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Anforderungen an Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass ein Verurteilter trotz Vorstrafen und Bewährungsversagens den Strafrest zur Bewährung erhalten kann, wenn positive Umstände wie eine lange straffreie Zeit und die Aussicht auf eine Arbeitsstelle überwiegen. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre und unterliegt bestimmten Weisungen und Auflagen.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 Ws 200/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Verurteilte erfüllte die im vorherigen Verfahren auferlegte Bewährungsauflage zunächst teilweise, zahlte aber nach seiner Abschiebung keine weiteren Raten mehr.
  • Das Gericht sieht dennoch positive Aspekte, die für eine Strafaussetzung zur Bewährung sprechen.
  • Der Verurteilte wurde über acht Jahre nicht mehr straffällig und hat inzwischen eine Arbeitsstelle in Aussicht.
  • Bei erwartbaren Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität überwiegt die Legalprognose, sodass der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird.
  • Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre, der Verurteilte wird einem Bewährungshelfer unterstellt.
  • Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Zweite Chance: Strafaussetzung zur Bewährung trotz Vorstrafen

Eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft kann in bestimmten Fällen eine wichtige Möglichkeit sein, um Straftätern eine zweite Chance zu geben und ihre Resozialisierung zu fördern. Das Gesetz sieht in § 57 des Strafgesetzbuchs die Voraussetzungen für eine vorzeitige Strafaussetzung zur Bewährung vor. Hierbei spielen insbesondere Aspekte wie die Persönlichkeit des Verurteilten, die Prognose für sein zukünftiges Verhalten und das Schutzinteresse der Allgemeinheit eine zentrale Rolle. Die Gerichte müssen sorgfältig abwägen, ob der Strafrest ausgesetzt werden kann, ohne dass von dem Verurteilten weitere Straftaten zu befürchten sind. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine bedingte Entlassung gewährt werden und dem Straftäter die Chance zu einer erfolgreichen Resozialisierung eröffnet werden. In der Folge soll ein konkreter Gerichtsbeschluss zu den Anforderungen an die Strafaussetzung zur Bewährung näher beleuchtet werden.

Der Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Detail

Strafaussetzung zur Bewährung trotz Vorstrafen und Bewährungsversagen

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte in einem aktuellen Beschluss die Frage zu klären, ob einem Verurteilten trotz Vorstrafen und einem früheren Bewährungsversagen der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Der Verurteilte war im Jahr 2016 wegen Diebstahlsdelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Allerdings hatte das Amtsgericht die Strafaussetzung 2017 widerrufen, da der Verurteilte nach seiner Abschiebung in die Ukraine die auferlegte Geldauflage nicht mehr weiterzahlte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde der Verurteilte aufgrund des bestehenden Haftbefehls festgenommen.

Erfolgreicher Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung

Der Verurteilte beantragte die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, was vom Landgericht Darmstadt zunächst abgelehnt wurde. Das Oberlandesgericht Frankfurt hob diese Entscheidung auf und gewährte die Strafaussetzung zur Bewährung. Zwar sah auch das Oberlandesgericht die Vorstrafen und das frühere Bewährungsversagen als negative Aspekte an, jedoch überwogen aus Sicht des Gerichts die positiven Umstände.

Entscheidende Faktoren für die Legalprognose

Dem Verurteilten wurde zugutegehalten, dass er seit über acht Jahren keine neuen Straftaten begangen hat. Zwar hatte er sich zwischenzeitlich fünf Jahre nicht in Deutschland aufgehalten, jedoch sah das Gericht in der langen straffreien Zeit ein Indiz für eine positive Legalprognose. Außerdem konnte der Verurteilte eine Arbeitsstelle vorweisen, welche er nach seiner Haftentlassung antreten kann. Auch dies wertete das Gericht als positiven Faktor, da die damalige Straffälligkeit nach Angaben des Verurteilten durch fehlende Beschäftigung begründet war.

Weisungen und Auflagen im Rahmen der Bewährung

Das Oberlandesgericht setzte den Strafrest zur Bewährung aus und legte eine Bewährungszeit von drei Jahren fest. Dem Verurteilten wurde die Weisung erteilt, sich einem Bewährungshelfer zu unterstellen und diesen regelmäßig zu kontaktieren. Außerdem muss er jeden Wohnungswechsel unverzüglich melden. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

✔ FAQ zum Thema: Strafaussetzung zur Bewährung


Wie wird entschieden, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird?

