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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten

Feststellungsumfang bei Schuldspruch

OLG Dresden – Az.: 2 Ss 9/12 – Beschluss vom 10.02.2012

1. Auf die Revisionen des Angeklagten werden

a) das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 04. Oktober 2011 (Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10) mit den Feststellungen in vollem Umfang aufgehoben

und

b) das Urteil desselben Gerichts vom 21. September 2011 (Az.: 3 Ns 740 Js 24236/10) aufgehoben

aa) soweit der Angeklagte des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen schuldig gesprochen wurde (Tat vom 14. April 2010),

bb) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung, auch über die Kosten beider Revisionen, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten
Symbolfoto: Von wanida tubtawee/Shutterstock.com

1. Am 04. April 2011 hat das Amtsgericht Chemnitz den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von – unter Außerachtlassung des § 39 StGB – „dreizehn Monaten“ verurteilt.

Seine hiergegen eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung, die sich allein gegen die Versagung der Bewährungsmöglichkeit gewendet hatte, verwarf das Landgericht Chemnitz mit Urteil vom 21. September 2011 (Az.: 3 Ns 740 Js 24236/10).

2. Desweiteren hat das Amtsgericht Chemnitz den Angeklagten am 14. April 2011 wegen „Beleidigung in sechs tateinheitlichen Fällen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht Chemnitz am 04. Oktober 2011 als unbegründet „zurückgewiesen“ (Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10).

3. Gegen beide Berufungsurteile richten sich die rechtzeitig eingelegten Revisionen des Angeklagten, der jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Revision gegen das Urteil vom 04. April 2011 als unbegründet zu verwerfen sowie das Urteil vom 14. April 2011 auf die Revision hin aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen.

4. Der Senat hat die Revisionsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§4 StPO).

II.

1. Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10:

Die zulässige Revision hat vorläufig Erfolg.

Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich wie aus der amtsgerichtlichen Urteilsformel ersichtlich strafbar gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung ist lücken- und daher sachlich-rechtlich fehlerhaft.

Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, der Angeklagte habe sich in der Hauptverhandlung nur insoweit (teilweise) eingelassen, als er behauptet habe, „A.C.A.B.“ bedeute „acht Cola, acht Bier“ und nicht „all cops are bastards“. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt ergäben sich aber aus den Aussagen der Polizeibeamten, die übereinstimmend und ohne abgesprochen zu wirken den Sachverhalt wie im Urteil dargelegt geschildert hätten und auch keine Belastungstendenz „im Hinblick auf den Angeklagten“ hätten erkennen lassen.

Diese Darlegungen zur Beweisaufnahme reichen angesichts der Komplexität des turbulenten Tatgeschehens mit einer Vielzahl von Beteiligten und ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen aber nicht aus. Sie ermöglichen es dem Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob das Berufungsgericht an das (Nicht)Vorliegen einer Aussageabsprache überspannte Anforderungen gestellt hat. In der Urteilsbegründung hätte vielmehr dargelegt werden müssen, weshalb das Landgericht angesichts dessen, dass die (vier) Zeugen übereinstimmende Aussagen getätigt haben, gleichwohl nicht von einer Aussageabsprache ausgegangen ist.

Solche Darlegungen haben sich vorliegend aufgedrängt, zumal das Tatgeschehen einen längeren Zeitraum umfasste und durch eine Vielzahl von Besonderheiten gekennzeichnet ist, weshalb nach der Lebenserfahrung jeder der vier Zeugen das Geschehen anders wahrgenommen haben wird. Maßgeblich für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen ist daher eine inhaltliche Übereinstimmung im Kern der Sache, nicht aber soweit es um Randgeschehnisse geht. Hierzu verhält sich das Urteil aber nicht.

