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Betäubungsmitteldelikt – Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfund

OLG Koblenz – Az.: 1 OLG 4 Ss 173/15 – Beschluss vom 12.06.2017

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Bad Kreuznach vom 29. Juli 2015 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bad Kreuznach verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach den Tatfeststellungen des amtsgerichtlichen Urteils wurden im Wohnanwesen des Angeklagten in …[Z] bei einer Durchsuchung am 9. September 2014 zwei Indooranlagen zur Aufzucht von Hanf mit 290 Setzlingen, eine nicht mehr in Betrieb befindliche Indooranlage, verschiedene Gläser und Tüten mit Marihuanapollen, fertig zubereitetes Marihuana und ein Stück Haschisch aufgefunden. Ferner befand sich der Angeklagte im Besitz einer Vielzahl leerer Griptütchen, einer Feinwaage und Resten von Amphetamin. Die aufgefundenen Betäubungsmittel beliefen sich auf 274,7 Gramm Marihuana und 56 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 16,35 Gramm Tetrahydrocannabinol. Aus dem amtsgerichtlichen Urteil ergibt sich ferner die Entwicklung des Tatverdachts gegen den Angeklagten. Das Urteil beschreibt insoweit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aufgrund eines an die Polizeibehörden weitergeleiteten Briefes des Angeklagten, mit dem dieser bei einem niederländischen Unternehmen Hanfpflanzen oder -samen bestellen wollte.

Mit seiner auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Sprungrevision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Er beanstandet insbesondere, dass die gegen ihn gerichteten Beweise unter Verstoß gegen Art. 10 GG erhoben worden seien, und folgert hieraus ein umfassendes Beweisverwertungsverbot. Die gegen ihn gerichtete Durchsuchungsanordnung hält er für rechtswidrig, da sie bereits formellen Anforderungen nicht genüge. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf eine Verwerfung der Revision als unbegründet angetragen. Die erhobenen Verfahrensrügen hält sie für unzulässig, da der Angeklagte Einzelheiten aus dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren nicht vorgetragen habe.

II.

Das nach § 335 StPO als Sprungrevision statthafte, fristgerecht angebrachte sowie frist- und formgerecht begründete Rechtsmittel erzielt keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte jedenfalls sinngemäß beanstandet, dass verwendete Beweismittel aufgrund eines Grundrechtsverstoßes fehlerhaft erhoben worden und deshalb unverwertbar seien, greift nicht durch.

a) Die Rüge ist allerdings in zulässiger Weise angebracht; sie genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Revisionsführer hat insbesondere die Erhebung eines qualifizierten und rechtzeitigen Widerspruchs gegen die Einführung und Verwertung der Beweismittel in der Hauptverhandlung dargetan. Der von der Generalstaatsanwaltschaft vermisste Auffindebericht des Polizeipräsidiums …[Y] vom 31. Juli 2014 (Bl. 3 ff. d.A.) ist im vollständigen Wortlaut in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegeben (dort S. 3 f.; Bl. 149 f. d.A.).

Ob die Revisionsbegründung auch im Übrigen die Herkunft des Briefes des Angeklagten und die Umstände, unter denen dieser Anlass und Gegenstand des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens wurde, in jeder Hinsicht und Einzelheit in einer für die Überprüfung der Rüge zureichenden Weise wiedergibt, kann dahinstehen. Jedenfalls in Zusammenschau mit den Gründen des angefochtenen Urteils, von denen der Senat infolge der parallel erhobenen Sachrüge Kenntnis nehmen und die er daher ergänzend zu den Darlegungen der Revisionsbegründung berücksichtigen kann, ergibt sich ein umfassendes Bild des der Rüge zugrunde liegenden Verfahrensgeschehens; denn das Urteil enthält – wie freilich nicht erforderlich (s. etwa BGH NJW 2006, 1361, 1362) – eine ins Einzelne gehende Beschreibung der Verfahrenssituation. Anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint, bedurfte es aus diesem Grunde auch keiner Darlegung der Aktenvermerke der Kriminalpolizei …[X] vom 31. Juli 2014 und 5. August 2015 (Bl. 2, 9 d.A.). Die Vermerke befassten sich ausschließlich mit dem Inhalt des sichergestellten Briefes des Angeklagten, insbesondere der Bedeutung der darin genannten Bezeichnung „Auto Mazar“ als ertragskräftige Sorte von Hanfpflanzen. Für die von dem Angeklagten mit der Revision beanstandete Art und Weise, wie die Ermittlungsbehörden Zugriff auf den Brief erhielten, sind sie ohne Belang; der Briefinhalt und seine Bedeutung für die Gewinnung weiterer Beweismittel und den Tatverdacht gegen den Angeklagten ergibt sich dagegen aus der Revisionsbegründung im Übrigen und dem Urteilsinhalt.

b) Den maßgeblichen Verfahrenssachverhalt beschreibt das angefochtene Urteil wie folgt (UA S. 2 f.):

Betäubungsmitteldelikt - Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfund
(Symbolfoto: Von UfaBizPhoto /Shutterstock.com)

