Skip to content

Fotografieren einer bekleideten Frau im Vorraum einer öffentlichen Damentoilette – Strafbarkeit

LG Stuttgart – Az.: 5 Qs 8/23 – Beschluss vom 13.02.2023

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 30.01.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 05.01.2023, mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 15.12.2022 auf Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen abgelehnt wurde, wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahren und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Zusammenfassung

Fotografieren einer bekleideten Frau im Vorraum einer öffentlichen Damentoilette – Keine Strafbarkeit laut LG Stuttgart.

Das Landgericht Stuttgart hat in einem Beschluss vom 13. Februar 2023 entschieden, dass das Fotografieren einer vollständig bekleideten Person im Vorraum einer öffentlichen Damentoilette keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs darstellt und somit nicht strafbar ist. Der Fall betraf einen Mann, der unbefugt in die Damentoilette eines Einkaufszentrums in Böblingen ging und dort eine 15-jährige Geschädigte fotografierte. Das Amtsgericht Böblingen hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt, da kein hinreichender Tatverdacht bestand. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin eine sofortige Beschwerde ein, die jedoch als unbegründet verworfen wurde. Das Landgericht stellte fest, dass das Fotografieren einer vollständig bekleideten Person ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs anzusehen sei. Eine Verletzung der Privatsphäre sei zwar zivilrechtlich verfolgbar, erfülle aber nicht den Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruchs komme nicht in Betracht, da kein Strafantrag gestellt wurde.

Gründe

I.

Fotografieren einer bekleideten Frau im Vorraum einer öffentlichen Damentoilette - Strafbarkeit
(Symbolfoto: Tiplyashina Evgeniya/Shutterstock.com)

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragte am 15.12.2022 einen Strafbefehl gegen den Angeschuldigten wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Nach den polizeilichen Ermittlungen begab sich der Angeschuldigte am 15.01.2022 gegen 17:00 Uhr unberechtigt in die Damentoilette im Einkaufszentrum M. in B. und fotografierte dort die 15jährige Geschädigte unbefugt mit seinem Handy, nachdem diese nach dem Toilettengang im Vorraum der Damentoilette gerade die Hände gewaschen hatte.

Mit Verfügung vom 20.12.2022 äußerte das Amtsgericht Böblingen gegenüber der Staatsanwaltschaft rechtliche Bedenken gegen den Erlass des Strafbefehls, da fraglich sei, ob es sich bei dem Vorraum der Damentoilette um einen „gegen Einblick besonders geschützten Raum“ i.S.v. § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB handele. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart teilte daraufhin mit Schreiben vom 30.12.2022 mit, dass sie an dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls festhalte, da nach der Gesetzesbegründung nicht nur die Toilettenkabine, sondern die Benutzung der Toiletten insgesamt als zur Intimsphäre gehörend anzusehen sei.

Mit Beschluss vom 05.01.2023 lehnte das Amtsgericht Böblingen den Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 15.12.2022 auf Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Der Tatbestand des § 201a Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, da von diesem nur der „letzte Rückzugsbereich des Einzelnen“ geschützt werde. Es komme nach der Schutzrichtung des Tatbestands auf den Sichtschutz an, wobei z.B. Toiletten, Umkleidekabinen oder ärztliche Behandlungszimmer gemeint seien. Dieser Intimbereich sei vorliegend bei der Ablichtung der Geschädigten im Vorraum einer Damentoilette nicht betroffen, insbesondere weil der Vorraum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und diese Örtlichkeit nicht mit dem Entkleiden der Person verbunden sei. Zudem sei der höchstpersönliche Lebensbereich der vollständig bekleideten und zudem maskierten Geschädigten nicht verletzt.

Die Staatsanwaltschaft hat mit Schriftsatz vom 30.01.2023, am selben Tag bei Gericht eingegangen, gegen den Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 05.01.2023, der Staatsanwaltschaft zugestellt am 26.01.2023, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur neuen Entscheidung zurückzuverweisen. So zähle nach der Gesetzesbegründung der gesamte Toilettenbereich zum geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich und es komme nicht darauf an, ob die Geschädigte zum Zeitpunkt des Fotografierens (teilweise) unbekleidet war, da der Angeschuldigte im vorliegenden Fall in die Intimsphäre der Geschädigten eingedrungen sei, weil er in dem geschützten Raum der Damentoilette, in dem sich die Geschädigte ungestört verhalten zu können glaubte, überraschend und unbefugt Bildaufnahmen von ihr herstellte.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 05.01.2023 ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das Amtsgericht Böblingen hat den Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Erlass des Strafbefehls vom 15.12.2022 zu Recht gemäß § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO abgelehnt, da ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht.

