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Körperverletzungsdelikte unter Einfluss von Canabis

AG Brühl – Az.: 51 Ls 1/21 – Urteil vom 12.08.2021

Der Angeklagte wird kostenpflichtig wegen schwerer Körperverletzung, tateinheitlich begangen mit einer gefährlichen Körperverletzung, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren  verurteilt.

Eine Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Brühl vom 25.11.2020 (51 Cs – 972 Js #####/#### – 464/20), rechtskräftig seit dem 29.12.2020, unterbleibt.

Die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

(§§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 224 Abs. 1 Nr.5, 52, 53, 56 StGB)

Gründe

I.

Der heute 32 Jahre alte Angeklagte ist ledig und kinderlos. Er wurde in Brühl geboren und hat nach Abschluss der Hauptschule (10. Klasse) die weiterführende Handelsschule (kaufmännischer Bereich) erfolgreich absolviert. Danach durchlief er eine Ausbildung bei den Eisenwerken Brühl als Gießereimechaniker (schon sein Großvater war bei den Eisenwerken beschäftigt gewesen). Er arbeitet jetzt seit circa 10 Jahren bei den Eisenwerken, aktuell mit einem Monatsgehalt von 2.500 Euro (netto). Der Angeklagte, der einen jüngeren Bruder hat, leidet nach seinen insoweit glaubhaften Angaben immer wieder unter Depressionen (Behinderungsgrad: 70 Prozent). Er konsumiert seit seinem 18. oder 19. Lebensjahr regelmäßig Cannabis, Alkohol trinkt er hingegen kaum.

Der Angeklagte ist ausweislich des Bundeszentralregisters (BZR) nicht vorbestraft. Sein Auszug aus dem BZR (Stand: 05.08.2021) weist aktuell keine Eintragung aus. Allerdings wurde der Angeklagte – zur vorliegenden Sache gesamtstrafenfähig – am 25.11.2020 mit Strafbefehl des Amtsgerichts Brühl wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt (AG Brühl – 51 Cs – 972 Js #####/#### – 464/20, rechtskräftig seit dem 29.12.2020). Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte am 22.02.2020 gegen 16 Uhr in Brühl in der G-Straße dem Zeugen V unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlug, als er diesen auf dem Fahrrad passierte. Der Zeuge V, der zu dieser Zeit mit seinem Hund spazieren war, fiel durch den Schlag zu Boden und erlitt eine blutende Wunde an der Nase. Die Tatzeit in der Vorstrafensache 51 Cs 464/20 liegt zeitlich nach der Tatzeit in vorliegender Sache. Bereits am 19.10.2011 hatte das Amtsgericht Brühl – 51 Cs 490/11 – gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung erlassen (rechtskräftig seit 05.11.2011, zwischenzeitlich im Bundeszentralregister getilgt), wonach der Angeklagte am 27.07.2011 in Wesseling wegen eines seit längerer Zeit bestehenden Streites den Geschädigten H2 zwei Mal mit der Faust fest unter das Kinn schlug. Den Geschädigten H2 hatte der Angeklagte seinerzeit zufällig auf der T getroffen und unvermittelt zugeschlagen; der Geschädigte erlitt durch die Schläge eine Platzwunde über dem Kinn (diese Eintragung ist inzwischen im Bundeszentralregister gelöscht).

II.

Die Hauptverhandlung hat den nachfolgenden Sachverhalt ergeben:

Der Angeklagte und der Zeuge V wohnten zur Tatzeit Anfang September 2019 im selben Mehrfamilienhaus in der G-Straße in Brühl (Rheinland). Schon vor der hier angeklagten Tat kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen den beiden. Dabei provozierten sich die Genannten immer wieder auch wechselseitig, wobei der Angeklagte bei den Auseinandersetzungen zumeist aggressiver auftrat als der Zeuge V. So zeigte der Zeuge V den Angeklagten bereits am 29.03.2018 bei der Polizei in Brühl wegen einer Bedrohung am Vortag mit einer Machete an, die dieser ihm im Rahmen einer Mietstreitigkeit wortlos entgegengehalten haben soll. Zudem zeigte der Zeuge V den Angeklagten am 24.05.2019 an, wonach der Angeklagte den Zeugen V an diesem Tag morgens ohne jede Vorwarnung im Bereich der Mülltonnen des Mietshauses mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben soll.

Körperverletzungsdelikte unter Einfluss von Canabis
(Symbolfoto: Felix Mizioznikov/Shutterstock.com)

Am Montag, den 02.09.2019 gegen 15.50 Uhr trafen der unter der Wirkung von Cannabis stehende Angeklagte und der Zeuge V im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses G-Straße in Brühl zufällig aufeinander. Der Zeuge V, der zu dieser Zeit 60 Jahre alt, in einem reduzierten Allgemeinzustand und mit einer Größe von 1,75 m und einem Gewicht von ca. 73 kg dem Angeklagten körperlich klar unterlegen war, führte aufgrund seiner vorangegangenen schlechten Erfahrungen ein Pfefferspray bei sich, um sich im Fall eines erneuten Angriffs des Angeklagten gegen diesen wehren zu können. Aus durch das Gericht nicht abschließend aufklärbaren Gründen kam es zwischen den Genannten noch im Treppenhaus (Erdgeschoss) erneut zu einem heftigen Streit. Aus ebenfalls nicht abschließend aufklärbaren Gründen setzte der Zeuge V bei der Auseinandersetzung sein Pfefferspray ein und sprühte es in Richtung des Angeklagten. Dieser – selbst 1,80 m groß und 90 kg schwer – nahm den ihm körperlich unterlegenen Zeugen daraufhin in den Schwitzkasten und nahm ihm das Pfefferspray . Anschließend warf er den Zeugen V, der dabei mit seinem Kopf auf den Steinbelag des Treppenhauses fiel und sich dabei eine breitflächige Unterblutung der rechtsseitigen Kopfhaut sowie eine großflächige Schwellung der rechtsseitigen Kopfschwarte mit einer linksseitig im Schädelinnenraum einhergehenden, breitflächig ausgebildete Einblutung zuzog. Dem aufgrund der schweren Kopfverletzung nunmehr zu keinerlei Gegenwehr mehr fähigen Zeugen V trat der Angeklagte sodann aus Wut und Vergeltungssucht mehrfach mit seinem beschuhten Fuß gegen den Körper, wobei er jedenfalls 4 bis 5 Mal mit großer Wucht gegen den Kopf des Zeugen trat (dieser zog sich dabei eine Vielzahl von Verletzungen, u.a. eine hinter dem Augapfel befindliche Einblutung rechts [retrobulbäres Hämatom] und eine Kontusion links frontobasal, zu). Zudem trat der Angeklagte jedenfalls 2 bis 3 Mal gegen den Brustkorb des Zeugen, der dadurch mehrfache Rippenbrüche erlitt (11. und 12. Rippe).

