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Strafverfahren – notwendige Urteilsfeststellungen bei Sozialleistungsbetrug

OLG Nürnberg – Az.: 2 St OLG Ss 192/11 – Urteil vom 14.09.2011

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 27. Juni 2011 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Regensburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Regensburg hat den Angeklagten am 27.6.2011 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.

Mit der (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Er begehrt die Aufhebung des Urteils.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt, die Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die (Sprung-)Revision ist zulässig (§ 312, 335 Abs. 1, 341, 344, 345 StPO) und hat mit der Sachrüge zumindest vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Das Amtsgericht hat keine genügenden Feststellungen zum Schaden, insbesondere dessen Höhe, getroffen und die dazu vorgenommene Beweiswürdigung ist lückenhaft. Außerdem lässt die Strafzumessung nicht erkennen, dass eine mögliche Strafmilderung nach § 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB bedacht wurde.

1. Im Urteil des Amtsgerichts wird zu dem festgestellten Sachverhalt, zur Beweiswürdigung, zur rechtlichen Würdigung und zur Strafzumessung u.a. ausgeführt:

a) Zum Sachverhalt (BU Seite 5):

„Der Angeklagte bezog seit 01.04.2008 vom J. …, … Arbeitslosengeld II.

Entgegen der dem Angeklagten bekannten Verpflichtung teilte er der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mit, dass er in der Zeit vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 in selbständiger Tätigkeit den Imbiss „…“, … betrieben hatte, mit der Folge, dass ihm – seiner Absicht entsprechend – für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 Leistungen in Höhe von insgesamt 786,69 Euro bewilligt und ausbezahlt wurden, auf die er, wie er wusste, keinen Anspruch mehr hatte.

Um diesen Betrag wurde das …, von welchem die Auszahlungen nur im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Angeklagten im Leistungszeitraum gemachten Angaben vorgenommen wurden, geschädigt. Was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm.“

b) Zur Beweiswürdigung (BU Seite 6f.):

„Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass er einen Imbiss gekauft habe, um aus der Arbeitslosigkeit zu kommen. Dies wäre zusammen mit Herrn … so geplant worden. Herr … hätte den Imbiss angemeldet, er selbst habe nur unentgeltlich geholfen. Er habe die Einkäufe erledigt und kassiert, sowie die Einnahmen und Ausgaben aufgeschrieben. Er habe die Mietzahlungen für den Kiosk an den Vermieter bar übergeben, wobei die Miete aus den Einnahmen des Kiosks bezahlt wurde. Von dem Gewinn habe er den Herrn … bezahlt, wobei 1.000,– Euro als Gesamtbetrag zutreffen könne. Der Angeklagte führte weiter aus, dass das Geschäft mit dem Imbiss nicht gut gegangen sei. Der Imbiss sei dann im September verkauft worden.

Im Sozialgerichtlichen Verfahren sei ihm gesagt worden, er hätte angeben müssen, dass er für seine Tätigkeit Essen und Trinken erhielt, deshalb habe er seinen Widerspruch zurückgenommen. Eine Zahlungsaufforderung sei noch nicht gekommen.

Der Zeuge … bestätigte die Ausführungen des Angeklagten dahingehend, dass er selbst den Imbiss als Gewerbe angemeldet habe, der Angeklagte habe den Stand jedoch gekauft und mitgearbeitet. Der Angeklagte habe eingekauft und die Buchhaltung gemacht. Er selbst habe 400,– bis 500,– Euro pro Monat von dem Angeklagten für die Arbeit erhalten.

Die Zeugin … als Verwaltungsfachangestellte der … gab in der Hauptverhandlung an, dass der Angeklagte aufgrund eines Neuantrags auf Bewilligung von Arbeitslosengeld am 01.04.2008 im Leistungsbezug stand. Weder der Kauf noch Einkommen oder Arbeitsumfang im Rahmen des Kioskbetriebes seien der Agentur für Arbeit gemeldet worden. Aufgrund einer anonymen Anzeige, dass der Angeklagte einen Kiosk betreibt, seien Ermittlungen eingeleitet worden. Der Angeklagte habe ihr gegenüber bestritten, einen Imbiss zu betreiben. Ihre Ermittlungen haben jedoch ergeben, dass der Angeklagte den Platz für den Imbiss auf dem Gelände der … selbst angemietet hat. Der Pachtvertrag sei auf ihn ausgestellt worden, die Pacht habe 679,– Euro betragen. Auch die Kaution in Höhe von 1.355,– Euro wurde durch den Angeklagten an den Vermieter bezahlt, die Quittung befinde sich bei den Akten. Die Zeugin … gab weiter an, dass ihre Ermittlungen auf Nachfrage bei der … ergaben, dass die Miete stets vom Angeklagten bar bezahlt wurde, wobei dieser ausdrücklich auf den Quittungen nicht vermerkt werden wollte. Der Imbissstand sei von Herrn … verkauft worden, er habe im Oktober 2009 hierfür 5.500,– Euro erhalten.