Diese Anforderungen an die Urteilsbegründung nach § 267 Abs. 1 StPO sind nicht damit zu verwechseln, dass das Landgericht den gesamten Inhalt der Zeugenaussagen ausführlich wiedergibt. Dies wäre als bloße Beweisdokumentation gleichfalls rechtsfehlerhaft und könnte den Bestand eines Urteils gefährden (Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl. § 267 Rdnr. 12). Der Tatrichter hat vielmehr den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten oder zuungunsten eines Angeklagten nahelegt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen und diese Würdigung in den Urteilsgründen darzulegen (Meyer-Goßner a.a.O.; BGH NJW 1980, 2423; BGH MDR 1975, 548). Dies bedeutet gerade nicht, dass in allen Einzelheiten darzulegen ist, auf welche Weise der Richter zu gewissen Feststellungen gelangt ist (BGH NStZ 2009, 403; Meyer-Goßner a.a.O.).

Wegen der aufgezeigten Lückenhaftigkeit der vorliegenden Beweiswürdigung ist das Urteil aufzuheben (BGH NStZ-RR 1999, 45; Meyer-Goßner a.a.O. § 267 Rdnr. 42; § 261 Rdnr. 38 m.w.N.).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit der Angeklagte auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist, ergeben die Urteilsgründe schon nicht, worin die Widerstandshandlung des Angeklagten liegen soll. Auch enthalten die Urteilsgründe keine Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Widerstand des Angeklagten gerichtet haben soll (vgl. Fischer, StGB 59. Aufl. § 113 Rdnrn. 9 ff.). Darüber hinaus scheint es angesichts der zeitlichen und räumlichen Nähe des Gesamtgeschehens nahe zu liegen, insoweit insgesamt von einem tateinheitlichen Geschehen auszugehen. Anderenfalls wären Ausführungen dazu erforderlich, auf welchen Umständen die für die Annahme von Tatmehrheit erforderliche Zäsur (vgl. Fischer a.a.O. vor § 52 Rdnr. 3 ff.) beruhen sollte.

2. Az.: 3 Ns 740 Js 24236/10:

Die zulässige Revision hat mit der Sachrüge nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils befunden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, wenn, wie hier, das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (Ruß in KK-StPO, 5. Aufl. § 318 Rdnr. 1). War das nicht der Fall, so muss die Sache schon deswegen zurückverwiesen und auch zu dem Teil neu verhandelt werden, der zu Unrecht als rechtskräftig beurteilt worden war (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 4 zu § 352).

a) Die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch war unwirksam, soweit hiervon der Schuldspruch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der damit tateinheitlich verbundenen Beleidigung betroffen ist (Tatgeschehen vom 14. April 2010). Das Landgericht ist insoweit in zweifacher Hinsicht zu Unrecht von der Wirksamkeit der erklärten Berufungsbeschränkung ausgegangen.

Voraussetzung für die Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch ist es, dass im amtsgerichtlichen Urteil eine tragfähige Grundlage für die festzusetzenden Rechtsfolgen vorhanden ist, damit der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen kann. Dies ist dann ausgeschlossen, wenn die Feststellungen zum Schuldspruch so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass das Berufungsgericht eine Entscheidung über die Rechtsfolgen nicht treffen konnte, ohne die Schuldfrage erneut zu prüfen (Meyer-Goßner a.a.O. § 318 Rdnr. 16).

So verhält es sich hier. Die amtsgerichtlichen Feststellungen zum Schuldspruch sind unzureichend; sie informieren insbesondere nicht im erforderlichen Maße über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr gesetzt hat. Die Urteilsgründe teilen (lediglich) mit (UA S. 6):