Die von der Mutter des Angeklagten, der Zeugin D, zeitnah alarmierte Polizei, die unter Nutzung von Sonderrechten zum Tatort fuhr, traf gegen 16.07 Uhr vor Ort ein. Der zu diesem Zeitpunkt sehr aggressiv auftretende Angeklagte lief bei Eintreffen der Beamten, den Polizeikommissaren S und I1, aus dem Mehrfamilienhaus auf die Straße. Er behauptete gegenüber den Polizisten, er sei vom Zeugen V mit Pfefferspray angegriffen worden. Bei seiner Gegenwehr habe er den Zeugen V in den Schwitzkasten genommen und ihm das Pfefferspray aus der Hand geschlagen, dann habe er ihn zu Boden geworfen. Der Zeuge sei mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen, jetzt würde er dort liegen und nur „simulieren“. Im Hausflur fanden die Polizeibeamten den Zeugen V regungslos und nicht ansprechbar am Boden liegen. Der Notarzt äußerte vor Ort, dass möglicherweise mit einem Ableben des Zeugen V gerechnet werden muss; der Zeuge wurde sodann ins Brühler Marienhospital verbracht und von dort am selben Abend – aufgrund akuter Lebensgefahr – in die neurochirurgische Intensivstation der Unikliniken Köln verbracht.

Die Polizeibeamten sicherten vor Ort die Beweismittel und stellten u.a. ein Pfefferspray, welches im Hausflur neben dem Zeuge V auf dem Boden lag, sicher. Da vor Ort ein Drogentest des Angeklagten positiv auf Tetrahydrocannabinol verlief, wurde eine Blutprobe veranlasst. Diese wurde um 19.00 Uhr entnommen (Venülen-Nr. REK 20977, Entnahmearzt: B). Im Arztbericht zur Blutabnahme vom 02.09.2019 sind unter anderem folgende Einzelheiten zum Angeklagten festgehalten: Gang: sicher; Drehnystagmus: feinschlägig; Finger-Finger-Prüfung: unsicher; Finger-Nasen-Prüfung: unsicher; Sprache: deutlich; Pupillen: stark erweitert; Pupillenlichtreaktion: verzögert; Bewusstsein: klar; Denkablauf: sprunghaft; Verhalten: redselig; Stimmung: unauffällig. Nach dem Gesamteindruck des Arztes stand der Angeklagte leicht unter Drogeneinfluss. Ausweislich des wissenschaftlichen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität zu Köln vom 26.09.2019 erbrachte die chemisch-toxikologische Untersuchung sowie die damit einhergehenden immunchemischen Analysen der Blutprobe des Angeklagten folgenden Befund hinsichtlich eines Konsums von Betäubungsmitteln:

Amfetamine negativ

Benzodiazepine negativ

Cannabinoide positiv

Cocain negativ

Methadon negativ

Opiate negativ

Durch die chromatographischen Untersuchungen konnten im Blut folgende Befunde erhoben werden:

  • Tetrahydrocannabinol (THC) . 4,6 µg/L Serum
  • Hydroxy-∆-9-Tetrahydrocannabinol (OH-THC) 1,4 µg/L Serum
  • 11-Nor-∆-9-THC-9-Carbonsäure (THC-COOH) 81 µg/L Serum

Auch am Folgetag bestand weiterhin Lebensgefahr für den Zeugen V, der bei dem Vorfall ein Schädelhirntrauma mit Subduralhämatom (links/frontal) erlitten hat, zudem Frakturen des Nasenbeins sowie der 11. und 12. Rippe (jeweils links), ferner eine Kontusion links frontobasal sowie ein retrobulbäres Hämatom.

Der Zeuge V, der nach der Tat eine Zeitlang im Koma lag, leidet noch heute an einer erheblichen Gangstörung und ist seit dem Vorfall auf einen Rollator angewiesen, wenn er längere Strecken gehen muss. Seine Erwerbsarbeitsstelle hat er aufgrund der erlittenen Verletzungen vollständig aufgeben müssen, er ist seit der Tat zu 100 Prozent erwerbsunfähig. Die zwischenzeitlich am 16.09.2019 für ihn eingerichtete Betreuung (Amtsgericht Brühl – 81 XVII 141/19) konnte zwischenzeitlich wieder aufgehoben werden.

III.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie aufgrund der in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel.

1.

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, er sei am 02.09.2019 nachmittags im Treppenhaus des Mietgebäudes unvermittelt auf den Zeugen V getroffen. Dieser habe ihn sofort und ohne jeden Grund mit Pfefferspray besprüht. Er habe sich dann gewehrt und den Zeugen in den Schwitzkasten genommen. Das Pfefferspray habe er ihm aus der Hand genommen, danach sei der Zeuge zu Boden gegangen, wobei er beim Aufprall auf den Boden mit dem Kopf aufgeschlagen sei. Dass der Zeuge unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen sei, habe er den Beamten auch direkt gesagt. Ihm täte es leid, was dem Zeugen widerfahren ist. Allerdings würde der Zeuge V ihn und seine Mutter seit mehreren Jahren terrorisieren. Er räume allerdings ein, dass er an dem Tag mehrfach, höchstens aber vier Mal, gegen den Körper des am Boden liegenden Zeugen V eingetreten habe. Dabei habe er normale Sportschuhe, also keine festen Arbeitsschuhe o.ä., getragen. Er wisse nicht genau, welche Körperteile er dabei getroffen habe, er habe Angst gehabt, dass der Zeuge noch ein Messer zieht und ihn erneut angreifen würde. Er meine eigentlich, dass der Zeuge auf die Anklagebank gehöre, nicht er. Man müsse sich doch verteidigen dürfen. Richtig sei, dass er noch Stunden später den Beamten in der Wache gesagt habe, der Gesundheitszustand des Verletzten gehe ihm „am Arsch vorbei“. Er sei da wütend gewesen, dass man ihn festhalte, egal ob da Lebensgefahr für den Mann bestanden habe. Denn schließlich habe er nichts falsch gemacht und sei unschuldig. Das sehe er heute nicht anders als damals.

