Ein Mann saß nach der rückwirkenden Strafmilderung durch das Cannabisgesetz mehrere Tage zu Unrecht in Haft und forderte daraufhin Entschädigung bei Straferlass durch Cannabisgesetz. Die entscheidende Frage lautete, ob der nachträgliche Erlass eine Korrektur des Urteils oder lediglich eine politische Amnestie darstellte.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Warum gibt es kein Geld für einen Monat Haft, der durch das Cannabisgesetz „zu viel“ war?
- Wie kam es zu dem einen Monat „Überhaft“?
- Worauf stützte der Mann seinen Anspruch?
- Warum lehnte das Gericht die Entschädigung ab?
- Hätte das Gericht das Gesetz nicht anders auslegen können?
- Ist der Mann jetzt völlig rechtlos?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Habe ich Anspruch auf Haft-Entschädigung, wenn mein Urteil durch das Cannabisgesetz reduziert wird?
- Gilt der Straferlass nach dem CanG als Justizfehler, der zur StrEG-Entschädigung berechtigt?
- Welche anderen rechtlichen Wege gibt es, um Entschädigung für zu lange Haft zu erhalten?
- Was kann ich tun, wenn meine Gesamtstrafe wegen des CanG nachträglich reduziert wurde, ich aber schon entlassen bin?
- Wann genau liegt eine zu Unrecht erlittene Haftstrafe vor, die das Entschädigungsgesetz StrEG entschädigt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ws 269/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
- Datum: 20. August 2025
- Aktenzeichen: 1 Ws 269/25
- Verfahren: Entschädigungsverfahren (wegen Strafverfolgungsmaßnahmen)
- Rechtsbereiche: Entschädigungsrecht, Strafvollstreckung, Cannabisgesetz
- Das Problem: Ein Mann verbüßte eine Gesamtfreiheitsstrafe, die nachträglich wegen des Cannabisgesetzes reduziert werden musste. Er beantragte eine Entschädigung vom Staat für den einen Monat, den er aufgrund der Gesetzesänderung zu viel in Haft saß.
- Die Rechtsfrage: Muss der Staat eine Entschädigung zahlen, wenn eine Haftstrafe nachträglich durch ein neues Gesetz (Cannabisgesetz) reduziert wird und der Betroffene bereits zu lange in Haft saß?
- Die Antwort: Nein. Das Gesetz zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen gilt nur, wenn die ursprüngliche Verurteilung selbst im Nachhinein als ungerechtfertigt korrigiert wird. Der Straferlass durch das Cannabisgesetz ist eine allgemeine Amnestie und keine solche Korrektur.
- Die Bedeutung: Eine Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft infolge des gesetzlichen Straferlasses nach dem Cannabisgesetz kann nicht über das standardisierte Entschädigungsgesetz für Strafverfolgungsmaßnahmen geltend gemacht werden.
Der Fall vor Gericht
Warum gibt es kein Geld für einen Monat Haft, der durch das Cannabisgesetz „zu viel“ war?
Ein Gefangener wird aus der Haft entlassen, weil seine Strafe verkürzt wurde. Das klingt nach einem Sieg für die Gerechtigkeit, nach der Korrektur eines Fehlers. Doch in diesem Fall war es anders. Der Mann war nicht unschuldig.

Das ursprüngliche Urteil war nicht falsch. Stattdessen hatte der Gesetzgeber die Spielregeln geändert und den Besitz von Cannabis in kleinen Mengen entkriminalisiert. Seine Strafe wurde nicht korrigiert, sie wurde erlassen. Genau dieser feine, aber entscheidende Unterschied – zwischen der Korrektur eines Justizirrtums und einem Akt politischer Gnade – stand im Zentrum eines Streits um eine Entschädigung für einen Monat, den der Mann zu lange hinter Gittern saß.
Wie kam es zu dem einen Monat „Überhaft“?
