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Corona-Attest zur Befreiung von Maskenpflicht – Unrichtigkeit

OLG Celle – Az.: 2 Ss 58/22 – Beschluss vom 28.06.2022

In der Strafsache wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 27. Juni 2022 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das angefochtene Urteil aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kos-ten der Revision – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hannover (Az. 213 Cs 203/20) hat den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 27.09.2021 von dem im Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 12.11.2020 (Az. 213 Cs 203/20) erhobenen Tatvorwurf des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 aF StGB freigesprochen.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Hannover das erstinstanzliche Urteil in der Berufungsverhandlung vom 13.12.2021 aufgehoben und den Angeklagten wegen des Tatvorwurfs aus dem Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt sowie die Einziehung der tatgegenständlichen Gesundheitsbescheinigung des Angeklagten angeordnet. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte am 27.06.2020 in Hannover an einem Autokorso zur Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teil. Als der vor Ort eingesetzte Polizeibeamte PK M. die Versammlungsleiterin auf die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hinwies, kam der Angeklagte zu ihm und zeigte ihm unaufgefordert eine Bescheinigung vor, mit der er eine medizinisch bedingte Befreiung von der Maskenpflicht vortäuschen wollte. Die Bescheinigung hatte er zuvor als Formular aus dem Internet heruntergeladen und seinen Namen eingetragen. Es handelte sich um das von dem Arzt Dr. B. in den sozialen Medien mit der Bezeichnung „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“ zum Download bereitgestellte Formular. Das Formular war mit „Ärztliches Attest“ überschrieben und enthielt im oberen Bereich den Namen von Dr. B. sowie seine Bezeichnung als Arzt. Ebenfalls im oberen Bereich befand sich der Hinweis „To whom it may concern“. In das Formular war zudem der Scan einer Approbationsurkunde eingefügt, überdies ein leeres Namens- und Adressfeld. Darin musste der jeweilige Verwender nach dem Download des Formulars seine eigenen Personalien einfügen. In dem Formulartext wurde dem Verwender bestätigt, dass das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei.

Beim Verwenden des Formulars wusste der Angeklagte, dass bei ihm keine medizinischen Gründe für eine Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorlagen. Auch war ihm bewusst, dass die Bescheinigung ein unrichtiges Gesundheitszeugnis darstellte.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Er beanstandet zum einen, das Landgericht habe seine Verurteilung rechtsfehlerhaft auf die am 24.11.2021 in Kraft getretene Neufassung der §§ 278 und 279 StGB gestützt. Zum anderen sei das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem unrichtigen Gesundheitszeugnis ausgegangen. Das von Dr. B. im Internet bereitgestellte Formular sei insoweit nicht hinreichend individualisiert gewesen. Der Formulartext habe überdies lediglich eine allgemein gehaltene, generelle Aussage zur Eignung eines Mund-Nasen-Schutzes enthalten. Die von dem Angeklagten unter Verwendung dieses Formulars selbst erstellte Bescheinigung sei nicht durch einen Arzt unterzeichnet worden und deshalb kein Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB. Darüber hinaus sei die abgeurteilte Tat des Angeklagten durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, da er nach den Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt lediglich an einem Autokorso teilgenommen habe. Angesichts des Fehlens weiterer Feststellungen sei davon auszugehen, dass er alleiniger Insasse eines Fahrzeugs war und deshalb keine rechtliche Grundlage für die polizeiliche Aufforderung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorhanden gewesen sei. Schließlich sei auch die vom Landgericht im Rahmen der Strafzumessung getroffene Erwägung, das Verhalten des Angeklagten habe eine erhöhte abstrakte Gefährdung der Gesundheit anderer Menschen beinhaltet, mangels entsprechender tatsächlicher Grundlage als rechtsfehlerhaft anzusehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Die Revision führt – vorläufig – zum Erfolg.

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält der auf die erhobene Sachrüge vorzunehmenden sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

befreiung maskenpflicht
(Symbolfoto: Kagan Kaya/Shutterstock.com)

