Wiederaufnahme der Ermittlungen: Beschuldigung der Körperverletzung im Amt steht wieder im Fokus
In einem bedeutsamen Beschluss vom 22. November 2021 hebt das Oberlandesgericht Brandenburg (Az.: 2 Ws 145/21) die vorherigen Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg und der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) auf. Im Zentrum des Falles steht eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt, die zunächst abgelehnt wurde. Nun jedoch hat das Oberlandesgericht Brandenburg eine Neubewertung des Sachverhalts gefordert, was bedeutet, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden müssen.
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Übersicht
Eine Wendung in der Geschichte
Der Antragsteller hatte ursprünglich gegen die Beschuldigten wegen mutmaßlicher Körperverletzung im Amt Strafanzeige erstattet. Jedoch wurde das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) eingestellt, mit der Begründung, dass die Videoaufnahmen vom Vorfall nicht eindeutig genug seien. Die daraufhin eingelegte Beschwerde wurde von der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet zurückgewiesen. Mit dieser Entscheidung war der Antragsteller jedoch nicht zufrieden und beantragte gerichtlich die Aufhebung des Bescheides und die Erhebung der öffentlichen Klage.
Anfechtung und die Rolle des Oberlandesgerichts
Das Oberlandesgericht Brandenburg sah den Antrag des Klägers, der form- und fristgerecht gestellt wurde, als begründet an. Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und zur Anordnung der Aufnahme sachdienlicher Ermittlungen. Der Antrag war zulässig und begründet, da er die Tatsachen und Beweismittel enthielt, die zur Erhebung der öffentlichen Klage notwendig waren.
Die Bedeutung von „hinreichendem Tatverdacht“
Die Staatsanwaltschaft muss gemäß § 170 StPO Anklage erheben, wenn die Ermittlungen einen ausreichenden Anlass dazu bieten. Das bedeutet, wenn bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Die Interpretation von „hinreichendem Tatverdacht“ lässt einen erheblichen Beurteilungsspielraum zu. In diesem speziellen Fall hat das Gericht jedoch entschieden, dass eine fundierte Prognose ohne weitere Ermittlungen nicht möglich ist, und dass die bisherigen Ermittlungen als unzureichend angesehen werden.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Fall weiterentwickeln wird, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Wiederaufnahme der Ermittlungen. Es ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie Gerichtsentscheidungen den Lauf von Ermittlungen verändern können.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 2 Ws 145/21 – Beschluss vom 22.11.2021
1. Der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 1. Juni 2021 sowie der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 4. August 2020 werden aufgehoben.
2. Die Aufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) wird angeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller hat mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 18. Februar 2020, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, Strafantrag gegen die Beschuldigten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gestellt. Mit Bescheid vom 4. August 2020 hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung eingestellt, dass den Videoaufnahmen vom Geschehenen nicht zu entnehmen sei, dass der Antragsteller gerade durch die Beschuldigten am Bein gezogen worden sei, einzelne Körperverletzungshandlungen seien nicht auszumachen. Gegen diesen Bescheid hat der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 18. August 2020 Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO eingelegt. Mit Bescheid vom 1. Juni 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 19. Juli 2021 hat der Antragsteller im Wege der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 172 StPO die Aufhebung des oben genannten Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft und die Erhebung der öffentlichen Klage beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zu verwerfen.
II.
Der form- und fristgerecht gestellte und begründete Antrag erweist sich insoweit als begründet, als er zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und zur Anordnung der Aufnahme sachdienlicher Ermittlungen führt.
1. Der Antrag nach § 172 Abs. 2 StPO ist zulässig, da in ihm die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angegeben werden (§ 172 Abs. 3 Satz 1 StPO). Er enthält eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhaltes, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 175 StPO) in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt, auch gibt die Sachdarstellung in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die behauptete Unrichtigkeit wieder.
2. Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nach § 170 StPO muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, wenn die Ermittlungen genügenden Anlass hierzu bieten. Das ist der Fall, wenn die Verurteilung des Beschuldigten bei vorläufiger Tatbewertung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 170 Rn. 2). Damit verbunden ist eine Prognose über den Ausgang des Strafverfahrens und die Bewertung der zur Verfügung stehenden Beweismittel. Der unbestimmte Rechtsbegriff „hinreichender Tatverdacht“ lässt einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum zu. Insofern gibt es einen Bereich, innerhalb dessen eine Einschätzungsprärogative der Staatsanwaltschaft verbleibt, die auch im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens nicht vollständig überprüft werden kann (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.01.2021 – 2 Ws 76/20 -). Vorliegend ist jedoch nach Auffassung des Senats bereits eine hinreichend fundierte Prognose ohne weitere Ermittlungen nicht möglich, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stellen sich als unzureichend dar.
In dem angegriffenen Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft werden drei Varianten in den Raum gestellt, die zu der Verletzung des Antragstellers geführt haben könnten und die sich aus dem verfahrensgegenständlichen Videomaterial ergeben sollen. Diese seien ein Übersteigen des Zauns ohne Fremdeinwirkung, das Herunterziehen durch dritte Personen sowie das Herunterziehen ggfs. auch durch die Beschuldigten. Selbst wenn Zeugenaussagen die Schilderung des Antragstellers belegen könnten, werde sich die Variante zwei (das Herunterziehen durch dritte Personen) auch unter Berücksichtigung dieser Zeugenaussagen nicht widerlegen lassen können.
Dieser Einschätzung vermag sich der Senat auch unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums der Staatsanwaltschaft nicht anzuschließen. Die Erwägungen stellen eine weitgehende Beweisantizipation dar, obwohl bisher nicht ausgeschöpfte Beweismittel zur Verfügung stehen. Der mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 18. Februar 2021 überreichten Datenträger des Originalvideos einschließlich der Bearbeitungen (Slow Motion/Einzelbildaufnahmen) stellt ein Geschehen dar, welches für die Richtigkeit des vom Antragsteller geschilderten Hergangs spricht, so dass sich eine Auswertung dieses Datenträgers durch einen Sachverständigen zwecks näherer und präziserer Erkenntnisse nahezu aufdrängte. Hinzu kommt, dass auch die Vernehmung der vom Antragsteller benannten Zeugen, maßgeblich der Zeugen B… und L…, weitere Erkenntnisse zur Verifizierbarkeit erwarten lassen, sollen diese doch den Geschehensablauf wie vom Antragsteller geschildert wahrgenommen haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind nach alledem unzureichend.
Sie rechtfertigen indes angesichts der unvollständigen Ermittlungen im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Anweisung zur Erhebung der öffentlichen Klage. Bei dieser Sachlage kommt nach überwiegender Auffassung, der der Senat sich anschließt, ausnahmsweise die Anordnung in Betracht, dass die Staatsanwaltschaft die nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat (OLG Zweibrücken, a.a.O; OLG Bremen, BeckRS 2017, 126885; Karlsruher Kommentar, StPO, 2019, § 175, Rn. 3 mwN.). Die Möglichkeit einer solchen Anordnung ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Sie folgt jedoch aus dem Sinn und Zweck der Regeln über das Klageerzwingungsverfahren, bei dem das Oberlandesgericht allein aufgrund der von der Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung geführten Ermittlungen zu entscheiden hat, ob diese das Ermittlungsverfahren zu Recht eingestellt hat oder ob Anklage zu erheben ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. September 1998, 1 Ws 227/98, iuris Rn. 12 – 20).
Eine Kostenentscheidung ist, wie sich aus § 177 StPO ergibt, nicht vorgesehen.