Ein Mann wurde wegen Drogenbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Diese Strafe setzte sich aus zwei Einzelstrafen zusammen, eine davon für den Besitz von zwei Marihuana-Joints. Später kam eine Geldstrafe wegen Körperverletzung hinzu. Als die Bewährung widerrufen wurde, bildete das Gericht aus allen Strafen eine neue Gesamtstrafe von sechs Monaten. Der Mann trat seine Haft am 11. Oktober 2023 an.
Dann kam der 1. April 2024. An diesem Tag trat das neue Cannabisgesetz (CanG) in Kraft. Dieses Gesetz sah vor, dass bestimmte alte Verurteilungen wegen Cannabisbesitzes rückwirkend erlassen werden sollten. Das geschieht über eine Regelung im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (Art. 313 Abs. 1 EGStGB), die durch das neue Gesetz aktiviert wurde. Für den Häftling bedeutete das: Die Einzelstrafe für die zwei Joints fiel weg. Die Justiz musste seine Gesamtstrafe neu berechnen. Die Strafvollstreckungskammer setzte die Haft auf fünf Monate herab. Das Problem war nur: Der Mann wurde erst am 4. April 2024 entlassen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die vollen sechs Monate verbüßt – und damit einen Monat mehr, als seine neue Strafe vorsah. Für diesen Monat forderte er eine Entschädigung vom Staat.
Worauf stützte der Mann seinen Anspruch?
Sein Argument lief über das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, kurz StrEG. Nach § 1 Abs. 1 StrEG hat jemand einen Anspruch auf Entschädigung, wenn seine rechtskräftige Verurteilung später in einem Strafverfahren aufgehoben oder gemildert wird. Das passiert zum Beispiel nach einem erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren, wenn neue Beweise die Unschuld belegen.
Der Mann argumentierte, die nachträgliche Neuberechnung seiner Strafe sei genau ein solcher Fall. Seine Verurteilung sei durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer gemildert worden. Die Folge sei eine „Übervollstreckung“ von einem Monat. Diese zu Unrecht erlittene Strafhaft müsse der Staat entschädigen. Er sah in dem Verfahren zur Neufestsetzung eine Art strafverfahrensrechtliche Korrektur, die vom Entschädigungsgesetz erfasst sein müsse.
Warum lehnte das Gericht die Entschädigung ab?
Das Oberlandesgericht Oldenburg wies die Beschwerde des Mannes zurück. Die Richter zogen eine klare Trennlinie, die den gesamten Fall entschied. Der Kern ihrer Begründung: Das Entschädigungsgesetz (StrEG) ist ausschließlich für Fälle gedacht, in denen sich eine Strafverfolgung im Nachhinein als fehlerhaft oder ungerechtfertigt herausstellt. Es ist ein Ausgleich für ein „Sonderopfer“, das ein Bürger dem Staat fälschlicherweise bringen musste.
Der Straferlass durch das Cannabisgesetz ist etwas anderes. Er ist kein Eingeständnis, dass das frühere Urteil juristisch falsch war. Er ist eine politische Entscheidung des Gesetzgebers, eine Art Amnestie. Der Gesetzgeber hat entschieden, bestimmte Taten nicht mehr zu bestrafen. Diese Amnestie wirkt kraft Gesetzes – automatisch mit Inkrafttreten des CanG. Die spätere Neuberechnung der Strafe durch das Gericht ist nur noch ein formaler Akt, um die Vollstreckung an die neue Rechtslage anzupassen. Sie korrigiert keinen Justizfehler, sie vollzieht eine politische Gnadenentscheidung. Die ursprüngliche Verurteilung bleibt in ihrer damaligen Richtigkeit unangetastet. Das StrEG greift für solche Fälle nicht.
Hätte das Gericht das Gesetz nicht anders auslegen können?
Der Mann und sein Anwalt schlugen eine erweiterte, analoge Anwendung des Entschädigungsgesetzes vor. Sie argumentierten, es sei unbillig, jemanden für eine Tat im Gefängnis zu lassen, die der Staat selbst nicht mehr für strafwürdig hält. Das Gericht schob diesem Gedanken einen Riegel vor. Die Regelungen des StrEG sind abschließend. Eine Analogie – also die Anwendung einer Regel auf einen ähnlichen, aber nicht geregelten Fall – ist hier nicht möglich.