Das Gericht entscheidet über eine Strafaussetzung zur Bewährung anhand einer Gesamtwürdigung verschiedener Faktoren mit dem Ziel einer Prognoseentscheidung. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

  • Die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben und die Umstände seiner Tat
  • Das Verhalten des Verurteilten im Vollzug und seine Lebensverhältnisse
  • Die zu erwartenden Wirkungen der Aussetzung auf den Verurteilten
  • Das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts
  • Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit

Voraussetzung ist stets, dass die Vollstreckung des Strafrests unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und eine günstige Legalprognose besteht, d.h. erwartet werden kann, dass sich der Verurteilte auch ohne Vollstreckung der Reststrafe künftig straffrei führen wird.

Ein Bewährungsversagen in der Vergangenheit schließt eine erneute Strafaussetzung nicht zwangsläufig aus, macht eine positive Prognose aber nur bei Vorliegen besonderer Umstände möglich. Dabei sind vor allem Gesichtspunkte einzubeziehen, die der Tatbegehung zeitlich nachfolgten, wie eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten.


Welche Rolle spielen Vorstrafen bei der Entscheidung über eine Bewährung?

Vorstrafen und ein früheres Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus. Sie haben zwar eine negative Indizwirkung bei der Prognoseentscheidung, insbesondere wenn der Verurteilte in der Vergangenheit einschlägig oder erheblich vorbestraft ist.

Allerdings kann diese Indizwirkung entfallen, wenn das Gericht nach Würdigung der Persönlichkeit, der Beweggründe für die früheren Taten und deren Begleitumstände sowie aufgrund von günstigen Veränderungen in den Lebensverhältnissen zu der Annahme gelangt, dass der Verurteilte sich künftig straffrei führen wird.

Ein Bewährungsversagen in der Vergangenheit macht eine positive Prognose nur bei Vorliegen besonderer Umstände möglich. Dabei sind vor allem Gesichtspunkte einzubeziehen, die der Tatbegehung zeitlich nachfolgten, wie eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten.

Je mehr einschlägige Vorstrafen vorliegen und je kürzer diese zurückliegen, desto strengere Anforderungen sind an eine positive Sozialprognose zu stellen. Das Gericht muss in diesen Fällen besonders sorgfältig und eingehend begründen, warum es trotz der Vorbelastungen von einem künftigen straffreien Verhalten ausgeht.


Was versteht man unter einer Legalprognose?

Die Legalprognose ist die gerichtliche Einschätzung darüber, ob von einem Verurteilten in Zukunft weitere Straftaten zu erwarten sind oder ob er sich voraussichtlich straffrei führen wird. Sie ist eine Prognose über das künftige Legalverhalten des Verurteilten und bildet die Grundlage für die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung.

Bei der Erstellung der Legalprognose sind insbesondere zu berücksichtigen:

  • Die Persönlichkeit des Verurteilten
  • Sein Vorleben einschließlich etwaiger Vorstrafen
  • Die Umstände seiner Tat(en)
  • Das Verhalten des Verurteilten im Strafvollzug
  • Seine gegenwärtigen Lebensverhältnisse
  • Die zu erwartenden Wirkungen der Strafaussetzung auf den Verurteilten

Das Gericht muss aufgrund einer Gesamtwürdigung aller relevanten Faktoren zu der Überzeugung gelangen, dass der Verurteilte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft straffrei verhalten wird. Dabei sind an die Legalprognose umso strengere Anforderungen zu stellen, je schwerer die begangenen Straftaten wiegen und je mehr einschlägige Vorstrafen vorliegen.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung setzt stets eine günstige Legalprognose voraus. Nur wenn erwartet werden kann, dass sich der Verurteilte auch ohne Vollstreckung der Reststrafe künftig straffrei führen wird, darf die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.


Welche Bedeutung haben Weisungen und Auflagen während der Bewährungszeit?

Weisungen und Auflagen spielen eine wichtige Rolle während der Bewährungszeit, um den Verurteilten zu einem straffreien Leben anzuleiten und das Rückfallrisiko zu minimieren.