Eine Rückzahlung der Leistungen in Höhe von 786,69 Euro ist nach Aussage der Zeugin … nicht erfolgt.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Angeklagte sich einen Imbiss-Kiosk gekauft hat und zusammen mit dem … betrieben hat. Dies hat der Angeklagte der … bewusst verschwiegen, um weiterhin Arbeitslosengeld zu erhalten. Zur Verschleierung seines Betriebes hat der Angeklagte diesen auf einen Dritten angemeldet und Zahlungen bar ohne Namensnennung quittieren lassen.

Der Angeklagte hat die wichtigen Aufgaben des Einkaufs und der Buchhaltung übernommen, ebenso die Lohnzahlung an den …. Der Kiosk hat zumindest monatliche Mietzahlungen in Höhe von 679,– Euro und Zahlungen in Höhe von mindestens 1.000,– Euro an den … erwirtschaftet. Nachdem aufgrund der Aufgabenstellung der Angeklagte die führende Position in dem Imbiss inne hielt (auch wenn dieser formal auf den … angemeldet war), ist davon auszugehen, dass er mindestens Beträge in Höhe der Auszahlung an den … auch für sich erwirtschaftete. Unabhängig davon hätte auch die Aufnahme einer einnahmefreien selbständigen Tätigkeit, Probe- oder Gelegenheitsarbeit der Agentur für Arbeit gemeldet werden müssen. Der Angeklagte hat im Zeitraum des Kioskbetriebes vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 Leistungen in Höhe von 786,69 Euro erhalten, auf die er keinen Anspruch hatte.“

c) Zur rechtlichen Würdigung (BU Seite 7):

„Der Angeklagte hat sich damit des Betruges durch Unterlassen gemäß § 263 Abs. 1, 13 StGB schuldig gemacht.“

d) Zur Strafzumessung (BU Seite 7f.):

„Der Strafrahmen für Betrug beträgt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Im Rahmen der Strafzumessung war Zu Gunsten des Angeklagten sein Teilgeständnis zu werten. Zu Lasten des Angeklagten waren jedoch dessen zahlreiche Vorstrafen zu sehen. Insbesondere war zu berücksichtigen, dass die Tat während laufender Reststrafenbewährung einer Verurteilung vom 27.08.2003 erfolgte. Der Angeklagte hat bereits einschlägige Vorstrafen im Vermögensdeliktsbereich, als auch im Zusammenhang mit dem Führen eines Gewerbes. Weiter waren bei der Strafzumessung die Dauer des unberechtigten Leistungsbezugs und die Höhe des entstandenen Schadens zu berücksichtigen. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe war aufgrund der Vorstrafen unerlässlich, um auf den Angeklagten einzuwirken (§ 47 StGB). Unter Abwägung aller Strafzumessungsgesichtspunkte war eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten zu verhängen…“

2. Der Eintritt eines Vermögensschadens ist Tatbestandsvoraussetzung für einen Betrug. Darüber hinaus ist bei diesem Delikt die Höhe des Vermögensschadens für die Strafzumessung bedeutsam (Fischer StGB, 58. Aufl. § 46 Rdn. 34). Wird die betrügerische Erlangung von Sozialleistungen angenommen, müssen die Feststellungen in dem Urteil in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf sozialhilferechtliche Leistungen tatsächlich kein Anspruch bestand (OLG Düsseldorf StV 2001, 354; OLG Hamm Beschluss vom 16.5.2006 Az. 3 Ss 7/06, zitiert nach Juris; Fischer a.a.O. § 263 Rdn. 141).

Das Amtsgericht erläutert zwar in dem angefochtenen Urteil, dass der Angeklagte im Zeitraum vom 1.7.2008 bis 30.9.2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 786,69 Euro in Anspruch nahm und der zuständigen ARGE leistungsrelevante Umstände nicht mitteilte, es wurde aber nicht nachvollziehbar dargelegt, dass er keinen, auch nicht teilweisen, Anspruch auf Arbeitslosengeld II in dem genannten Zeitraum hatte. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der Überlegung des Amtsgerichts, dass dem Angeklagten, ebenso wie dem Mitbetreiber … aus dem Betrieb des Imbissstandes in der Zeit vom 1.7.2008 bis 30.9.2008 mindestens 1.000,00 Euro zur Verfügung standen. Ein unberechtigter Leistungsbezug kann nur vorliegen, soweit in den maßgeblichen Leistungszeiträumen das nach den einschlägigen Vorschriften des SGB II ermittelte, eventuell um Freibeträge gekürzte Eigeneinkommen über dem nach denselben Vorschriften errechneten, die individuellen Lebensverhältnisse des Leistungsempfängers berücksichtigenden Bedarf liegt. Dem amtsgerichtlichen Urteil ist nicht zu entnehmen, wie hoch der jeweilige monatliche Bedarf des Angeklagten in der Zeit vom 1.7. bis 30.9.2008, abgestellt auf seine Wohnsituation, den Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den bei ihm wohnenden, noch zur Schule gehenden Kindern und seiner sonstigen Vermögensverhältnisse war. Auch verhält sich das Urteil nicht dazu, ob und ggf. in welcher Höhe dem Angeklagten nach den sozialrechtlichen Vorschriften Freibeträge zustanden, die von dem angenommenen Einkommen evtl. abzuziehen sind. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, ob das Amtsgericht annimmt, dass die Gesamteinkünfte von 1.000,00 Euro gleichmäßig auf die maßgeblichen drei Monate verteilt erzielt wurden. Soweit dies nicht der Fall war, kann dies mit Blick auf § 41 SGB II bedeutsam sein, da nach dieser Vorschrift der Anspruch auf Leistungen für jeden Kalendertag besteht und Leistungen, die nicht für einen vollen Monat zustehen, nur anteilig erbracht werden.

