LG Berlin, Az.: 537 Qs 30/11, Beschluss vom 21.03.2011
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 10. Februar 2011 aufgehoben.
Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren nach rechtskräftiger Verurteilung durch Strafbefehl vom 12. Februar 2009 wieder aufzunehmen, wird für zulässig erklärt.
Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin erließ am 12. Februar 2009 gegen den Verurteilten einen Strafbefehl wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung nach §§ 223 Abs. 1, 22, 185, 52 StGB.
Nach form- und fristgerechtem Einspruch des Verurteilten hiergegen stellte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin in der Hauptverhandlung vom 5. Mai 2009 das Verfahren gegen ihn gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein und erteilte ihm die Auflage, einen Geldbetrag von 600,- € in monatlichen Raten zu je 200,- €, beginnend ab dem 31. Mai 2009, an die gemeinnützige Organisation „t. d. h.“ zu zahlen sowie die Zahlung dem Gericht unaufgefordert zu den Akten nachzuweisen.
Da in der Folgezeit kein Zahlungsnachweis bei Gericht einging und der Verurteilte auch auf die gerichtliche Zahlungsaufforderung vom 3. Juli 2009 nicht reagierte, beraumte das Amtsgericht erneut einen Hauptverhandlungstermin an.
Zu diesem Hauptverhandlungstermin am 3. November 2009 erschien der Verurteilte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Angabe von Gründen nicht, so dass das Amtsgericht seinen Einspruch gegen den Strafbefehl gemäß § 412 StPO verwarf.
Diese Entscheidung wurde in der Folgezeit rechtskräftig.
Im Rahmen der Vollstreckung des gegen den Verurteilten mit dem Strafbefehl ebenfalls angeordneten Fahrverbotes teilte dieser sodann mit, dass er die ihm mit Beschluss vom 5. Mai 2009 erteilte Geldauflage durch Zahlung vom 9. Juli 2009 vollständig erfüllt habe.
Auf Nachfrage des Amtsgerichts bestätigte die gemeinnützige Organisation „t. d. h.“ den Eingang der Zahlung in Höhe von 600,- € am 14. Juli 2009.
Der Verurteilte hat nunmehr durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Juli 2010 die Wiederaufnahme des Strafverfahrens beantragt, da er die Auflage aus dem Einstellungsbeschluss vom 5. Mai 2009 vollständig und rechtzeitig erfüllt gehabt habe, so dass kein Verwerfungsurteil habe ergehen dürfen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zurückgewiesen, da die Tatsache der Bußgeldzahlung weder eine mildere Verurteilung noch einen Freispruch im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO begründe und der Verurteilte im Übrigen auch der Auflage, die Zahlung dem Gericht nachzuweisen, nicht nachgekommen sei.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die gemäß § 372 Satz 1 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht (§§ 306, 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
Der Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist zulässig.
1)
Der Umstand, dass der Verurteilte die ihm durch Beschluss gemäß § 153a Abs. 2 StPO auferlegte Geldbuße vollständig und fristgerecht gezahlt hat, stellt eine neue Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO dar, da dies dem Gericht zum Zeitpunkt des die Rechtskraft des Strafbefehls herbeiführenden Verwerfungsurteils nicht bekannt war und daher dort auch nicht berücksichtigt werden konnte (so auch Kalomiris, NStZ 1998, 500f).
2)
a)
Zwar ist diese neue Tatsache nicht geeignet, entsprechend dem Wortlaut des § 359 Nr. 5 StPO die Freisprechung des Verurteilten oder seine geringere Bestrafung herbeizuführen.
Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Verfahrenseinstellung dem Freispruch insoweit gleich steht, wenn sie wegen Fehlens bestimmter Prozessvoraussetzungen erforderlich wird, denn eine endgültige Einstellung des Verfahrens kommt in ihrer Wirkung der Freisprechung nahe und geht über die geringere Bestrafung auf Grund eines milderen Strafgesetzes hinaus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 359 Rn. 39; Karlsruher Kommentar/ Schmidt, StPO, 6. Auflage, § 359 Rn. 34, jew. m. w. N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn Verfahrenshindernisse nicht nur das Verfahren als solches sondern auch die Tat betreffen (KK/Schmidt a. a. O.). Zwar fallen Einstellungen nach den §§ 153 ff StPO nicht hierunter (vgl. Meyer-Goßner a. a. O.; KK/Schmidt a. a. O.).
