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Aufhebung Haftbefehl – Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr

LG Halle (Saale) – Az.: 3 Qs 561 Js 9136/21 (58/21) – Beschluss vom 11.06.2021

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 12.03.2021 – Az.: 397 Gs 561 Js 9136/21 (201/21) – aufgehoben.

Gründe

I.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft … erließ das Amtsgericht …) am 12.03.2021 – Az.: 397 Gs 561 Js 9136/21 (201/21) – einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Zur Begründung führte es aus, der Beschuldigte sei dringend verdächtig, am 11.03.2021 in … tateinheitlich unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und unerlaubt Betäubungsmitteln im Besitz gehabt zu haben, §§ 1, 3, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 52 StGB.

Am 11.03.2021 sei in anderer Sache das Wohnhaus des Beschuldigten nebst Garage in der … in … durchsucht worden. Dabei sei in der Garage eine Einkaufstüte gefunden worden, in der sich neben mehreren neu verpackten SIM-Karten 3.110 EUR in szenetypischer Stückelung (28 x 50 EUR, 69 x 20 EUR, 33 x 10 EUR) und zwei Plastiktüten mit insgesamt 966 g Marihuana befunden haben. Im Arbeitszimmer des Hauses sei eine weitere Tüte mit 18 g Marihuana und 0,42 g Marihuana in einer Alufolie gefunden worden. Das sichergestellte Bargeld stamme aus vorangehenden Betäubungsmittelgeschäften, das sichergestellte Marihuana habe der Beschuldigte gewinnbringend weiterverkaufen wollen. Die im Wohnhaus sichergestellten Drogen hätten dem Eigenbedarf gedient.

Weiterhin nahm das Amtsgericht Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO und Wiederholungsgefahr gemäß § 112a StPO an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 19.07.2020 (Bl. 56f HSH) verwiesen.

Der Beschuldigte war bereits am 11.03.2021 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem 12.03.2020 aufgrund des oben genannten Haftbefehls in Untersuchungshaft.

Nach einem Haftprüfungstermin am 04.05.2021 erhielt das Amtsgericht … mit Beschluss vom 07.05.2021 den Haftbefehl vom 12.03.2021 aufrecht. Allerdings ging es nicht mehr vom Haftgrund der Fluchtgefahr aus, nahm jedoch weiterhin den Haftgrund der Wiederholungsgefahr an. Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss (Bl. 135 HSH) verwiesen.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte mit anwaltlichem Schreiben vom 03.06.2021 Beschwerde ein. Zur Begründung verwies er zum einen darauf, dass für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts die Spurenlage unvollständig sei und legte weitere seiner Ansicht nach entlastende Umstände dar. Im Hinblick auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr führte er unter Hinweis auf obergerichtliche Rechtsprechung aus, dass die letzte einschlägige Straftat vor fast fünf Jahren begangen wurde und Tatvorwürfe, die mehrere Jahre zurücklägen, nicht geeignet seien, eine Wiederholungsgefahr zu begründen.

Das Amtsgericht …) hat der Beschwerde mit Verfügung vom 09.06.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 07.05.2021 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Kammer lässt es dahinstehen, ob nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht. Jedenfalls ist ein Haftgrund nicht gegeben.

Die Kammer geht zunächst wie das Amtsgericht davon aus, dass keine Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht. Der Beschuldigte hat einen festen Wohnsitz, eine Arbeitsstelle und lebt zwar von der Mutter seines Kindes getrennt, praktiziert aber das Wechselmodell, bei dem das Kind in jeder zweiten Woche bei ihm wohnt. Zwar hat der Beschuldigte aufgrund seiner auch einschlägigen Vorstrafen und seines Bewährungsversagens bei einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe sicherlich eine unbedingte Freiheitsstrafe zu erwarten. Diese dürfte sich aber, da der Beschuldigte zum ersten Mal wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (die frühere Verurteilung bezog sich lediglich auf den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) aufgefallen ist und es sich um die weiche Droge Marihuana handelt, bei der hier festgestellten etwa 18-fachen Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge dennoch noch im unteren Bereich des Strafrahmens bewegen. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch unter Berücksichtigung des drohenden Bewährungswiderrufs, der eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten betrifft, die familiären und sozialen Bindungen des Beschuldigten ausreichend, um dem sich aus der Straferwartung ergebenden Fluchtanreiz entgegenzuwirken.

Die Kammer hält aber auch den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht für gegeben. Dringenden Tatverdacht unterstellt, wäre der Beschuldigte dringend verdächtig, wiederholt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat nach § 29a Abs. 1 BtMG begangen zu haben, wobei sich die wiederholte Tatbegehung aus dem Urteil des Amtsgerichts …) vom 15.06.2018 ergibt, mit dem der Beschuldigte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Jedoch sind für die Kammer keine bestimmten Tatsachen ersichtlich, die die Gefahr begründen, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen werde. Die dem Urteil vom 15.06.2018 zu Grunde liegende Tat wurde am 31.08.2016 begangen, liegt also fast fünf Jahre zurück. Mit einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, wie es ihm hier vorgeworfen wird, ist der Beschuldigte noch nie aufgefallen. Seit der Verurteilung vom 15.06.2018 ist er strafrechtlich nicht mehr anderweitig in Erscheinung getreten. Eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten, die die Besorgnis begründen könnte, er werde die Serie gleichartiger Straftaten noch vor der Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 112a Rn. 14) vermag die Kammer bei dem Beschuldigten bei der gebotenen engen Auslegung des § 112a StPO (vgl. Böhm in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, § 112a Rn. 14) vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.

Soweit der Beschuldigte vom Amtsgericht … am 08.04.2010 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und diverser anderer Straftaten verurteilt wurde, kann dies zur Begründung der Wiederholungsgefahr nicht herangezogen werden, da sich daraus nicht ergibt, dass es sich bei dem (bloßen) Besitz von Betäubungsmitteln um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat handelt und die Tat im Übrigen mittlerweile mindestens zwölfeinhalb Jahre zurückliegt. Weitere Straftaten nach dem BtMG sind nicht aktenkundig.

 

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