2.

Der Zeuge V hat bei Gericht bekundet, dass er an den eigentlichen Vorfall bis heute keine Erinnerung habe. Aufgrund der erlittenen Kopfverletzungen habe er diesbezüglich eine große Erinnerungslücke. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass er den Angeklagten am 02.09.2019 angegriffen habe, dafür habe er keinen Grund gehabt. Vielleicht sei er vom Angeklagten mal wieder angegriffen und geschlagen worden, wie schon zuvor passiert. Wissen tue er es aber nicht. Ganz sicher habe er den Angeklagten nicht grundlos angegriffen, der Angeklagte sei viel stärker und fitter als er. Das Pfefferspray habe er seit der Gewalt und den Drohungen, die vom Angeklagten zuvor immer wieder ausgegangen waren, zum Selbstschutz gekauft. Seit dem Vorfall ginge es ihm sehr schlecht, seine Arbeitsstelle habe er verloren, er habe zweitweise sogar unter Betreuung gestanden, als er 3 Wochen im Koma gelegen habe. Er könne nach wie vor schlecht gehen, sei zu 60 Prozent schwerbehindert und seit dem Angriff des Angeklagten am 02.09.2019 sei er vollständig erwerbsunfähig. Er bekomme nur eine kleine Rente, der Angeklagte habe sein Leben kaputt gemacht. Weiter hat der Zeuge V im Rahmen seiner Aussage konkretisiert, dass es schon einige Jahre vor dem hier verhandelten Vorfall etliche Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten gegeben hat. So habe der Angeklagte ihm ca. drei Jahre vor dem Vorfall vorgeworfen, sein Hund hätte die Mutter des Angeklagten im Keller des Mietshauses angefallen. Der Angeklagte habe ihn deswegen damals auf die Straße geschubst. Selbst nach dem Vorfall am 02.09.2019 habe der Angeklagte keine Ruhe gegeben und ihn – den Zeugen – erneut angegriffen, nachdem er nach der Reha wieder zurück in seiner Mietwohnung war. So habe ihn der Angeklagte am 22.02.2020 nachmittags vor dem Mietshaus in der G-Straße grundlos ins Gesicht geschlagen, dadurch sei er auf die Straße gestürzt und habe sich erneut eine blutige Nase geholt. Erst nachdem der Angeklagte ausgezogen ist, sei es in der Nachbarschaft wieder friedlich zugegangen.

Die Zeugen S und I1 haben vor Gericht bestätigt, dass sie nur wenige Minuten nach dem Notruf am Tatort eingetroffen seien. Der Angeklagte sei aus dem Haus gelaufen gekommen und habe gerufen, dass er Pfefferspray im Gesicht hätte. Im Treppenhaus im Bereich des Erdgeschosses hätten die Beamten dann den Geschädigten V reglos auf dem Boden liegend vorgefunden. Der Geschädigte habe stark geröchelt, man habe ihn zügig in eine stabile Seitenlage gebracht. Der Zeuge V sei in der gesamten Zeit nicht ansprechbar gewesen, er habe sichtbare Kopfverletzungen gehabt. Der Zeuge S habe sich dann um den Verletzten gekümmert, der Zeuge I1 habe den Angeklagten befragt. Dieser habe eingeräumt, dass er den Zeugen im Treppenhaus zu Boden geworfen habe und der dann auf den Kopf gefallen sei. Allerdings habe der Angeklagte wenig Mitgefühl gehabt und direkt behauptet, der Zeuge V würde nur „simulieren“. Der Notarzt, der ebenfalls zeitnah eingetroffen sei, habe dann allerdings ein baldiges Ableben des Geschädigten für möglich erachtet. Im Bereich des Geschädigten sei auf dem Boden ein Pfefferspray sichergestellt worden, da seien auch Blut und die Brille des Opfers gewesen. Die Zeugin X1 hat zudem bekundet, dass der Angeklagte nach ihrer Erinnerung keine Sicherheits- oder schweren Arbeitsschuhe, sondern Turnschuhe getragen hat, als sie ihn später aus dem Polizeigewahrsam nach Hürth zur Vernehmung abgeholt hat.

Die Zeugin N hat bei Gericht betont, die körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeuge V im Treppenhaus nicht mitbekommen zu haben. Das habe sie erst von den Nachbarn erfahren, allerdings hätten sich der Angeklagte und der Zeuge V meist wie kleine Jungs verhalten. Zwischen den beiden sei es schlimm gewesen, die hätten sich immer wieder angezickt. Einmal sei die Lippe des Zeugen V dick und blutig gewesen, da soll ihm der Angeklagte eine reingehauen haben. Die hätten sich halt immer angeschrien, jetzt wo der Angeklagte ausgezogen ist, sei es in dem Haus wunderbar. Sie selbst sei vom Angeklagten nicht belästigt worden. Allerdings habe er sie und andere Mieter einmal mit einer Machete bedroht. Da habe sie schon Angst vor ihm bekommen.

Die Zeugin G, die ebenfalls im G-Straße wohnt, bestätigt im Rahmen ihrer gerichtlichen Aussage, dass sich der Angeklagte und der Geschädigte V nicht gut verstanden hätten. Dem Angeklagten habe man nichts sagen dürfen, der habe sich immer gleich angegriffen gefühlt. Von dem eigentlichen Vorfall im Treppenhaus habe sie am Tattag nichts mitbekommen, sie habe aber die Blutlache und die Sachen vom Notarzt Treppenhaus gesehen, als sie später nach Hause gekommen sei. Ansonsten habe sie den Angeklagten als schwierig empfunden, so habe er ihr einmal die Sicherung von der Waschmaschine rausgedreht. Jedenfalls glaube sie das, beweisen könne sie es nicht. Mit dem Geschädigten habe sie sich soweit gut verstanden. Auch die Zeugin C2, ebenfalls eine Mieterin in dem Haus, konnte im Rahmen ihrer Vernehmung die Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten bestätigen, auch sie hat den Angeklagten als aggressiven Part wahrgenommen. Von dem Vorfall im Treppenhaus habe sie ebenfalls nichts mitbekommen, sie sei gerade mit dem Auto angekommen, als der Geschädigte aus dem Haus getragen wurde. Sie habe den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte und der Zeuge V erst gut miteinander ausgekommen seien. Für sie sei der Angeklagte dann zunehmend neidisch auf den Zeugen V geworden, weil bei dem alles gut gelaufen sei mit Job, Führerschein und Auto. Der Angeklagte habe dann angefangen, den Zeugen zu piesacken, so habe er auf die Zeitungen, die der Zeuge austrägt, angeblich Kaffee und Wasser gegossen. Er soll auch dessen Auto beschädigt haben, das wisse sie aber nur von Gerüchten her, gesehen habe sie das nicht. Es sei dann oft zum Streit zwischen den beiden gekommen, der Zeuge V habe zumeist versucht, dem Angeklagten einfach aus dem Weg zu gehen. Einmal habe sie mitbekommen, dass der Angeklagte die Türe zur Wohnung des Zeugen V eingetreten hat. Als sie ihn fragte, was er da mache, habe der Angeklagte auch sie bedroht und gemeint, sie solle zurück in die Wohnung gehen und ihre Türe zu machen, sonst „bekäme sie auch etwas ab“. Der Angeklagte habe sie auch einmal im Bereich des Hauseinganges grundlos angerempelt, irgendwie sei er mit keinem im Haus gut ausgekommen.