Die Richter verwiesen auf die Entstehungsgeschichte der Gesetze. Das Instrument des nachträglichen Straferlasses bei Gesetzesänderungen (Art. 313 EGStGB) gibt es schon seit 1974. Das Entschädigungsgesetz existierte damals bereits. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass solche Amnestiefälle zu Entschädigungen führen, hätte er es regeln können. Er tat es nicht. Auch bei der Einführung des Cannabisgesetzes wurde keine spezielle Entschädigungsregelung geschaffen. Das Schweigen des Gesetzgebers ist hier als bewusste Entscheidung zu werten. Eine Billigkeitsentscheidung durch das Gericht wäre eine unzulässige Umgehung des gesetzgeberischen Willens.
Ist der Mann jetzt völlig rechtlos?
Das Gericht verneinte den Anspruch nach dem speziellen Entschädigungsgesetz StrEG. Es betonte aber, dass der Mann nicht schutzlos sei. Ihm stehen potenziell andere Wege offen. Denkbar wäre ein Anspruch direkt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5 Abs. 5 EMRK), die ein Recht auf Entschädigung bei rechtswidriger Freiheitsentziehung vorsieht.
Zusätzlich könnte ein zivilrechtlicher Amtshaftungsanspruch in Betracht kommen. Dafür müsste der Mann nachweisen, dass eine Behörde schuldhaft ihre Pflicht verletzt hat, indem sie ihn nicht rechtzeitig aus der Haft entließ. Diese Ansprüche müssten aber auf einem anderen Klageweg und vor anderen Gerichten durchgesetzt werden. Das strafprozessuale Entschädigungsverfahren war für seinen Fall der falsche Weg. Die Kosten für das Beschwerdeverfahren muss der Antragsteller selbst tragen.
Die Urteilslogik
Der Staat entschädigt einen Bürger für zu viel erlittene Haft nur dann, wenn sich die ursprüngliche Verurteilung nachträglich als juristisch fehlerhaft erweist.
- Amnestie erzeugt keine Entschädigungspflicht: Der Straferlass, der durch eine nachträgliche Entkriminalisierung kraft Gesetzes eintritt, gilt als politischer Gnadenakt und löst keinen Entschädigungsanspruch für die Haftausweitung aus.
- Enger Anwendungsbereich des Entschädigungsgesetzes: Das Entschädigungsgesetz dient ausschließlich dazu, jene Sonderopfer auszugleichen, die dem Bürger durch eine ursprünglich rechtswidrige oder fehlerhafte Strafverfolgung entstanden sind.
- Analoge Anwendung scheidet aus: Gerichte dürfen die strengen Voraussetzungen des Entschädigungsgesetzes nicht aus Billigkeitsgründen oder durch eine analoge Auslegung auf Fälle anwenden, die der Gesetzgeber bewusst nicht in den Geltungsbereich aufgenommen hat.
Das Gesetz unterscheidet klar zwischen der Korrektur eines Justizirrtums und der politischen Entscheidung des Gesetzgebers, eine Tat nachträglich zu entkriminalisieren.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihr Anspruch auf Entschädigung nach dem Cannabisgesetz zurückgewiesen? Kontaktieren Sie uns für eine sachkundige Prüfung Ihres Entschädigungsanspruchs.
Experten Kommentar
Wenn eine Strafe nachträglich durch ein neues Gesetz wegfällt, denken viele Mandanten sofort, der Staat habe einen Fehler gemacht, der nun entschädigt werden muss. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Der Straferlass durch das Cannabisgesetz ist eine politische Amnestie, keine Korrektur eines Justizirrtums. Das bedeutet praktisch, dass der einfache Weg über das Entschädigungsgesetz StrEG für Betroffene versperrt ist. Wer tatsächlich zu Unrecht länger saß, muss den mühsamen Umweg über das Amtshaftungsrecht oder die Europäische Menschenrechtskonvention suchen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Habe ich Anspruch auf Haft-Entschädigung, wenn mein Urteil durch das Cannabisgesetz reduziert wird?
