Die Anfertigung von Videoaufnahmen bei Polizeieinsätzen: eine Rechtsfrage
In den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2021 in der Innenstadt von Osnabrück kam es zu einem Zwischenfall, der eine wichtige rechtliche Frage aufwarf: Ist es strafbar, Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen anzufertigen? Ein Polizeieinsatz fand an einer Kreuzung statt, bei dem eine renitente Person fixiert wurde. Einige umstehende Personen, darunter der Beschwerdeführer, störten die Beamten. Der Beschwerdeführer hielt dabei sein Mobiltelefon in der Hand und nahm offenbar Videos und Töne auf. Die Polizisten forderten ihn auf, die Aufnahmen zu unterlassen, und stellten später sein Telefon sicher. Dies geschah unter dem Verdacht, dass der Beschwerdeführer die Vertraulichkeit des Wortes verletzt haben könnte.
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Übersicht
Beschwerde gegen die Sicherstellung des Mobiltelefons
Die Polizei stellte das Mobiltelefon als potentielles Beweismittel sicher. Die Staatsanwaltschaft leitete die Akten am 22.06.2021 dem Amtsgericht Osnabrück zur richterlichen Bestätigung der Beschlagnahme zu. Mit Beschluss vom 14.07.2021 bestätigte das Amtsgericht die Beschlagnahme mit der Begründung, dass das Gerät als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sei und als Einziehungsgegenstand in Betracht käme. Dagegen legte der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger Beschwerde ein.
Aufhebung der Beschlagnahme und Kostenauflage
Das Landgericht Osnabrück entschied schließlich am 24.09.2021 auf die Beschwerde des Beschwerdeführers hin, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 14.07.2021 aufgehoben wird. Das bedeutet, dass die Beschlagnahme des Mobiltelefons des Beschwerdeführers nicht länger aufrecht erhalten bleibt. Darüber hinaus wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die hierin entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse auferlegt. Die Beamten hatten gegen den Beschwerdeführer Strafantrag wegen aller in Betracht kommender Delikte gestellt.
Bedeutung für zukünftige Fälle
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die rechtlichen Fragen, die mit der Aufnahme von Polizeieinsätzen verbunden sind. Während das Recht auf freie Meinungsäußerung und die öffentliche Kontrolle der Polizei wichtige Grundsätze unserer Demokratie sind, gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und Sicherheit der Beamten. Es bleibt abzuwarten, wie zukünftige Gerichtsentscheidungen diese Balance wahren werden.
Das vorliegende Urteil
LG Osnabrück – Az.: 10 Qs/120 Js 32757/21 – 49/21 – Beschluss vom 24.09.2021
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 14.07.2021, mit dem die Beschlagnahme des Mobiltelefons des Beschwerdeführers bestätigt wurde, aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die hierin entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Am 13.06.2021 kam es gegen 04:25 Uhr in der Osnabrücker Innenstadt – im Bereich der Kreuzung S…straße / J..straße – zu einem Polizeieinsatz einer Funkstreifenwagenbesatzung, bei der es u.a. zur Fixierung einer renitenten Person auf dem Boden kam. Im weiteren Verlauf dieses Einsatzes waren auch eine Rettungswagenbesatzung sowie zivile Polizeibeamte eingesetzt.
Während dieser Maßnahmen wurden die Einsatzkräfte wiederholt durch umstehende Personen – u.a. auch durch den Beschwerdeführer – gestört, worauf die Beamten versuchten die Situation zu beruhigen und hierzu auch Platzverweise aussprachen. Währenddessen hielt der Beschwerdeführer sein Mobiltelefon „iPhone“ deutlich sichtbar vor seinem Körper und fertigte augenscheinlich Video- und Tonaufzeichnungen der Situation an. Hierauf wurde der Beschwerdeführer durch die Polizeibeamten unter Hinweis auf eine Strafbarkeit der Tonaufnahmen angewiesen, diese Aufzeichnungen zu unterlassen und einen Abstand zu den Beamten einzuhalten.
Nach dem Eintreffen weiterer Beamter wurde der Beschwerdeführer im Nahbereich erneut von Polizeibeamten aufgesucht und sein Mobiltelefon wegen des Verdachts einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes durch die von ihm gefertigten Aufnahmen als potentielles Beweismittel gegen den Willen des Beschwerdeführers sichergestellt.
Am 15.06.2021 ging der Ermittlungsvorgang bei der Staatsanwaltschaft ein, die die Akten mit Verfügung vom 22.06.2021 dem Amtsgericht Osnabrück zur richterlichen Bestätigung der Beschlagnahme des Mobiltelefons zuleitete. Mit Beschluss vom 14.07.2021 bestätigte das Amtsgericht die Beschlagnahme mit der Begründung, dass der Gegenstand als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sei und als Einziehungsgegenstand in Betracht komme.