1. Unzutreffend ist der Einwand der Revision, das Landgericht habe die Verurteilung des Angeklagten rechtsfehlerhaft auf §§ 278, 279 StGB in der seit dem 24.11.2021 geltenden Fassung gestützt. Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, dass die Verurteilung vielmehr auf der zum Tatzeitpunkt maßgebliche Fassung der Bestimmung beruht. Dies wird zum einen darin deutlich, dass das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung der Tat des Angeklagten erkennbar auf die Tatbestandsmerkmale der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung von §§ 278, 279 StGB abgestellt hat. Zum anderen hat das Landgericht der Strafzumessung den Strafrahmen von Geldstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe zugrunde gelegt, wie er nach der damaligen Gesetzesfassung von § 279 StGB galt. Während die Neufassung von § 279 StGB die Anwendung dieses Strafrahmens nur dann vorsieht, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des Strafgesetzbuches mit schwererer Strafe bedroht ist, enthielt § 279 aF StGB diese Einschränkung nicht. Eine Prüfung, ob die Tat des Angeklagten in den anderen Tatbeständen der §§ 267-282 StGB mit schwerer Strafe bedroht ist, hat das Landgericht indes nicht vorgenommen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass es bei der Verurteilung des Angeklagten § 279 aF StGB zugrunde gelegt hat. Soweit das Urteil unter „Angewendete Vorschriften“ die Angabe von § 279 StGB ohne den Zusatz „aF“ enthält (vgl. UA S. 2), handelt es sich mithin um ein bloßes Schreibversehen. Gleiches gilt, soweit in den weiteren Urteilsgründen die Bestimmung des § 279 StGB ohne diesen Zusatz angeführt wird.

2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist indes in anderer Hinsicht einen Rechtsfehler auf. Denn die getroffenen Feststellungen bieten keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278, 279 aF StGB. Sie erweisen sich bzgl. der vom Landgericht angenommenen rechtlichen Qualifizierung des vom Angeklagten bei der abgeurteilten Tat dem Polizeibeamten PK M. vorgezeigten „Ärztlichen Attests“ als Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 StGB aF als lückenhaft, weil sich aus ihnen nicht ergibt, ob das Attest unterzeichnet ist.

Das Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB muss von einem Arzt oder einer anderen approbierten Medizinalperson ausgestellt worden sein (vgl. Erb, aaO, § 278 Rd. 2). Hierzu hat das Landgericht jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte die in Rede stehende Bescheinigung auf der Grundlage eines von dem Arzt Dr. B. in den sozialen Medien als PDF-Datei zum Download bereitgestellten Formulars ausgefüllt hat. Jedoch fehlen Feststellungen dazu, ob das Formular von dem Arzt Dr. B. bereits vorunterzeichnet worden war. Das Urteil führt in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass das Formular im oberen rechten Bereich den Namen von Dr. B. sowie seine Bezeichnung als Arzt sowie den eingefügten Scan einer Approbationsurkunde enthielt. Insofern unterscheidet sich der in dem angefochtenen Urteil festgestellte Sachverhalt von der Konstellation, welche der in den Urteilsgründen zitierten Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Frankfurt zugrunde lag. Im dortigen Verfahren wurde von dem Beschuldigten zwar ein nahezu gleichlautendes Formular verwendet. Dieses war ausweislich der Beschlussgründe jedoch von dem Arzt, der es im Internet zum Download bereitgestellt hatte, vorunterzeichnet worden (vgl. LG Frankfurt, Beschl. v. 06.04.2021, Az. 5/26 Qs 2/21 – juris). Ob letzteres auch bei dem hier in Rede stehenden Formular des Dr. B. gegeben war, hat das Landgericht – wie bereits erörtert – nicht festgestellt. Allein aus der in den Urteilsgründen enthaltenen Formulierung „… In diesem Attest bestätigt Dr. B., dass das Tragen eines Mundschutzes für die von ihr selbst einzutragende Person aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei. …“ (vgl. UA S. 3) kann nicht geschlossen werden, dass das Formular eine Unterschrift von Dr. B. enthielt. Dies folgt bereits aus der in den Urteilsgründen zitierten Passage des Formulars „… Mit der Eintragung meines Namens und meiner Adresse bestätige ich, dass ich nicht an einer Krankheit leide …“ (vgl. UA S. 3), aus welcher sich ergibt, dass offensichtlich auch ohne Unterschrift etwas „bestätigt“ werden kann. Sollte in dem Formular eine Unterschrift fehlen, wäre offensichtlich kein Gesundheitszeugnis gegeben.

Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover, allerdings nur dann, wenn – bei Vorunterzeichnung – ein unrichtiges Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB vorliegen sollte. Dies ist der Fall:

a) Voraussetzung für die Einordnung als Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB ist, dass in der betreffenden gesundheitlichen Bescheinigung der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird (vgl. Erb in MüKo zum StGB, 4. Aufl., 2022, § 277 Rd. 2). Dies ist bei dem tatgegenständlichen „Ärztlichen Attest“ des Angeklagten unter Zugrundelegung der Urteilsfeststellungen gegeben.