Die Zeugin D, die Mutter des Angeklagten, die zum Tatzeitpunkt gemeinsam mit dem Angeklagten in dem Mietshaus gewohnt hat, hat ausgesagt, sie habe gesehen, wie der Zeuge V ihrem Sohn Pfefferspray ins Gesicht gesprüht habe. Sie sei zuvor durch das Geschrei auf die Sache aufmerksam geworden und sei raus ins Treppenhaus gegangen. Sie habe gerufen, die beiden sollten aufhören. Da sie wegen des Pfeffersprays nicht mehr habe atmen können, sei sie zurück in die Wohnung. Sie habe das Fenster weit aufgemacht und zwei Minuten atmen müssen, um überhaupt wieder klar zu sein. Dann sei sie erneut ins Treppenhaus, da habe der Zeuge V ihren Sohn so in die Ecke gedrängt und an die Wand gedrückt, wie in einem „Käfig“ sei ihr Sohn da gewesen. Dann habe sie erneut in die Wohnung gemusst, weil sie am Fenster wieder frische Luft holen habe müssen. So schlimm sei das Spray gewesen, alles hätte ihr gebrannt. Als sie nach zwei Minuten erneut in den Flug gegangen sei, habe sie erneut gerufen, die beiden sollten aufhören. Der Mann sei ja viel älter als ihr Sohn, sowas ginge niemals gut. Und dann würde man es ihrem Sohn vorwerfen. Sie habe dann gesehen, wie der Zeuge C1 gegangen sei. Ihr Sohn sei unschuldig, der Zeuge V gehöre auf die Anklagebank. Er habe sie und ihren Sohn immer wieder terrorisiert, er habe extra den Hund freigelassen, obwohl sie Angst vor Hunde habe und die Räder ihres Sohnes geklaut. Allerdings könne sie das nicht beweisen. Es könne aber nur der Zeuge V gewesen sein. Im Übrigen sei ihr Sohn kein gewalttätiger Mensch. Er würde niemals Gewalt anwenden, dabei bleibe sie auch, wenn das Gericht ihr vorhalte, dass der Angeklagte durchaus die Anwendung von Gewalt bei verschiedenen Gelegenheiten vor Gericht eingeräumt habe.

3.

Danach geht das Gericht aufgrund der Zeugenaussagen davon aus, dass es aufgrund der allseits bestätigten, jahrelangen und vielfachen Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten V am 02.09.2019 im Treppenhaus des Wohnhauses erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen den Letztgenannten gekommen ist, bei der der Zeuge V ein von ihm mitgeführtes Pfefferspray gegen den Angeklagten eingesetzt hat. Die gerichtlich gehörten Zeugen V, N, G, C2 und D haben übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass es schon Jahre vor dem Vorfall im Treppenhaus immer wieder zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten gekommen ist, wobei die Zeugen V, N, G und C2 den Angeklagten als Hauptaggressor wahrgenommen haben. Das Gericht hat keinen Grund, am Wahrheitsgehalt der Aussagen der letztgenannten Zeugen zu zweifeln. Die Zeugen N, G und C2 haben, auch wenn sie den Angeklagten eindeutig als Hauptstörenfried im Mietshaus empfunden haben, gleichwohl ihre Bekundungen ohne übermäßige Belastungstendenz getätigt. So haben sie immer wieder Erinnerungslücken eingeräumt und auch stets klargestellt, wenn sie bestimmte Umstände nur vom Hörensagen kennen oder es sich um Vermutungen ihrerseits handelt. Gerade der Zeuge V hat im Rahmen seiner Vernehmung unumwunden eingeräumt, am eigentlichen Vorfall keinerlei Erinnerung zu haben. Er hat somit die Gelegenheit nicht ausgenutzt, den Angeklagten durch Falschbehauptungen trotz fehlender Erinnerung zu Unrecht zu belasten. Dass der Zeuge V in den Jahren vor dem hier verurteilten Vorfall, aber zeitlich auch danach, vom Angeklagten immer wieder bedroht und mitunter auch verletzt worden ist, wird zudem nicht nur durch die Zeugenaussagen der Zeuginnen N, G und C2 bestätigt, sondern auch durch die in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesenen Vorstrafenakte des Angeklagten (Amtsgericht Brühl 51 Cs 464/20) untermauert, ebenso durch die weiteren in die Hauptverhandlung eingeführten Ermittlungsakten zu den Anzeigen und der weiteren Vorverurteilung des Angeklagten von 2011 (Amtsgericht Brühl – 51 Cs 490/11). Andererseits hat das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass auch der Zeuge V ein gewisses Aggressions- und Gewaltpotenzial aufweist, was bereits durch das Mitführen eines Pfeffersprays – und sei es auch nur zur Selbstverteidigung – belegt ist.

Zudem hat die Zeugin D (die die Mutter des Angeklagten ist und die über weite Strecken ihrer Aussage zugunsten ihres Sohnes die Unwahrheit gesagt hat) gleichwohl glaubhaft bekundet, dass der Zeuge V ihr und ihrem Sohn immer wieder mit kleineren Provokationen zugesetzt hat. Auch die diesbezügliche Einlassung des Angeklagten wirkte für das Gericht ehrlich und überzeugend. Letztlich belegt wird das teilweise unangemessene Verhalten des Zeugen V, der den Hausmitbewohnern mitunter in einer Art „angemaßter Hausmeisterfunktion“ diverse Regeln auferlegen wollte, auch durch die in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken einbezogene Ermittlungsakte StA Köln 942 Js #####/####: Der Zeuge V hat – letztlich widerwillig – eingeräumt, dass er die dortigen anonymen, durchaus bedrohlich abgefassten „Nachrichten“ an andere Mieter selbst verfasst hat.