„Im Sommer 2014 kam es im internationalen Postzentrum am …[Y]er Flughafen zu Diebstählen aus Postsendungen und Verletzungen des Briefgeheimnisses. Der interne Sicherheitsdienst der Post AG für den Airmail Bereich, die Airmail Security, stellte fest, dass in einer großen Anzahl Briefsendungen aufgerissen oder aufgeschnitten waren und Wertgegenstände bzw. Geld herausgeholt worden waren. Ein Großteil der Sendungen wurde in Toilettenpapier eingewickelt, in der Herrentoilette des nur für die Mitarbeiter des internationalen Postzentrums zugänglichen Bereiches aufgefunden. Die Airmail Security informierte das Polizeipräsidium …[Y], das dann in enger Zusammenarbeit mit der Airmail Security die Ermittlungen führte. Nachdem die Airmail Security die aufgerissenen Sendungen und Umschläge der mit den Ermittlungen durch das Polizeipräsidium betrauten Zeugin …[A] ausgehändigt hatte, begann diese mögliche Beweise zu sichern, die einen Täter, den sie bereits in Verdacht hatten, überführen könnten. Die Zeugin …[A] las deshalb die von der Airmail Security überlassenen Briefsendungen durch und schrieb Geschädigte an. Ziel dessen war, eine Durchsuchung bei dem Verdächtigen vorzubereiten. Bei den Geschädigten wurde nachgefragt, was in den vorgefundenen Briefen enthalten war. Die Zeugin hatte die Hoffnung, dass in dem einen oder anderen Fall eindeutig zuordnenbare Gegenstände abhanden gekommen sein und diese Gegenstände bei dem Verdächtigen im Rahmen der Durchsuchung aufgefunden werden könnten. Ziel der Zeugin war, Beweise gegen den Verdächtigen zu sammeln, aber auch Eigentum von Geschädigten zu sichern und diesen, falls es im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme gefunden werden würde, zurückzugeben. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit der Zeugin fiel ihr das Schreiben mit folgendem Inhalt auf.

‚Hi,

please send me Auto Mazar

for 3.000,00

to

…[B]

…[W]

…[Z]

Germany

Best regards

…[B]‘ (Blatt 8 der Akte)

Aus der Polizeiarbeit heraus wusste sie, dass ‚Auto Mazar‘ eine ertragreiche Hanfpflanzenzüchtung ist. Sie vermutete, dass der Absender ‚…[B]‘ Hanfpflanzen- oder Samen für 3.000 € bestellen wollte. Diese Erkenntnisse gab sie dann an das Polizeipräsidium …[V], KI …[X] weiter. Von den dortigen Kommissariat 3 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen eines Vergehens gegen das BtMG eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach beantragte in der Folge am 07.08.2014 die Durchsuchung der Wohnung und andere Räume des Angeklagten sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen, ggf. einschließlich seiner Kraftfahrzeuge. Die Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Bad Kreuznach hat mit Beschluss vom 11.08.2014 die entsprechende Durchsuchung angeordnet, die Durchsuchungsanordnung mit Beschluss vom 25.08.2014 auf ein weiteres Gebäude, …[W], …[Z] erweitert. Am 09.09.2014 wurde aufgrund der vorliegenden Beschlüsse das Wohnhaus sowie das Nebengebäude des Angeklagten in Anwesenheit der Zeugin Kriminalhauptkommissarin …[C] durchsucht.“

Die bei dem Angeklagten durchgeführte Durchsuchung förderte die Betäubungsmittel und Betäubungsmittelutensilien hervor, welche der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen.

c) Das angefochtene Urteil hält den Brief des Angeklagten für einen verwertbaren Zufallsfund. Das Postgeheimnis sei bereits deshalb nicht verletzt, weil der Sicherheitsdienst der Post die Briefe nach § 39 Abs. 5 PostG an die Polizeibehörden hätte weiterleiten dürfen, um die Verfolgung einer in ihrem Organisationsbereich stattgefundenen Straftat zu ermöglichen. Die Ermittlungstätigkeit der Zeugin …[A] sei zweckmäßig gewesen; sie habe sich insbesondere nicht darauf gerichtet, aus den sichergestellten Sendungen systematisch nach Anhaltspunkten für weitere, über den eigentlichen Ermittlungsauftrag hinausreichende Straftaten zu suchen (UA S. 5).

Die Revision macht demgegenüber geltend, dass die Inhaltskontrolle des von dem Angeklagten stammenden Briefes gegen Art. 10 GG verstieß und durch verfahrensrechtliche Ermächtigungen nicht gedeckt gewesen sei. Der Brief unterliege daher einem umfassenden Verwertungsverbot.

d) Ein durchgreifender Verfahrensmangel besteht nicht. Zwar lag in der Weiterleitung des Briefes von dem Postunternehmen an die Ermittlungsbehörden und deren Kenntnisnahme von dem Briefinhalt ein Grundrechtseingriff; dieser war jedenfalls im Hinblick auf die inhaltliche Auswertung des Briefes nicht gerechtfertigt und stand auch einer Verwertung des Briefes als Zufallsfund entgegen. Eine Fernwirkung hinsichtlich der dem Urteil unmittelbar zugrunde liegenden Beweismittel entfaltet das Beweisverbot jedoch nicht.

aa) In der Entgegennahme der durch einen Dritten entwendeten und geöffneten Briefsendungen und ihrer inhaltlichen Kontrolle durch die Ermittlungsbehörden liegt ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 PostG.

Das Post- und Briefgeheimnis schützt den brieflichen Verkehr gegen die Kenntnisnahme und Zugriff der öffentlichen Gewalt auf seinen Inhalt (BVerfGE 67, 157, 171 = NJW 1985, 121, 122). Der Schutz beginnt, wenn die Sendung den Herrschaftsbereich des Absenders verlassen hat und endet, wenn sie in die Verfügungsgewalt des Empfängers übergeht; er dauert jedenfalls solange an, wie sich die Sendung im Gewahrsam des Postunternehmens befindet (vgl. Durner, in: Maunz/Dürig, GG, 78. Aufl., Art. 10, Rdn. 66 ff.; OLG Karlsruhe NJW 1973, 208). Dieser Schutzbereich ist hier betroffen.

Zwar wurde der Brief des Angeklagten durch einen unbekannten Dritten aus dem regulären Versandweg unberechtigt herausgenommen. Er befand sich aber noch im Herrschaftsbereich des Postunternehmens, als er aufgefunden wurde; dass dies an einem für die Aufbewahrung und Bearbeitung von Postsendungen nicht vorgesehenen Ort aufgefunden wurde, ist ohne Belang. Der Sicherheitsdienst der Post, der den Brief an sich nahm und letztendlich den Ermittlungsbehörden übermittelte, übte Gewahrsam an dem Brief für das Postunternehmen aus. Unerheblich bleibt auch, dass der Brief des Angeklagten durch den Dritten bereits geöffnet war; denn das Postgeheimnis schützt auch geöffnete Postsendungen vor einer inhaltlichen Kenntnisnahme unabhängig davon, ob die Sendung von Vornherein offen aufgegeben wurde, oder ob – und aus welchem Grund – eine nachträgliche Öffnung erfolgte (vgl. BVerwG NVwZ 1998, 1083, 1084; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl., Art. 10 Rdn. 3).

