LG Mühlhausen – Az.: 3 Qs 43/21 – Beschluss vom 28.04.2021
In dem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung hier: Beschwerde des Nebenklägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Sondershausen vom 05.02.2021, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen durch Vorsitzende Richterin am Landgericht, Richter am Landgericht und Richterin am 28.04.2021 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen,
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen führt gegen den Angeschuldigten ein Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen befuhr der Angeschuldigte am 02.02.2019 im Zeitraum zwischen 02:20 Uhr und 02:27 Uhr mit-seinem Pkw Mazda 3, amtliches Kennzeichen: ppp., die unbeleuchtete L 1217 aus Richtung Roßleben. Es schneite stark. Auf seiner Fahrbahn lag zu diesem Zeitpunkt der dunkel gekleidete pp. Dieser lag auf dem Rücken in leichter Schrägstellung parallel zur Fahrbahn in etwa der Fahrbahnmitte, Das Gutachten der Rechtsmedizin Jena wies bei dem pp. eine Ethanolkonzentration von 1,68 %o im Oberschenkelvenenblut und 2,46 %o im Urin sowie eine Konzentration von MDMA (Ecstasy) in einem für Konsumenten üblichen Bereich aus. Der Angeschuldigte überfuhr den pp. Es kam zum Kontakt mit dem Unterboden des Fahrzeuges. Pp. verstarb infolge dessen an einem Polytrauma bei Traumatisierung von Schädel, Brust und Bauchhöhle, Der Angeschuldigte setzte seine Fahrt fort, wobei er davon ausging, lediglich einen Baumstamm überfahren zu haben. Hinsichtlich der Einzelheiten der Ermittlungen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Am 21.10.2019 erhob die Staatsanwaltschaft Mühlhausen Anklage gegen den Angeschuldigten wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Sondershausen vom 17,07.2020 wurde die Nebenklage des Vaters des Getöteten zugelassen.
Mit Beschluss vom 05.02,2021 hat das Amtsgericht Sondershausen die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten abgelehnt.
Fraglich sei bereits, ob sich der Angeschuldigte objektiv sorgfaltswidrig verhalten habe. Selbst wenn man aber insoweit noch davon ausgehe, dass die Wahrscheinlichkeit des Tatnachweises in der Hauptverhandlung ebenso hoch sei wie die eines Freispruches, so müsse weiterhin auch ein subjektives Fahrlässigkeitselement im Sinne der Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Geschehens für eine sich sorgfaltsgemäß verhaltende Person in der konkreten Situation des Angeschuldigten gegeben sein. Dieser Nachweis werde in der Hauptverhandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gelingen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.
Der Beschluss wurde dem Nebenkläger am 10.02,2021 und seinem Rechtsanwalt am 11.02.2021 zugestellt.
Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 12.02.2021, eingegangen am selben Tag, legte der Nebenkläger sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Sondershausen vom 05.02.2021 ein.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Amtsgericht Sondershausen hat zu Recht die Eröffnung abgelehnt.
Die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Hauptverfahrens liegen nicht vor, § 203 StPO. Der Angeschuldigte ist nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens nicht hinreichend verdächtig, den Tatbestand der fahrlässigen Tötung, § 222 StGB, erfüllt zu haben.
Hinreichend ist ein Verdacht regelmäßig dann, wenn er – bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses – so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist ( vgl. BeckOK StPO, 39. Edition, Stand: 01.01,2021, § 203 StPO Rn. 4),
Aufgrund der am Unfallort aufgefundenen Fahrzeugteile des Pkw des Angeschuldigten sowie der an dessen Pkw festgestellten Gewebespuren des Geschädigten, dem rechtsmedizinischen Gutachten des Universitätsklinikums Jena vom 05,04,2019 und der DEKRA-Unfallrekonstruktion vom 20.04.2019 ist es noch als wahrscheinlich anzusehen, dass der Angeschuldigte mit seinem Pkw den auf der Straße liegenden pp., überfahren und dadurch getötet hat.
Die zuvor aufgrund der Aussage des Zeugen pp. alternativ im Raum stehende Möglichkeit, der spätere Getötete sei durch einen Lkw angefahren worden ist, schließt die Kammer aus.
Zum einen hat der Zeuge der in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle in einem Gartenhaus an der Landstraße lebt, nach eigener Aussage gegen 02:00 Uhr zuerst einen Lkw und dann einen lauten Knall von der Straße her vernommen. Jedoch hat der Zeuge pp. noch zwischen 02:05 Uhr und 02:10 Uhr, also nach der akustischen Wahrnehmung des Zeugen pp, in der Nähe der Unfallstelle mit dem dort herumlaufenden späteren Getöteten gesprochen.