„Am 14.04.2010 gegen 17:00 Uhr äußerte der Angeklagte…im Bereich des Hintereingangs der Edeka-Filiale in Chemnitz…gegenüber den Polizeibeamten PM K. und POM O. die Worte: „Was wollt ihr, ihr Fotzen.“, um so seine Missachtung auszudrücken und die Geschädigten in ihrer Ehre zu verletzen. Nachdem der Angeklagte die Fragen des Polizeibeamten K. nach eingesteckter Diebstahlsware und nach seinem Personalausweis nicht beantwortete und der Polizeibeamte, der im Rahmen der Ermittlungen zu einem zuvor in der Edeka-Filiale begangenen Diebstahl tätig wurde, den Angeklagten darauf hingewiesen hatte, dass er nach Personalien und Diebstahlsware durchsucht werden würde, äußerte der Angeklagte die Worte: „Das kannst du ja mal probieren, du Wichser.“, um so erneut seine Missachtung gegenüber dem Polizeibeamten K. auszudrücken. Der Polizeibeamte K. begann daraufhin mit den Worten: „Ich werde Sie jetzt durchsuchen“, die Jacke des Angeklagten…abzutasten. Diesem stillschweigenden Gebot des Duldens der Durchsuchung widersetzte sich der Angeklagte, indem er daraufhin auf den Arm des Polizeibeamten K. schlug, so dass er von diesem mittels einfacher körperlicher Gewalt zu Boden gebracht werden musste. … Der beim Angeklagten durchgeführte Alkoholtest ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,25 Promille um 17:45 Uhr.“

Ungeachtet der Frage, wie die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung dogmatisch einzuordnen ist (vgl. dazu Fischer, a.a.O. § 113 Rdnrn. 9 ff.), hängt sie davon ab, ob der Vollstreckungsbeamte sachlich und örtlich zuständig gewesen ist, die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten und sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (Fischer a.a.O. Rdnrn. 16 ff.). Im vorliegenden Fall finden sich im amtsgerichtlichen Urteil keine Feststellungen, die hinreichend klar die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erkennen lassen könnten. Es fehlt vor allem die Darstellung, weshalb gegen den Angeklagten seine körperliche Durchsuchung angeordnet wurde, folglich aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Polizeibeamten eingeschritten sind. Allein die Mitteilung, dass der anordnende Beamte „im Rahmen der Ermittlungen zu einem zuvor in der Edeka-Filiale begangenen Diebstahl tätig“ wurde, ist insoweit unzureichend, weil nicht ersichtlich ist, welche prozessuale Stellung (Zeuge, Beschuldigter oder nur unbeteiligter Schaulustiger) der Angeklagte in diesem Ermittlungsverfahren hatte. Abhängig von den konkreten Umständen kämen verschiedene gesetzliche Bestimmungen als Rechtsgrundlagen in Betracht (z. B. die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO mit den Verweisen, die sich aus § 163 b StPO ergeben können oder aber ein Einschreiten nach dem Bestimmungen des Sächsischen Polizeigesetzes zum Zwecke der Gefahrenabwehr).

Diese Lücken haben dem Berufungsgericht die Prüfung verwehrt, ob die Polizeibeamten die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten haben. Das Landgericht ist deshalb insoweit rechtsfehlerhaft von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen. Allein schon deshalb bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung.

b) Im Hinblick auf die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung (Tat vom 25. Februar 2010) und wegen Diebstahls (Tat vom 20. September 2010) erweist sich die Revision dagegen als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der beiden Taten vom 25. Februar 2010 (Tat II. 1) und vom 20. September 2010 (Tat II. 2) war wirksam. Die insoweit getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts zum objektiven Tatgeschehen und zur inneren Tatseite sind – trotz fehlender Mitteilung des Alkoholisierungsgrades zur Tatzeit am 25. Februar 2010 – noch ausreichend, die Schuldsprüche zu tragen, weil ein Schuldausschluss wegen Volltrunkenheit (§ 20 StGB) jedenfalls nicht gegeben war.

c) Die weitere Beschränkung der Berufung innerhalb des Rechtsfolgenausspruches allein auf die Frage der Strafaussetzung war dagegen nicht wirksam.

Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch (oder auch ein Teil von diesem) eines Urteils allein anfechtbar. Die einem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang seiner Anfechtung gebietet es, den in seinen Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Deshalb kann und darf das Revisionsgericht regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BayObLG NStZ-RR 2004, 336 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23).

Vorliegend aber konnte die Berufung nicht innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden, weil diese Frage in einer inneren Abhängigkeit zur Strafzumessung steht.

aaa) Unstreitig ist zwar, dass eine Rechtsmittelbeschränkung allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie jede wirksame Rechtsmittelbeschränkung möglich ist, BGHSt 47, 32, 35.