In der Weitergabe an die Ermittlungsbehörden und deren Kenntnisnahme von der Sendung wurde in das Brief- und Postgeheimnis eingegriffen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass das Postunternehmen die Sendung den Ermittlungsbehörden freiwillig zur Verfügung gestellt hatte. Denn es ist grundsätzlich nicht ermächtigt, Postsendungen an einen von dem vorgesehenen Empfänger verschiedenen Dritten einschließlich der Ermittlungsbehörden herauszugeben (vgl. § 39 Abs. 2 und 3 PostG; OLG Karlsruhe NJW 1973, 208; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 99 Rdn. 2; s. auch Menges, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 99 Rdn. 2).

bb) Gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und Art. 19 Abs. 1 GG darf das Postgeheimnis nur aufgrund eines förmlichen und allgemeinen Gesetzes, welches das eingeschränkte Grundrecht unter Angabe des Artikels bezeichnet, beschränkt werden. Eine derartige gesetzliche Grundlage bestand zu Ermittlungszwecken hier allein für die Kenntnisnahme der Ermittlungsbehörden von den äußeren Sendungsdaten, nicht jedoch für die Erforschung des Briefinhaltes.

(1) § 99 StPO scheidet als Grundlage des polizeilichen Vorgehens aus.

Hierfür fehlt es bereits an einer den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen von § 100 StPO genügenden, dem Gericht und unter bestimmten Voraussetzungen auch der Staatsanwaltschaft vorbehaltenen förmlichen Anordnung der Postbeschlagnahme und ihrer Durchführung. Insbesondere schließt § 100 Abs. 3 StPO die Polizeibehörden von einer Inhaltskontrolle der Postsendung aus.

Auch die materiellen Voraussetzungen einer Postbeschlagnahme nach § 99 StPO lagen nicht vor. Zwar erfolgte die Entgegennahme und Auswertung der aufgefundenen Sendungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen unbekannten Täter, der die Postsendungen geöffnet und ihren Inhalt teilweise an sich genommen hatte; insoweit bestand der Verdacht von Straftaten nach § 242 Abs. 1 oder § 246, § 303 und § 202 StGB. Allerdings stammte der Brief weder von dem Beschuldigten dieses Verfahrens, noch war er an ihn gerichtet. Vielmehr handelte es sich bei den Absendern und Adressaten der aufgefundenen Sendungen um die Geschädigten der verfolgten Straftat.

Soweit es das gegen den Angeklagten wegen des Verdachtes von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz geführte Strafverfahren betrifft, ist der von dem Angeklagten stammende Brief zwar ein grundsätzlich tauglicher Gegenstand einer Beschlagnahme nach § 99 StPO. Auch eine derartige Maßnahme wäre aber rechtswidrig gewesen, denn es hätte an einem von § 99 StPO vorausgesetzten Anfangsverdacht gefehlt. Die Beschlagnahme und Verwertung der Postsendung eines Angeklagten setzt ein Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten, auf den sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 99 StPO beziehen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 6; Menges a.a.O. Rdn. 18). Ein solches Verfahren hat im Zeitpunkt der Entgegennahme und Auswertung der Postsendungen gegen den Angeklagten noch nicht bestanden. Vielmehr sind die gegen ihn gerichteten Verdachtsmomente erst durch die – im Rahmen des anderweitigen Verfahrens erfolgte – Auswertung seines Briefes zutage gefördert worden. Auch hiernach hätte eine Postbeschlagnahme nicht angeordnet werden können. § 99 StPO dient nicht dazu, eine unter Verstoß gegen das Post- und Briefgeheimnis vorgenommene Beweiserhebung, durch die eine mögliche Straftat erstmals zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangt, nachträglich prozessual zu legalisieren.

(2) Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden rechtfertigte sich auch nicht aus § 39 PostG. Die Vorschrift verpflichtet die privatrechtlichen Anbieter von Postdienstleistungen zur Wahrung des Brief- und Postgeheimnisses und sieht zweckgebundene Eingriffsbefugnisse vor (vgl. Stern, in: Beck’scher PostG-Kommentar, 2. Aufl., § 39 Rdn. 44 ff.). An die Reichweite der erlaubten Eingriffe sind auch staatliche Organe gebunden, welche Kenntnis über Postsendungen erlangen.

(a) Der Verdacht einer Katalogtat nach § 138 StGB, welcher das Postunternehmen nach § 39 Abs. 3 Satz 3 PostG zur Weitergabe von Informationen im Sinne von § 39 Abs. 1 PostG an die Ermittlungsbehörden berechtigt hätte, lag nicht vor.

(b) Die Verwendung des Briefinhaltes zu Ermittlungszwecken war auch von § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder 3 PostG nicht gedeckt.

§ 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 PostG erlauben Eingriffe in das Brief- und Postgeheimnis im laufenden Postbetrieb zur Sicherung des Inhaltes beschädigter Postsendungen und der Ermittlung von Empfänger oder Absender einer unanbringlichen Postsendung. Eine derartige Zuordnungsschwierigkeit lag hier vor; denn nach dem Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums …[Y] vom 31. Juli 2014 waren die im Toilettenbereich aufgefundenen Sendungen „aufgeschnitten oder aufgerissen und ihr Inhalt herausgeholt“; darunter habe sich auch das Schreiben des Angeklagten befunden. Weiter heißt es: „Um den Umschlägen die zugehörigen Briefe etc. zuordnen zu können mussten diese gelesen werden“ (Bl. 3 d.A.).