Allerdings liegt trotz fehlenden Strafantrags seitens der Geschädigten kein Verfahrenshindernis vor. Zwar hat auch die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gemäß § 205 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ausdrücklich erklärt, dies kann aber konkludent erfolgen, etwa durch Anklageerhebung (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2005, 1 StR 432/04, Rn. 28). So liegt der Fall hier. Die Staatsanwaltschaft hat durch den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und die sofortige Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss entsprechend dem ihr zustehenden Ermessen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung hinreichend zum Ausdruck gebracht.

Die zur Last gelegte Tat ist jedoch nicht strafbar gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dabei kann offenbleiben, ob der Vorraum einer Damentoilette ein gegen Einblick besonders geschützter Raum im Sinne der Norm ist oder ob von der Norm nur Räumlichkeiten erfasst werden, die von vornherein dazu bestimmt sind, einen Menschen vor den Blicken eines jeden anderen und damit auch vor Bildaufnahmen zu schützen (in diesem Sinne OLG Koblenz, Beschluss vom 11.11.2008, 1 Ws 535/08, NStZ 2009, 268, 269). Es fehlt vorliegend jedenfalls an der Strafbarkeitsvoraussetzung der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Geschädigten des Erfolgsdelikts des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/2466, S. 5) kann sich der Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs inhaltlich an dem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwendeten und in der zivilrechtlichen Rechtsprechung näher ausgeformten Begriff der Intimsphäre orientieren. Die Intimsphäre stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dabei den engsten Persönlichkeitsbereich dar. Sie beschreibt den Kernbereich der höchstpersönlichen Lebensgestaltung und umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit (vgl. BVerfGE 32, 373, Rn. 22f. in juris). Nach der Gesetzesbegründung (a.a.O.) sind der Intimsphäre vor allem die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen. Die Intimsphäre umfasst aber grundsätzlich auch die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, beispielsweise Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen.

Gemessen hieran ist die Fotografie einer vollständigen bekleideten Person – ohne das Hinzutreten weiterer, hier nicht gegebener Umstände – nicht als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person anzusehen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 8 in juris). Dafür spricht, wenngleich nicht zwingend, auch die Gesetzesbegründung (a.a.O.), die das Beispiel „Benutzung von Toiletten“ in den Zusammenhang mit den dort aufgeführten weiteren Beispielen gynäkologischer Untersuchungen sowie Umkleidekabinen stellt; diese Beispiele lassen erkennen, dass es dem Gesetzgeber in erster Linie um den Schutz einer zumindest teilweise entkleideten Person geht. Der Schutz vor Nacktaufnahmen bildet damit korrespondierend auch einen zentralen Aspekt des Schutzes der Intimsphäre in der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.1985, VI ZR 28/83, NJW 1985, 1617; vgl. auch die Gesetzesbegründung a.a.O.). Die Geschädigte war demgegenüber zur Tatzeit vollständig einschließlich geschlossenem Anorak bekleidet und trug zudem eine Mund-Nasen-Bedeckung.

Die – nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung mögliche – Argumentation der Staatsanwaltschaft Stuttgart, wonach die in der Gesetzesbegründung als Beispiel genannte „Benutzung von Toiletten“ auch den Vorraum der Toilette und Bildaufnahmen einer vollständig bekleideten Person insgesamt erfasse, und nicht auf die Benutzung der Toilettenkabine beschränkt sei, überdehnt demgegenüber den Begriff der Intimsphäre. Bei dem von der Staatsanwaltschaft angeführten Waschen, Kämmen und Schminken im Toilettenvorraum handelt es sich nicht um Tätigkeiten des vollständig unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Betroffen ist insoweit vielmehr das in Abgrenzung zur Intimsphäre bestehende Recht auf Achtung der Privatsphäre, das jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zugesteht, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört in diesem Bereich auch das Recht, für sich zu sein, sich selber zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.09.2012, VI ZR 291/10, NJW 2012, 3645, Rn. 12 in juris). Eine Verletzung der Privatsphäre ist zwar rechtswidrig und zivilrechtlich verfolgbar; sie erfüllt aber nicht den Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Die zur Last gelegte Tat ist auch nicht nach § 33 KunstUrhG strafbar, weil ein zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderliches „Verbreiten“ oder „öffentlich zur Schau stellen“ der Bildaufnahme der Geschädigten durch den Angeschuldigten nicht stattgefunden hat.

Eine Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB kommt schon mangels zwingend erforderlichen Strafantrags nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Strafrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Strafrecht und Verkehrsstrafrecht. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Strafrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!