Die Regel: Ein direkter Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) besteht in diesem Fall nicht. Die juristische Unterscheidung zwischen einem Fehler des Gerichts und einer nachträglichen Gesetzesänderung ist hier entscheidend. Die Reduzierung Ihrer Haftstrafe durch das Cannabisgesetz (CanG) wertet der Staat als einen politischen Gnadenakt, nicht als Korrektur eines Justizirrtums.
Der Gesetzgeber hat beschlossen, bestimmte Cannabis-Delikte nicht länger zu bestrafen. Diese automatische Amnestie wirkt unmittelbar kraft Gesetzes nach Artikel 313 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Das StrEG ist jedoch ausschließlich dafür gedacht, ein Sonderopfer zu kompensieren, das Bürger durch nachträglich als fehlerhaft erkannte Urteile erlitten haben. Weil Ihre ursprüngliche Verurteilung zum Zeitpunkt der Haftstrafe juristisch korrekt war, liegt kein korrigierter Verfahrensfehler vor.
Konkret ist die Herabsetzung der Strafe nur ein formaler Vollzugsakt, um die neue Rechtslage anzuwenden. Die ursprüngliche Strafe galt nicht als „zu Unrecht erlitten“, sondern wurde lediglich nachträglich erlassen. Stellen Sie einen Antrag beim Landgericht und argumentieren mit einer ungerechtfertigten Übervollstreckung im Sinne des StrEG, wird dieser Anspruch abgelehnt. Zudem müssten Sie die Kosten für ein Beschwerdeverfahren tragen, was die Gerichte bereits entschieden.
Um andere Ansprüche prüfen zu können, fordern Sie sofort alle Gerichts- und Vollstreckungsdokumente zur Neufestsetzung der Gesamtstrafe an, um eine schuldhafte Verzögerung bei der tatsächlichen Entlassung nachzuweisen.
Gilt der Straferlass nach dem CanG als Justizfehler, der zur StrEG-Entschädigung berechtigt?
Die kurze Antwort lautet: Nein. Gerichte ziehen eine strikte juristische Trennlinie zwischen Gesetzesänderung und Rechtskorrektur. Die Reduzierung einer Haftstrafe aufgrund des Cannabisgesetzes (CanG) gilt nicht als korrigierter Justizfehler im Sinne des StrEG, sondern als ein politischer Gnadenakt. Der Straferlass wirkt kraft Gesetzes und stellt die Rechtsmäßigkeit des ursprünglichen Urteils nicht nachträglich infrage.
Der Anspruch auf Entschädigung nach dem StrEG (Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen) entsteht nur, wenn das ursprüngliche Urteil selbst von Anfang an fehlerhaft war. Dies ist der Fall, wenn ein Urteil beispielsweise in einem Wiederaufnahmeverfahren aufgrund neuer Beweise oder schwerwiegender Verfahrensfehler korrigiert wird. Das Oberlandesgericht Oldenburg stellte klar, dass der Straferlass nach Art. 313 EGStGB lediglich eine legislative Amnestie darstellt. Der Gesetzgeber hat hierbei entschieden, bestimmte Taten nicht mehr als strafwürdig anzusehen.
Die nachträgliche Neuberechnung der Gesamtstrafe durch die Strafvollstreckungskammer ist somit nur ein formaler Vollzugsakt. Die Justiz passt damit die Vollstreckung lediglich an die neue Gesetzeslage an; sie korrigiert keinen fehlerhaften Richterschlag. Eine analoge Anwendung des StrEG ist nach Ansicht der Gerichte unzulässig, da dessen Regelungen abschließend sind. Hätte der Gesetzgeber Entschädigungen für Amnestiefälle gewollt, hätte er dies beim Inkrafttreten des CanG gesondert regeln müssen.
Prüfen Sie anhand der Urteilsbegründung, ob der Cannabisbesitz juristisch sauber festgestellt wurde, und konzentrieren Sie sich ansonsten auf die Alternative der Amtshaftung.