Weisungen sind Ge- oder Verbote, die sich auf die Lebensführung des Verurteilten beziehen. Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Typische Weisungen können sein:

  • Anordnungen zu Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit
  • Kontaktverbote zu bestimmten Personen oder Gruppen
  • Therapieweisungen wie die Teilnahme an einer Suchtbehandlung
  • Meldepflichten beim Gericht oder einer anderen Stelle

Auflagen dienen der Genugtuung für das begangene Unrecht. Das Gericht kann dem Verurteilten beispielsweise auferlegen:

  • den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen
  • einen Geldbetrag an eine gemeinnützige Einrichtung oder die Staatskasse zu zahlen
  • gemeinnützige Leistungen zu erbringen

Dabei dürfen an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Die Auflagen und Weisungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen.

Das Gericht kann Auflagen und Weisungen auch nachträglich anordnen, ändern oder aufheben. Bei Verstößen droht die Verlängerung der Bewährungszeit oder der Widerruf der Strafaussetzung. Die Einhaltung der Weisungen und Auflagen wird durch die Bewährungshilfe überwacht.


Wie wirkt sich das Verhalten des Verurteilten nach der Straftat auf die Bewährungsentscheidung aus?

Das Verhalten des Verurteilten nach der Tat spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung. Das Gericht berücksichtigt insbesondere, ob sich der Verurteilte bemüht hat, eine Wiedergutmachung des durch ihn verursachten Schadens zu leisten.

Weitere positive Faktoren können sein:

  • Die Aufnahme oder Fortsetzung einer geregelten Arbeit
  • Die Teilnahme an Therapiemaßnahmen, insbesondere bei Suchtproblemen
  • Freiwilliges soziales Engagement
  • Geständnis und glaubhafte Reue

Solche Verhaltensweisen können als Indizien für eine erfolgreiche Resozialisierung angesehen werden. Sie zeigen, dass der Verurteilte gewillt ist, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen und sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Dies erhöht die Chancen, dass das Gericht zu einer günstigen Sozialprognose gelangt und die Strafe zur Bewährung aussetzt.

Umgekehrt wirken sich anhaltende dissoziale Verhaltensweisen nach der Tat negativ aus. Dazu zählen beispielsweise die Begehung weiterer Straftaten, Verstöße gegen Meldeauflagen, Kontaktaufnahme zu kriminellen Kreisen oder Suchtmittelmissbrauch. Solche Umstände lassen Zweifel an der Fähigkeit und Bereitschaft des Verurteilten aufkommen, künftig ein straffreies Leben zu führen.



§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 57 Abs. 1 StGB: Bestimmt die Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung bei Vollverbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Im vorliegenden Fall wurde dieser Paragraph herangezogen, um die Möglichkeit einer Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt zu prüfen, basierend auf einer positiven Prognose des zukünftigen Verhaltens des Verurteilten.
  • § 57 Abs. 2 StGB: Dieser Abschnitt wird verwendet, wenn die Strafaussetzung zur Bewährung bereits zum Halbstrafenzeitpunkt geprüft wird, was jedoch im Fall des wiederholt inhaftierten Verurteilten nicht angewendet werden konnte, da es sich nicht um seine erste Inhaftierung handelt.
  • § 454 StPO: Regelt das Verfahren der Strafaussetzung zur Bewährung, einschließlich der Anhörung des Verurteilten und der Belehrung über die Bewährungsbedingungen. Dieser Paragraph wurde angewandt, um die sofortige Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Landgerichts zu behandeln und die Anforderungen an die Aussetzung der Strafvollstreckung zu bestimmen.
  • AufenthG § 24: Gewährt Schutz und bestimmte Rechte wie die Arbeitserlaubnis für Personen, die vorübergehend Schutz in Deutschland suchen. Dies ist relevant für den Verurteilten, da seine Arbeitserlaubnis auf diesem Gesetz basiert und sein Beschäftigungsstatus als positiver Aspekt in der Legalprognose berücksichtigt wurde.
  • Bundeszentralregister: Dieses Register dokumentiert strafrechtliche Verurteilungen und ist entscheidend für die Prüfung der Vorstrafen eines Verurteilten. Im beschriebenen Fall wurden die Eintragungen im Bundeszentralregister genutzt, um die früheren Strafaussetzungen und die Inhaftierungen des Verurteilten zu verifizieren.

