteilte den Angeklagten am 05.10.2020 we-gen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetz-te. Auf die hiergegen vom An-geklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 29.04.2021 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; die Berufung der Staatsanwaltschaft hat es verworfen. Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und von der Generalstaatsanwaltschaft hinsichtlich der Sachrüge vertretenen Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft; mit ihrer Revision rügt sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Darknetbestellung - Freispruch aus tatsächlichen Gründen
(Symbolfoto: BeeBright/Shutterstock.com)

„Der Angeklagte bewohnt gemeinsam mit seinem Vater eine Wohnung in der K.-Straße 3b in C. Die Wohnung befindet sich in einem Gebäudekomplex, der teilweise auch von einem Autohaus genutzt wird. Der Eingang zur Wohnung befindet sich auf der – von der Straßenseite abgewandten – Rückseite des Anwesens. Der zur Wohnung gehörende Briefkasten befindet sich nicht im Eingangsbereich zur Wohnung, sondern auf der der Straßenseite zugewandten Gebäudeseite. Der Zeuge H. betrieb im Darknet über eine Plattform unter den Namen ‚TS‘ und ‚E-Doc‘ einen umfangreichen Handel mit Betäubungsmitteln. Die Bestellungen liefen ohne persönlichen Kontakt ausschließlich über das Internet ab. In einer bei dem Zeugen H. aufgefundenen ‚Bestellliste‘ wurden der Name und die Anschrift des Angeklagten mit einem Ver-merk, der auf eine Bestellung von 100 Gramm Haschisch der Sorte ‚VL‘ schließen lässt, aufgefunden. Zudem wurde von einem Gehilfen des Zeugen H. am 09.08.2018 ein Einwurfeinschreiben mit der Nummer RR876273981DE aufgegeben und am 10.08.2018 an eine nicht mehr feststellbare Adresse zugestellt. Auf dem Einlieferungsbeleg vom 09.08.2018 war zu dieser Sendungsnummer handschriftlich der Nachname Angeklagten als Adressat vermerkt.“

Die Berufungskammer hat sich bei der gegebenen Beweislage nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die Bestellung tatsächlich durch den Angeklagten erfolgt war, weil außer dem Umstand, dass der Name und die Adresse des Ange-klagten bei der Bestellung angegeben worden waren, keine weiteren Anhaltspunkte dafür festgestellt werden konnten, dass die Bestellung durch den Angeklagten selbst erfolgte. Ebenso wenig wurde nach Auffassung der Berufungskammer nachgewiesen, dass die auf dem Einlieferungsbeleg mit dem Namen des Angeklagten versehe-ne Sendung tatsächlich an diesen adressiert war und diesem auch zuging. Die von der Verteidigung vorgebrachte Möglichkeit, dass die Bestellung durch eine unbekannte dritte Person unter dem Namen des Angeklagten erfolgt sei und die Sendung von dieser aus dem Briefkasten entwendet worden sein konnte, könne nicht ausgeschlossen wer-den.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, weil die Beweiswürdigung der Berufungskammer einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht standhält. Darauf, ob die Urteilsgründe bereits den von der Revision gerügten materiell-rechtlichen Anforderungen nicht genügen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind, kommt es deshalb ebenso wenig an wie auf die mit der Revision gerügten verfahrensrechtlichen, u.a. die Aufklärungspflicht betreffenden Beanstandungen.

1. Kann das Tatgericht nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und spricht es den Ange-klagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel über-wunden hätte. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht oder nur eine von mehreren gleich nahe-liegenden Möglichkeiten erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen wird, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st.Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 20.04.2021 – 1 StR 286/20; 11.03.2021 – 3 StR 316/20; 11.03.2021 – 3 StR 183/20; 26.01.2021 – 1 StR 376/20; Beschl. v. 14.04.2021 – 4 StR 91/21, jeweils bei juris; Urt. v. 13.10.2020 – 1 StR 299/20 = NStZ-RR 2021, 24; BayObLG, Urt. v. 16.07.2021 – 202 StRR 59/21, bei juris – jeweils m.w.N.). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH a.a.O. m.w.N.).

2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts trotz des be-schränkten Prüfungsmaßstabs durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beru-fungskammer hat über-spannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt und dabei eine Konstellation in ihre Überlegungen aufgenommen, für die es nicht nur keine Anhaltspunkte gibt, sondern die überdies bei näherer Betrachtung lebensfern ist.

a) Den Gründen des Berufungsurteils kann entnommen werden, dass nach Überzeugung der Berufungskammer unter dem Namen und der Anschrift des Angeklagten im Darknet beim Zeugen H. 100 g Haschisch bestellt wurden und das Betäubungsmittel nach Eingang des Kaufpreises von ca. 300 Euro mittels Bitcoin per Ein-wurfeinschreiben auch tatsächlich versandt wurde. Nach den Feststellungen des Berufungsurteils wurde die Sendung am 10.08.2019 auch zugestellt, wobei jedoch die Zustelladresse nicht ermittelt werden konnte. Unter Berücksichtigung dieser Beweis-ergebnisse und des Umstands, dass zusätzlich ein Einlieferungsbeleg, auf dem, wenn auch nur handschriftlich, der Familienname des Angeklagten vermerkt war, ergibt sich eine nahezu erdrückende Beweislage zulasten des Angeklagten, die durch Feststellungen der Berufungskammer, wonach der Angeklagte im August 2018 und Spätsommer 2019 „Kontakt mit Betäubungsmitteln“ gehabt habe, noch abgerundet wird.