4.

Danach geht das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zugunsten des Angeklagten davon aus, dass der Zeuge am Tattag das Pfefferspray im Treppenhaus ohne tragfähigen Grund (etwas anderes ist jedenfalls nicht zu beweisen) gegen den Angeklagten eingesetzt hat. Dass es zu der Auseinandersetzung im Treppenhaus gekommen ist, hat der Angeklagte nicht nur in der gerichtlichen Hauptverhandlung, sondern bereits unmittelbar vor Ort bei Eintreffen der Polizeibeamten I1 und S eingeräumt. Der Zeuge I1 hat diesbezüglich im Rahmen seiner gerichtlichen Aussage bestätigt, dass der Angeklagte gegenüber den Beamten noch am Tatort klargestellt habe, dass er vom Zeugen V grundlos angegriffen worden sei und er sich dann nur gewehrt habe. Der Angeklagte habe eingeräumt, dass er den Zeugen in den Schwitzkasten genommen und ihm so das Pfefferspray aus der Hand habe schlagen können. Weiter habe der Angeklagte noch am Tatort zugegeben, dass er den Zeugen V sodann zu Boden geworfen habe, wobei der dann mit dem Kopf auf den Boden aufgeschlagen sei. Insgesamt sei der Angeklagte den Beamten gegenüber sehr aggressiv aufgetreten und er habe sich nur langsam beruhigt.

5.

Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. H, Arzt für Rechtsmedizin am Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln, steht zudem zweifelsfrei fest, dass für das komplexe Verletzungsbild des Zeugen V nur eine Vielzahl von Tritten und Schlägen verantwortlich sein können.

Der Sachverständige hat diesbezüglich in der Hauptverhandlung überzeugend ausgeführt, dass er den Zeugen V am Mittag des 03.09.2019 auf der neurochirurgischen Intensivstation der Universitätsklinik Köln rechtsmedizinisch untersucht hat. Dem kriminalpolizeilichen Untersuchungsauftrag zufolge sollte geklärt werden, inwieweit die Verletzungen des Zeugen V auf das vom Angeklagten geschilderte Sturzgeschehen zurückgeführt werden können oder sie vielmehr – gegebenenfalls zum Teil – das Resultat von zuvor zugefügten Verletzungen mittels körperlicher Gewalt sind. Der Sachverständige hat im Rahmen der Befunduntersuchung bei dem, zu diesem Zeitpunkt sedierten, intubierten und nicht ansprechbaren Geschädigten eine Vielzahl von Verletzungen und Verletzungsfolgen festgestellt und in seiner schriftlichen Befunderhebung vom 11.09.2019 dokumentiert (siehe Sonderheft IfRM „Gutachten körperl. Untersuchung“). Nach dem klinischen Befund bestand für den Zeugen V zum Untersuchungszeitpunkt eine potentielle akute Lebensgefahr aufgrund der Einblutung in die Schädelhöhle, wobei diese Einblutung aufgrund der klinischen Feststellungen nicht durch eine Blutgerinnungsstörung des Geschädigten verstärkt worden sei. Die Einblutungen im Schädelinnenraum seien klinisch linksseitig lokalisiert worden, es habe eine Unterblutung der harten Hirnhaut vorgelegen, primär im vorderen Anteil sowie zwischen Großhirn und Kleinhirn und an der Hirnsichel. Zudem sei eine – mutmaßliche prellungsbedingte – Schädigung im linksseitigen vorderen Hirnbasisanteil dokumentiert, ferner seien u.a. im linksseitigen hinteren Großhirnanteil Hirngewebseinblutungen festgestellt worden. Die linksseitige Hirnhälfte habe eine Schwellung mit Einengung von Anteilen des linksseitigen Hirnkammersystems aufgewiesen. Bei Berücksichtigung der breitflächigen Unterblutung der rechtsseitigen behaarten Kopfhaut sowie der computertomographisch nachgewiesenen großflächigen Schwellung der rechtsseitigen Kopfschwarte sei die breitflächig ausgebildete Einblutung im Schädelinnenraum linksseitig durchaus vereinbar mit dem Vorliegen eines Gegenstoßherds. Diesbezüglich käme mithin eine sturzbedingte Entstehung der beschriebenen Einblutungen mit deutlich energiereichem Aufkommen auf festem Untergrund als verursachend plausibel in Betracht.

