OLG Düsseldorf – Az.: 2 RVs 11/21 – Beschluss vom 27.04.2021
1. Das angefochtene Urteil wird im Ausspruch über die Tagessatzhöhe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Oberhausen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Oberhausen hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich die konkludent auf die Sachrüge gestützte (Sprung-)Revision des Angeklagten.
II.
Die Revision des Angeklagten führt lediglich dazu, dass das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Tagessatzhöhe mit den zugehörigen Feststellungen der Aufhebung unterliegt. Die weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Bei Erhebung der Anklage wie auch in dem erstinstanzlichen Verfahren ist übersehen worden, dass die geschädigte Zeugin W. keinen Strafantrag (§ 230 Abs. 1 StPO) gestellt hat. Sie hat sich die Stellung eines Strafantrags lediglich vorbehalten (Bl. 20). Der gegenteilige Vermerk in der Anklage ist unzutreffend.
Allerdings kann die Tat nunmehr auch ohne Strafantrag verfolgt werden, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung auf den Hinweis des Senats bejaht hat. Diese Erklärung konnte noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (vgl. BGH NStE Nr. 1 zu § 303c StGB; BeckRS 2012, 22868; BayObLG NJW 1991, 3292, 3293; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 230 Rdn. 4).
2. Es liegt ein wirksamer Eröffnungsbeschluss vor. Zwar ist dort das Datum der ursprünglichen Anklage vom 26. Februar 2020 angegeben worden. In dem Abstraktum dieser Anklage waren die Tatvorwürfe dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten indes nicht richtig zugeordnet worden. Auf den näher begründeten Hinweis des Amtsgerichts hatte die Staatsanwaltschaft die Anklage vom 26. Februar 2020 durch die korrigierte Anklage vom 28. April 2020 ersetzt.
Da die Erhebung der korrigierten Anklage vom 28. April 2020 gerade auf den Hinweis des Amtsgerichts zurückgeht, hat der Senat keinen Zweifel daran, dass das Amtsgericht tatsächlich diese Anklage zur Hauptverhandlung zulassen wollte. Dass demgegenüber das überholte Datum in dem Eröffnungsbeschluss erscheint, erklärt sich zwanglos daraus, dass der Eröffnungsbeschluss mit dem Textsystem Justiz (TSJ) erzeugt worden ist, wobei die Serviceeinheit versäumt hatte, das Datum der korrigierten Anklage in das datenbankgestützte System JUDICA einzugeben. Denn auf die dort erfassten Daten greift das Textsystem Justiz (TSJ) bei der Textproduktion automatisch zurück. Ein durch diesen Automatismus entstandener Fehler (etwa auch bei Aktenzeichen, Namen und Anschriften) kann in dem Text, den der Richter unterschreibt, leicht übersehen werden.
3. Das Amtsgericht hat eine Tagessatzhöhe von 25 Euro zugrunde gelegt, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, der hierzu keine Angaben gemacht hat, zu treffen. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie das Amtsgericht diesen Betrag ermittelt hat.
Zwar können die Einkünfte des Angeklagten, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden (§ 40 Abs. 3 StGB). Jedoch setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen und deren überprüfbare Darstellung in den Urteilsgründen voraus (vgl. BVerfG NStZ-RR 2015, 335; OLG Hamm StraFo 2001, 19; KG Berlin BeckRS 2016, 2914; OLG Zweibrücken ZfSch 2017, 649). Daran fehlt es hier. Soweit der Angeklagte im Urteilsrubrum als „Selbständiger“ bezeichnet worden ist, kommt dem schon mangels Angabe des Berufszweiges keine Aussagekraft zu. Auch ist nicht ersichtlich, worauf diese berufliche Einordnung beruht. Abgesehen davon sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten in den Urteilsgründen zu treffen.
Da es sich bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe um einen abtrennbaren Teil des Strafausspruchs handelt, führt der Rechtsfehler nur insoweit zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung (vgl. BGH NStZ 1986, 547; BeckOK StPO/Wiedner, 39. Edition 2021, § 353 Rdn. 23).
III.
Für die Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben macht, können in zwei Schritten Finanzermittlungen durchgeführt werden.
Zunächst kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2016, 48; BeckOK StPO/Sackreuther, 39. Edition 2021, § 161 Rdn. 5; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 161 Rdn. 39). Denn der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die durch § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG eröffnete Auskunftsmöglichkeit auf bestimmte Katalogtaten zu beschränken. Vielmehr gelten die allgemeinen Regeln der §§ 152 Abs. 2, 160 StPO. Danach genügen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat (vgl. BT-Drucksache 14/8017, S. 123).
Das Auskunftsersuchen kann nach Anklageerhebung durch das mit der Sache befasste Gericht gestellt werden (vgl. BGH NJW 1981, 1052; OLG Stuttgart NStZ 2016, 48).
Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden. Dies geschieht in der Praxis in der Weise, dass die Kreditinstitute in dem Auskunftsersuchen darauf hingewiesen werden, dass durch die Erteilung einer schriftlichen Auskunft (nebst Übersendung von Ablichtungen der zugehörigen Unterlagen) die Durchsuchung der Geschäftsräume oder die Zeugenvernehmung von Mitarbeitern abgewendet werden kann.
Um einen aussagekräftigen Überblick über die Einkünfte des Angeklagten zu erhalten, sollte sich die Auskunft zu Girokonten auf die Buchungen ca. des letzten Jahres erstrecken.
Die Auskunftsersuchen an die BaFin und die kontoführenden Kreditinstitute wären verhältnismäßig. Andere hinreichenden Erfolg versprechende Ermittlungsmaßnahmen stehen hier nicht zur Verfügung. So scheidet bei einem beruflich Selbständigen eine Befragung des Arbeitgebers zu Lohn- und Gehaltszahlungen aus.
Die Finanzermittlungen wären entbehrlich, wenn der Angeklagte rechtzeitig vor der neuen Hauptverhandlung schriftsätzlich konkrete Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen würde.