Auch wenn damit die Notwendigkeit einer inhaltlichen Kenntnisnahme des von dem Angeklagten stammenden Briefes bestand, so war die Verwendung der hierdurch erlangten Informationen doch auf die von § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 PostG beschriebenen Zwecke beschränkt. Diese sollen allein die Durchführung der dem Postunternehmen obliegenden Dienste ermöglichen (vgl. Lampe, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. EL [Januar 2016], § 39 Rdn. 5: Eingriffe in das Postgeheimnis „aus postintern Gründen“; Stern a.a.O. § 39 Rdn. 49, 53). Angesichts dieser Zweckbindung war es dem Postunternehmen nicht gestattet, die erlangten Kenntnisse anderweitig zu verwenden; ebensowenig durfte es Informationen über die Briefsendungen oder die Sendungen selbst an andere zur zweckfremden Verwendung weitergeben. Auch die Polizeibehörden – welche die tatsächliche Zuordnung der Sendungen vornahmen (vgl. Bl. 3 d.A.) – waren demnach nach § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 PostG nicht befugt, die aus der Zuordnung der Sendungen erlangten Informationen zu Ermittlungszwecken zu verwenden.

(c) Ein Eingriff in das Brief- und Postgeheimnis durch Verwertung des Briefinhaltes war den Ermittlungsbehörden schließlich auch nach § 39 Abs. 5 PostG nicht gestattet.

Allerdings erlaubt § 39 Abs. 5 PostG dem Postunternehmen „Mitteilungen über den Postverkehr einer Person“ zu dem Zweck, „die Verfolgung von Straftaten zu ermöglichen, die beim Postverkehr zum Schaden eines Postunternehmens begangen wurden“. Die Vorschrift legitimiert damit die Weitergabe näher bezeichneter Informationen an die Ermittlungsbehörden zum Zweck der Verfolgung bestimmter Straftaten. Derartige Taten, die zumindest auch zum Nachteil des Postunternehmens begangen wurden, lagen hier vor. Dabei kann offen bleiben, ob § 39 Abs. 5 PostG – wie wohl ausreichend – allein voraussetzt, dass das Postunternehmen in die Reichweite des Schutzes des verwirklichten Straftatbestandes einbezogen ist und ihm hierdurch Verletzteneigenschaft zukommt (vgl. Stern a.a.O. § 39 Rdn. 68), oder ob die Vorschrift darüber hinaus einen materiellen Vermögensschaden bei dem Unternehmen erfordert. Denn das Postunternehmen musste hier angesichts des Verdachtes von Straftaten nach §§ 242, 246, 303 StGB auch Ersatzansprüche seiner betroffenen Kunden besorgen.

Eine Kenntnisnahme von dem Inhalt der Sendungen und seine Verwertung zur Strafverfolgung waren den Ermittlungsbehörden gleichwohl nicht gestattet. § 39 Abs. 5 PostG erlaubt allein „Mitteilungen über den Postverkehr einer Person“. Aus dem Wortlaut und der Systematik von § 39 PostG, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass hierdurch allein die Weitergabe der äußeren Verbindungsdaten der betroffenen Postsendungen legitimiert wird (Stern a.a.O. § 39 Rdn. 60):

Bereits nach allgemeinem Begriffsverständnis liegt nahe, dass von einer „Mitteilung über den Postverkehr einer Person“ die Übermittlung der Postsache als solche oder eine vollständige Erfassung und Mitteilung ihres Inhaltes nicht umfasst ist. Eine Unterscheidung in diesem Sinne enthält auch die gesetzliche Umschreibung der sachlich-gegenständlichen Reichweite des Postgeheimnisses in § 39 Abs. 1 PostG. Die Vorschrift stellt – gleichlautend mit § 206 Abs. 5 Satz 1 StGB – die „näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter natürlicher oder juristischer Personen“ dem „Inhalt von Postsendungen“ gegenüber. Unter „Umstände des Postverkehrs“ lassen sich demnach alle Tatsachen im Zusammenhang mit der Beförderung einer bestimmten Postsendung verstehen, die nicht den Inhalt der Sendung selbst betreffen. Hierbei handelt es sich um die äußeren Verbindungsdaten, insbesondere die Namen und Anschriften von Absender und Empfänger, die Art, die Größe, das Gewicht und das Aussehen der Postsendung sowie Zeitpunkt und Ort ihrer Aufgabe und Zustellung, während der „Inhalt von Postsendungen“ den Schutzbereichskern des Brief- und Postgeheimnisses betrifft und den gesamten gegenständlichen und gedanklichen Inhalt der Postsendung umfasst (vgl. BT-Drucks. 13/7774, S. 29; Stern a.a.O. Rdn. 10, 14; s. auch Altenhain, in: Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 206 Rdn. 31). Die Eingriffsbefugnis in § 39 Abs. 5 PostG greift diese Unterscheidung auf. Während sich § 39 Abs. 3 und 4 PostG umfassend auf die nach § 39 Abs. 1 PostG geschützten Tatsachen beziehen, erlaubt § 39 Abs. 5 PostG in geringerer Eingriffstiefe allein eine Weitergabe von Informationen über die äußeren Umstände des Postverkehrs. Dass die Vorschrift dabei den Wortlaut von § 39 Abs. 1 PostG („die näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter natürlicher oder juristischer Personen“) nur verkürzt wiedergibt („Postverkehr einer Person“), bedeutet keinen sachlichen Unterschied.