Welche anderen rechtlichen Wege gibt es, um Entschädigung für zu lange Haft zu erhalten?
Die Ablehnung eines Entschädigungsantrags nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG) bedeutet nicht das Ende aller Ansprüche. Trotz des Ausschlusses durch das spezielle Strafprozessrecht stehen Betroffenen zwei wesentliche alternative Wege offen. Diese Ansprüche müssen jedoch auf dem Zivilrechtsweg und vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden. Sie konzentrieren sich nicht auf die ursprüngliche Verurteilung, sondern auf das schuldhafte behördliche Handeln danach.
Der erste und häufigste Weg ist der zivilrechtliche Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. Dieser richtet sich gegen das Land oder den Bund und setzt voraus, dass eine Behörde schuldhaft eine Amtspflicht verletzt hat. Der Anspruch muss sich hochspezifisch auf die schuldhafte Verzögerung der Freilassung nach dem Beschluss zur Neuberechnung der Strafe konzentrieren. Betroffene müssen nachweisen, dass die zuständige Behörde, etwa die JVA oder die Vollstreckungsbehörde, nicht unverzüglich gehandelt hat.
Ein zweiter Ansatzpunkt liegt im Völkerrecht, nämlich der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 5 Abs. 5 EMRK garantiert das Recht auf Entschädigung bei jeder rechtswidrigen Freiheitsentziehung. Die überlange Vollstreckung, die nach der rechtlichen Neubewertung der Haftstrafe erfolgte, kann als Verstoß gegen die Freiheit des Einzelnen gewertet werden. Die Beweisführung und die zuständigen Gerichte unterscheiden sich grundlegend vom StrEG-Verfahren, da es sich um eine direkte Anspruchsgrundlage handelt.
Kontaktieren Sie für diese alternativen Wege dringend einen Fachanwalt für Verwaltungs- oder Zivilrecht.
Was kann ich tun, wenn meine Gesamtstrafe wegen des CanG nachträglich reduziert wurde, ich aber schon entlassen bin?
Wenn Sie nach der Neuberechnung Ihrer Haftstrafe aufgrund des Cannabisgesetzes nicht sofort entlassen wurden, sollten Sie primär einen Amtshaftungsanspruch prüfen. Zwar entfällt die Entschädigung für die gesamte ursprüngliche Haft, weil kein Justizirrtum vorlag, doch der Staat haftet für Schäden durch schuldhafte Fehler seiner Behörden. Ihr Fokus muss auf dem Zeitraum liegen, in dem Sie nach der rechtskräftigen Reduzierung der Strafe noch inhaftiert blieben.
Die Justiz hatte die Pflicht, die Vollstreckung unverzüglich an die reduzierte Strafe anzupassen. Die unrechtmäßige Inhaftierung, die sogenannte Überhaft, beginnt mit dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer, die Gesamtstrafe herabzusetzen. Ab diesem Moment überschreitet jeder weitere Tag, den Sie verbringen mussten, die rechtmäßige Dauer der Freiheitsentziehung. Sie müssen detailliert nachweisen, dass die zuständige Behörde, sei es die Vollstreckungskammer oder die JVA, schuldhaft ihre Pflicht zur unverzüglichen Freilassung verletzt hat.
Dafür ist es essenziell, den Neuberechnungsbeschluss als Beweis zu sichern. Nehmen wir an: Der Beschluss zur Haftreduzierung wurde am 1. April erlassen, Sie wurden aber erst am 4. April freigelassen. Diese zu lange Haft begründet den Anspruch. Sie müssen diese Verzögerungskette dokumentieren, um festzustellen, welche Stelle die Freilassung schuldhaft verlangsamt hat. Die Behörden können die Verzögerung nicht einfach mit allgemeinem Verwaltungsaufwand oder dem Inkrafttreten des CanG entschuldigen.
Erstellen Sie einen detaillierten Zeitstrahl, der das Datum der Neuberechnung und das Datum Ihrer tatsächlichen Freilassung gegenüberstellt, um die Verzögerungskette zu identifizieren.