Auch in dem rechtsmedizinischen Gutachten des Universitätsklinikums Jena vom 05,042019 wurde belegt, dass das gesamte Verletzungsbild des Getöteten nicht durch ein Anfahren durch einen Lkw zu erklären ist. Die durch die Rechtsmedizin festgestellten Verletzungen lassen sich nach nachvollziehbaren Darstellungen im Gutachten allein durch eine Überfahrung des am Boden liegenden Getöteten mit einem Fahrzeug, a,e, in Rückenlage und von scheitel- nach fußwärtig, plausibel erklären. Plausibel ist in dem Gutachten ausgeschlossen worden, dass der Getötete einen Anstoß im Stehen erlitten hat, Bei einem solchen Kontakt wäre ein gänzlich anderes Verletzungsmuster zu erwarten gewesen, namentlich Verletzungen im Sinne von Einblutungen, Rippenfrakturen, Schlüsselbeinfrakturen, etc. Verletzungen, welche ein solches Kontaktgeschehen belegen würden, konnten bei der Sektion nicht festgestellt worden.
Eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist dem Angeschuldigten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar.
In Betracht käme allein eine Verletzung des § 3 Abs. 1 StVO durch Fahren mit einer nicht an die Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse angepassten Geschwindigkeit.
Nach der DEKRA-Unfallrekonstruktion vom 20,04.2019 ist die genaue Geschwindigkeit, mit der der Angeschuldigte gefahren ist, nicht feststellbar. Ein Kraftfahrer muss seine Geschwindigkeit den – wie vorliegend anhand der Aussagen der Zeugen pp. und pp. sowie der Angaben des Angeschuldigten gegenüber der Polizei anzunehmenden – witterungsbedingten schlechten Straßenverhältnissen so anpassen, dass er stets gefahrlos lenken und rechtzeitig anhalten kann, Bei schnee- und eisglatter Fahrbahn erlaubt dies gegebenenfalls nur Schrittgeschwindigkeit (vgl. MüKo StGB, 3. Auflage 2017, § 222 Rn, 30).
Das „Gebot des Fahrens auf Sicht“ aus § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO verlangt jedoch von einem Kraftfahrer ohne erkennbaren Anlass nicht, sich auf einer Straße außerhalb geschlossener Ortschaften bei Dunkelheit mit einer Geschwindigkeit von höchstens 25 km/h fortzubewegen. Sinn und Zweck des Sichtfahrgebot ist das rechtzeitige Anhalten vor typischen. Hindernissen auf der Fahrbahn wie etwa aufrecht gehenden oder, stehenden Fußgängern, Radfahrern und (auch unbeleuchteten) Fahrzeugen.
Atypische Hindernisse braucht auch der „ideale“ Kraftfahrer nicht in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Sie befinden sich außerhalb des Schutzbereichs des Sichtfahrgebots (vgl, AG Emmedingen 24.04.2007 – 5 Cs 500 Js 33724/06-AK 33/07, NStZ 2008, 633 ff. ),
Der Angeschuldigte musste vorliegend nicht damit rechnen, dass am Samstagmorgen nach 02:00 Uhr, bei starkem Schneefall auf der unbeleuchteten Straße am Ortsrand der Gemarkung Roßleben der kaum sichtbare, dunkel gekleidete spätere Getötete auf der Fahrbahn lag.
Bereits aus diesem Grund war die Eröffnung abzulehnen. Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass das Amtsgericht Sondershausen darüber hinaus zutreffend davon ausgegangen ist, dass auch der erforderliche Nachweis eines subjektives Fahrlässigkeitselements in der Hauptverhandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gelingen werde.
Denn der Tod des pp. war für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbar.
Das Verhalten einer Person ist grundsätzlich geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für einen Fahrzeugführer auszuschließen, wenn es in einem außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht (vgl. MüKo StGB, 3. Auflage 2017, § 222 Rn. 30).
Zwar ist allgemein anerkannt, dass ein Fahrzeugführer stets mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss. Er muss daher auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Dies gilt jedoch nicht für solche Hindernisse, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Nach der Lebenserfahrung muss sicherlich stets mit (auch besonders grober) Unachtsamkeit von Fußgängern gerechnet werden. Ein in höchstem Maße selbstgefährdendes, sich durch nichts ankündigendes Verhalten eines Fußgängers ist hingegen so ungewöhnlich und so selten, dass niemand damit zu rechnen braucht, wenn nicht ausnahmsweise im Einzelfall besondere Umstände Anlass dazu, geben (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 17.02.2012 – 1 Ss 121/11 (18), über juris ).
Ein solches Verhalten liegt hier vor. Der spätere Getötete legte sich – stark alkoholisiert und unter dem Einfluss von MDMA – nachts bei vollkommener Dunkelheit und schlechten Wetterverhältnissen außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße mittig auf die Fahrbahn.