Allerdings konnte der Sachverständige zahlreiche weitere Verletzungen beim Zeugen V feststellen, u.a. im Bereich des rechten Augenbrauenwulstes punktförmige Hauteinblutungen sowie kleinflächige Schürfwunden (auch war das rechte Augenlid sowohl im unteren wie oberen Bereich deutlich geschwollen). Weiter konnte der Sachverständige beim Geschädigten eine hinter dem Augapfel befindliche Einblutung feststellen (retrobulbäres Hämatom), wobei das Augenunterlid großflächig unterblutet war. Das linke Augenoberlid wiederum wies bei der Untersuchung kleinfleckige Hautschürfungen auf. Beim vorsichtigen Öffnen des linken Augenunterlides konnte der Sachverständige grobfleckige Einblutungen feststellen, auch die rechte Ohrmuschel wies eine Gewebseinblutung auf. Die Streckseite des linken Ellenbogens des Geschädigten wies zudem eine 8 cm M, düsterrötliche Unterblutung mit Gewebsschwellung und eingelagerten Hautschürfungen auf. Beim rechten Unterarm stellte der Sachverständige beugeseitig zahlreiche – bis zu 1,5 cm durchmessende – Hautunterblutungen fest. Am rechten Handrücken konnten zwei Hautunterblutungen in Verlängerung des 3. Strahls – jeweils ca. 2 cm durchmessend – festgestellt werden. Die Haut der linken Flanke des Zeugen V wies zudem in der vorderen Achselfaltenlinie eine quer verlaufende 1 cm x 0,3 cm messende rötliche Hauteinblutung auf, eine weitere Hauteinblutung konnte auch ungefähr 3 cm unterhalb der vorderen Achselfalte links festgestellt werden. Weiter konnte der Sachverständige im Bereich der Haut der rechten Achselfalte in Höhe des unteren Rippenbogens eine ca. 1,5 cm x 1 cm messende, wenig intensive rot-bläuliche Hautunterblutung dokumentieren. Die vorderseitige Brusthaut wies bei der rechtsmedizinischen Untersuchung am 03.09.2019 zudem im Bereich des rechten unteren Rippenbogens – ca. 4 cm unterhalb der Brustwarzenhöhe – eine bereits deutlich grünliche Hautunterblutung auf. Diese (und die weiteren dokumentierten Verletzungen) sind aus rechtsmedizinischer Sicht Belege für eine mehrfache stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Körper, insbesondere gegen den Kopf des Geschädigten V. So ist die nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen bei der Untersuchung der rechtsseitigen Schläfenhaaransatzgrenze sowie der behaarten Kopfhaut im Bereich des rechten Scheitelbeins vorgefundene, langstreckig von vorne nach hinten ausgebildete Hautunterblutung im Bereich der knöchernen Prominenz sicher durch die Einwirkung stumpfer Gewalt verursacht worden. Auch die bei der Untersuchung der rechtsseitigen Stirnhaut sowie der Kopfhaut hinter dem rechten Ohr dokumentierten Hauteinblutungen weisen nach dem Sachverständigen auf eine Verursachung durch energiereiche Einwirkung hin, wobei insoweit eine Tritteinwirkung mit einem beschuhtem Fuß in Betracht kommt. Auch das im Rahmen der klinischen Untersuchung festgestellte Retrobulbärhämatom, welches aufgrund der Intensität der Einblutung eine chirurgische Entlastung erfordert hat, ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen unzweifelhaft auf ein energiereiches Einwirken einer prominenten stumpfen Struktur gegen das rechte Auge zurückzuführen. Auch insoweit komme – angesichts der fehlenden Hinweise auf großflächige Schürfungen der prominenten Begrenzung des rechten Auges sowie fehlenden Hinweisen auf Knochenbrüche – ausdrücklich eine Schlag- oder Tritteinwirkung als verursachend in Betracht. Ebenso spreche die im Rahmen der klinischen Untersuchung und der CT-Aufnahmen verifizierbare Bruchbildung des Nasenbeins (Nasenbeinfraktur) unzweifelhaft für eine Einwirkung stumpfer Gewalt gegen die Nase des Geschädigten. Ein weiterer Beleg für eine stumpfe Gewalteinwirkung mit einem beschuhten Fuß sei auch in der Schürfung bzw. Blutkrustenantragung der linken Augenbraue mit Hautunterblutung der linksseitigen Stirnhaut zu sehen, obwohl die linksseitige Stirnhaut aufgrund der Pflasterfixierung der Hirndrucksonde für den Sachverständigen zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nur eingeschränkt beurteilbar war. Soweit die rechte Kopfseite eine Hautunterblutung aufgewiesen habe, so sei diese durch einen breitflächig erfolgten Kontakt mit einer stumpfen Struktur – wie einem Steinfußboden – erklärbar, also grundsätzlich auch sturzbedingt möglich. Allerdings seien auch die weiteren Verletzungsbefunde im Bereich der rechtsseitigen Stirn sowie der rechtsseitigen behaarten Kopfhaut hinter dem rechten Ohr ohne weiteres durch stumpfe Tritteinwirkung erklärbar, ebenso die Verletzungen im Bereich des rechten Auges sowie der Nase des Geschädigten. Das gleiche gilt nach den Ausführungen des Sachverständigen für die klinisch belegten Brüche der 12. Rippe (sowohl rechts wie links), die mit einer stumpfen oder stumpfkantigen Gewalteinwirkung gegen den rechtsseitigen sowie den linksseitigen Brustkorb einhergehen. Schließlich weisen auch die zahlreichen kleinfleckigen Hautunterblutungen im Bereich der beiden Flanken des Zeugen V sowie die festgestellten Schürfungen an seiner Stirnhaaransatzgrenze, an seiner linken Schulter, an seinem linken Ellenbogens sowie an seinem Becken schon aufgrund ihrer weiten Verteilung auf eine Beifügung im Rahmen eines dynamischen Geschehens hin.

Danach sind als Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung des Zeugen V die Zeichen mehrfacher stumpfer Gewalteinwirkung gegen dessen Körper, insbesondere gegen dessen Kopf, nachgewiesen. Die dargestellten Verletzungsbefunde an der rechtsseitigen Schläfen-Haaransatzgrenze, der behaarten Kopfhaut im Bereich des rechten Scheitelbeins, der rechtsseitigen Stirnhaut, der Haut hinter dem rechten Ohr, an der Nase, sowie in der rechten Augenhöhle, an der linksseitigen Stirn, und an der 12. Rippe rechts und an der 12. Rippe links, in der Haut beider Flanken, der linken Schulter, des linksseitigen Ellenbogens sowie der Haut des rechtsseitigen Beckens, lassen sich aufgrund ihrer Anzahl und ihres Verteilungsbildes am Körper nicht durch einen einseitigen Sturz auf den Kopf erklären. Aufgrund der Anzahl sowie der räumlich getrennt voneinander vorliegenden Lokalisationen der Verletzungen können diese auch nicht (die einzige) Folge eines unglücklichen Sturzverlaufes sein, vielmehr muss angesichts des Verletzungsbildes von einer Verursachung durch mehrere weitere stumpfe Gewalteinwirkungen, etwa in Form von Schlägen oder Fußtritten, ausgegangen werden.

Im Übrigen hat der Sachverständige klargestellt, dass allein die erhebliche Aufschlagsenergie beim Sturz auf den Treppenhausboden das Schädel-Hirn-Trauma beim Zeugen V ausgelöst haben kann. In jedem Fall aber sei der Zeuge V nach dem Sturz auf den Kopf zu keinerlei aktiver Gegenwehr mehr fähig gewesen, eventuell hätte er noch für kurze Zeit seinen Arm schützend vor sich halten können, als der Angeklagte immer wieder auf ihn eingetreten hat.

Das Gericht macht sich die skizzierten, in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft erarbeiteten Erkenntnisse des Sachverständigen im Rahmen der Beweiswürdigung zu Eigen. Der Sachverständige ist dem Gericht seit vielen Jahren als kompetenter und zuverlässiger Gutachter bekannt, es hat an dessen rechtsmedizinischer wie sonstiger fachlicher Eignung keinerlei Zweifel.

IV.

Der Angeklagte hat sich somit wegen einer schweren Körperverletzung in Tateinheit mit einer gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 224 Abs. 1 Nr. 5, 52 StGB strafbar gemacht.