Entstehungsgeschichtlich differenzierte bereits die Vorgängernorm hinsichtlich der möglichen Eingriffe. So war „den mit postdienstlichen Verrichtungen betrauten Personen (…) untersagt, (…) über den Postverkehr bestimmter Personen oder über den Inhalt von Postsendungen einem anderen eine Mitteilung zu machen“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 PostG a.F.). Zu Zwecken der Verfolgung einer im Zusammenhang mit dem Postdienst begangenen Straftat entband § 5 Abs. 3 PostG a.F. (1974) sowie § 5 Abs. 2 Satz 2 PostG a.F. (1995) die Bediensteten der damaligen Deutschen Bundespost allerdings umfassend von dem Verbot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 PostG a.F.. Die Neufassung des Erlaubnistatbestandes in § 39 Abs. 5 PostG sollte den Gesetzesmaterialien zufolge dem bisherigen § 5 Abs. 2 Satz 2 PostG entsprechen und nur redaktionell überarbeitet worden sein (BT-Drucks. 13/7774, S. 30); gleichwohl ist die Eingriffsbefugnis in der Neufassung maßgeblich eingeschränkt worden. Ob dies dem gesetzgeberischen Willen entsprach oder es sich um ein Fassungsversehen handelt, ist nicht erkennbar. Einem möglicherweise entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers könnte allerdings ohne durchgreifende Bedeutung nicht zukommen, da er im Wortlaut der Vorschrift keinen Ausdruck gefunden hat, diese die den Postunternehmen und Ermittlungsbehörden eingeräumten Eingriffsbefugnisse vielmehr anhand der bereits in der Vorgängervorschrift eingeführten Begriffe deutlich unterscheidet und angesichts der bewirkten Grundrechtseinschränkung ohnehin restriktiv auszulegen ist (vgl. BGHSt 48, 240, 247 für § 100a StPO; BGHSt 23, 329, 330 für § 6 Abs. 7 ZollG a.F.).

Ob eine Beschränkung der Eingriffsbefugnis auch dem Zweck von § 39 Abs. 5 PostG bestmöglich entspricht, weil – wie in der Literatur teilweise behauptet (Stern a.a.O. § 39 Rdn. 60) – die Verfolgung der in der Vorschrift bezeichneten vertraglichen Ansprüche und Straftaten nicht zwingend die Kenntnis vom Inhalt der Briefsendungen erfordere, kann dahinstehen. Zumindest im Einzelfall – wie auch vorliegend – würde eine weiterreichende Befugnis die Ermittlungen jedenfalls wesentlich vereinfachen und beschleunigen. Eine Erweiterung der von § 39 Abs. 5 PostG verliehenen Befugnisse kann angesichts des eindeutigen Wortlautes und des grundlegenden Vorranges des Postgeheimnisses aus bloßen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten jedoch nicht hergeleitet werden. Die Ermittlungsbehörden waren im vorliegenden Fall vielmehr darauf verwiesen, sich allein die Adressdaten der geschädigten Postkunden übermitteln zu lassen und – nach Weiterleitung der Postsendungen an diese – über Nachfragen einen für die Ermittlungen möglicherweise bedeutsamen Briefinhalt, insbesondere das Fehlen versandter Gegenstände in Erfahrung zu bringen.

(3) Die polizeiliche Sicherstellung der Briefsendung nach § 94 Abs. 1 StPO war wegen des Vorrangs der von §§ 99, 100 StPO geregelten Briefbeschlagnahme als Grundlage für eine Verwertung des Briefinhaltes nicht ausreichend.

cc) In Ermangelung einer Eingriffsgrundlage unterliegt der Inhalt des Briefes des Angeklagten einem Verwertungsverbot.

(1) Ein derartiges Verbot ergibt sich allerdings nicht bereits gesetzlich aus § 39 Abs. 3 Satz 2 und 3 PostG. Denn die Regelungen richten sich allein an die nach § 39 Abs. 2 PostG Verpflichteten.

(2) Beweismittel, die unter Verletzung des Postgeheimnisses erlangt worden sind, dürfen in einem Strafverfahren grundsätzlich nicht verwertet werden (vgl. BGHSt 23, 329, 331; BGH NJW 2006, 1361; Menges, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 99 Rdn. 32; Greven, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 99 Rdn. 13; Wohlers, in: SK-StPO, 4. Aufl., § 99 Rdn. 22). Anderes kann nur dann gelten, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung der Verstoß gegen das Brief- und Postgeheimnis deutlich geringer wiegt als das Interesse an einer effektiven Strafverfolgung, oder wenn lediglich ein nicht schwerwiegender verfahrensrechtlicher Fehler, der auch nicht gezielt oder leichtfertig begangen wurde, vorliegt (vgl. Greven a.a.O.; Menges a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 99 Rdn. 17 unter Bezug auf unveröffentl. Rspr. des BGH; s. auch Bruns, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 100a, Rdn. 53 ff.). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

Bei den Straftaten, zu deren Verfolgung die Ermittlungsbehörden ursprünglich tätig geworden sind, handelt es sich um keine schweren; der erstrebte Ermittlungserfolg wäre zudem – wenngleich mit größerem Aufwand – auch unter Beschränkung auf die von § 39 Abs. 5 PostG erlaubten Eingriffe erreichbar gewesen. Eine leichtfertige oder gar gezielte Überschreitung der Eingriffsbefugnisse nach § 39 Abs. 5 PostG kann den Ermittlungsbehörden angesichts der bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärten Reichweite der Vorschrift zwar nicht angelastet werden; auch liegt, wie bereits die Vorgängervorschrift des § 5 PostG a.F. belegt, im Verhältnis zu dem verfolgten Zweck kein mit der grundrechtlichen Gewährleistung und seiner Einschränkbarkeit schlechterdings unvereinbarer Eingriff vor. Gleichwohl handelte es sich weder um eine bloße Fehlbeurteilung der Voraussetzungen der Maßnahme noch um einen – wie bei fehlender Zuständigkeit, Verstoß gegen Form- oder Begründungsanforderungen oder einer zu beanstandenden Art und Weise des Maßnahmevollzuges – verfahrensrechtlichen Fehler bei ihrer Durchführung, sondern um die Inanspruchnahme einer von der Vorschrift von Vornherein nicht gedeckten Ermittlungsmaßnahme, durch die der Kernbereich des Grundrechtes nach Art. 10 GG verletzt wurde. Soweit § 99 StPO einen derartigen Kernbereichseingriff erlaubt, fehlte es sowohl an der grundlegenden Eingangsvoraussetzung eines Tatverdachtes gegen den Absender oder Empfänger der Sendung als auch an der nur durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft (§ 100 Abs. 1 StPO) vorzunehmenden Anordnung und Durchführung einer derartigen Maßnahme.