Wann genau liegt eine zu Unrecht erlittene Haftstrafe vor, die das Entschädigungsgesetz StrEG entschädigt?
Die Entschädigung nach dem StrEG greift ausschließlich, wenn sich die ursprüngliche Verurteilung als ungerechtfertigt oder fehlerhaft herausstellte. Ein Anspruch auf Entschädigung entsteht nur, wenn die richterliche Entscheidung selbst wegen neuer Beweise oder eines Rechtsfehlers nachträglich korrigiert werden musste. Das Gesetz entschädigt das Sonderopfer des Bürgers, der dem Staat aufgrund eines Justizirrtums unverschuldet Freiheitsentzug erlitt. Typischerweise ist dafür ein erfolgreiches Wiederaufnahmeverfahren nötig.
Der zentrale Anwendungsbereich des Gesetzes ist die Behebung eines Mangels in der Rechtsfindung, der die damalige Verurteilung betrifft. Entscheidend ist die Feststellung, dass die Verurteilung zum Zeitpunkt ihrer Fällung juristisch fehlerhaft war. Der Anspruch nach dem StrEG entsteht somit nur, wenn die rechtskräftige Verurteilung in einem Strafverfahren aufgehoben oder gemildert wird. Diese Korrektur muss auf einem Mangel im richterlichen Urteil beruhen und nicht auf einer politischen Entscheidung.
Eine Entschädigung wird demgegenüber nicht ausgelöst, wenn eine Strafe lediglich aufgrund einer nachträglichen Gesetzesänderung entfällt, wie es beim Cannabisgesetz der Fall ist. Da die ursprüngliche Verurteilung wegen des Cannabisbesitzes zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig war, liegt kein Justizfehler vor. Die Strafe entfällt hier wegen einer legislativen Amnestie, die die Strafwürdigkeit der Tat neu bewertet, aber nicht die Richtigkeit des alten Urteils infrage stellt.
Analysieren Sie die Begründung des Beschlusses: Wird dort auf Wiederaufnahme oder Verfahrensfehler verwiesen, ist das StrEG anwendbar, nicht aber bei einer Begründung durch Gesetzesänderung.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Amtshaftungsanspruch
Der Amtshaftungsanspruch ist ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch, den Bürger gegenüber dem Staat geltend machen können, wenn ihnen durch die schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht seitens einer Behörde oder eines Beamten ein Schaden entstanden ist. Dieses Rechtsinstitut, primär geregelt in § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, soll sicherstellen, dass Bürger entschädigt werden, falls staatliches Handeln fehlerhaft war und ein Schaden, wie etwa ein unnötiger Freiheitsentzug, die Folge ist.
Beispiel: Nach der offiziellen Reduzierung der Gesamtstrafe hätte der Mann einen Amtshaftungsanspruch prüfen können, falls die Strafvollstreckungskammer die Freilassung schuldhaft um mehrere Tage verzögert hatte.
Analogie (Juristische)
Juristen nennen das Analogie, wenn eine bestehende Gesetzesregel auf einen vergleichbaren Fall angewandt wird, für den das Gesetz eigentlich keine spezifische Regelung bereithält. Man nutzt diese Methode nur, um eine sogenannte Regelungslücke zu schließen und zu verhindern, dass vergleichbare Sachverhalte ohne gerechte Behandlung bleiben; im strengen Strafrecht ist eine Anwendung zuungunsten des Täters wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes allerdings untersagt.
Beispiel: Das Oberlandesgericht lehnte eine analoge Anwendung des StrEG auf den Straferlass durch das Cannabisgesetz ab, da die Gerichte die Regelungen des Entschädigungsgesetzes als abschließend und somit nicht erweiterbar betrachten.
Justizirrtum
Ein Justizirrtum liegt immer dann vor, wenn eine rechtskräftige Verurteilung nachträglich als fehlerhaft oder ungerechtfertigt erkannt und korrigiert wird, typischerweise, weil neue Beweise auftauchen oder ein schwerwiegender Verfahrensfehler die damalige Entscheidung ungültig macht. Der Staat muss für die gravierenden Folgen eines solchen Irrtums, insbesondere den ungerechtfertigten Freiheitsentzug, einstehen und dem Betroffenen über das StrEG einen Ausgleich für das erlittene Sonderopfer bieten.