Der Zeuge V ist aufgrund der erheblichen Gewalteinwirkung des Angeklagten seit der Tat zu 100 Prozent arbeitsunfähig, er hat nach wie vor erhebliche Gehstörungen und ist seit der Tat bei längeren Wegstrecken auf einen Rollator angewiesen. Danach geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge V durch die Tat des Angeklagten in Siechtum geraten ist (wobei seine Hinfälligkeit von nicht absehbarer Dauer ist, so dass es auf eine sich möglicherweise irgendwann einstellende Besserung der gesundheitlichen Lage des Geschädigten nicht ankommt, vgl. nur Fischer, StGB-Kommentar, 68. Auflage, § 226 Rn. 11).

Der Angeklagte kann sich hinsichtlich seiner Tat nicht auf Notwehr (§ 32 StGB) berufen. Jedenfalls mit dem Verlust des Pfeffersprays wäre ein – aufgrund des Zweifelssatzes hier zugunsten des Angeklagten angenommener Angriff des Zeugen V – objektiv fehlgeschlagen und der dem Angeklagten in jeder Hinsicht unterlegene Zeuge V mit seinem Angriff endgültig gescheitert gewesen. Danach lag, als der Angeklagte den Geschädigten im Treppenhaus zu Boden geworfen hat, erst recht nicht, als er auf dem am Boden liegenden Zeugen mehrfach – teils massiv – eingetreten hat, kein gegenwärtiger Angriff im Sinne des Notwehrrechts mehr vor. Vielmehr war allein die Abwehr des Angeklagten, als er den Geschädigten in den Schwitzkasten genommen und ihm das Pfefferspray aus der Hand geschlagen hat, eine vom Notwehrrecht gedeckte, erforderliche und geeignete Abwehrhandlung. Nach Überzeugung des Gerichts liegt vorliegend in der maßlosen Gewaltanwendung des Angeklagten vielmehr ein (extensiver) Notwehrexzess begründet, so dass auch § 33 StGB nicht zugunsten des Angeklagten greift (vgl. nur BGH NStZ 2002, 141 – dort Rn. 2 m.w.N.). Es kann dahinstehen, dass der Schuldausschließungsgrund des § 33 StGB ohnehin den Gewaltexzess des Angeklagten nicht zu exkulpieren vermag: Der Angeklagte hat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach fester Überzeugung des Gerichts die Grenzen der Notwehr nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, sondern allein aus sogenannten sthenischen Affekten, hier aus Wut und Rachegelüsten, absichtlich überschritten: Noch am Tatabend hat er gegenüber der Polizei bekundet, der Zustand des zu dieser Zeit in Lebensgefahr befindlichen Zeugen V „ginge ihm am Arsch vorbei“. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte den Geschädigten nicht nur vor der hier verurteilten Tat vielfach misshandelt und gepiesackt hat, erst Recht sein Verhalten am 22.02.2020, an dem er dem Zeugen V in der G-Straße in Brühl erneut völlig grundlos und unvermittelt mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat, belegt, dass der Angeklagte überaus gewaltbereit ist und in Bezug auf den Geschädigten allein aus niederen Machtinstinkten und Freude an seiner kräftemäßigen Überlegenheit agiert.

Die zuletzt vorgetragene Behauptung der Verteidigung, der Angeklagte habe nicht gewusst, dass der Zeuge V beim Sturz auf den Kopf gefallen sei und deshalb auch nicht wissen können, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe („der könnte ja noch ein Messer ziehen!“), geht fehl: Der Angeklagte hat schon bei Eintreffen der Polizei betont, dass der Geschädigte bei der Abwehr des Pfeffersprayangriffs schließlich auf den Kopf gefallen sei. Diese Einlassung hat er zu Beginn der Hauptverhandlung auch mehrfach wiederholt. Danach hat der Angeklagte den Kopfaufschlag auf den Steinboden des Treppenhauses sehr wohl wahrgenommen, seine insoweit zum Ende der Hauptverhandlung neue Einlassung bewertet das Gericht daher als reine Schutzbehauptung.

Die schwere Körperverletzung, deren Strafrahmen hier gemäß § 52 Abs. 2 StGB maßgeblich ist, ist B § 226 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

Ein minderschwerer Fall der schweren bzw. gefährlichen Körperverletzung – und damit eine Strafrahmenverschiebung zugunsten des Angeklagten – scheidet vorliegend aus (vgl. §§ 226 Abs. 3, 224 Abs. 1 a. E. StGB). Der Angeklagte hat bei der Tatausführung überaus roh und brutal gehandelt und sein Opfer durch seine zahlreichen Tritte und Attacken in akute Lebensgefahr gebracht. Der Zeuge V leidet noch heute deutlich unter den Folgen der Tat vor beinahe 2 Jahren, sein Alltag ist aufgrund der langwierigen Verletzungsfolgen noch heute deutlich spürbar eingeschränkt. Allein der Umstand, dass das Gericht mangels unmittelbarer Tatzeugen zugunsten des Angeklagten davon ausgeht, dass der Zeuge V ein Pfefferspray gegen ihn eingesetzt hat, begründet vorliegend – wenn auch ausnahmsweise – ebenfalls keinen minder schweren Fall: Der Angeklagte hat ausweislich des Ergebnisses der Beweisaufnahme den Zeugen V, aber auch andere Mieter des Wohnhauses, über Jahre immer wieder provoziert und verbal wie körperlich angegriffen, geschlagen und bedroht. Bei dieser Sachlage ist es objektiv nachvollziehbar, dass der Zeuge V sich aus Angst vor der Gewaltbereitschaft des Angeklagten sowie aus Gründen des Selbstschutzes mit einem Pfefferspray ausgestattet hatte. So das Gericht zugunsten des Angeklagten in Bezug auf den gegen ihn gerichteten Pfeffersprayeinsatz trotz seines strafbaren Vorverhaltens gleichwohl ein Notwehrrecht bejaht, so steht eben dieses gesetzeswidrige Vorverhalten des Angeklagten gegenüber dem Zeugen V und anderen Mietern des Wohnhauses hier der Annahme eines minderschweren Falles entgegen. Da der Angeklagte zudem die zahlreichen Tritte gegen sein Opfer allein aus Wut und Rachsucht ausgeführt hat (s.o.), hebt sich vorliegend im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung das Tatbild einschließlich aller subjektiven Elemente, der Täterpersönlichkeit sowie aller belastenden und entlastenden Umstände nicht derart vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle ab, dass die Anwendung eines milderen Ausnahmestrafrahmens hier zugunsten des Angeklagten geboten erscheint.