Zwar ist das von Dr. B. zum Download bereitgestellte Formular – worauf die Revision zutreffend hinweist – mangels hinreichender Individualisierung rechtlich nicht als Gesundheitszeugnis i.S. von § 278 aF StGB anzusehen.

Anders verhält es sich hingegen mit dem tatgegenständlichen „Ärztlichen Attest“, dass der Angeklagte unter Verwendung des von dem Arzt Dr. B. in den sozialen Medien zum Download bereitgestellten Formulars nach Eintragung seiner Personalien gebraucht hat. Hier sind die inhaltlichen Anforderungen an ein Gesundheitszeugnis gegeben.

Gegenstand eines Gesundheitszeugnisses können i.S. der o.g. Beschreibung des Gesundheitszustands eines Menschen eine frühere Erkrankung oder Verletzung sowie deren mögliche Folgewirkungen sein, ebenso eine Prognose seiner künftigen gesundheitlichen Entwicklung. Hierunter fallen sowohl die Darstellung relevanter Tatsachen und Symptome als auch deren sachverständige Bewertung (vgl. Erb, aaO, § 277 Rd. 2 mwN). Nach der Rechtsprechung ist es nicht erforderlich, dass die Bescheinigung eine Diagnose enthält (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2014, 482 mwN). So werden insbesondere auch ärztliche Bestätigungen, ausweislich derer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für eine bestimmte Person „aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei“, vom Begriff des Gesundheitszeugnisses erfasst (vgl. LG Freiburg, Beschl. v. 05.08.2021 – 2 Qs 36/11 –, juris; LG Frankfurt, NStZ-RR 2021, 282). Dem steht im vorliegenden Fall des Angeklagten der im oberen Bereich seines „Ärztlichen Attests“ enthaltene Passus „To whom it may concern“ – übersetzt: „An den, der ein berechtigtes Interesse daran hat“ – nicht entgegen. Wie das Landgericht Frankfurt in der o.g. Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei diesem Passus um eine im internationalen Sprachgebrauch bei Bescheinigungen übliche und auch bei Behörden verwendete Formulierung. Ihr lässt sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des in den Urteilsgründen mitgeteilten weiteren Inhalts der Bescheinigung kein einschränkender Sinngehalt dahin entnehmen, dass die Bescheinigung nicht zur Vorlage bei Behörden bestimmt war und keine individuell auf den Angeklagten bezogene Aussage über seinen Gesundheitszustand enthielt.

Die von der Revision vertretene Ansicht, das von Dr. B. zum Download bereitgestellte Formular enthalte lediglich einen generellen ärztlichen Rat bzgl. des Absehens von Tragen eines Mundschutzes, aber keine Aussage zum individuellen Gesundheitszustand des Angeklagten und der bei ihm vom Tragen eines Mundschutzes ausgehenden konkreten gesundheitlichen Gefahren i.S. eines Gesundheitszeugnisses nach § 278 aF StGB, ist für sich genommen zwar zutreffend. Denn es handelt sich – wie bereits ausgeführt – um ein bloßes Formular ohne jeglichen Bezug auf eine konkrete Person, mithin ohne die erforderliche Individualisierung. Für die rechtliche Beurteilung des vom Angeklagten unter Verwendung dieses Formulars nach Einfügung seiner Personalien gebrauchten „Ärztlichen Attests“ ist dies indes ohne Belang. Denn ein außenstehender Dritter konnte diese Bescheinigung nur so verstehen, dass bei dem Angeklagten individuelle medizinische Gründe vorlagen, aufgrund derer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei ihm kontraindiziert war. Das „Ärztliche Attest“ erweckte nach seiner vom Landgericht festgestellten Gestaltung – und sollte es vorunterzeichnet gewesen sein – bei einem außenstehenden Dritten bei oberflächlicher Betrachtung oder bei Betrachtung ohne ausreichenden Bildungs- und Informationshintergrund (vgl. hierzu OLG Celle, NStZ-RR 2008, 76) nicht den Eindruck, es handele sich nur um ein Fantasiestück. Vielmehr ging von ihm nach dem zitierten Maßstab und bei Vorunterzeichnung der Anschein einer gültigen ärztlichen Bescheinigung aus. Gerade hierauf zielte die Bereitstellung des Formulars zum Download durch Dr. B. nach den Urteilsfeststellungen ab: Es sollte dem Verwender die Möglichkeit eröffnen, durch Einsetzung der eigenen Personalien in das Formular ein vermeintliches ärztliches Attest über die – angeblich – bei dem konkreten Verwender gegebene medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes herzustellen, um dieses „Attest“ bei Dritten einschließlich bei Behörden vorlegen und auf diese Weise die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes umgehen zu können. Dies ergibt sich, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist, zwanglos aus der von Dr. B. ausweislich der Urteilsgründe verwendeten Dateibezeichnung des zum Download bereitgestellten Formulars als „attest.pdf um der Mundschutz-Pflicht zu entkommen“. Zu genau diesem Zweck hat der Angeklagte das Formular auch aus dem Internet heruntergeladen, es mit seinen Personalien versehen und bei der verfahrensgegenständlichen Tat dem Zeugen PK M. vorgezeigt.

