OLG Karlsruhe, Az.: 3 (5) Ss 724/14 – AK 3/15, Beschluss vom 20.07.2015
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts C. – 6. Kleine Strafkammer – vom 5. September 2014 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts C. zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht D. verurteilte den Angeklagten am 17.10.2013 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht C. mit Urteil vom 5.9.2014 mit der Maßgabe, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt wurde. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision, welche die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schrift vom 5.1.2015, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
I.
Nach den Feststellungen der Strafkammer holte der Angeklagte die Nebenklägerin in den frühen Morgenstunden des … .2013 auf ihre Bitte hin mit seinem Auto bei Freunden ab und zwang sie bei einer Unterbrechung der Fahrt auf dem Rücksitz des Wagens mit Schlägen und Drohungen zum Geschlechtsverkehr.
II.
Die Revision des Angeklagten hat jedenfalls mit der Verfahrensrüge – zumindest vorläufig – Erfolg.
Die Strafkammer hat die Anträge, zur Aussage der Geschädigten ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen, zu Unrecht unter Annahme eigener Sachkunde abgelehnt.
Die Glaubhaftigkeit von Aussagen zu beurteilen, ist Aufgabe des Tatrichters, der in der Regel über die dafür erforderliche Sachkunde verfügt. Einen Sachverständigen hinzuzuziehen, ist nur dann geboten, wenn Besonderheiten des Sachverhalts Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Sachkunde des Richters auch unter den konkreten Umständen ausreicht (st. Rspr., s. BGH, NStZ 2013, 672 m.w.N.). Solche Zweifel können sich bei einer erwachsenen Aussageperson z. B. ergeben, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass ihre Wahrnehmungs- oder Erinnerungsfähigkeit aufgrund einer besonderen psychischen Disposition beeinträchtigt sein könnte (BGH, a.a.O.) Ausweislich der Begründung des ablehnenden Beschlusses vom 5.9.2014 leidet die Nebenklägerin nach ihren eigenen Angaben unter dem Asperger-Syndrom. Das Asperger-Syndrom ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Sie stellt sich als eine milde Form des frühkindlichen Autismus dar und geht typischerweise mit abnormen Funktionen in der sozialen Interaktion und Kommunikation einher, die bis ins Erwachsenenalter fortdauern können (ICD-10, F84.4, F84.0; s. auch Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2008, S. 722).
Um in einem solchen Zweifelsfall einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens gestützt auf eigene Sachkunde abzulehnen, ist diese im ablehnenden Beschluss oder im Urteil näher darzulegen (BGH, NStZ 2010, 100). Dem genügen die Ausführungen in den Beschlüssen vom 5.9.2014 nicht. Die Begründung, dass das Asperger-Syndrom einer interessierten Öffentlichkeit aus diversen Medien und dem Gericht aus beruflicher Befassung als eine Art Störung der sozialen Kommunikation und Interaktion (mit sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen, Ausprägungen und Schweregraden) bekannt ist, reicht für die Darlegung der Sachkunde bezogen auf die Aussage der Nebenklägerin nicht aus. Dadurch, dass in der mehr als 2 ½ Stunden dauernden Vernehmung der Nebenklägerin keine Auffälligkeiten festzustellen waren, lässt sich eine kognitive Beeinträchtigung nicht hinreichend sicher ausschließen. Entscheidend für ihr Wahrnehmungsvermögen ist nicht ihre Kompetenz in der Vernehmungs-, sondern in der Tatsituation.
Möglicherweise hätte die Strafkammer nach sachverständiger Beratung die Angaben der Nebenklägerin in Teilen – insbesondere die Vorgeschichte sowie das Geschehen vom Abholen mit dem Auto bis zur Tat -, die aber für die Strafzumessung von Bedeutung sind, anders bewertet. Somit ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der Ablehnung beruht. Danach war auch der Schuldspruch aufzuheben, obwohl der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat im Wesentlichen eingeräumt hat, weil das eingeräumte Geschehen und Teile der abweichend geschilderten Vorgänge in einem untrennbaren sachlichen Zusammenhang zueinander stehen.
III.
Ergänzend merkt der Senat an:
1. Die übrigen Verfahrensrügen sind unbegründet. Ergänzend ist anzumerken, dass die Strafkammer den Antrag auf Inaugenscheinnahme einer Videodatei zu Recht abgelehnt hat. Die Beweiserhebung war – in diesem Sinne ist die hilfsweise Begründung der Kammer zu verstehen – für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Erstellungsdatum und Ortsangabe in den Metadaten der Videodatei stehen nicht im Widerspruch zu den Angaben der Nebenklägerin. Ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 6 oben), welche die Kammer insoweit maßgeblich auf die Angaben der Nebenklägerin stützt, hat sie angegeben, den Angeklagten einmal in ihrer Wohnung empfangen zu haben, und zwar ein oder zwei Tage nach dem Kennenlernen am …. Dieses war der … .2013; ein Treffen zwei Tage später hätte somit am … .2013 stattgefunden. Dies lässt die greifbare Möglichkeit, dass die Videodatei, die am … .2013 um … Uhr nachts entstanden sein soll, ein am … .2013 begonnenes Treffen dokumentiert. Da die Strafkammer insoweit den Angaben der Nebenklägerin gefolgt ist und die Datei zu keinen abweichenden Schlüssen zwingt, vermochte die beantragte Beweiserhebung die Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen und war somit ohne Bedeutung.
2. Der Senat neigt dazu, § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB keinen eigenständigen Unrechtsgehalt beizumessen, wenn jedenfalls § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 verwirklicht ist.
3. Der Täter-Opfer-Ausgleich gemäß § 46a StGB erfordert schon nach seinem Grundgedanken ein Geständnis; jedoch ist ein vorbehaltloses Geständnis nicht ausnahmslos zu verlangen (BGH, NStZ-RR 2008, 304). Auch dem im Wesentlichen geständigen und zum Ausgleich bereiten Täter bleibt somit ein Spielraum, innerhalb dessen er sich verteidigen darf. Hält das Verteidigungsverhalten sich im zulässigen Rahmen, kann deswegen eine Strafmilderung nach § 46a StGB nicht versagt werden. Soll sie demgegenüber aufgrund unzulässigen Verteidigungsverhaltens versagt werden, sind die fraglichen Verhaltensweisen und die jeweils Handelnden konkret zu benennen, um eine revisionsgerichtliche Prüfung zu ermöglichen.