Auch war die Steuerungs- und/oder Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit am Nachmittag des 02.09.2019 nicht erheblich vermindert, vgl. § 21 StGB. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H vom Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln stand der Angeklagte zwar bei der Tat unter dem Einfluss von Cannabis. Die in seinem Blut festgestellten Werte (Tetrahydrocannabinol: 4,6 µg/L Serum) waren indes nach der Bewertung des Sachverständigen nicht nennenswert hoch, die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatausführung könne dadurch nicht nennenswert beeinträchtigt gewesen sein. Vielmehr sei der Angeklagte zur Tatzeit in dem – vergleichsweise engen – Treppenhaus des Mietgebäudes situativ wie motorisch in der Lage gewesen, sich (zunächst) angemessen gegen den Angriff des Zeugen V wehren, indem er den Zeugen in den Schwitzkasten genommen und ihm die Pfefferspraydose aus der Hand geschlagen hat. Für den Blutentnahmearzt stand der Angeklagte am Tattag lediglich „leicht“ unter dem Einfluss von Drogen, sein Bewusstsein war klar, seine Stimmung unauffällig, seine Motorik ohne erkennbare Einbußen und sein Denkablauf lediglich sprunghaft. Auch der Umstand, dass der Angeklagte den zeitnah am Tatort eintreffenden Polizeibeamten sofort erklärt hat, die Kopfverletzungen des Geschädigten seien auf einen Sturz zurückzuführen, zeigt, dass der Angeklagte zur Tatzeit situativ orientiert war (mit der spontan geäußerten „Sturzerklärung“ wollte der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts gegenüber den Polizeibeamten noch am Tatort seine vorherige, massive Gewaltanwendung schlicht vertuschen). Danach kann die Frage einer grundsätzlichen Enthemmung des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund vorangegangen Cannabiskonsums nur bei der Strafzumessung im engen Sinne Beachtung finden.

Bei der Strafzumessung hat sich das Gericht unter anderem von nachfolgenden Erwägungen leiten lassen:

Zugunsten des Angeklagten hat das Gericht insbesondere (neben weiteren Aspekten) berücksichtigt, dass

  • der Angeklagte zumindest einige Tritte eingeräumt hat, die er nach dem Sturz des Geschädigten gegen dessen Körper ausgeführt hat;
  • er zur Tatzeit nicht vorbestraft war;
  • er vor seinem Gewaltexzess – das jedenfalls nimmt das Gericht zugunsten des Angeklagten an – vom Geschädigten mit einem Pfefferspray angegriffen worden ist;
  • auch der Geschädigte in den Jahren vor der hier verurteilten Tat – das jedenfalls nimmt das Gericht zugunsten des Angeklagten an – den Angeklagten mehrfach grundlos provoziert hatte;
  • er zum Tatzeitpunkt unter der enthemmenden Wirkung von Cannabis stand (wenn auch nicht in einem, § 21 StGB betreffenden Ausmaße);

Zu Lasten des Angeklagten war hingegen zu berücksichtigen, dass

– dass er sein Opfer durch seine Tat in Lebensgefahr gebracht hat (also nicht nur potentiell lebensgefährdend agiert hat, vgl. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, sondern für den geschädigten nach der Tat eine konkrete Lebensgefahr bestand, vgl. Fischer, aaO, § 224 Rn. 27);

– er durch sein Tatnachverhalten, insbesondere durch seinen erneuten gewalttätigen Angriff auf den ohnehin schon stark geschwächten Zeugen V, den er am 22.02.2020 am helllichten Tag völlig unvermittelt wie grundlos ausgeführt hat, in besonderem Maße bewiesen hat, dass ihm offenkundig jeder Skrupel und jedes Erbarmen gegenüber seinem Opfer fehlt;

Den Entschuldigungsversuch des Angeklagten gegenüber dem Zeuge V in der Hauptverhandlung hat das Gericht nicht strafmildernd berücksichtigt. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung mehrfach, durchaus mit auffälliger Sturheit, klargestellt, dass er sich zu Unrecht angeklagt sieht, er vielmehr „im Recht sei“ und eigentlich der Geschädigte auf die Anklagebank gehöre. Danach wertet das Gericht den Entschuldigungsversuch des Angeklagten als eindeutig taktisch und unaufrichtig, so dass er nicht zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung gewertet werden kann (der Zeuge V hat dementsprechend die Entschuldigung des Angeklagten zurückgewiesen und nicht angenommen). Klargestellt sei an dieser Stelle, dass das Gericht bei der Strafzumessung nicht zu Lasten des Angeklagten gewürdigt hat, dass dieser in der Hauptverhandlung immer wieder über das vermeintliche Unrecht seiner im Raum stehenden Verurteilung lamentiert und damit schlussendlich wenig Unrechtsbewusstsein gezeigt hat.

Bei dieser Ausgangslage kommt vorliegend nur die Verhängung einer deutlichen Freiheitstrafe in Betracht. Das Gericht erachtet vorliegend nach erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren für tat- und schuldangemessen.

Von der Bildung einer Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem in der Urteilsformel genannten Strafbefehl des Amtsgerichts Brühl vom 25.11.2020 (51 Cs – 972 Js #####/#### – 464/20) hat das Gericht abgesehen, weil es angesichts der verurteilten Gewalttaten und im Hinblick auf die Bewährung als wirkungsvoller erschien, den Angeklagten sowohl mit einer Freiheits- als auch mit einer Geldstrafe zu belegen, § 53 Abs. 2 StGB.

Vorliegend konnte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden in der Erwartung, dass der Angeklagte sich künftig straffrei führen und die Bewährungsauflagen beachten wird. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft, so dass – wenn auch mit gewissen Bedenken – eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann. Er lebt in gefestigten sozialen Verhältnissen und geht einer geregelten Erwerbsarbeit nach. Auch erscheint der Angeklagte durch das Strafverfahren und die ihm im Falle eines Bewährungswiderrufs drohende Haft deutlich abgeschreckt wie beeindruckt. Letztendlich entscheidend für die Bewährungsentscheidung des Gerichts war, dass der Angeklagte sich vor geraumer Zeit freiwillig in psychologische Behandlung begeben hat und er ausdrücklich erklärt hat, sich auch künftig bei seinen zahlreichen Problemen professionell helfen zu lassen.

V.

Die Kostentscheidung folgt aus § 465 stopp.

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