Dennoch ist die weitere Einschränkung des Rechtsmittels dann unzulässig, wenn im Einzelfall zwischen der Findung der angemessenen Sanktion (Strafe oder Maßregel) und der Aussetzungsfrage eine untrennbare Wechselbeziehung besteht, oder wenn beiden Entscheidungen im Wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrundeliegen und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbstständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich ist. Das ist namentlich dann der Fall, wenn bestimmte Feststellungen – etwa zu Vorstrafen oder Tätereigenschaften – doppelrelevant sind und sich der Beschwerdeführer nach dem erkennbaren Sinn und Ziel seines Rechtsmittels gegen diese Feststellungen wendet, oder wenn die Bewährungsentscheidung mit der verhängten Rechtsfolge „eng verzahnt“ ist und deshalb die Gefahr besteht, dass die (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde (BGHSt a.a.O., zur Verhängung der Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB).

bbb) Eine solche enge Verzahnung besteht auch im vorliegenden Fall.

Das Amtsgericht hatte für zwei der drei abgeurteilten Taten jeweils Einzelfreiheitsstrafen von weit weniger als sechs Monaten ausgesprochen, diese offenbar im Sinne des § 47 StGB zur Einwirkung auf den Angeklagten für „unerlässlich“ gehalten. Solche Freiheitsstrafen unter sechs Monaten sind aber nur dann auszusprechen, wenn sich diese Sanktion aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (BGH StV 2003, 485; OLG Köln NStZ 2003, 421, 422). Damit besteht aber eine Wechselwirkung zwischen der Unerlässlichkeit des Freiheitsentzugs nach § 47 Abs. 1 StGB und der Aussetzungsfrage.

In § 47 Abs. 1 StGB kommt die Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur als ultima ratio zuzulassen und gegenüber der Geldstrafe zurückzudrängen (Fischer, a.a.O. § 47 Rdnr. 2). Die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen setzt daher voraus, dass unter Beachtung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses die Unverzichtbarkeit einer solchen Einwirkung im Rahmen einer eingehenden, gesonderten Begründung dargestellt wird (vgl. auch § 267 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz StPO). Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275).

Die Unverzichtbarkeit der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht von selbst, sondern bedarf besonders eingehender Begründung. Diesen Anforderungen trägt das amtsgerichtliche Urteil nicht ausreichend Rechnung. Insbesondere – dies lassen die Ausführungen des Amtsgerichts (UA S. 13) befürchten – darf nicht durch den schematischen Hinweis auf einschlägige Vorstrafen und ein Bewährungsversagen auf die Ausnahmevoraussetzungen des § 47 StGB geschlossen werden (OLG Karlsruhe StV 2003, 622 f.; StV 2005, 275 f.; OLG Stuttgart NJW 2002, 3188, 3189; OLG Köln NStZ 2003, 421, 422). Diese täterbezogenen Umstände sind vielmehr in ihrer im Einzelfall festzustellenden Bedeutung für das Handlungsunrecht zu bewerten und dahingehend zu würdigen, ob sie die Annahme eine überdurchschnittlichen Unrechts- und Schuldgehalts zu rechtfertigen vermögen.

ccc) Diese täterbezogenen Strafzumessungsfaktoren sind doppelrelevant gerade auch für die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung. Die vom Landgericht als bindend seiner Entscheidung über den Strafausspruch zugrundegelegten Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils sind insoweit unzureichend.

c) Angesichts dieser Sachlage war die nochmalige Beschränkung der Berufung allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unwirksam. Das Landgericht hätte eine eigene Strafzumessung vornehmen müssen. Hierzu hätte es auch die tatzeitbezogene Alkoholisierung festzustellen ebenso wie eine daraus möglicherweise folgende Maßregelanordnung nach § 64 StGB zu erörtern gehabt. Hieran wäre sie auch durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert gewesen (§ 331 Abs. 2 StPO).

III.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungskammer des Landgerichts, die auch über die Kosten beider Revisionsverfahren zu befinden haben wird, zurückverwiesen.

 

 

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