b) Die Strafkammer hat trotz dieser starken Indizienlage Zweifel an der Täterschaft des Ange-klagten nicht zu überwinden vermocht, wobei diese auf nicht tragfähigen Überlegungen basieren.

aa) Dass sich die Berufungskammer nicht davon zu überzeugen vermochte, dass die nach den Urteilsfeststellungen tatsächlich zugestellte Sendung an die Adresse des Angeklagten geliefert wurde, weil auf dem Einlieferungsschein nur dessen Familienname handschriftlich vermerkt wurde, lässt bereits besorgen, dass die Strafkammer überspannte Anforderungen im Sinne einer absoluten Gewissheit zugrunde gelegt hat. Denn es bestehen bei der gebotenen, vom Tatrichter aber nicht hinreichend vorgenommenen Gesamtschau nicht die geringsten Anhalts-punkte dafür, dass die Lieferung an eine andere Adresse als diejenige, die auf den im Computer des Lieferanten gespeicherten Bestelllisten auftauchte, geliefert worden wäre. Der Umstand, dass auf dem Einlieferungsschein der Familienname des Angeklagten handschriftlich vermerkt wurde, stellt – entgegen der Annahme der Berufungskammer – bei der erforderlichen Gesamtwürdigung ein zusätzliches gewichtiges Indiz dafür dar, dass die Auslieferung an den Angeklagten und zwar an dessen Adresse, die bei der Bestellung angegeben worden war, übersandt wurde.

bb) Aber auch dafür, dass ein Dritter unter dem Namen des Angeklagten und unter Angabe von dessen Adresse die Bestellung vorgenommen hätte, ergeben sich nach den Beweisergebnissen nicht nur keine Anhaltspunkte. Vielmehr erscheint eine der-artige Erwägung gleich-sam völlig aus der Luft gegriffen, sodass sie einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung nicht zugrunde gelegt werden durfte.

(1) Ein einzig greifbarer Anhaltspunkt, der in diesem Zusammenhang sich ergeben könnte, resultiert aus der Einlassung des Angeklagten, wonach ihn sein Bekannter H. einmal gefragt habe, ob er auf den Namen des Angeklagten „etwas bestellen könne“, wobei freilich bereits offen bleibt, wie der Angeklagte darauf reagiert hat. Die Berufungskammer hat diese Angaben des Angeklagten indes als widerlegt angesehen. Auch wenn das Landgericht richtigerweise konstatiert, dass aus einer erwiesener-maßen unzutreffenden Einlassung des Angeklagten allenfalls mit der gebotenen Vorsicht zwingend Schlüsse zu dessen Nachteil gezogen werden dürfen (vgl. hierzu zuletzt BayObLG, Beschl. v. 12.07.2021 – 202 StRR 76/21, bei juris m.w.N.), so ist jedenfalls diese Alternative nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ausgeschlossen.

(2) Unbeschadet der fehlenden Anhaltspunkte für die von der Berufungskammer erwogene Bestellung durch einen Dritten, hat der Tatrichter nicht in den Blick genommen, dass eine der-artige Sachverhaltskonstellation bei den konkreten Gesamtumständen äußerst lebensfern wäre. Zu berücksichtigen wäre in diesem Fall schon, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Versendung der Betäubungsmittel erst mit Zahlungseingang veranlasst wurde, der Käufer also Vorkasse leisten musste. Hätte eine dritte Person unter dem Namen des Ange-klagten und mittels dessen Adresse die Bestellung vorgenommen, hätte für diese ein nicht überschaubares Risi-ko bestanden, den Kaufpreis zu verlieren, ohne eine realistische Chance zu erhalten, an die bestellten Betäubungsmitteln zu gelangen. Sollte die Sendung an die Adresse des Angeklagten geschickt worden sein, wogegen – wie dargelegt – nach den bisherigen Feststellungen nichts spricht, hätte der Dritte in seine Planungen einbeziehen müssen, die Betäubungsmittel entweder vor der Auslieferung an den Angeklagten vorher abzufangen, wo-bei auch insoweit unklar bleibt, wie dies geschehen sollte, oder diese nach Auslieferung, aber vor Entleerung des Postkastens dort zu entnehmen, was letztlich eine mehrtägige Beobachtung der Postauslieferungen voraussetzen würde.

3. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO), da nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung ein-schließlich einer wertenden Gesamtschau aller belastenden und entlastenden Indizien im gebotenen Umfang zu einer Verurteilung den Angeklagten gelangt wäre.

IV.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil mitsamt den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

 

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