Wie den Mitgliedern der Kammer – auch aus eigener Erfahrung – bekannt ist, muss man als Autofahrer, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus damit rechnen, dass nachts und auch am frühen Morgen – unter Umständen auch alkoholisierte und dunkel gekleidete – Fußgänger (sei es auf dem Heimweg von Feierlichkeiten oder einem Gaststättenbesuch) an einer Landstraße entlang laufen. Ein solches Verhalten seitens eines Fußgängers liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung, Hingegen ist es so ungewöhnlich und gerade nicht zu erwarten, dass im Winter bei Schneefall und kalten Temperaturen eine Person mitten auf der Fahrbahn liegt. Mit einer solchen Verkehrssituation, die sich auch nicht etwa durch mehrere im Bereich der Straße anwesende Personen, angekündigt hat, musste der Angeschuldigte nicht rechnen. Sie war für ihn deswegen im vorgenannten Sinne nicht vorhersehbar.
Auch ist der Tod des pp. dem Angeschuldigten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit objektiv zurechenbar. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Tod des pp. bei pflichtgemäßen Verhalten des Angeschuldigten vermeidbar gewesen wäre (vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 66, Auflage 2019, § 15 Rn. 16c).
Die Unfallrekonstruktion des DEKRA-Gutachtens vom 20.042019 hat auf Grundlage eines sogenannten „Hell-Dunkel-Versuchs“ ergeben, dass bei einer Entfernung von 10-15 m eine Person mit dem Getöteten vergleichbarer Größe und Bekleidung im Lichtkegel des Scheinwerfers erkennbar ist. Dies führt bei Einrechnung der benötigten Reaktionsgeschwindigkeit dazu, dass nur bei einer Geschwindigkeit von 24 bis 32 km/h eine rechtzeitige Bremsung hätte erfolgen können.
Dieser Versuch fand jedoch bei trockener Fahrbahn und trockener Witterung statt. Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschten hingegen sowohl nach Aussage des Angeschuldigten als auch nach Aussage verschiedener Zeugen deutlich schlechtere Bedingungen. Der Angeschuldigte gab bei seinem Anruf bei der Polizei an, dass zum Zeitpunkt des Unfalls starker Schneefall geherrscht habe, Der Zeuge Kuntze, der ca. 10 — 15 Minuten vor dem Unfall in der Nähe des Unfallorts mit dem späteren Getöteten gesprochen hat, sagte aus, dass mittelmäßig bis starker Schneeregen, recht heftiger Wind und eine eingeschränkte Sicht von etwa 10 m geherrscht haben. Die Fahrbahn sei nass und glatt gewesen. Der Zeuge, der um 02:27 Uhr die Leiche des Getöteten fand, gab an, dass Schneeregen geherrscht habe. Die Fahrbahn sei äußerst glatt und teilweise mit Schnee bedeckt gewesen.
Des Weiteren hatte die im Rahmen des „Hell-Dunkel-Versuchs“ auf der Fahrbahn liegende Person helle Haare. Wie sich anhand der im Rahmen des Versuchs gemachten Bilder erkennen lässt, sind insbesondere diese Haare aus einer Entfernung von 20 m erkennbar, der dunkel bekleidete Körper ist so gut wie gar nicht, lediglich beigefarbene Stiefel, wie sie auch der Getötete trug, sind als relativ kleiner, heller Fleck erkennbar. Die im Rahmen des „Hell-Dunkel-Versuchs“ gemachten Fotos und erlangten Erkenntnisse können jedoch auch diesbezüglich nicht 1:1 auf die tatsächliche Unfallsituation übertragen werden. Denn der Getötete hatte dunkle Haare und trug dunkle Kleidung. Daher kann für die Erkennbarkeit aus einer Entfernung von ca. 20 m lediglich auf die – als relativ kleiner, heller Fleck erkennbaren – beigefarbenen Stiefel abgestellt werden.
Außerdem scheint der im Rahmen des „Hell-Dunkel-Versuches“ auf der Fahrbahn liegende Fußgänger schräger zu liegen als der spätere Getötete, Nach Einschätzung des Gutachtens der DE-KRA ist davon auszugehen, dass dieser in Rückenlage in einer leichten Schrägstellung auf der Straße lag, Diese in Abbildung 19 des Gutachtens aufgezeigte leichte Schrägstellung entspricht nach Ansicht der Kammer nicht der Lage des Fußgängers im Rahmen des „Hell-Dunkel-Vergleichs“ ( vgl. Abbildung 21 und Abbildung 25 des DEKRA-Gutachtens ).
Unter Einbeziehung dieser Abweichungen des „Hell-Dunkel-Versuchs“ von der tatsächlichen Unfallsituation Lind des Umstandes, dass- die genaue Geschwindigkeit des Angeschuldigten laut Gutachten im Zeitpunkt des Zusammenstoßes nicht mehr festgestellt werden kann, ist es als unwahrscheinlich anzusehen, dass der Nachweis des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs im Rahmen der Hauptverhandlung mit der für eine Verurteilung erforderliche Wahrscheinlichkeit möglich ist.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.