Deshalb lässt das amtsgerichtliche Urteil offen, ob dem Angeklagten auch bei dem angenommenen Gesamteinkommen von 1.000,00 Euro für die Monate Juli bis September 2008 nicht doch das bewilligte Arbeitslosengeld nach SGB II in voller oder teilweiser Höhe oder zumindest zeitabschnittsweise zustand. Daher tragen die Gründe in dem Urteil vom 27.06.2011 weder den Schuldspruch noch die Strafzumessung.

3. Eine eigene Beweiswürdigung ist dem Revisionsgericht verwehrt. Es findet deshalb nur eine eingeschränkte Prüfung der vom Tatrichter vorgenommenen Bewertung der Beweise statt. Allerdings muss diese Beweiswürdigung plausibel, d.h. für das Revisionsgericht nachvollziehbar sein (Meyer-Goßner, StPO 54 Aufl. § 337 Rdn. 26). Auch darf die Beweiswürdigung keine Lücken aufweisen (Meyer-Goßner a.a.O. § 337 Rdn. 27 und 29).

Das Amtsgericht schließt aus den von dem Angeklagten bei dem Betrieb des Imbissstandes übernommenen Aufgaben, dass er sich aus den Einnahmen zumindest dieselben Beträge zubilligte, wie dem Mitbetreiber …. Diese Annahme ist, isoliert betrachtet, nicht fernliegend und nachvollziehbar. Sie setzt jedoch voraus, dass dem Betrieb die entsprechenden Mittel auch tatsächlich entnommen werden konnten. Daran bestehen schon deshalb Zweifel, weil der Angeklagte den Kioskbetrieb schon nach der kurzen Zeit von drei Monaten wieder aufgab. Es hätte daher für das Amtsgericht Veranlassung bestanden, sich mit den aus dem Betrieb des Kiosks gezogenen Einnahmen und notwendigen Ausgaben auseinander zu setzen. Das Amtsgericht ging von einer führenden Position des Angeklagten bei dem Imbissbetrieb aus. Naheliegend wäre deshalb die Überlegung gewesen, ob nicht der Angeklagte wegen schlechter Ertragslage, aber seines Interesses, den Betrieb in Gang zu bringen, auf eigene Entnahmen verzichtete oder sich jedenfalls mit geringeren als den angenommenen Entnahmen begnügte.

Wegen der aufgezeigten Lücken bei der Beweiswürdigung ist diese für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, weshalb auch aus diesem Grunde das Urteil aufzuheben ist.

4. Die Strafzumessungserwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, der Richter einen falschen Strafrahmen wählt oder die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände verletzt (OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325). So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat bei seiner rechtlichen Wertung einen Betrug durch Unterlassen nach §§ 263 Abs. 1, 13 StGB angenommen. Damit ist nach § 13 Abs. 2 StGB eine Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB eröffnet. Ein fakultativer gesetzlicher Minderungsgrund ist grundsätzlich näher zu erörtern (BGH StV 1996, 98; BGH NStZ-RR 1998, 42). Dies hat das Amtsgericht unterlassen. Eine nähere Erörterung konnte nicht ausnahmsweise deshalb unterbleiben, weil eine Strafrahmenverschiebung hier ferne liegen würde (vgl. BGH a.a.O.). Eine Strafrahmenmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB kommt in Betracht, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt des Unterlassens aufgrund konkreter Merkmale der Deliktsbegehung geringer ist als der des aktiven Tuns (Fischer a.a.O. § 13 Rdn. 53). Dies ist im gegebenen Falle nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn in dem amtsgerichtlichen Urteil strafschärfend die Tatbegehung während laufender Reststrafenbewährung, Vorstrafen im Vermögensdeliktsbereich, auch im Zusammenhang mit dem Führen eines Gewerbes, sowie die Dauer des unberechtigten Leistungsbezugs und die Höhe des entstandenen Schadens aufgeführt sind. Das angefochtene Urteil ist daher auch im Rechtsfolgenausspruch fehlerhaft.

III.

Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Regensburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird (§ 354 Abs. 2 StPO).

 

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