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Erstinstanzliche Feststellungen bei Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OLG 2 Ss 21/20 – Beschluss vom 07.05.2020

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 5. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 9. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat die Angeklagten, bei denen es sich um Eheleute handelt, am 28. Mai 2019 jeweils wegen unerlaubten Herstellens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Geldstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz hat am 29. Mai 2019 gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 16. Juli 2019 hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel begründet und erklärt, dass dieses auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werde. Das Landgericht hat die Beschränkung als wirksam behandelt und die Berufung mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wird, verurteilt werden. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, die sie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützten.

Die zulässigen Rechtsmittel sind begründet und führen zu einem (vorläufigen) Erfolg.

I.

Das Landgericht hat mit Blick auf die erfolgte Berufungsbeschränkung folgende Feststellungen des Amtsgerichts seiner Entscheidung zum Strafausspruch zugrunde gelegt:

„Spätestens Mitte 2016 entschlossen sich die Angeklagten zur Befriedigung ihres Bedarfs an Marihuana im Keller des Anwesens … in … eine Indooraufzuchtanlage zu betreiben und hierin Cannabispflanzen anzubauen. Nach zwei Versuchsläufen mit nur geringer Ausbeute bzw. Ernte, pflanzten die Angeklagten dann Ende 2017 in arbeitsteiliger Art und Weise mindestens 39 Cannabispflanzen an, zogen diese bis zur Ausbildung von Blütenständen heran, ernteten die Pflanzen schließlich ab und hingen diese in ihrem Keller zum Trocknen auf.

Anlässlich einer richterlich angeordneten Durchsuchung am 5. Mai 2018 konnten im Anwesen der Angeklagten aus dieser Ernte noch 39 zum Trocknen aufgehängte Pflanzen aufgefunden werden, deren Pflanzenblätter bereits abgeerntet waren und an deren Stängel sich lediglich noch die Blüten befanden. Die Blüten ergaben nach Ablese durch die Polizei ein Nettogewicht von 906,83g.

Im 1. OG konnten insgesamt 2.731,85 g abgeerntete und getrocknete Blätter der Cannabispflanzen aufgefunden werden. Darüber hinaus lagerten die Angeklagten in einem Wandschrank im 1. OG weitere 1.738,01 g Marihuana und 22 Cannabiskekse, sowie in einem Wohnzimmerschrank des Anwesens insgesamt 14,83 g Marihuana und 3,33 g Haschisch neben einer Spardose mit der Aufschrift „Notgroschen“ mit 450,– Euro Bargeld.

Im Kühlschrank konnten schließlich eine schwarze Filmdose sowie eine gelbe Tupper-Dose mit Cannabissamen aufgefunden werden. Insgesamt konnten mithin 5.191,52 g Marihuana und 3,33 g Haschisch im Haushalt der beiden Angeklagten aufgefunden werden. Die sichergestellten Marihuanablüten enthielten dabei einen beim Rauchen verfügbaren THC-Gehalt zwischen 13,3 und 13,4 °% (richtig: %), das Marihuana einen Wirkstoffgehalt von zwischen 2,3 und 8,9 °% (richtig: %). Insgesamt beinhalteten die aufgefundenen und durchsuchten Marihuanamengen damit einen Wirkstoffgehalt von mindestens 231,66 g.“

Ausweislich des amtsgerichtlichen Urteils hatten sich die beiden Angeklagten in erster Instanz dahingehend eingelassen, dass sie die Marihuanapflanzen zu dem alleinigen Zweck angebaut hätten, hieraus eine spezielle Salbe sowie Hanfkekse herzustellen, die sie zur Linderung ihrer durch Rückenprobleme und Arthrose verursachten Schmerzen hätten verwenden wollen. Abgesehen davon, dass der Angeklagte hin und wieder einen Joint geraucht habe, hätten sie mit den Samen niemals etwas Anderes vorgehabt. Das Amtsgericht hat die Angaben der beiden Angeklagten für „vollumfänglich glaubhaft“ erachtet und im Rahmen der Strafzumessung zu ihren Gunsten gewertet, dass beide aus „gesundheitlichem Antrieb handelten und insoweit eine gewisse Verzweiflung mit herkömmlichen Behandlungsmethoden einherging“. Unter anderem gestützt hierauf hat das Amtsgericht die Voraussetzungen eines minder schweren Falls i.S.d. § 29a Abs. 2 BtMG bejaht und die Strafen dem gemilderten Strafrahmen entnommen.