Hiermit sind allerdings nur diejenigen Fälle gemeint, in denen anlässlich des Wiederaufnahmeantrages vorgebracht wird, die Voraussetzungen der §§ 153ff StPO würden nunmehr vorliegen, so dass eine Einstellung nach diesen Vorschriften erfolgen müsse. Einstellungen wegen eines bereits nach § 153a Abs. 2 Satz 2, Absatz 1 Satz 5 StPO eingetretenen Verfahrenshindernisses fallen hingegen nicht hierunter, denn die vollständige und fristgerechte Erfüllung der Auflage führt konstitutiv zu einem (beschränkten) Strafklageverbrauch, ohne dass es einer weiteren Entschließung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft bedarf. Demnach ist dieser Fall des Strafklageverbrauchs – jedenfalls soweit es um die rechtliche Bewertung der Straftat als Vergehen geht – wiederaufnahmerechtlich wie ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung zu behandeln (so auch Kalomiris a. a. O., S. 501; im Ergebnis auch LG Frankfurt/Main NStZ-RR 2003, 80f).
Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung stellt hingegen eine (neue) Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO dar (vgl. LG Stuttgart NStZ 1997, 455; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180f m. w. N.).
b)
Die fristgerechte Zahlung der Geldauflage hat hier zu einem (beschränkten) Strafklageverbrauch nach § 153a Abs. 2 Satz 2, Absatz 1 Satz 5 StPO geführt, so dass ein die Verfahrenseinstellung nach § 206a Abs. 1 StPO rechtfertigendes Verfahrenshindernis gegeben ist.
Dem Strafklageverbrauch steht insbesondere nicht entgegen, dass der Verurteilte entgegen dem Beschluss über die vorläufige Verfahrenseinstellung nicht den Nachweis der Geldbußenzahlung erbracht hat.
Zwar ist die Auflage an den ehemals Angeklagten einen Erfüllungsnachweis zu erbringen zulässig. Sie ist jedoch eine reine Annexauflage ohne eigene Bedeutung (vgl. Löwe-Rosenberg/Beulke, StPO, 26. Auflage, § 153a Rn. 48; SK/Weßlau, StPO 4. Auflage, § 153a Rn. 51), denn von ihrem materiellen Gehalt her dient sie nicht der Beseitigung des öffentlichen Interesses, sondern lediglich der Überwachung der hierzu erteilten Auflage. Die Nachweispflicht ist vielmehr lediglich eine Obliegenheit, der der jeweilige Angeklagte im eigenen Interesse nachkommen sollte, um auf die einfachste Weise eine baldige Einstellung des Verfahrens zu erreichen (so auch Schmid, JR 1979, 53ff, 53; vgl. ferner Löwe-Rosenberg/Beulke a. a. O. Rn. 80). Im Übrigen kann der Nachweispflicht auch deshalb keine eigene Bedeutung beigemessen werden, da hiermit lediglich der Zahlungsauftrag an die Bank, hingegen nicht der Zahlungseingang bei dem bedachten Empfänger nachgewiesen werden kann. Erst der Zahlungseingang bei dem bedachten Empfänger ist jedoch geeignet, den (beschränkten) Strafklageverbrauch zu begründen.
3)
Da nach alledem die Voraussetzungen zur Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages nach § 359 Nr. 5 StPO gegeben sind, war im Beschwerdeverfahren die entgegenstehende Entscheidung des Amtsgerichts aufzuheben und gemäß § 309 Abs. 2 StPO die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages zu erklären.
Hingegen kann die Kammer als Beschwerdegericht nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnen, da hierdurch in dem zweistufigen Verfahren des Wiederaufnahmeantrages die Grenzen des Beschwerdegegenstandes überschritten worden wären.
III.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil sonst niemand dafür haftet. Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Über die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens hat das Amtsgericht erst in der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu beschließen.