(3) Dass es sich bei dem Briefinhalt um einen Zufallsfund hinsichtlich der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat handelt, führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Eine verfahrensübergreifende Verwertung erlangter Beweismittel ist den Ermittlungsbehörden und Gerichten grundsätzlich nicht versagt. Dies gilt auch dann, wenn im Ausgangsverfahren gewonnene Erkenntnisse sich ausschließlich für eine anderweitige, bis dahin noch nicht bekannte und von einem anderen Täter begangene Straftat als relevant erweisen (Zufallsfund). Die grundsätzliche Verwertbarkeit ergibt sich aus § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO sowie einer Vielzahl von Regelungen hinsichtlich einzelner strafprozessualer Maßnahmen (vgl. § 98b Abs. 3, § 100b Abs. 5, § 100d Abs. 5, § 100h Abs. 3, § 108 StPO); sie entspricht zudem gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGHSt 26, 298, 303; 28, 122, 125). Hinsichtlich einer Postbeschlagnahme nach § 99 StPO liegt – ohne dass es einer abschließenden Entscheidung hierüber bedarf – zudem nahe, die Erstreckungsregelung des § 108 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden (vgl. BGHSt 28, 349; Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 108 Rdn. 6; s. auch BVerfG NJW 2010, 2937 jeweils zur Postkontrolle bei Untersuchungsgefangenen).

Allerdings kann die Verwertbarkeit von Zufallsfunden grundsätzlich nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die für die Verwertbarkeit originär verfahrensbezogener Beweismittel gelten. Voraussetzung für die Verwertbarkeit von Zufallsfunden ist daher, dass die ursprüngliche Maßnahme rechtmäßig angeordnet wurde (BGHSt 48, 240, 249; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 5, 8 und 10 jeweils zu § 100a StPO; s. auch BVerfG NJW 2005, 2766); ein schwerer verfahrensrechtlicher Mangel, auf dem die Beweiserlangung beruht, ist für den Zufallsfund gleichermaßen zu berücksichtigen. Nach der Wertung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO muss sich zudem dann, wenn die Beweiserhebung nur zur Verfolgung bestimmter Anlasstaten erfolgen durfte, auch der Zufallsfund auf eine für die Anordnung der Ermittlungsmaßnahme taugliche Anlasstat beziehen. Eine gegenüber dem Ursprungsverdacht erleichterte Verwertbarkeit kann sich allenfalls in solchen Fällen ergeben, in denen gerade der erlangte Zufallsfund oder die Tat, auf die er sich bezieht, die Anforderungen der prozessualen Eingriffsgrundlage erfüllt, während dies für die Beweismittel oder Tat, auf welche die Maßnahme ursprünglich abzielte, noch nicht galt. Insgesamt bestimmen sich die Rechtmäßigkeit der Erlangung des Zufallsfundes und seine Verwertbarkeit regelmäßig nach dem Gedanken des hypothetischen Ersatzeingriffes, mithin danach, ob die Maßnahme rechtmäßig auch zur Erlangung des Zufallsfundes hätte angeordnet werden dürfen (vgl. BGHSt 24, 125, 130; 48, 240, 248; 58, 32; BGH NJW 2003, 2034; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 477 Rdn. 8; vgl. Greven, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., vor § 94 Rdn. 11, § 94 Rdn. 20 m.w.Nachw.; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., Einl. Rdn. 57c, § 477 Rdn. 5; Singelnstein ZStW 120 [2008], 880). Nach diesem Maßstab unterliegt der Brief des Angeklagten einem Verwertungsverbot.

Soweit eine Ermittlungsmaßnahme auf § 39 Abs. 5 PostG in Rede steht, betrifft der ursprüngliche Mangel, dass vom Inhalt der Sendung Kenntnis genommen wurde, obwohl die Vorschrift zu einem derartigen Eingriff nicht berechtigt, auch den Zufallsfund. Hinzu tritt, dass der Zufallsfund auf keine Straftaten der in § 39 Abs. 5 PostG bezeichneten Art hinweist; denn der Verdacht von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, welche sich aus dem Briefinhalt ergibt, steht in keinem Zusammenhang mit Straftaten „beim Postverkehr“ im Sinne der Vorschrift. Nach dem Gedanken des – unmittelbar nur auf Maßnahmen nach der Strafprozessordnung anwendbaren – § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO hätte eine Weitergabe der nach § 39 Abs. 5 PostG erlangten Erkenntnisse zur Aufklärung einer etwaigen Betäubungsmittelstraftat des Angeklagten daher nicht erfolgen dürfen.

Soweit § 99 StPO als Grundlage der Ermittlungsmaßnahme in Betracht kommt, bezieht sich der Zufallsfund zwar auf eine Straftat des Briefabsenders, so dass – anders als hinsichtlich der ursprünglich erfolgten Straftat – der persönliche Anwendungsbereich einer Postbeschlagnahme nach § 99 Satz 2 StPO eröffnet gewesen wäre (vgl. oben unter bb) (1)). Unverändert fehlt es jedoch an dem von § 99 StPO vorausgesetzten Anfangsverdacht bezüglich des Absenders oder Adressaten der Sendung sowie an einer den verfahrensrechtlichen Vorgaben von § 100 StPO genügenden Vornahme der Maßnahme.

Setzten sich die der ursprüngliche Ermittlungsmaßnahme innewohnenden Mängel aber hinsichtlich des Zufallsfundes fort, und hätte auch dieser nicht rechtmäßig erlangt und der Verwendung in einem anderweitigen Verfahren zugeführt werden können, so ist er gleichfalls unverwertbar. Insbesondere kommt den verfahrensbezogenen Mängeln und dem durch sie bewirkten unrechtmäßigen Grundrechtseingriff ein derartiges Gewicht zu, dass sie auch durch das gesteigerte Verfolgungsinteresse an der dem Angeklagten angelasteten Straftat nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, die zwar bereits als Verbrechen einzuordnen ist, nach ihrer konkreten Ausprägung gleichwohl im Bereich mittlerer Kriminalität verbleibt, nicht aufgewogen werden können.

dd) Ein durchgreifender Verfahrensmangel liegt gleichwohl nicht vor. Denn eine – für den Bestand des Urteils allein maßgebliche – Fernwirkung kommt dem Verwertungsverbot nach Lage des Falles nicht zu.