Das Landgericht hat über die Motive, die die Angeklagten zum Betrieb der Indooraufzuchtanlage veranlasst hatten, Beweis erhoben. Die Angaben der Angeklagten, die vordringliche Motivation für den Anbau habe in der Herstellung von Salben und Keksen zum Zwecke der Selbsttherapie gelegen, hat es u.a. mit Blick auf die Menge der sichergestellten Pflanzenteile für unglaubhaft gehalten. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht u.a. mildernd gewertet, dass es sich um einen Anbau zum Eigenkonsum gehandelt habe und der Anbau und Konsum „auch die Linderung körperlicher Beschwerden beider Angeklagten“ bezweckt habe.

II.

Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht, dass das Landgericht die durch die Rechtsmittelbeschränkung bewirkte Bindungswirkung der erstinstanzlich zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen missachtet hat.

1.

Wird der Schuldspruch eines amtsgerichtlichen Urteils nicht angegriffen, erwächst er in Rechtskraft. Infolge dessen ist das Berufungsgericht an die diesen Schuldspruch tragenden Feststellungen im weiteren Verfahren gebunden. Beweiserhebungen, die darauf abzielen, solche bindenden Feststellungen in Zweifel zu ziehen, sind unzulässig. Die Feststellungen können lediglich ergänzt werden. Im Berufungsrechtszug gewonnene Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu solchen bindenden Feststellungen stehen, müssen unberücksichtigt bleiben (Quentin in MünchKomm-StPO, 1. Aufl., § 318 Rn. 21). Die Bindungswirkung ergreift die gesamten Feststellungen zum Schuldspruch, also die gesamten Umstände der Sachverhaltsdarstellung, in der das Erstgericht die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten gesehen hat. Umfasst ist somit nicht lediglich das Mindestmaß an Tatsachen, ohne das der Schuldspruch keinen Bestand haben könnte. Vom Berufungsgericht sind vielmehr auch diejenigen Feststellungen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, die das Tatgeschehen nur näher beschreiben, wie etwa diejenigen zur Schadenshöhe, zum Zeitpunkt des Tatentschlusses oder zu den die Planung und den Ablauf der Tat prägenden Motiven (BGH, Urteil vom 24.03.1981 – 1 StR 688/80, NStZ 1981, 448, 448; BayObLG, Beschluss vom 20.11.2002 – 2St RR 152/02, juris Rn. 14). Der geschichtliche Vorgang, der dem Schuldspruch zugrunde liegt, bildet ein geschlossenes Ganzes, aus dem nicht Einzelteile – etwa zur Tatmotivation und den Beweggründen des Täters – herausgegriffen und zum Gegenstand neuer, abweichender Feststellungen gemacht werden dürfen (BGH, Urteil vom 14.01.1982 – 4 StR 642/81, juris Rn. 14 = BGHSt 30, 340). Dies gilt auch, soweit diese Feststellungen sowohl für den Schuldspruch als auf für die Entscheidung über die Rechtsfolge Relevanz entfalten (sog. doppelrelevante Tatsachen).

2.

Nach diesen Maßstäben war es dem Landgericht verwehrt, hinsichtlich des tatauslösenden Motivs der beiden Angeklagten eine Beweiserhebung durchzuführen oder gar vom amtsgerichtlichen Urteil abweichende Feststellungen zu treffen und diese zu werten. Das Landgericht hatte vielmehr von der – jedenfalls in den Strafzumessungserwägungen enthaltenen – Feststellung des Amtsgerichts auszugehen, dass beide Angeklagten vorrangig aus gesundheitlichem Antrieb gehandelt hatten. Denn die diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts können nicht anders verstanden werden, als dass es den Angaben der Angeklagten zu ihren Tatmotiven gefolgt ist und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Den tatrichterlichen Feststellungen zu den Beweggründen des Anbaus kamen hier zudem maßgebliche Bedeutung für die rechtliche Bewertung der Tat zu, insbesondere in Bezug auf eine Abgrenzung zur Tatvariante des Handeltreibens. Schon deshalb sind sie nicht von dem den Schuldspruch tragenden Tatgeschehen abtrennbar.