Angesichts der vorstehenden Ausführungen zum individuellen Erklärungsgehalt der von dem Angeklagten verwendeten Bescheinigung ist eine nähere Auseinandersetzung mit den von der Revision auf der Grundlage diverser Veröffentlichungen angestellten Erwägungen zur Frage der generellen Sinnhaftigkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes nicht veranlasst.

Ergänzend merkt der Senat an, dass es sicherlich richtig ist, dass ohne eine Pandemie, die auf einem Virus beruht, das überwiegend über Aerosole verbreitet wird, das generelle Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes „medizinisch nicht ratsam ist“, dass aber ebenso überhaupt nicht zweifelhaft sein kann, dass bei einer auf einem solchen Virus beruhenden Pandemielage das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – entsprechend den allgemeinen Empfehlungen – medizinisch sinnvoll ist (vgl. Nds. Staatsgerichthof, Beschluss vom 27.9.2021, StGH 6/20, Rn 33).

b) Unrichtig i.S. von § 278 aF StGB ist ein Gesundheitszeugnis u.a. dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies ist i.d.R. gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde (vgl. BGH NStZ-RR, 2007, 343; BGHSt 6, 90; OLG Frankfurt, StV 2006, 471). Bei der Befreiung von der allgemein angeordneten, von Teilen der Bevölkerung aber als eher lästig empfundenen Maskenpflicht soll das ärztliche Attest die erhöhte Gewähr dafür bieten, dass gegen das Tragen einer Maske tatsächlich gesundheitliche bzw. medizinische Gründe der Person sprechen und solche nicht nur aufgrund individueller Unlust vorgegeben werden. Dies setzt – ebenso wie bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – voraus, dass eine körperliche Untersuchung tatsächlich stattgefunden hat. Bei Ausstellung eines ärztlichen Attests zur Befreiung über die Maskenpflicht wird daher stets konkludent erklärt, dass eine körperliche Untersuchung des Betroffenen stattgefunden hat (so auch LG Freiburg, aaO). Ist eine körperliche Untersuchung im Einzelfall unterblieben, soll das Attest aber gleichwohl „richtig“ sein, muss sich das Unterbleiben der Vornahme einer körperlichen Untersuchung aus dem Attest selbst ergeben (vgl. Erb, aaO, § 278 Rn. 4 mwN).

Gemäß den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte weder von Dr. B. körperlich untersucht worden noch hatte es einen persönlichen Kontakt zwischen beiden gegeben. Das vom Angeklagten verwendete „Ärztliche Attest“ wäre mithin bzgl. der konkludent behaupteten Untersuchung als „unrichtig“ anzusehen.

c) Sollte die neue Hauptverhandlung ergeben, dass die von dem Angeklagten mit seinem Namen versehene und ausgedruckte Formularbescheinigung mit einer eingescannten Unterschrift von Dr. B. versehen war, wäre dies ausreichend, um die Urkundenqualität der Bescheinigung zu begründen. Zwar dient der Straftatbestand des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in § 278 Abs. 1 aF StGB dem Wahrheitsschutz im Beweisverkehr mit Urkunden (vgl. Zieschang in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 278 Rn 1), so dass unter den Tatbestand nur solche Gesundheitsbescheinigungen fallen, die Urkundenqualität i.S. von § 267 Abs. 1 StGB haben. Dies wäre hier indes gegeben. Denn die Bescheinigung des Angeklagten wäre nicht mit einer für Außenstehende als bloße Reproduktion erscheinenden Fotokopie gleichzusetzen, welche nach der Rechtsprechung keine Urkunde darstellt (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 267 Rd. 19 ff. mwN). Schriftstücke, die mit einer zuvor eingescannten Unterschrift versehen werden, erscheinen nämlich nach Außen stets als Originale und besitzen daher Urkundenqualität (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 267 Rd. 22). Im Übrigen kommt es für die Frage der Beweiseignung darauf an, ob das Dokument von einem außenstehenden Dritten bei oberflächlicher Betrachtung als ärztliches Attest gehalten werden kann (vgl. OLG Celle, aaO). Dies ist hier – wie oben bereits erörtert – der Fall.