(1) Der von den Ermittlungsbehörden verfahrensfehlerhaft zur Kenntnis genommene Brief des Angeklagten bildete lediglich einen Ermittlungsansatz. Er lieferte den Anlass und Anfangsverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung bei dem Angeklagten. Erst diese Ermittlungsmaßnahme führte zum Auffinden der von dem Angeklagten besessenen Betäubungsmittel und damit zugleich zu Informationen über ihre Art, Gesamtmenge und ihren Wirkstoffgehalt. Die den Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils tragenden Feststellungen gründen sich im Wesentlichen hierauf, namentlich auf das durch die Aussage von Ermittlungsbeamten belegte Auffindeergebnis und den durch eine toxikologische Untersuchung belegten Wirkstoffgehalt der im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel. Soweit – wie sich allerdings bereits aus dem angefochtenen Urteil nicht eindeutig ergibt – das Amtsgericht der durch den Briefinhalt belegten Bestellung von Hanfpflanzen oder -samen durch den Angeklagten überhaupt Beweisbedeutung für die Schuldfrage zugemessen haben sollte, beruht das Ergebnis der Beweiswürdigung hierauf ersichtlich nicht.

Die Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes umfasst grundsätzlich nur das von dem Verfahrensmangel betroffene Beweismittel, vorliegend mithin den unter Verletzung des Postgeheimnisses erlangten Brief des Angeklagten und die damit unmittelbar zu beweisenden Tatsachen, wie hier die aus dem Briefinhalt hervorgehende Bestellung von Cannabissamen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1973, 208). Damit kommt es darauf an, ob dem Verwertungsverbot einer Fernwirkung auch hinsichtlich solcher Ermittlungshandlungen und Beweise zukommt, deren Vornahme und Erhebung das unverwertbare Beweismittel erst ermöglicht hat.

(2) Eine Fernwirkung von Beweiserhebungs- oder Beweisverwertungsverboten ist dem deutschen Strafprozessrecht zwar nicht grundsätzlich fremd. Sie ist jedoch eng begrenzten Ausnahmen vorbehalten; der Bundesgerichtshof hat sie bislang überwiegend abgelehnt und lediglich in einem Fall (BGHSt 29, 244 bzgl. § 7 Abs. 3 G-10-Gesetz a.F.) bejaht. Maßgeblich ist, ob nach der Sachlage und der Art des Verwertungsverbots ausnahmsweise dessen Fernwirkung angenommen werden muss (vgl. BGHSt 51, 1, 7; 34, 362, 364; 27, 355; BGH NJW 1988, 1223; OLG Köln NZV 2001, 137; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., Einl. Rdn. 57 sowie § 477 Rdn. 5a; Kudlich, in: Münchener Kommentar, StPO, Einl. Rdn. 488 f.; Radtke NStZ 2017, 180, 181 jeweils m.w.Nachw.; krit. Wolter NStZ 1984, 276, 277). Dabei können die Erwägungen, die zur Annahme des ursprünglichen Beweisverbotes geführt haben, nicht unbesehen zur Rechtfertigung einer weiterreichenden, die Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens tiefgreifend beeinträchtigenden Fernwirkung (vgl. BGHSt 34, 362; 35, 32, 34; s. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1686/04 [juris] = BVerfGK 7, 61) herangezogen werden.

Grundrechtseingriffe, die durch die Fehlanwendung von Verfahrensrecht verursacht wurden, nötigen für sich genommen noch nicht zur Annahme eines Verwertungsverbotes auch mittelbar erlangter Beweismittel (vgl. BGHSt 27, 355; 32, 68; 51, 1, jeweils für Verstöße gegen § 100a StPO und damit zugleich gegen das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG). Eine Grenze wird bei bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen zu ziehen sein, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden. Auch kann bei ausdrücklichen Verwertungsverboten, die den Kernbereich des Persönlichkeitsrechtes und die Menschenwürde betreffen (vgl. § 136a, § 100a Abs. 4 StPO), abhängig von der Eingriffstiefe eine Fernwirkung in Betracht kommen (vgl. Diemer, in: Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., § 136a Rdn. 42; s. aber BGHSt 34, 326).

Bloße Kausalitätserwägungen dahingehend, dass erst das unverwertbare Beweismittel auf die Spur des Beschuldigten gebracht und seine Überführung ermöglicht habe, vermögen eine Fernwirkung demgegenüber nicht zu begründen. Das Beweismittel kann auch zur Begründung des Tatverdachtes für eine anderweitige Ermittlungsmaßnahme herangezogen werden (vgl. BGHSt 51, 1). Die Begrenzung ist für eine einer wirksame Strafverfolgung erforderlich, da sich nicht vorhersagen lässt, ob die Verfolgungsbehörden – ggf. aus anderem Anlass – den Beschuldigten nicht anderweitig ermittelt hätten (vgl. BGHSt 32, 68, 70 f.; 34 362, 364 f.). Die spätere Beweisführung darf allerdings nicht durch die unverwertbaren Erkenntnisse beeinflusst worden sein, insbesondere nicht dadurch, dass sie dem Beschuldigten oder einem Zeugen vorgehalten werden. Ein Verwertungsverbot aufgrund einer Fernwirkung wird daher auch für mittelbar gewonnene, selbstbelastende Angaben des Beschuldigten angenommen, die dieser – sich als überführt ansehend – unter dem Eindruck des Vorhalts unzulässig gewonnener Erkenntnisse gemacht hat (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2017, 177 m.krit.Anm. Radtke; s. auch BGHSt 27, 355, 358; 32, 68, 70), da insoweit zugleich die Grenzen der Selbstbelastungsfreiheit berührt sind. Dagegen wird eine Fernwirkung regelmäßig auszuschließen sein, wenn die rechtsfehlerhaft gewonnene Erkenntnis nur den Anlass für den späteren Ermittlungsvorgang bildet, auf das dabei gewonnene Beweisergebnis aber keinen bestimmenden Einfluss mehr hat (BGHSt 27, 355, 358; OLG Köln NZV 2001, 137; OLG Karlsruhe NStZ 2004, 643; s. auch BVerfG a.a.O.).