Der Umstand, dass das Landgericht die Einlassung der Angeklagten, sie hätten „in erster Linie“ aus gesundheitlichen Gründen gehandelt und die von ihnen hergestellten Marihuanaprodukte zur Schmerzmilderung einsetzen wollen, für unglaubhaft gehalten hat, lässt besorgen, dass es diesem Motiv im Rahmen der Strafzumessung nicht das gebotene Gewicht beigemessen hat. Die Formulierung, der Konsum habe „auch“ der Linderung körperlicher Beschwerden gedient, kann mit Blick auf diese beweiswürdigenden Erwägungen entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht anders verstanden werden, als dass das Landgericht – abweichend von den diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts – davon ausgegangen ist, dass dieses Motiv der Angeklagten nicht das einzige bzw. vorrangige gewesen war, sondern dass andere Motive, naheliegend der Konsum zum Zweck des sich Berauschens, jedenfalls gleichwertig danebengestanden haben.

3.

Die durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 16. Juli 2019 ausdrücklich erklärte Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch entfaltete auch Wirkung.

Der Umfang der Anfechtung ist, sofern Unklarheiten bestehen, durch Auslegung der Erklärungen des Rechtsmittelführers zu ermitteln. Dabei ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der tatsächliche Wille des Erklärenden anhand des erkennbaren Sinn und Ziels des Rechtsmittelangriffs zu ermitteln. Dies gilt grundsätzlich auch bei Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft (vgl. KG Berlin, Urteil vom 28.11.2011 – (4) 1 Ss 465/11 (271/11), juris Rn. 11). Die Erklärung einer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch könnte sich deshalb dann als nicht gewollt erweisen, wenn das Ziel des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft – jedenfalls auch – ein Angriff gegen den Schuldspruch bzw. die ihn tragenden (doppelrelevanten) Feststellungen gewesen wäre.

Das Ziel des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft bestimmt sich regelmäßig – und auch hier – nach dem Inhalt der gem. Nr. 156 RiStBV vorzulegenden Rechtsmittelbegründungsschrift. Aus der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 16. Juli 2019 ergeben sich keine Hinweise, dass sie mit ihrer Berufung das Landgericht (auch) zu neuen Feststellungen bezüglich der Tatmotive der Angeklagten – und damit bezüglich doppelrelevanter Umstände – veranlassen wollte. Die Staatsanwaltschaft hat sich darin zwar insbesondere gegen die Annahme eines minder schweren Falls und die ihm zugrunde gelegten Wertungen des Amtsgerichts gewandt, dies jedoch nur insoweit, als das Amtsgericht das 30-fache Überschreiten des Grenzwertes zur nicht geringen Menge und die Qualität der Betäubungsmittel in diesem Zusammenhang mildernd gewertet hat. Ein Angriff gegen die Feststellungen und Wertungen in Bezug auf das Tatmotiv der Angeklagten enthält die Rechtsmittelbegründung hingegen nicht. Ein solcher liegt auch nicht in der allgemein gehaltenen Formulierung, dass „die im Übrigen angeführten Gründe“ nicht geeignet seien, die Annahme eines minder schweren Falles zu begründen. Auch hierin kommt lediglich ein Angriff gegen die vom Amtsgericht vorgenommenen Wertungen zum Ausdruck, nicht aber ein solcher gegen die diesen Wertungen zugrunde gelegten Feststellungen.

III.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auf Grundlage der vom Amtsgericht zum Tatmotiv getroffenen Feststellungen einen minder schweren Fall bejaht und auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.

 

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