Auch die aus § 278 Abs. 1 aF StGB folgenden besonderen Anforderungen an das „Ausstellen“ eines Gesundheitszeugnisses dürften vorliegen. Unter „Ausstellen“ i.S. der genannten Vorschrift ist das körperliche oder elektronische Herstellen des Zeugnisses und die nach außen deutliche Übernahme der Verantwortung für den Inhalt (Unterschrift; Signatur) zu verstehen (vgl. Fischer, aaO, § 278 Rd. 3). Vorliegend hat Dr. B. es den potentiellen Nutzern seines in den sozialen Medien zielgerichtet zum Download bereitgestellten Formulars überlassen, ihre Personalien einzutragen, das so vervollständigte Formular auszudrucken und es zur Umgehung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu verwenden. Mit seiner in das Formular eingescannten Unterschrift hätte Dr. B. die Verantwortung für den äußeren Anschein der Echtheit der auf den Namen der jeweiligen Person lautenden Formularbescheinigung übernommen. Der Echtheitsschutz der Bescheinigung wäre daher auch nach dem Ausfüllen des Formulars durch den Nutzer nicht beeinträchtigt, weshalb die Bescheinigung auch nicht als „falsch“ i.S. von § 277 Abs. 1 aF StGB, sondern als „unrichtiges“ Gesundheitszeugnis gemäß § 278 Abs. 1 aF StGB anzusehen wäre. Die vorliegende Konstellation ist insoweit mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 08.11.2006 (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 343) zugrunde lag. Dort hatte ein Arzt zahlreiche Blanko-Formulare für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorunterzeichnet und es den Arzthelferinnen überlassen, die relevanten Daten der Krankschreibung in das jeweilige Formular einzutragen. Der Bundesgerichtshof hat insoweit auf eine Strafbarkeit des Arztes nach § 278 Abs. 1 aF StGB wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse abgestellt, nicht auf eine Strafbarkeit der Arzthelferin nach § 277 Abs. 1 aF StGB wegen unbefugten Ausstellens von Gesundheitszeugnissen.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Sofern die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass das tatgegenständliche „Ärztliche Attest“ des Angeklagten von dem Arzt Dr. B. vorunterzeichnet gewesen sein sollte, käme unter Zugrundelegung der in dem angefochtenen Urteil mitgeteilten weiteren Tatumstände eine Verurteilung des Angeklagten wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 aF i.V.m. § 278 StGB weiterhin in Betracht.

a) Ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten liegt nahe. Nach den Urteilsfeststellungen zielte die Verwendung des in Rede stehenden „Ärztlichen Attestes“ darauf ab, es bei Behörden zur Vortäuschung einer bestehenden medizinischen Kontraindikation für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorzulegen und somit die Pflicht zu einem solchen Mund-Nasen-Schutz umgehen zu können.

b) Die von der Revision vertretene Ansicht, die Tat des Angeklagten sei durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt gewesen, geht fehl. Unabhängig davon, dass sich die Urteilsgründe – worauf die Revision für sich genommen zutreffend hinweist – nicht zu der rechtlichen Grundlage der zum Vorfallszeitpunkt geltenden Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für die Teilnehmer des Autokorsos verhalten, ergibt sich aus der im Urteil mitgeteilten Einlassung des Angeklagten nichts dafür, dass er diese Verpflichtung sowie den durch die Polizei vor Ort gegenüber der Versammlungsleiterin erteilten Hinweis auf die bestehende Pflicht als unmittelbaren rechtswidrigen Angriff auf seine Gesundheit angesehen und das in Rede stehende „Ärztliche Attest“ zur Abwehr dieses Angriffs dem Polizeibeamten M. vorgezeigt, mithin mit entsprechendem Verteidigungswillen i.S. von § 32 StGB gehandelt hat.

c) Um im Rahmen der Strafzumessung dem Grad der etwaigen abstrakten Gefährdung der Gesundheit anderer Personen durch die Tat des Angeklagten – wie in dem angefochtenen Urteil – eine eigene Bedeutung beimessen zu können, bedarf es näherer Feststellungen zu den Umständen des Ablaufs des zu Demonstrationszwecken durchgeführten Autokorsos, an dem der Angeklagte teilgenommen hat. Insoweit ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich, wo sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Vorlage seines „Ärztlichen Attestes“ bei dem Polizeibeamten M. konkret befunden hat, allein oder mit mehreren Personen in seinem Fahrzeug oder außerhalb dessen in einer Menschenansammlung. Den Urteilsgründen lässt sich nur entnehmen, dass der Angeklagte zu dem Polizeibeamten gekommen sei.

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