Jeder dieser rechtlichen Punkte spielt eine entscheidende Rolle im Rahmen der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung, indem sie die juristischen Grundlagen für die Bewertung der persönlichen und strafrechtlichen Vergangenheit des Verurteilten sowie seine aktuellen Umstände und Aussichten liefern.


➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main

OLG Frankfurt – Az.: 7 Ws 200/23 – Beschluss vom 16.10.2023

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Darmstadt – 1. Strafvollstreckungskammer – vom 10. August 2023 aufgehoben.

2. Die Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 4. Februar 2016 wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte ist in vorliegender Sache aus der Haft zu entlassen.

3. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.

4. Dem Verurteilten werden folgende Weisungen erteilt:

a) Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsorts zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.

b) Der Verurteilte hat innerhalb von zwei Wochen nach seiner Entlassung aus der Haft persönlich Kontakt mit seinem Bewährungshelfer/seiner Bewährungshelferin aufzunehmen

c) und den Bewährungshelfer/die Bewährungshelferin einmal monatlich, jeweils in der ersten Hälfte des Kalendermonats zu einem mit dem Bewährungshelfer/der Bewährungshelferin abzustimmenden Termin erneut persönlich zu kontaktieren.

5. Der Verurteilte hat die Begründung und jeden Wechsel seines Wohnsitzes innerhalb von einer Woche der zuständigen Strafvollstreckungskammer und seinem/seiner Bewährungshelfer/in anzuzeigen.

6. Die Belehrung des Verurteilten über die Bedeutung der Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, über die Dauer der Bewährungszeit, über die Weisungen und über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung wird der Vollzugsanstalt übertragen (§ 454 Abs. 4 S. 2 StPO).

7. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 4. Februar 2016 (Az. …), rechtskräftig seit diesem Tage, wegen Diebstahls in sechs Fällen (davon in fünf Fällen gemeinschaftlich handelnd, in einem Fall verblieb es beim Versuch und in zwei Fällen bezog sich die Tat auf geringwertige Sachen) mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten belegt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe war zur Bewährung ausgesetzt und dem Verurteilten im Rahmen der Bewährung unter anderem zur Auflage gemacht worden, insgesamt einen Betrag in Höhe von 600 € an „Ärzte ohne Grenzen“ zu zahlen; dabei war dem Verurteilten nachgelassen, diesen Betrag in monatlichen Raten von je 50 € zu zahlen.

Bis zum 15. Dezember 2016 zahlte der Verurteilte in Erfüllung der Bewährungsauflage 450 €. Nachdem der Verurteilte am 20. Januar 2017 in die Ukraine abgeschoben worden war, erfolgten keine weiteren Zahlungen mehr. Infolgedessen widerrief das Amtsgericht Stadt1 mit Beschluss vom 10. Mai 2017 die Strafaussetzung zur Bewährung, wobei der geleistete Geldbetrag mit zwei Monaten Freiheitsstrafe angerechnet wurde. Da der Verurteilte unbekannten Aufenthalts war, hatte das Amtsgericht Stadt1 die öffentliche Zustellung angeordnet. Der Widerrufsbeschluss wurde am 7. Juni 2017 rechtskräftig.

Nachdem die gegen den Verurteilten verhängte Einreisesperre in das Bundesgebiet verstrichen war, reiste er aufgrund des Kriegs in der Ukraine im Mai 2022 wieder nach Deutschland ein. Kenntnis von dem rechtskräftigen Widerrufsbeschluss hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Verurteilte wurde aufgrund des nach Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses ergangenen Vollstreckungshaftbefehls vom 21. Juni 2017 in der Flüchtlingsunterkunft in Stadt2 festgenommen.

Am 25. Juli 2023 hatte der Verurteilte die Hälfte der Strafe verbüßt; der Zweidrittelzeitpunkt wird am 15. Oktober 2023 erreicht sein. Der Endstrafenzeitpunkt datiert auf den 25. März 2024.

Der Verurteilte hat mit Datum vom 23. Juni 2023 die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 2 StGB beantragt.

Das Landgericht Darmstadt – 1. Strafvollstreckungskammer – hat den Antrag des Verurteilten mit Beschluss vom 10. August 2023 abgelehnt. Gegen diesen, dem Verurteilten am 17. August 2023 zugestellten Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 19. August 2023 eingelegte und beim Landgericht Darmstadt am selben Tag eingegangene sofortige Beschwerde.

II.