Unter dem 19.07.2021 stellten die eingesetzten Polizeibeamten gegen den Beschwerdeführer Strafantrag wegen aller in Betracht kommender Delikte. Der Beschwerdeführer hat über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 19.07.2021 gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Die gemäß §§ 304, 305 StPO zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme seines Smartphones ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Bereits die durch Polizeibeamte angeordnete Beschlagnahme des Mobiltelefons entbehrte einer rechtlichen Grundlage, da – zumindest in dem konkreten vorliegenden Einzelfall – der Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung und damit die Voraussetzung einer strafprozessual gemäß §§ 94, 95 StPO zulässigen Beschlagnahme nicht gegeben war.
1. Gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist erforderlich, dass der Täter das nichtöffentlich gesprochene Wort einer anderen Person auf einem Tonträger aufnimmt.
Nichtöffentlich sind Gespräche oder Diskussionen, wenn der Teilnehmerkreis individuell begrenzt ist, d.h. nicht einem beliebigen Zutritt offensteht. Daher kommt es nicht auf die Zahl der Zuhörer, sondern auf die Abgeschlossenheit des Gesprächskreises an. Bestehen bei Gesprächen Mithörmöglichkeiten für andere unbeteiligte Personen, können sie ihren ansonsten privaten Charakter aufgrund ihrer faktischen Öffentlichkeit einbüßen (MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, StGB § 201 Rn. 15 und 18 m.w.N.). Unter der Prämisse, dass trotz der systematischen Stellung des § 201 StGB im 15. Abschnitt des StGB, der die Strafbarkeit der Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs regelt, auch dem persönlichen Lebensbereich des agierenden Beamten entrückte dienstliche Äußerungen dem Schutzbereich des § 201 unterfallen, ist auch die Aufzeichnung des gesprochenen Worts etwa bei polizeilichen Kontrollen strafbar, es sei denn, es besteht auch hier bereits eine faktische Öffentlichkeit, weil etwa weitere Personen z.B. in einem frequentierten Bahnhofsgebäude mithören können (MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, StGB § 201 Rn. 17, 17a m.w.N.).
Für die Frage des Vorliegens einer faktischen Öffentlichkeit ist nicht maßgeblich, ob lediglich eine Person (was nach Ansicht des LG München I, Urteil vom 11. Februar 2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17 –, Rn. 15, juris, für eine faktische Öffentlichkeit nicht ausreichen soll) oder mehrere Personen die polizeiliche Maßnahme tatsächlich beobachtet oder ihr beigewohnt haben, sondern allein die Frage, ob beliebige andere Personen von frei zugänglichen öffentlichen Flächen oder allgemein zugänglichen Gebäuden und Räumen (MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, StGB § 201 Rn. 18) – mithin eine beliebige Öffentlichkeit – die Diensthandlungen hätten beobachten und akustisch wie optisch wahrnehmen können. Um einem unter diesen Bedingungen gesprochenen Wort ein öffentliches Gepräge zu geben, ist nicht entscheidend, ob andere Personen das gesprochene Wort tatsächlich wahrgenommen haben. Denn insoweit ist anerkannt, dass etwa eine Äußerung dadurch den nichtöffentlichen Charakter verliert, wenn sie als Lautsprecherdurchsage (vgl. MükoStGB/Graf a.a.O.) durch einen unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden konnte, ohne dass es (noch) darauf ankommt, ob sie auch tatsächlich von einzelnen Personen wahrgenommen worden ist.
2. Gemessen an diesen Kriterien ist das im Zuge einer im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommenen Diensthandlung geäußerte Wort in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, wenn dieser Ort – wie hier – frei zugänglich war. Die Besonderheit, dass hier u.a. gegen den Beschuldigten ein Platzverweis ausgesprochen wurde, ändert an dieser Bewertung nichts, weil zum einen der Aktenlage nicht eindeutig zu entnehmen ist, dass die Aufnahme unter Verletzung des Platzverweises erfolgte, und zum anderen der Platzverweis hier nicht zur Herstellung der Vertraulichkeit – etwa zur Ermöglichung einer Lagebesprechung – diente, was dazu hätte führen können, dass das dort gesprochene Wort zu einem nicht öffentlichen geworden wäre, sondern der Platzverweis ausschließlich die Durchführung der aufgenommenen Diensthandlung ermöglichen sollte.
Eine weniger enge, d.h. den Bereich der Strafbarkeit erweiternde Auslegung ist nicht angezeigt. Denn die Vorschrift dient der verfassungsrechtlich garantierten freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Gewährleistung der Unbefangenheit der mündlichen Äußerung (MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, StGB § 201 Rn. 2 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Eines Schutzes der Unbefangenheit bedarf ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches der rechtlichen Überprüfung unterliegt, indes nicht.
Die hier vorgenommene enge Auslegung vermeidet zudem Friktionen insbesondere zu § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Denn es ist vor dem Hintergrund dieser nachträglich geschaffenen Regelung und der ihr zugrundeliegenden gesetzgeberischen Wertung kein Grund ersichtlich, warum die Strafbarkeit der akustischen Perpetuierung durch Aufnahme des Wortes (so viel) weitergehen soll als die visuelle Perpetuierung durch Bildaufnahmen im öffentlichen Raum, die abgesehen von den in § 201a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB genannten Fällen straffrei ist.
3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.