Beispiel: Im vorliegenden Fall lehnte das Gericht die Entschädigung ab, weil der Straferlass durch das CanG keinen Justizirrtum korrigierte, da das ursprüngliche Urteil zum Zeitpunkt der Verkündung juristisch korrekt war.
Legislative Amnestie
Eine Legislative Amnestie beschreibt den Akt, wenn der Gesetzgeber beschließt, bestimmte, bereits begangene Taten rückwirkend von der Strafbarkeit auszunehmen oder die Strafe dafür zu erlassen, oft aufgrund einer geänderten gesellschaftlichen oder politischen Bewertung. Dieses Instrument der politischen Gnade bewirkt eine Strafbefreiung, ohne dass der Gesetzgeber das Eingeständnis eines Justizfehlers ablegen muss, wodurch die Rechtsordnung an neue normative Vorstellungen angepasst wird.
Beispiel: Die automatische Straffreiheit für den Besitz kleiner Mengen Cannabis, die das CanG durch Artikel 313 EGStGB bewirkte und zur Neuberechnung der Gesamtstrafe führte, ist als Legislative Amnestie einzuordnen.
StrEG (Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen)
Das StrEG ist das Spezialgesetz, das festlegt, unter welchen Umständen der Staat Bürger für erlittene Nachteile entschädigen muss, wenn sich eine Strafverfolgungsmaßnahme – etwa eine Haftstrafe – nachträglich als ungerechtfertigt herausstellt. Dieses Gesetz dient ausschließlich dem Ausgleich von Schäden, die durch Verfahrensfehler oder unrichtige Rechtsanwendung entstanden sind und kompensiert ein dem Bürger fälschlicherweise auferlegtes „Sonderopfer“.
Beispiel: Da der Anspruch des Häftlings nicht auf einem Justizirrtum, sondern auf einer nachträglichen Gesetzesänderung beruhte, lehnte das Oberlandesgericht die Anwendung des StrEG zur Entschädigung für die Überhaft ab.
Überhaft
Überhaft bezeichnet den Zustand, wenn ein Verurteilter nach dem rechtmäßigen Ende seiner tatsächlichen Haftdauer oder nach einer strafrechtlichen Entscheidung, die die Haftzeit verkürzt, weiterhin in Gewahrsam gehalten wird. Juristisch gesehen stellt jeder Tag der Überhaft ab der rechtskräftigen Reduzierung der Strafe eine rechtswidrige Freiheitsentziehung dar und kann bei schuldhafter Verursachung durch staatliche Stellen einen Entschädigungsanspruch begründen.
Beispiel: Der Häftling verbüßte aufgrund der verzögerten Neuberechnung seiner Gesamtstrafe einen Monat zu viel, wobei dieser Zeitraum ab dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes als unrechtmäßige Überhaft zu bewerten war.
Wiederaufnahmeverfahren
Ein Wiederaufnahmeverfahren ist ein außerordentliches Rechtsmittel, mit dem eine bereits rechtskräftig abgeschlossene strafrechtliche Verurteilung neu aufgerollt werden kann, wenn neue Beweismittel oder Tatsachen die Unschuld des Verurteilten belegen. Dieses Verfahren dient der materiellen Gerechtigkeit und bietet die letzte Chance, einen Justizirrtum zu korrigieren, wobei ein erfolgreiches Verfahren zur Aufhebung des Urteils führt und den Entschädigungsanspruch nach dem StrEG auslöst.
Beispiel: Hätte der Häftling seine Entschädigung aufgrund eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens gefordert, das seine ursprüngliche Verurteilung wegen Cannabisbesitzes als fehlerhaft erwiesen hätte, wäre der Anspruch nach dem StrEG gegeben gewesen.
Das vorliegende Urteil
OLG Oldenburg – Az: 1 Ws 269/25 – Beschluss vom 20.August 2025
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