Die gemäß § 454 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Zu Recht geht die Strafvollstreckungskammer im Ergebnis noch davon aus, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 2 StGB zum Halbstrafenzeitpunkt nicht in Betracht kommt. Der Verurteilte befindet sich nämlich nicht, wie nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entscheidend, das erste Mal in Haft, was er im Rahmen seiner Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer selbst geschildert hat und auch den Eintragungen im Bundeszentralregister zu den dortigen Ziffern 11 und 13 entspricht, wenn dort jeweils die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests vermerkt sind. Außerdem sind „besondere Umstände“ im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB, die für die Entlassung des wiederholt inhaftierten Verurteilten zur Halbstrafe streiten würden, nicht ersichtlich.

Allerdings ist in dem Antrag des Verurteilten auf eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafentermin als Minus auch der Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB zum Zweidrittelzeitpunkt enthalten. Eine bedingte Entlassung zu diesem Zeitpunkt kann verantwortet werden.

In welchem Maße es im Sinne des § 57 Abs. 1 StGB wahrscheinlich sein muss, dass ein Täter nicht wieder straffällig wird, hängt aufgrund der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit von dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter und den Eigenheiten der Persönlichkeit des Verurteilten ab. Dabei ist keine Gewissheit künftiger Straffreiheit erforderlich, es genügt das Bestehen einer naheliegenden Chance für ein positives Ergebnis, wobei Zweifel an der günstigen Legalprognose zu Lasten des Verurteilten gehen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. März 2023 – 7 Ws 16/23 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens ist besonders dann ein kritischer Maßstab anzulegen, wenn der Verurteilte bewährungsbrüchig geworden ist und dadurch bewiesen hat, dass der von ihm vermittelte günstige Eindruck falsch war (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. März 2023 – 7 Ws 16/23 m.w.N.; KG, Beschluss vom 18. Mai 2006 – 5 Ws 249-250/06 = BeckRS 2006, 9284).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Strafvollstreckungskammer zwar zu Recht die vielfachen Vorstrafen des Verurteilten in den Blick genommen und auch sein in der Vergangenheit liegendes Bewährungsversagen sowie die teilweise Nichterfüllung der Auflage im vorliegenden Verfahren sind kritisch zu würdigen. Zu gewärtigen ist indes, dass es sich bei den von dem Verurteilten begangenen Straftaten um solche aus dem Bereich der mittleren Kriminalität handelt und auch bei einem Rückfall allenfalls mit solchen Taten zu rechnen ist. Außerdem stehen den von der Strafvollstreckungskammer genannten negativen Faktoren durchaus positive Aspekte gegenüber, die im Zuge der Gesamtabwägung zu würdigen sind.

So ist dem Verurteilten zugute zu halten, dass er im laufenden Verfahren wenigstens seine Bereitschaft zur – aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglichen – vollständigen Erfüllung der Auflage hat erkennen lassen. Prognostisch von entscheidender Bedeutung ist schließlich, dass der Verurteilte die letzte zur Verurteilung gelangte Tat am 9. Februar 2015 – also vor mehr als acht Jahren – begangen hat und seither – wie eine vom Senat veranlasste Nachfrage bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und eine von dort veranlasste bundesweite Abfrage ergab – in Deutschland strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich der Verurteilte mehr als fünf Jahre nicht in Deutschland aufhielt. Jedoch lebte er zwischen der letzten Tatbegehung und seiner Abschiebung in sein Heimatland immerhin noch fast zwei Jahre in Deutschland und auch vor seiner Festnahme Ende Januar 2023 hielt er sich hier wieder bereits mehr als acht Monate auf.

Bei alledem war zu gewärtigen, dass bei dem Verurteilten eine Suchtproblematik nicht bekannt ist, sondern der Grund für die Tatbegehungen ausweislich seiner Einlassung in dem hier in Rede stehenden Verfahren vor dem Amtsgericht Stadt1 war, dass er keiner Beschäftigung nachgegangen ist. Um die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit, die dem Verurteilten aufgrund des ihm gemäß § 24 AufenthG als Ukrainer vorübergehend gewährten Schutzes möglich ist, hat sich der Verurteilte erfolgreich bemüht und im Rahmen der Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer eine Bescheinigung der Firma1 GmbH aus Stadt3 vorgelegt, die ihm seine Anstellung nach der Haftentlassung in Aussicht stellt.

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