(3) Nach diesem Maßstab lässt sich vorliegend keine Fernwirkung des Beweisverbotes annehmen. Das Ergebnis der durchgeführten Durchsuchung war nicht deshalb unverwertbar, weil die Durchsuchungsanordnung aufgrund eines anderweitigen, rechtswidrig erlangten und daher unverwertbaren Beweismittels ergangen war.

Die Schwere des Rechtsverstoßes drängt zu einer derartigen Annahme nicht. Die dem Beweisverwertungsverbot zugrunde liegende Maßnahme beruhte zwar auf einer Überschreitung der Reichweite der den Ermittlungsbehörden zustehenden Eingriffsbefugnisse, ging mithin über einen bloßen Irrtum über die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erlaubnisnorm hinaus. Durch die Ermittlungsmaßnahme wurde – wie indes bei einem Verwertungsverbot strafprozessualer Maßnahmen zumeist – ungerechtfertigt in den Kernbereich eines Grundrechtes des Angeklagten eingegriffen.

In dem behördlichen Vorgehen lag jedoch keine gezielte Missachtung oder Umgehung der Grundrechtsgewährleistung nach Art. 10 GG, § 39 PostG. Die Ermittlungsbehörden haben sich zu einer inhaltlichen Durchsicht des Briefes des Angeklagten nach § 39 Abs. 5 PostG berechtigt gesehen. Die ermittelnde Polizeibeamtin ging einer konkreten Verdachtslage hinsichtlich einer grundsätzlich unter Durchbrechung des Briefgeheimnisses verfolgbaren Straftat nach; die von ihr vorgenommene Briefkontrolle beschränkte sich auf die von dem unbekannten Täter bereits geöffneten und ihr von dem Postdienstleister überlassenen Briefsendungen. Anders als die Revision meint, war ihr Vorgehen nicht darauf ausgerichtet, unter willkürlicher Verletzung des Postgeheimnisses Kenntnis von dem Inhalt von Briefsendungen beliebiger Dritter zu erlangen, dabei systematisch nach zufällig hervortretenden Verdachtslagen zu suchen und diesen nachzugehen. Vielmehr befand sie sich im Irrtum über die in der Rechtsprechung bislang nicht näher geklärte Reichweite der ihr nach § 39 Abs. 5 PostG zustehenden Befugnisse. § 39 PostG enthält – anders als etwa § 160a Abs. 1, § 100a Abs. 4 StPO oder § 7 Abs. 3 G-10-Gesetz a.F. – auch kein an die Ermittlungsbehörden gerichtetes ausdrückliches prozessuales Verwendungs- oder Verwertungsverbot, über das sie sich hinweggesetzt hätte. Verfahrensrechtliche Gewährleistungen, die dem Schutz der Menschenwürde und dem Kernbereich des Persönlichkeitsrechtes dienen, sind von dem Verfahrensverstoß nicht betroffen.

Die durch den Verfahrensverstoß gewonnenen Erkenntnisse bildeten zwar den alleinigen Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten und begründeten zunächst alleinig den gegen ihn bestehenden Anfangsverdacht. Die hieraus hervorgehenden Beweismittel sind in ihrem Gehalt von dem Vorstoß jedoch unbeeinflusst. Auch die aufzuklärende Tat bewegt sich als Verbrechen in ihrem Schweregrad jedenfalls nicht in einem unteren Bereich.

Bei dieser Sachlage bedarf es zur Einhaltung von Verfahrensrechten und der Gewährleistung grundrechtlicher Sicherungen der weitestmöglichen Sanktionierung des Verfahrensverstoßes durch Zuschreibung einer Fernwirkung nicht. Allerdings wäre der Fall naheliegend anders zu entscheiden, wenn die Reichweite der Eingriffsbefugnis nach § 39 Abs. 5 PostG bereits obergerichtlich bestimmt und die Ermittlungsbehörden sich hierüber bewusst oder in leichtfertiger Unkenntnis hinweggesetzt hätten. Bei einer derartigen Konstellation – die auch nach Kenntnisnahme von der vorliegenden Entscheidung angenommen werden müsste – dürfte es der Schutzzweck des Verwertungsverbotes erfordern, dass unter willkürlicher Verletzung des Postgeheimnisses erlangte Erkenntnisse einer auch mittelbaren Nutzung im Strafverfahren verschlossen blieben.

2. Die in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge, derzufolge die Durchsuchungsmaßnahme für sich genommen fehlerhaft sei, weil es ihr an der erforderlichen Bestimmtheit ermangele, greift gleichfalls nicht durch. Der Tatverdacht, Gegenstand der Durchsuchung und die aufzufindenden Gegenstände sind in dem Durchsuchungsbeschluss in hinreichend bestimmter, § 105 StPO genügender Weise bezeichnet. Insbesondere lässt die Anordnung durch eine konkrete Aufzählung – „Cannabis, Aufzuchtanlagen (Elektrik, Bewässerungssysteme, Wachstumslampen), schriftliche Unterlagen über Betäubungsmittelgeschäfte“ (Bl. 16 d.A.) – keinen Zweifel darüber offen, welche Gegenstände gegebenenfalls einer Sicherstellung oder Beschlagnahme unterliegen sollen, vgl. Greven, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., vor § 94 Rdn. 11, § 94 Rdn. 20 m.w.Nachw.und begrenzt die Durchsuchung damit hinreichend (vgl. BVerfG NJW 2009, 2516; Senat, Beschluss vom 19. Juni 2006 – 1 Ws 385/06 [juris]; Bruns, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 105 Rdn. 4). Dass der Ermittlungsrichter sie neben der Wohnung des Angeklagten auf andere Räume und eventuelle Fahrzeuge erstreckt hat, begegnet nach der Verdachtslage, wonach der Angeklagte des Anbaus von Cannabis in größerem Maßstab verdächtig war, keinen Bedenken.

3. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat gleichfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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